Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 21. bis 27. Juli 2001

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

Das Empire des Globalisierungskapitalismus

Chaotische Sicherheitslage in Belfast

 

 

Zitat der Woche:
"Einerseits finden wir die überlieferten Zivilisationen, die wohl in ihrer Gestalt und im Zufälligen verschieden sind, aber in ihren Grundsätzen übereinstimmen: Dort bilden die geistigen, überindividuellen Kräfte und Werte den Maßstab allgemeiner Organisation und die Rechtfertigung jeder untergebenen Wirklichkeit. Andererseits gibt es die sogenannte moderne, überlieferungsfeindliche Zivilisation, die nur auf menschlich-irdischen, individualistischen und kollektivistischen Momenten beruht: die vollständige Entfaltung aller Möglichkeiten eines Lebens, welches das 'mehr als das Leben' nicht mehr kennt. Die Dekadenz spielt sich als 'Sinn der Geschichte' auf, da in ihr die überlieferten Zivilisationen untergehen, um immer deutlicher eine neue 'moderne' Zivilisation auf dem ganzen Planeten aufkommen zu lassen."
- Julius Evola

 

Die Philosophen Toni Negri und Michael Hardt legten mit ihrem Buch "Empire" gewissermaßen das Kommunistische Manifest der Globalisierungskritik vor. Negri-Hardt gehen von geänderten Herrschaftsformen in einer global geordneten und monosystemischen Welt aus. Die Nationalstaaten fungieren nur noch als Sachwalter einer planetarischen Ordnung, in deren Namen sie den Weltfrieden sichern. Auf der zivilgesellschaftlichen Ebene werden sie durch die Ordnungsvorgaben des Marktes ersetzt: "Der globalisierte Markt gewinnt seine politische Einheit durch die Attribute, die immer schon die Souveränität gekennzeichnet haben: durch militärische, monetäre, kommunikative, kulturelle und sprachliche Macht. Die militärische Macht rührt aus der unumschränkten Verfügungsgewalt über ein umfassendes Rüstungsarsenal, inklusive Nuklearwaffen. Die monetäre Macht beruht auf der Existenz einer hegemonialen Währung, der die Finanzwelt trotz ihrer Vielgestaltigkeit vollständig untergeordnet ist. Die Macht der Kommunikation zeigt sich im Triumph eines einzigen kulturellen Modells oder gar einer einzigen universellen Sprache. Dieses Machtdispositiv ist supranational, global und total: Wir nennen es ‚Empire'." Dieses Imperium ist nicht durch klassischen Imperialismus geprägt. Es benötigt keine Eroberungen, da es weltumspannend ist. Es handelt sich beim Empire auch nicht um die Weltherrschaft der USA, sondern um die Weltherrschaft des Gesamtkapitals. Das Empire agiert supranational und über die Menschen hinaus. Es ist nicht von Einzelnen beherrschbar, sondern es beherrscht den Einzelnen und durch ihn die Gesellschaft. Nach Foucault ist Machtausübung nicht die Unterdrückung von Wünschen und Phantasien, sondern die Durchsetzung bestimmter Auffassungen von Kultur. Die Kontrolle über den Staatsbürger ist der Konstitution des Sozialen selbst immanent, ist also in den Prozessen enthalten, in denen das Individuum eine Vorstellung von seiner eigenen Individualität erlangt. Die Alternativen zum Kapitalismus werden unsichtbar, also kann er sich natürlich, demokratisch und pluralistisch geben. Vordergründig gibt der Kapitalismus jedem alle Chancen und kümmert sich um jedermanns Wohl, aber letztendlich ist das Ziel der kapitalistischen Individualisierung die Überwindung des Individuums. Als Ausweg erscheint Negri-Hardt die totale Verweigerung. Das Individuum entzieht sich der Gleichschaltung des Empire, indem es sich auf einen Nicht-Ort zurückzieht. Die Opposition hat sich nicht auf Regierungsbeteiligung oder Marktzugang zu orientieren, sondern hin zur Artikulation grenzenloser Unzufriedenheit mit dem gesamten Weltsystem. Bisherige Artikulationen der Antiglobalisierungsbewegung haben das kapitalistische Machtsystem lediglich zu bestimmten Transformationen gezwungen.

 

Die israelische Regierung verabschiedete eine Vorlage über ein weiteres Siedlungsprojekt. Auf den Chaluza-Dünen nahe des Gazastreifens sollen weitere jüdische Siedlungen entstehen, um die Infrastruktur in der Wüste Negev zu stärken. Das Gebiet war ursprünglich den Palästinensern im Austausch gegen die Annexion israelischer Siedlungsblöcke im Westjordanland angeboten worden. Die israelische Regierung machte unterdessen das scheinheilige Angebot, anstelle internationaler Beobachter die Zahl der CIA-Agenten in den besetzten Gebieten zu erhöhen. Mit weisungsgebundenen US-Beamten kann Tel Aviv sicherlich gut leben, weniger einfach dürfte es mit unabhängigen Beobachtern werden, die ein ungetrübtes Auge auf die Gewaltexzesse der israelischen Besatzungstruppen und der zionistischen Wehrbauern richten werden. Nicht zuletzt durch die gezielten staatsterroristischen Mordanschläge Israels auf palästinensische Widerstandskämpfer und den organisierten Kleinkrieg der Palästinenser gegen die jüdischen Siedler eskalieren die Kämpfe in Nahost immer weiter. Die seit 10 Monaten andauernde neue Intifada forderte bislang 563 Todesopfer auf palästinensischer und 136 auf israelischer Seite. Zudem wurden 14.850 Palästinenser und 1360 Israelis verletzt.

 

Die israelische Regierung erstellte unlängst eine Liste mit "problematischen europäischen Staaten", in denen ihren Geheimdienstlern möglicherweise eine Strafverfolgung droht. Namentlich in Großbritannien, Belgien und Spanien winken Mitarbeitern der bekanntermaßen nicht gerade zartbesaiteten israelischen Nachrichtendienste Ermittlungen wegen Verstoßes gegen die Menschenrechte. Israels Ministerpräsident Sharon hat bereits eine belgische Anwältin beauftragt, um seine Belange in dem gegen ihn schwebenden Verfahren wegen des Massakers von 1982 in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatilas zu verstreten. Hirsch bezeichnete das Verfahren als Schlag gegen die Souveränität Israels und erklärte die belgische Justiz für nicht zuständig. In Belgien liegen bereits entsprechende Anzeigen gegen den israelischen Generalstabschef Shaul Mofas und den Luftwaffenchef Dan Halutz, auf deren Anordnung die israelischen Besatzungstruppen zu wahllosen kollektiven Vergeltungsmaßnahmen gegen die palästinensische Zivilbevölkerung greifen. Für gläubige Juden ist das staatsterroristische Vorgehen des israelischen Streitkräfte und Geheimdienste gegen den palästinensischen Untergrund gewissermaßen ein gottgefälliger Kampf: Der israelische Oberrabbiner Israel Meir Lau rechtfertigte die gezielte Ermordung mutmaßlicher Terroristen. Israel befindet sich laut Meir Lau in einem Krieg der Gebote, der von Gott gebilligt werde. Daher ist es für die Dauer des Krieges von der Einhaltung anderer Gebote befreit. Das kann man ruhigen Mutes einen weltanschaulichen Vernichtungskrieg auf Sparflamme nennen.

 

Vertreter des US-Außenministeriums teilten mit, daß ihre Regierung die geplante UN-Konferenz gegen Rassismus im südafrikanischen Durban boykottieren könnte. Washington stößt sich an der Forderung der schwarzafrikanischen Staaten nach Entschädigungszahlungen für den transatlantischen Sklavenhandel und die Folgen des Kolonialismus. Mindestens in puncto Sklavenhandel sieht die Reparationsforderung nach reiner Geldschneiderei aus: Vom arabisch-islamischen Sklavenhandel im Indischen Ozean ist nicht die Rede, zudem verschweigt man, daß der Sklavenhandel ohne die Mithilfe schwarzafrikanischer Stämme bzw. ganzer auf Menschenjagden spezialisierter Reiche wohl kaum möglich gewesen wäre. Schwarz-Weiß-Malerei hilft hier keinesfalls weiter. Wir fügen hinzu, daß sich auch die Niederlande kategorisch einer Entschädigung oder auch nur einer Entschuldigung verweigern. Beinahe noch wichtiger scheint dem Weißen Haus der Beistand für den jüdischen Zionismus zu sein, da der israelischen Staatsdoktrin in Durban die Verurteilung als eine Form von Rassismus droht. Ari Fleischer als Sprecher des State Department verkündete: "Wir werden nicht dabei sein, wenn die Welt versucht, Zionismus als Rassismus zu beschreiben. Das ist so falsch wie es nur sein kann. Der Präsident ist stolz darauf, an der Seite Israels und der jüdischen Gemeinschaft zu stehen und ein Signal auszusenden, daß die Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus international nicht respektiert wird."

 

Nach hektischen Verhandlungen endete der Bonner Klimagipfel doch noch mit einem Kompromißpapier. Fortan können sich die Industriestaaten ihre kohlendioxidspeichernden Wirtschaftswälder (Treibhausssenken) auf ihre Klimaschutzziele anrechnen lassen, was vor allem Japan, Kanada, Rußland und den USA Erleichterungen einbringt. Der WWF rechnete vor, daß somit die Industriestaaten ihre Treibhausemissionen aus Industrie und Verkehr nur noch um 1,8 % reduzieren müssen. Das Kyoto-Protokoll sah noch eine Verringerung um 5,5 % gegenüber 1990 vor. Hart getroffen werden in jedem Fall Japan, Australien und Kanada, die ihre Emissionen gegenüber 1990 um 5 %, 11 % und 9,4 % reduzieren müssen. Der Handel mit Treibhausgaszertifikaten zwischen Industrieländern ist fortan unbegrenzt. Infolge ihres wirtschaftlichen Zusammenbruches in den 90er Jahren produzieren beispielsweise Rußland und die Ukraine deutlich weniger Kohlendioxid als noch im Kyoto-Protokoll zugestanden und können Emissionrechte gewinnbringend auf dem Weltmarkt verkaufen. Handelbare Zertifikate erwirbt auch, wer technisch effiziente Kraftwerke errichtet - AKWs in der Dritten Welt ausgenommen. Die Entwicklungsländer erhalten finanzielle Unterstützung für Maßnahmen gegen Umweltkatastrophen und die Folgen der Klimaerwärmung, zudem werden umweltfreundliche Wirtschaftsreformen gefördert. Das Protokoll tritt in Kraft, wenn es von 55 Staaten ratifiziert wird, auf die 1990 zusammen 55 % der Kohlendioxidemissionen entfielen. Einzig die PDS und Umweltschutzorganisationen äußerten deutliche Kritik an dem Bonner Papier, das zahlreiche Schlupflöcher enthält und eine globale Klimakatastrophe kaum verhindern wird.

 

Nach Einschätzung des Mineralölkonzerns BP Amoco werden die weltweiten Kohlendioxidemissionen um 1,5 % pro Jahr wachsen. Bereits im Jahr 2000 sind die Treibhausgasemissionen gegenüber dem Vorjahr um 1,8 % gestiegen und liegen damit 7,5 % über dem Niveau von 1990. Ein normales Wirtschaftswachstum vorausgesetzt, werden sich die Emissionen nicht stabilisieren oder verringern. Einzige Hoffnung angesichts der drohenden Klimakatastrophe ist laut BP Amoco ein technologischer Durchbruch. In den USA stiegen die Schadstoffemissionen zwischen 1990 und 2000 um besorgniserregende 16,9 %, während sie im verteufelten China infolge von Kohlesubstitution durch Erdgas zwischen 1995 und 2000 um 17 % zurückgingen - und das bei einem Wachstum des BSP um 36 %. Die Energieeffizienz hat sich in China in diesem Zeitraum verdoppelt. Pro Kopf produzieren die USA zehnmal soviel Treibhausgase wie die Volksrepublik China. Zusammen verursachen die fünf reichsten Länder der Welt 60 % der Treibhausgasemissionen. Schwellenländer wie Argentinien, Mexiko, Brasilien und Indien melden ebenfalls deutlich rückläufigen Schadstoffausstoß. Insgesamt ist 2001 der weltweite Energieverbrauch gegenüber 1999 um 2,1 % gestiegen. Der Anteil des Erdöls am weltweiten Energieverbrauch lag 2000 bei 39 %, derjenige von Erdgas und Kohle bei jeweils 25 %.

 

Der irische Ministerpräsident Bertie Ahern kündigte an, man werde in der zweiten Hälfte des Jahres 2002 eine erneute Volksabstimmung über den EU-Vertrag von Nizza durchführen. Das Referendum soll erst nach der Bildung einer neuen Regierung abgehalten werden, also nach den Parlamentswahlen vom Sommer nächsten Jahres. Am 7. Juni hat das irische Volk den Nizza-Vertrag infolge seiner Auswirkungen auf die irische Neutralität und aus Protest gegen die Zentralisierung innerhalb der EU mehrheitlich verworfen. Zur propagandistischen Unterstützung der neuen Volksabstimmung plant Ahern die Bildung eines Nationalen Forums für Europa. Die konservative Fine Gael als stärkste Oppositionspartei kündigte jedoch an, sie werde für das Forum nicht zur Verfügung stehen. Da auch Fine Gael eindeutig auf Seiten der Brüsseler Eurokraten steht, handelt es sich hier nur um eine sekundäre Aufweichung des "Ja"-Lagers.

 

Der G8-Gipfel im italienischen Genua wurde erwartungsgemäß von schweren Unruhen begleitet. Nicht zu erwarten war jedoch, daß die Krawalle in bürgerkriegsähnliche Zustände ausuferten, nach denen weite Teile der Stadt einen Anblick der Verwüstung bieten. Bei schweren Straßenschlachten wurden 561 Demonstranten und militante Globalisierungsgegner verletzt, 288 Personen wurden festgenommen (davon rund 140 ohne jeden Haftbefehl). Ein übermotivierter Angehöriger der Globalisierungs-Knüppelgarde richtete den Demonstranten Carlo Giuliani (23 Jahre) mit zwei Kopfschüssen buchstäblich hin. Anschließend wurde der Stürzende noch von einem Polizeijeep überfahren. Der Sachschaden liegt in dreistelliger Millionenhöhe, mindestens 41 Geschäfte wurden geplündert oder zerstört. Beobachtern zufolge befanden sich Provokateure der Polizei unter den Demonstranten und heizten die Unruhen weiter an. Unklar ist, ob die beobachteten Aktivisten der rechtsgerichteten Forza Nuova sich aus eigenem Antrieb an den Straßenkämpfen mit der Polizei beteiligten oder als staatliche Provokateure eingeschleust wurden. Zudem waren den italienischen Sicherheitsbehörden Planungen und Taktiken der Militanten bekannt, wie die Gruppen und Organisationen friedlicher Demonstranten zu Tarnungsgründen unterwandert werden sollten. Die Eskalation wurde bewußt nicht verhindert - zum einen, um ein abschreckendes Exempel zu statuieren und zum anderen, um EU-weit die Bürgerrechte zu beschränken und die Polizeibefugnisse auszuweiten. Während der Zusammenstöße leisteten die italienischen Polizeikräfte sich wahre Gewaltorgien und massive Menschenrechtsverletzungen. Zahlreiche der Festgenommenen, unter denen sich nicht wenige unbeteiligte Personen befanden, wurden in Polizeigewahrsam zusammengeschlagen und gefoltert, weiblichen Gefangenen drohte die Berlusconi-Soldateska mit Massenvergewaltigungen. Reporter ohne Grenzen meldete, daß 16 Journalisten durch Polizeiübergriffe Verletzungen erlitten. Ohne Angabe von Gründen wurde die ordnungsgemäß akkreditierte Korrespondentin Kirsten Wageschein von der "jungen welt" tagelang in Haft gehalten. Höhepunkt der Gewaltexzesse war der Sturm auf die Diaz-Schule, einem Koordinationszentrum des auch von der italienischen Regierung anerkannten und finanziell geförderten Genoa Social Forums GSF. Die Polizei geriet nach einer relativ harmlosen Rangelei mit den hier übernachtenden und vor allem aus der BRD stammenden Demonstranten außer Rand und Band und schlug 51 Personen krankenhausreif. Gezielt wurden Knochen gebrochen und schwere Schädelverletzungen zugefügt. Zudem präsentierte die Polizei, die bei der Razzia nur ein paar Taschenmesser sicherstellte, der Öffentlichkeit ein präpariertes Waffenarsenal der vermeintlichen Randalierer. Den Verhafteten enthielt man zunächst ihre konsularischen Rechte vor, und die Anschuldigungen der Polizei ändern sich beinahe täglich. Unter Gewaltanwendung zwangen vernehmenden Beamten ihre Opfer zur Unterzeichnung von in italienischer Sprache abgefaßten "Geständnissen". Konkret sind den italienischen Polizeibehörden Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention, gegen das Verfahrensrecht und gegen die Genfer Konvention zur Behandlung von Gefangenen vorzuhalten. Angesichts der Zustände in Italien fühlte sich der Grünen-Abgeordnete Ströbele nicht zu Unrecht an die Militärdiktatur in Argentinien erinnert.

 

Gegen das brutale Vorgehen der italienischen Polizei kam es in Madrid, Paris, Stockholm, Berlin, Köln, Hamburg, Bremen und Frankfurt/Main zu Protestkundgebungen. In Hamburg und Magdeburg lieferten sich linksgerichtete Demonstranten Zusammenstöße mit der Polizei, es kam bundesweit zu Aktionen gegen eine Reihe von Bankfilialen. Die Berliner Kripodirektion 6 wurde Ziel eines Brandanschlages. Eine Paketbombe der linksextremen Terrororganisation GRAPO verletzte in einer Bankfiliale in Barcelona 3 Menschen. Anzumerken bleibt, daß die Proteste und Solidaritätskundgebungen penetrant an die weinerlichen Bekundungen der 70er und 80er Jahre aus dem RAF-Unterstützerumfeld erinnern. Der kritisierte und bekämpfte "Schweinestaat" fängt doch tatsächlich an, sich zu wehren. Zudem ist Italiens Polizei nicht gerade dafür bekannt, Verdächtigte wie rohe Eier zu behandeln - das Land weist mehr Menschenrechtsverletzungen auf als etwa die Türkei. Etwas mehr kämpferische Klarsicht bitte. Noch nie hat eine revolutionär bekämpfte Machtelite ihre Stellung freiwillig und widerstandslos geräumt. Carlo Giuliani ist nicht der erste und wird nicht der letzte Tote des antikapitalistischen Kampfes sein - alleine in der BRD kamen seit Anfang der 50er Jahre im politisch motivierten Konflikt mit den Sicherheitsorganen Dutzende ums Leben.

 

Im Rahmen der Verhandlungsrunden in Genua durften sich Japan und nicht zuletzt die BRD einige Kritik an ihrer für die Verhinderung einer drohenden Rezession unzureichenden Wirtschaftspolitik anhören. Angemahnt wurden vor allem Steuersenkungen zugunsten des Unternehmertums. Die wenig entschiedene Haltung der G8 zu den weltwirtschaftlichen Problemen löste in Japan umgehend einen Börsenkrach aus, der den Nikkei-Index auf ein 16-Jahres-Tief fallen ließ. Rußland und die USA vereinbarten die Aufnahme von Verhandlungen zur Reduzierung ihres atomaren Vernichtungspotentials auf weniger als 1500 Sprengköpfe. Im Gegensatz zu den übrigen Verhandlungspartnern stellten sich die EU-Mitglieder hinter das Klimaschutzabkommen von Kyoto. Sämtliche G8-Staaten forderten die Umsetzung des Mitchell-Planes, der die Entsendung von internationalen Beobachtern nach Palästina vorsieht. Auf eine Einigung der mazedonischen Bürgerkriegsparteien wird eine NATO-Intervention folgen, bei der es vordergründig um die Entwaffnung der vom Westen erst hochgerüsteten und ausgebildeten Albanerguerrilla UCK geht. Letztlich stellt die UCK nichts weiteres als einen willkommenen Vorwand für die NATO dar, auch diesen Balkanstaat unter Kontrolle zu bringen. Auf dem im November im Golfemirat Katar anstehenden WTO-Gipfel soll eine weitere Liberalisierung des Welthandels eingeleitet werden. Den in den Entwicklungsländern unter Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung von den transnationalen Konzernen erzeugten Produkten winkt nunmehr der zoll- und quotenfreie Zugang zu den Märkten der Industrienationen - massenhafte Arbeitsplatzverluste sind vorprogrammiert. Auch auf die unrentable Landwirtschaft der Industrienationen kommen durch den Abbau von Handelshemmnissen und Subventionen schwere Zeiten zu. Ferner stehen Maßnahmen zur Förderung der Stabilität des internationalen Finanzsystems (wirtschaftlich nicht ganz unbedeutende Staaten wie die Türkei, Argentinien und Brasilien stehen am Rand des Staatsbankrottes, was eine globale Finanzkrise auslösen kann) sowie eine Entlastung der sogenannten HIPC-Staaten auf der Tagesordnung. Gewissermaßen am Katzentisch wurden zu diesem Thema die "Vertreter der Armen" gehört. Neben den Staatschefs von Südafrika, Mali und El Salvador waren diejenigen des von einem brutalen Bürgerkrieg erschütterten Algerien, des vor einem solchen stehenden Nigeria und der islamistischen Diktatur von Bandladesh geladen - alle sechs Vertreter korrupter Herrschaftseliten, die auf Kosten der eigenen Bevölkerung Geschäfte mit dem internationalen Finanzkapital machen.

 

Im nordirischen Lisburn/Belfast tat sich eine Combat 18 nahestehende Schlägertruppe unrühmlich hervor. Das Rollkommando überfiel die Wohnung der invaliden katholischen Rentnerin Geraldine Ewing, mißhandelte ihren geistig behinderten Sohn Peter und jagte die Familie aus ihrem Haus. Geraldine Ewing starb kurz darauf an einem Herzinfarkt und stellt damit ein neues Opfer des loyalistischen Terrors dar. Eine vergleichbares Kommando der Loyalist Volunteer Force überfiel katholische Mitarbeiter des Royal Victoria Hospital in der Falls Road, West Belfast, wobei 6 Wachleute und Sanitäter verletzt wurden. Die Krawalle in Belfast dauerten nunmehr die vierte Woche lang an, wenn auch auf niedrigerem Niveau. Aus North Belfast werden zudem Zusammenstöße zwischen den aufgebrachten Katholiken und IRA-Trupps gemeldet, die auf katholischer Seite für Deeskalation sorgen sollten. Nehmen wir noch die Straßenschlachten zwischen loyalistischen Randalierern und der Polizei hinzu, kann man die Sicherheitslage in der nordirischen Hauptstadt ruhigen Gewissens als chaotisch bezeichnen. Als Nachtrag zu den schweren Unruhen in Belfast vor 14 Tagen ist zu berichten, daß bei den Zusammenstößen mit der Polizei mehr als 100 Katholiken durch Plastikgeschosse, Schlagstockeinsatz und Mißhandlungen verletzt wurden. Seit Jahresbeginn gab es in Nordirland mehr als 100 Rohrbombenanschläge, fast alle auf den Wohnraum katholischer Familien.

 

Aus dem Maßnahmenpaket der britischen und der irischen Regierung zur Rettung der Lage in Nordirland wurden mittlerweile Einzelheiten bekannt. Polizeibeamten der Republik Irland soll der Eintritt in den neuen Police Service of Northern Ireland, die Nachfolgetruppe der ungeliebten Royal Ulster Constabulary, gestattet werden. Die Stärke der Geheimpolizei Special Branch soll drastisch verringert werden, zudem ist an einen schrittweisen Abbau der RUC-Polizeireserve gedacht. Ehemals inhaftierte Paramilitärs beider Seiten können sich an den örtlichen Policing Boards zur Überwachung der Polizeiarbeit beteiligen. Der Ombudsman für Beschwerden aus der Bevölkerung über Polizeiübergriffe sowie das zentrale, von den Parteien beschickte Policing Board werden erweiterte Rechte erhalten. Ferner zieht London nebulöse "weitere Schritte" zur Entmilitarisierung Nordirlands in Erwägung. Republikanischen und loyalistischen Paramilitärs, die vor dem Karfreitagsabkommen vor den Strafverfolgungsbehörden aus Nordirland flohen, winkt eine Amnestie. Eine Annahme der Vorschläge scheint unwahrscheinlich, da David Trimble als Vorsitzender der größten protestantischen Partei UUP bereits öffentlich über eine Neuverhandlung des Karfreitagsabkommens nachdenkt. Gerry Adams, Parteichef der republikanischen Sinn Féin, kritisiert die Fixierung auf die Entwaffnung der IRA, während man den Plastikgeschossen der RUC und dem anhaltenden loyalistischen Terror tatenlos gegenüberstehe.

 

Auch auf der UN-Konferenz über Klein- und Leichtwaffen in New York betätigten sich die USA als Bremser par excellence. Washington verhinderte die Beschränkung des privaten Waffenbesitzes sowie das Verbot von Waffenlieferungen an nichtstaatliche Organisationen. Letzteres wurde vor allem von den bürgerkriegsgeplagten afrikanischen Staaten gefordert. Die USA produzieren die Hälfte aller weltweit erzeugten Klein- und Leichtwaffen. In einer von 170 Staaten unterzeichneten Kompromissvereinbarung werden die Regierungen aufgerufen, die Registrierung produzierter Klein- und Leichtwaffen zu forcieren und die Lizenzvergabe für Waffenbesitz und -handel gesetzlich zu regeln. Nach zähen Verhandlungen willigten die USA in eine Folgekonferenz im Jahr 2006 ein. Von 49 in den 90er Jahren registrierten Kriegen wurden 46 vorwiegend mit Leicht- und Kleinwaffen ausgetragen. Dabei kamen 4 Millionen Menschen ums Leben - davon 90 % Nichtkombattanten. Weltweit sind mehr als 500 Millionen Klein- und Leichtwaffen im Umlauf, von denen 40-60 % illegal erworben wurden. Zudem bestätigten sich Berichte, nach denen die USA den Vertrag zum Verbot biologischer Waffensysteme in seiner gegenwärtigen Form nicht unterzeichnen werden.

 

Auf belgischem Territorium trafen die führenden Aktivisten der baskischen Untergrundorganisation ETA zu ihrer ersten "Vollversammlung" seit fast 20 Jahren zusammen. Mikel Albisu (Antza), der 1999 die Verhandlungen mit der spanischen Zentralregierung führte, trat vergebens für eine Mäßigung des terroristischen Kurses ein, der die ETA und die ihr nahestehenden politischen Kräfte zusehends isoliert. Die Mehrheit der ETA-Führung beschloß, den bewaffneten Kampf für ein unabhängiges Baskenland auch weiterhin fortzusetzen. Im Ferienort Torrevieja fand die ETA-Aktivistin Olalla Castresana den Tod, als eine von ihr zum Einsatz gegen die Tourismusindustrie vorbereitete Bombe vorzeitig explodierte. Ferner wurden 8 spanische Urlauber verletzt. Ein Autobombenanschlag auf den Flughafen von Málaga scheiterte, da der Sprengsatz nicht detonierte. Eine von ETA-Sympathisanten gezündete Bombe richtete Sachschaden an der Wohnung eines spanischen Offiziers in Vitoria an. Spaniens Regierung warnte den baskischen Ministerpräsidenten Ibarretxe von der gemäßigt nationalistischen PNV davor, eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit anzusetzen. Sollte dieser Fall eintreten, droht die Zentralregierung in Madrid mit Gegenmaßnahmen, die wohl nur militärisch-polizeilicher Natur sein können.

 

In Weißrußland ist ein Bundesbürger wegen Spionage zu 7 Jahren Arbeitslager verurteilt worden. Das Oberste Militärgericht in Minsk befand Christoph Lez für schuldig, Staatsgeheimnisse ausspioniert und an das Ausland verraten zu haben. Lez leitete im Auftrag des BND einen Agentenring zur Destabilisierung des im Westen ungeliebten Lukaschenko-Regimes in Weißrußland. Im Zivilberuf arbeitete er als Dozent am George C. Marshall-Center für Sicherheitsstudien, das gemeinsam vom Bundesverteidigungsministerium und dem Pentagon betrieben wird. Die bundesdeutsche Botschaft in Minsk und das Auswärtige Amt in Berlin verweigerten eine Stellungnahme zu der Affäre.

 

Bei der Explosion einer Bombe auf der französischen Insel Korsika sind nach Polizeiangaben 14 Polizisten verletzt worden. Der Sprengsatz explodierte in der Nähe einer Polizeikaserne in der Stadt Borgo und richtete nur oberflächliche Schäden an den Gebäuden an, teilte die Polizei mit. Bislang bekannte sich niemand zu dem Anschlag, aber die Täterschaft dürfte bei den militanten Nationalisten der Armata Corsa liegen.

 

Das Allensbach-Institut für Demoskopie legte eine Umfrage über die Akzeptanz der bürgerlichen Demokratie in der BRD-Bevölkerung vor. Immerhin 25 % der Bundesbürger sind der Ansicht, daß es bessere Staatsformen als die repräsentative Demokratie der Bundesrepublik gibt. Allerdings vermögen 30 % der Ostdeutschen und 51 % der PDS-Anhänger positivere Systemalternativen zu erkennen. 58 % aller Ostdeutschen (und immerhin 27 % der Wessis) sind zudem der Ansicht, die BRD-Staatsordnung sei nicht verteidigenswert.

 

Während die mazedonischen Konfliktparteien unter dem Druck des Westens weiter über eine Einigung verhandeln, ist die Anzahl der Flüchtlinge nach neuen Kämpfen auf mehr als 100.000 gestiegen. Vor allem im Raum Tetovo kam es zu erbitterten Gefechten, die den UCK-Guerrilleros um ein Haar die Kontrolle über die zweitgrößte Stadt des Landes einbrachten. Regierungssprecher Antonio Milososki äußerte große Unzufriedenheit mit der Handhabung der Krise durch die NATO und andere internationale Organisationen, welche den ethnischen Säuberungen durch die UCK tatenlos zusähen. Vertreter internationaler Organisationen würden geradezu mit den Rebellen zusammenarbeiten, vor allem die NATO sei "ein großer Freund unserer Feinde". Genannt wurden in diesem Zusammenhang auch der EU-Beauftragte Léotard und sein US-Kollege Pardew. In der Landeshauptstadt Skopje demonstrierten Tausende gegen die NATO und ihre Förderung des albanischen Aufstandes. Die aufgebrachte Menge beschädigte die Botschaftsgebäude der BRD, Großbritanniens sowie der USA und zerlegte ein McDonald´s-Restaurant. Erheiternd wirkte die Ankündigung Bushs in Camp Bondsteel im Kosovo, dem größten Militärstützpunkt der USA weltweit, man werde die Nachschubwege der UCK unterbrechen: Keine 48 Stunden vor dem Besuch des Präsidenten lieferten zwei amerikanische Chinook-Hubschrauber den UCK-Guerrilleros nagelneue Funk-Relaisstationen nach Mazedonien. Die bei Tetovo kämpfenden UCK-Einheiten erhielten zudem eine Lieferung neuer US-amerikanischer Präzisionsgewehre.

 

In einem offenen Brief an alle Kultus-, Bildungs- und Wissenschaftsminister der Bundesländer forderten am Donnerstag 37 Hochschulprofessoren die "Sicherung und den Ausbau" der deutschen Sprache im Wissenschaftsbetrieb. Auf Kongressen in der BRD werde heute ausschließlich Englisch gesprochen, auch wenn überwiegend deutsche Teilnehmer anwesend seien, kritisierten die Hochschullehrer. Sie bemängelten ferner, daß Grundvorlesungen immer häufiger auf Englisch angeboten werden und weniger Publikationen auf Deutsch erschienen. Diese Entwicklung gefährde den Kontakt zur Alltagswelt, also die Operationalisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse im gesamtgesellschaftlichen Diskurs.

 

 

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