Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 28. Juli bis 3. August 2001

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

INLA-Gefangene treten in Hungerstreik

NATO-Partner gegen US-Albanerpolitik

 

 

Zitat der Woche:
"Niemals ist die Überzeugung von der Bedeutung des Staates als eines gerechten Richters zwischen Wirtschaft und Mensch so tief gewesen wie heute, nachdem der Staat durch jahrelange Vernachlässigung seiner Aufgaben Millionen in Not und Verzweiflung  gestürzt hat, um seiner hartnäckig gehegten Vorstellung von Weltwirtschaft und Volkswirtschaft treu zu bleiben. Jene Verfechter des Liberalismus um jeden Preis haben ihre Doktrin so lange verteidigt und solange jede gegensätzliche Regung als Hirngespinst abgetan, bis sie endlich erkennen mußten, daß es nur noch eine liberalistische Theorie gab, aber keine liberalistische Wirklichkeit mehr."
- Werner Beumelburg

Im Hochsicherheitsgefängnis von Portlaoise in der Republik Irland begann ein Hungerstreik republikanischer Kriegsgefangener. Unter Führung ihres Kommandeurs Dessie O´Hare, auch als "Border Fox" bekannt, eröffneten 7 Angehörige der linksnationalistischen Irish National Liberation Army INLA einen Hungerstreik, um auf die Zustände in den Gefängnissen der Türkei aufmerksam zu machen. Bei dem seit Monaten andauernden Hungerstreik politischer Häftlinge in der Türkei sind bekanntlich bereits mehr als 30 Menschen umgekommen. Neben O´Hare, der für die Entführung des Dubliner Zahnarztest O´Grady zu 40 Jahren Knast verurteilt wurde, beteiligen sich Declan Duffy, John Creed, Denis Thompson, Christopher Magee, Kevin O´Loughlin sowie der CIRA-Renegat Michael Hegarty. Langfristiges Ziel der INLA-Häftlinge dürfte die Freilassung unter den Bedingungen des Karfreitagsabkommens sein.

 

Parallel hierzu gipfelte ein Machtkampf zwischen INLA und Continuity IRA in einem weiteren Hungerstreik. Dessie O´Hare und seine Leute übten in der jüngeren Vergangenheit erheblichen Druck auf die 3 ebenfalls im E3-Trakt inhaftierten CIRA-Aktivisten Christy Smyth, Eddie Heeney und Colm Maguire aus und forderten deren Unterstellung. Die CIRA-Leute mußten aus dem gemeinsamen Trakt entfernt werden und sitzen nunmehr unter 22stündigem Verschluß unter unwürdigsten Bedingungen in Einzelzellen, gemeinsam in dem mit gewöhnlichen Kriminellen belegten D-Trakt. Zeitgleich mit den INLA-Kadern traten nunmehr Christy Smyth und Eddie Heeney in den Hungerstreik. CIRA-Gefängniskommandant Smyth artikulierte die Forderungen des zweiten Hungerstreiks: Anerkennung als politische Gefangene, einen separaten Bereich im Gefängnis, räumliche Trennung von den INLA-Mitgliedern, sportliche Übungen im Gefängnishof und das Recht auf Räumlichkeiten für gemeinsame Arbeiten. Des Long, Vizepräsident von Republican Sinn Féin, erklärte den INLA-Solidaritätsstreik angesichts der Verweigerung des politischen Status für die Kriegsgefangenen der republikanischen Bewegung zum Gipfel des Realitätsverlustes im INLA-Lager. Erst die Drohungen der INLA hätten die CIRA-Leute um ihren Status als politische Gefangene gebracht und in den Hungerstreik getrieben. Der Sonderstatus für die CIRA-Kriegsgefangenen wurde erst durch einen entbehrungsreichen 12monatigen Machtkampf mit den Gefängnisbehörden in Limerick erstritten. Long hielt der INLA ihre Kumpanei mit den irischen Gefängnisbehörden vor.

 

In Berlin erhöhte sich die Zahl der - mit richterlicher Genehmigung - abgehörten Telefonanschlüsse im Jahr 2000 auf 739. Noch 1999 lag die Anzahl bei 572, 1995 waren es sogar nur 217. Ein weiterer Beleg für den Überwachungswahn der bundesdeutschen Sicherheitsmaschinerie ist die Zusammenstellung der BKA-Datei für politisch motivierte Gewalttäter. Neben überführten Tätern werden hier Verdächtige oder auch einfach nur Opfer einer Personalienfeststellung erfaßt.

 

Die Unruhen in North Belfast dauerten nunmehr die fünfte Woche in Folge an. Erneut kam es zu Übergriffen auf Wohnraum der rivalisierenden community sowie zu Zusammenstößen zwischen Katholiken, Protestanten und der Polizei. Vor allem im Bereich um das katholische Stadtviertel Ardoyne und die Loyalistenhochburg Tiger´s Bay kam es dabei zu Schießereien. Selbst die überwiegend protestantische Polizei geht mittlerweile davon aus, daß die Ulster Defence Association UDA seit Jahresbeginn in die im Oktober von Splittergruppen eröffnete Serie von Anschlägen auf katholische Haushalte eingestiegen ist und gewissermaßen eine ethnische Säuberung betreibt. Vor allem in East Derry und North Antrim geht es darum, durch die immer zahlreicher werdenden Katholiken "bedrohte" protestantische Wohngegenden zu säubern. Die als Tarnmantel der Loyalist Volunteer Force und der UDA fungierenden Red Hand Defenders verübten zudem einen weiteren Mord. Ein RHD-Kommando eröffnete aus einem Pkw heraus das Feuer auf eine gemischte Gruppe katholischer und protestantischer Jugendlicher im Belfaster Vorort Glengormley. Der 18jährige Gavin Brett, ironischerweise ein Protestant, wurde von mehreren Schüssen getroffen und getötet. Ein katholischer Jugendlicher erlitt einen Beinschuß. In ihrem Bekennerschreiben äußerten die Täter nicht einmal ein Wort der Reue darüber, einen Angehörigen der eigenen communty getötet zu haben. Seit der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens haben loyalistische und republikanische Paramilitärs in Nordirland und der Republik Irland bis zu 90 Morde begangen.

 

Die noch kurz zuvor von britischen und irischen Sicherheitskreisen für angeschlagen erklärte und eigentlich schon als erledigt betrachtete Real IRA meldete sich gewohnt spektakulär zurück. Nach einer siebenwöchigen Operationspause plazierten die republikanischen Hardliner eine Autobombe auf dem Flughafen von Belfast, die jedoch unschädlich gemacht werden konnte. Weitaus gefährlicher war jedoch ein Autobombenanschlag im Londoner Stadtteil Ealing. Die Sprengladung detonierte inmitten einer belebten Kneipenzeile und war offensichtlich darauf angelegt, zivile Verluste zu verursachen. Erstaunlicherweise wurden nur sechs Zivilisten und eine Polizistin verletzt. Offensichtlich ist es der RIRA gelungen, die eingeschleusten Polizeispitzel und Agenten zu isolieren - somit kann die Gruppe wieder größere Operationen vorbereiten und durchführen. In erstaunlich kurzer Zeit konnte die RIRA ihre Kommandostruktur reorganisieren und neue, zuverlässige und vor allem den Sicherheitsbehörden unbekannte Mitglieder finden. Auffällig ist, daß der Bombenanschlag in eine Periode hektischer Verhandlungen zwischen der britischen und irischen Regierung sowie den politischen Parteien Nordirlands fällt. Bei den Gesprächen geht es um ein von London und Dublin vorgelegtes Maßnahmenpaket, um den Friedensprozeß in Nordirland zu retten (unbedingte Entwaffnung der IRA und der sonstigen Paramilitärs, Demilitarisierung Nordirlands, Polizeireform usw.), und just in diese Verhandlungen platzt die Real IRA hinein - sollte die These zutreffen, nach der es sich bei der formal unabhängigen RIRA lediglich um eine Art Kettenhund des IRA Army Council handelt?

 

Nach einer Studie des Deutschen Studentenwerkes stammen in der BRD gerade 41 % aller Studierenden aus Familien mit mittleren oder niedrigen Einkommen, während überproportionale 59 % aus wohlhabenden Elternhäusern stammen. DSW und Bundesbildungsministerin Bulmahn konstatierten übereinstimmend, daß die BRD sich somit weiter in Richtung einer Klassengesellschaft bewege. Neben materiellen Mängeln oder Desinteresse dürften für die ohnehin zu geringe Studierendenzahl die Strukturschwächen des Bildungssystems verantwortlich sein. Die Befähigung zum eigenständigen Denken und die Herausbildung einer individuellen Persönlichkeit werden bis hin zum Abitur sträflich vernachlässigt, und gerade solche Qualitäten sind für ein erfolgreiches Hochschulstudium unabdingbar. Rund 20 % der 15 000 Schulabgänger in Hamburg beispielsweise sind zu leistungsschwach, um eine Lehrstelle zu finden, und 98 % aller Betriebe an Elbe und Alster beklagen die erbärmliche Allgemeinbildung der Schulabsolventen.

 

Auf dem Tempelberg in Jerusalem, der heiligen Stätte dreier Weltreligionen, kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften. Anläßlich des jüdischen Gedenktages Tisha B´Av (Zerstörung des Tempels von Jerusalem durch die Römer im Jahre 70) fanden sich trotz eines Vetos des israelischen Oberrabbiners Meir Lau einige ultraorthodoxe Juden aus dem Dunstkreis der faschistischen Siedlerbewegung zu einer symbolischen Grundsteinlegung für einen neuen Tempel ein - auf heiligem Boden der Muslime. Die Provokation wurde verstanden, und Tausende Palästinenser fanden sich zur Verteidigung des Tempelberges ein. Die Polizei ging mit Gummigeschossen, Schlagstöcken und Blendgranaten gegen die Palästinenser vor, nachdem diese mit Steinen auf betende Juden geworfen hatten. Israel beschleunigte die Eskalation in Nahost durch einen Raketenangriff auf ein Hamas-Quartier in Nablus, bei dem neben 6 Hamas-Aktivisten auch 2 spielende Kinder getötet wurden. Zehntausende nahmen an der Beisetzung teil und schworen dem israelischen Staat Rache, und ein Sprecher der Fatah-Bewegung erklärte die Waffenruhe mit Israel für beendet. Die USA und auch die EU verurteilten den israelischen Schlag in scharfen Worten. Israels Regierung ließ sich jedoch nicht beeindrucken und kündigte eine Intensivierung ihrer Mordkampagne gegen den nationalen Widerstand in Palästina an.

 

In die belgischen Vorermittlungen gegen den israelischen Premierminister Ariel Sharon kommt Bewegung. Sharon wird die Verantwortung für das von libanesischen Christenmilizen 1982 begangene Massaker in den Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila angelastet. Der belgische Anwalt Luc Walleyn vertritt in Brüssel 23 palästinensische Überlebende des Gemetzels und sammelt Munition gegen den israelischen Regierungschef. Sharon trägt die Verantwortung, weil er als israelischer Verteidigungsminister damals das höchste Kommando innehatte. Er ordnete den israelischen Einmarsch in Westbeirut an und legte den verbündeten Christenmilizen nahe, die beiden PLO-Lager von 2000 Terroristen zu "reinigen". Da bereits alle PLO-Kombattanten aus Beirut evakuiert wurden, provozierte Sharon bewußt ein Blutbad unter wehrlosen Flüchtlingen. Israelische Truppen riegelten die Lager hermetisch ab und beleuchteten das Massaker der Milizionäre mit Leuchtkugeln. Zudem unterstützte sie die Verbündeten mit Bulldozern beim Ausheben der Masssengräber. Auch die israelische Kahan-Kommission erklärte Sharon damals für indirekt verantwortlich, was ihn seinen Ministersessel kostete. Die Genfer Konvention verpflichtete Israel als Besatzungsmacht, für den Schutz der Zivilbevölkerung zu sorgen. Die USA sowie die meisten EU-Staaten sollen Brüssel bereits signalisiert haben, daß wenig Interesse an einer Verurteilung Sharons bestehe.

 

Bei den europäischen NATO-Verbündeten der USA wächst der Unmut über die zwielichtige Balkanpolitik der Amerikaner und deren enges Verhältnis zu den albanischen Untergrundkämpfern der UCK. Aus BND-Meldungen an die Bundesregierung geht hervor, daß die albanischen Ultranationalisten in Mazedonien und im Kosovo auch weiterhin das Vertrauen einflußreicher Kreise in den USA besitzen. Die UCK-Partisanen benutzen mit einem eigenen Funkkreis sogar das exklusive Kommunikationssystem der US-Streitkräfte. Während die Bürgerkriegsparteien weiterhin über ein Friedensabkommen verhandeln, auf das dann der Befriedungseinsatz der NATO folgen soll, haben die USA unterdessen mit dem Abzug ihrer Handvoll Soldaten aus Mazedonien begonnen. Der UCK gelang es, die komplette Hauptstraße von Tetovo ins Kosovo unter Kontrolle zu bringen.

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Verbot der islamistischen Wohlfahrtspartei von 1998 durch das türkische Verfassungsgericht als rechtmäßig anerkannt. Die in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Versammlungs- und Vereinsfreiheit dürfen demnach fortan mit höchstrichterlicher Billigung eingeschränkt werden, wenn es um den "Schutz der demokratischen Gesellschaft" geht. Voraussetzung ist jedoch ein deutliches Bekenntnis zu verbietender Parteien zu Zielen, die sich von den Werten der Menschenrechtskonvention abheben.

 

Ein britisches Berufungsgericht hat das vor 15 Jahren verhängte Einreiseverbot gegen den schwarzen US-Moslempolitiker Louis Farrakhan aufgehoben. Richter Michael Turner kündigte am Dienstag die Urteilsbegründung für den 1. Oktober an und untersagte dem Anführer der Nation of Islam, Großbritannien vor diesem Termin zu betreten. Das Einreiseverbot war 1986 von der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher verhängt worden. Die Regierung begründete dies damit, die Anwesenheit Farrakhans gefährde wegen dessen antisemitischer Äußerungen die öffentliche Ordnung.

 

Im Rahmen des sogenannten Antirassistischen Grenzcamps in Frankfurt/Main kam es zu massiven Ausschreitungen linksgerichteter Autonomer. Zunächst randalierten Linksextremisten vor dem Haus des CDU-Politikers Wolfgang Bodenstedt herum, verletzten diesen und richteten einigen Sachschaden an. Sodann demonstrierten rund 500 Personen vor der Frankfurter Börse und doktorten in üblicher Manier an den Symptomen des real existierenden Kapitalismus herum, indem sie Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern und die Freilassung der in Italien inhaftierten Globalisierungsgegner forderten. Eine Gruppe von Demonstranten drang in die Börse ein und verteilte - welch wahrhaft revolutionärer Akt - unter dem desinteressierten Broker-Publikum Flugblätter, wiederum andere stürmten das SPD-Büro im Frankfurter Römer, um das Faxgerät zu benutzen. Revolutionäres Kaffeekränzchen.

 

Zu einer wahrhaften Groteske kam es um das vom Förderkreis für das geplante Holocaust-Mahnmal in Berlin gehißte Riesenplakat mit der Aufschrift "Den Holocaust hat es nie gegeben" und dem kaum zu erkennenden Zusatz "Es gibt immer noch viele die das behaupten. In 20 Jahren könnten es noch mehr sein. Spenden sie deshalb für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas". Ein in Berlin lebender jüdischer KZ-Überlebender fühlte sich durch dieses dümmlich-geschmacklose Werbemachwerk in einem solchen Maße provoziert, daß er Strafanzeige wegen Volksverhetzung stellte. Als Vorsitzende des Förderkreises firmiert übrigens die unsägliche Lea Rosh, die nicht zum ersten Mal durch Selbstherrlichkeit und Arroganz auffällt. Auch Berlins Gemeindevorsitzender Alexander Brenner, der unlängst im SPIEGEL offen als einzig vernünftige Berichterstattung die den Interessen Israels nutzende benannte, steht dem Förderkreis nahe. Michel Friedman als Vize des Zentralrates der Juden in Deutschland hatte sich schon im Vorfeld von Roshs penetranter als das Winterhilfswerk daherkommender Aktion distanziert. Der Theologe Richard Schröder bemerkte, die Kampagne befördere eher die Selbstgerechtigkeit als die Besinnung auf die Schrecken der Vergangenheit. Letzten Endes willigte Rosh auf Drängen des Zentralratsvorsitzenden Spiegel in die Entfernung des umstrittenen Plakates ein.

 

In der ZEIT setzt sich Thomas E. Schmidt mit dem Phänomen der global vernetzten, also globalisierten Antiglobalisierungsbewegung auseinander und zeichnet ihren vorprogrammierten Weg, nämlich denjenigen der Assimilation durch das liberalkapitalistische System, nach. "In Wirklichkeit prägen nicht vermummte Radauprofis den Kern dieser weltweiten Apo, sondern Schüler und Studenten; Umweltaktivisten sind dabei und sozial engagierte Christen, Softwareingenieure, Medienleute und Werber. Auf ihren T-Shirts steht 'Widerstand'. Großenteils stammen sie aus den wohlhabenden Mittelschichten des Westens. Sie haben Zeit für andere. Mit dem Phänomen der Globalität sind sie aufgewachsen. Internationaler Markenwahn und Popkultur gehörten zu ihrer Kindheitsgeschichte. Fremde Länder zu kennen und mehrere Sprachen zu beherrschen ist für sie selbstverständlich, ebenso mit Computer und Handy umzugehen. Einem unkontrollierten weltweiten Produktionsprozess auf Kosten von Kinderelend, Raubbau und sozialer Gerechtigkeit sprechen sie alle Rechtmäßigkeit ab. Doch man weiß nicht, ob sie sich mit dem Neinsagen begnügen werden oder ob sie den Prozess eines Tages kontrollieren wollen. Das hieße auch: Mitverantwortung im eigenen Land zu übernehmen. (...) Die neue Jugendbewegung setzt aber wenig Hoffnungen in den Staat und seine Parlamente. Deswegen benötigt sie auch keine parteipolitischen Führungsfiguren. Nicht die Grünen stehen auf den Barrikaden, sondern deren Kinder. Vergesst 'Joschka' Fischer: nichts weiter als ein Staatsmann mit komplizierter Vergangenheit! Empfahl er vor Genua nicht, Freudenfeste zu feiern, statt zu protestieren, da doch der Gipfel übers Elend in der Welt zu plaudern geruhte? Solche Worte werden von Jüngeren als nackte Herablassung empfunden. In ihren Augen war es sowieso ein Fehler, soziale Bewegungen in eine Partei zu überführen. Zu eng sei der parlamentarische Rechtsstaat in die Dynamik der Globalisierung verstrickt, als dass der weltweite Kapitalismus noch durch seine Teilnahme am Kräftespiel der Demokratie moderiert werden könne. In diesem Vorbehalt gegenüber politischen Einrichtungen - schon gar gegenüber supranationalen wie Welthandelsorganisation oder Weltbank - zeigt sich das antiautoritäre Potenzial der Bewegung. In wohlwollender Lesart: Hier könnte einmal eine Quelle politischer Phantasie sprudeln, willkommen angesichts der unfruchtbaren und interessenpolitisch kontrollierten Institutionenordnung dort oben auf Weltniveau, wo bisher nur das Völkerrecht die Staaten in Schach hält. Andererseits - und weniger blauäugig: Wer Institutionen verachtet, bleibt langfristig schwach. Wenn der Weltkapitalismus zum unüberwindlichen Dämon stilisiert wird, fällt auf den armen Widerstand notgedrungen ein Schatten von Tragik. Dann geht der Kampf immer und überall um ein quasireligiös aufgeladenes Ganzes, dann ist alles erlaubt und das Gewaltmonopol des Staates nur ein weiteres Hindernis, das es wegzuräumen gilt. Dann hat am Ende der Schwarze Block gesiegt - jene Gewaltapologeten, deren Lustgewinn bei einer Straßenschlacht offenkundig von geistesverachtender Wirkung ist. (...) Der Antiglobalismus ist ein Beiboot der Globalisierung. Erst in deren Geleit kann man der gesamten Takelage aus Weltpolitik und Marktwirtschaft die Legitimität abstreiten. Aber Beiboote sind prinzipiell zu klein, um Führung zu übernehmen. Mehr noch, kommt ein neuer Isolationismus der reichen Staaten, hat sich auch die globale Apo erledigt. Insofern ist das Neue, Ungezügelte der Protestbewegung durchaus auf eine erfolgreiche Globalisierungspolitik angewiesen. Aus dieser Verstrickung ist kein Entkommen, und das bedeutet Zweideutigkeit und Zwang zum Kompromiss. Politisiert sich die Bewegung, ist sie bald Teil des Systems: Die mächtigen unter den NGOs sitzen bereits - ohne formelle Legitimation - an den Tischen von Weltbank oder WTO. Verharrt sie aber in trotziger Daueranarchie, rückt das Verfallsdatum näher. Sie ist zu schwach organisiert, um Gewalt dauerhaft auszugrenzen. Die Gewaltfrage trübt nicht nur ihren ethischen Charme, sondern wird die Bewegung eines Tages auch spalten - so wie die RAF einst die 68er desavouierte. Bleibt also nur der gute, alte Marsch durch die Institutionen, und zwar in den einzelnen Ländern. Die Globalisierungskritiker sind in den Medien präsent und genießen großen Zulauf. Man kann sie nicht länger als Wirrköpfe abtun, auch nicht in Deutschland. Und warum auf ihr Potenzial verzichten? Das verstehen vielleicht der Korporatist Gerhard Schröder und seine Partner im Bündnis für Arbeit noch nicht, aber aus den Parteien gehen bereits Initiativen hervor, mit der neuen Jugendbewegung in Austausch zu treten - zur Imagepflege, aus Neugier - vielleicht ist hier die ökologische und moralisch-politische Energie versammelt, die den perfekt organisierten Parteiapparaten im Laufe der Jahre und Wahlkämpfe verloren gegangen ist. Die Parteien werden junge Wähler nicht mehr ohne eine konturierte moralische Haltung zur Globalität von Wirtschaft, Politik und Kultur für sich gewinnen können. Die neue Jugendbewegung wiederum wird sich auch demokratischer Parteien bedienen müssen, wenn sie wirklich auf politische Teilhabe im Sinne der Zivilgesellschaft aus ist."

 

Das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim warnt vor einem Bedeutungsverlust des Deutschen im europäischen Sprachgebrauch. Es bestehe die Gefahr, daß die deutsche Sprache in Bereichen wie Wissenschaft und Wirtschaft nur noch selten verwendet werde. Walter Krämer als Vorsitzender des Vereins Deutsche Sprache konstatiert einen beklagenswerten Zustand derselben. Das Deutsche sei vernachlässigt, ungeliebt und führe ein wahres Aschenputtel-Dasein. Grund hierfür sei das mangelnde Selbstbewußtsein der Deutschen, ihre Sprache zu verwenden. Jahrzehntelang sei durch amerikanische Spielfilme, Popmusik und Internet suggeriert worden, alles Schöne und Erfolgreiche stamme aus den USA. Entsprechend seien die im Deutschen verwendeten Anglizismen - ähnlich wie das Parlieren auf Französisch nach dem 30jährigen Krieg - als reine Imponiervokabeln zu verstehen. Wir gestatten uns die Bemerkung, daß zahlreiche Formulierungen aus Werbe- und Wirtschaftsenglisch nach Rückübersetzung in die englische Sprache absolut keinen Sinn ergeben und bestenfalls humoristischen Wert haben. That´s all, folks.

 

 

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