Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 8. bis 14. Dezember 2001

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

Sinn Féin-Jugend greift Armeeposten an

Pentagon fälscht Bin Laden – Video

 

 

Zitat der Woche:
"Ich überlasse der anderen Seite ihre Gefühle und respektiere sie, aber ich mache sie mir nicht zu Eigen.“
- Christian Klar

 

In South Armagh kam es vor drei britischen Armee-Kontrolltürmen zu schweren Zusammenstößen zwischen der Polizei und Angehörigen der Sinn Féin-Parteijugend. Im Anschluß stürmte die aufgebrachte Menge eine Polizeistation und steckte sie mittels Benzinbomben in Brand. 24 Polizeibeamte und Soldaten erlitten Verletzungen. Die protestantische Bevölkerungsgruppe reagierte gereizt auf die Vorfälle. Selbst David Ervine von der dem Karfreitagsabkommen ansonsten zugetanen Progressive Unionist Party erklärte, die PUP und die ihr nahe stehende Ulster Volunteer Force würden es in Erwägung ziehen, ihre Unterstützung des Friedensprozesses einzustellen.

 

Der nordirische Sumpf aus loyalistischen Todesschwadronen und den britischen Geheimdiensten vertiefte sich um einiges, als William Stobie in Belfast von den Red Hand Defenders erschossen wurde. Stobie arbeitete an ranghoher Stelle innerhalb der Ulster Defence Association als Agent der dem bundesdeutschen Staatsschutz entsprechenden RUC Special Branch. In dieser Funktion organisierte er den Einsatz protestantischer Paramilitärs als Todesschwadronen, um die katholische Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern. Unlängst scheiterte eine halboffizielle Untersuchung der Affäre, und als Stobie andeutete, einer internationalen Untersuchungskommission Rede und Antwort zu stehen, besiegelte er sein Todesurteil. Hinter den Red Hand Defenders pflegen sich im allgemeinen radikale Elemente der UDA und die befreundete Loyalist Volunteer Force zu verbergen; über Verbindungen zum britischen Geheimdienst kann derzeit nur spekuliert werden. Immerhin erhielt der Ermordete eine Warnung durch die Special Branch, und der inhaftierte UDA-Hardliner Johnny Adair garantierte seine Unversehrtheit. Bereits 1994 wurde Stobie bei einem Mordanschlag der UDA schwer verletzt.

 

Für die britische Regierung wird die Luft immer dünner: Nachdem bekannt wurde, dass die nordirische Polizei 1998 Warnungen vor einem geplanten Bombenanschlag der Real IRA ignorierte und damit das Blutbad von Omagh mit seinen 29 Toten ermöglichte, legte die RIRA-Führung nach. Die Hardliner erklärten, eine interne Untersuchung habe ergeben, dass die Omagh-Operation maßgeblich durch zwei mittlerweile enttarnte Agenten des britischen Inlandsnachrichtendienstes MI5 geplant und ausgeführt wurde. Das RIRA-Oberkommando verwies auf die Existenz von Unterlagen, denen zufolge britische Regierungsvertreter und Vertreter der katholischen Kirche bei Verhandlungen unmittelbar nach dem Massaker die minimale Verantwortung der Untergrundgruppe bestätigten. Omagh diskreditierte die republikanischen Hardliner vorübergehend völlig und brachte ihnen beinahe eine Kriegserklärung durch die Provisional IRA ein. Die Angehörigen der Opfer von Omagh fordern mittlerweile eine offizielle Untersuchung der Affäre, nachdem Dementis der Polizei wie ein Kartenhaus in sich zusammenfielen.

 

Innerhalb der im Waffenstillstand befindlichen linksnationalistischen Irish National Liberation Army, einer Abspaltung der Official IRA, scheint sich eine neue Fehde zusammenzubrauen. Angesichts der relativen politischen Schwäche der nahestehenden Irish Socialist Republican Party besitzt eine Reihe von INLA-Mitgliedern die verhängnisvolle Tendenz, sich durch kriminelle Operationen zu finanzieren, so durch eine Serie von Raubüberfällen in Dublin. Als Resultat wurde der in die Überfälle verwickelte Volunteer Derek Lenihan aus Dublin von einer INLA-Bestrafungseinheit entführt, gefoltert und erschossen. Lenihans Begleiter Patrick Mangan wurde ebenfalls schwer misshandelt und mit einem Beinschuß bestraft. Die INLA-Führung ist derzeit bestrebt, ihre Reputation aufzubessern und hält wenig von einer Zusammenarbeit mancher Einheiten mit Kriminellen. Zu allem Überfluss scheint Lenihan auch noch ein hochkarätiger Spitzel der irischen Polizei gewesen zu sein.

 

Die amerikanischen Vorbereitungen zur Ausweitung ihres „Krieges gegen den Terror“ ausgerechnet auf Somalia scheinen in ihre heiße Phase getreten zu sein. Britischen Pressemeldungen zufolge klären US-Flugzeuge bereits militärische Ziele nahe der kenianischen Grenze bis hin zur Landeshauptstadt Mogadishu auf. Vor eben dieser Haupt- und Hafenstadt befinden sich mittlerweile auch amerikanische Flotteneinheiten. US-Offiziere sollen sich im Land befinden, um die Operationsmöglichkeiten für Bodentruppen zu ermitteln. Als Hilfstruppe zur See werden den Amerikanern Einheiten der Bundesmarine zur Seite stehen, Kollaborateur-Truppen in Somalia selbst könnte die von Äthiopien unterstützte Guerrillaorganisation RRA stellen. Die von Hasan Muhammad Nur geführten Rebellen kämpfen gegen die Zentralregierung und beherrschen den Süden des Landes. Durch die Sperrung von Guthaben und Überseeverbindungen des Bank- und Telekommunikationskonzerns al-Barakaat, des größten Arbeitgebers in Somalia, haben die USA das verarmte Land bereits an den Rand des ökonomischen Zusammenbruchs gebracht. Über al-Barakaat wickelten die zahlreichen Exilsomalis auch die lebenswichtigen Geldtransfers in die Heimat ab, um ihren Familien zu helfen. Fast 80 % der Bevölkerung sind von derartigen Zuwendungen abhängig.

 

Israel demonstrierte erneut, wer der eigentliche Herr in den palästinensischen Autonomiegebieten ist. Während israelische Truppen und Spezialeinheiten durch kollektive Vergeltungsmaßnahmen gegen Polizeiverbände, Infrastruktur und Zivilbevölkerung auf die Operationen militanter Palästinenser reagierten, verhängte die Regierung faktisch einen Arrest über Arafat. Der auf zionistischen Druck bereits gegen den gerechtfertigten nationalen Widerstand der Palästinenser vorgehende Arafat konnte nicht auf der Krisensitzung der Organisation der Islamischen Konferenz OIC in Qatar erscheinen, weil Israel ihn ansonsten nicht wieder ins Land gelassen, also „ausgebürgert“, hätte. Wenige Tage später untersagte Tel Aviv dem Palästinenserführer, die Stadt Ramallah im Westjordanland zu verlassen. Israels Premier Sharon dachte öffentlich über die Auflösung der Autonomiebehörde und die Vertreibung Arafats ins Exil nach. Dieser konterte, indem er die Freilassung einer Reihe unlängst inhaftierter palästinensischer Aktivisten anordnete und das bereits in Durchführung begriffene Verbot von Hamas und Islamischem Heiligen Krieg annullierte. Da die Autonomiebehörde kaum imstande ist, den Operationen der militanten Gruppen wie von Israel gefordert Einhalt zu gebieten, okkupierten das zionistische Militär und Spezialeinheiten die Polizeifunktionen und machten in den Autonomiegebieten Jagd auf Widerstandskämpfer, was wiederum zu heftigen Gefechten führte. Dutzende von Gefangenen wurden in die Foltergefängnisse der israelischen Nachrichtendienste verschleppt. Konzentrierten sich die Zionisten in den vergangenen Monaten bei ihren Luftschlägen auf Präzisionsangriffe, so wurden nunmehr auch vermehrt rein zivile Ziele in Mitleidenschaft gezogen. Die Kampfhandlungen, Anschläge und Vergeltungsaktionen in Palästina haben mittlerweile die Leben von 853 Palästinensern und 240 Israelis gefordert.

 

Der Widerstand der Taliban und der al-Quaida-Islamisten in Afghanistan geht mit dem Fall von Kandahar und seinem Ende zu. Alleine auf dem Flughafen von Kandahar zählten die Sieger mehr als 1000 Leichen – die Bilanz rücksichtsloser US-Luftangriffe. Die in der Bergfestung Tora Bora eingeschlossenen al-Quaida-Einheiten zeigten sich gegenüber der Nordallianz kapitulationsbereit, aber das US-Militär sabotierte die Übergabe. Hier kommen nun anstelle der Nordallianz-Truppen anglo-amerikanische Spezialeinheiten zum Einsatz, was wenig Gutes erwarten lässt. Sehr zum Unwillen der Alliierten zeichnet sich ab, dass Islamistenführer Osama bin Laden spurlos verschwunden ist. Die Alliierten können sich ein weiteres Kriegsverbrechen auf ihre Fahnen schreiben: Zum Abtransport in ein Gefangenenlager steckte man entwaffnete Taliban-Kämpfer kurzerhand in geschlossene Container – 100 Mann erstickten qualvoll. Professor Marc W. Herold von der University of New Hampshire wagte sich an die unappetitliche Aufgabe, den zivilen Kollateralschäden der anglo-amerikanischen Intervention in Afghanistan nachzugehen. Herolds akribische Recherchen erbrachten, dass zwischen dem Beginn der Bombenangriffe am 07. Oktober und dem 10. Dezember mindestens 3767 Zivilisten dem alliierten Bombenterror zum Opfer fielen.

 

Das in der Manipulation der öffentlichen Meinung traditionell versierte Pentagon zauberte eine Videoaufzeichnung mit einem angeblichen Schuldbekenntnis Osama bin Ladens für die Terroranschläge vom 11. September aus dem Hut. Während westliche Regierungen, allen voran mit wehendem Bundesadler Kanzler Gerhard Schröder, durch das Video die Notwendigkeit des imperialistischen „Krieges gegen den Terror“ bestätigt sehen, regt sich andernorts Widerspruch. Khaled Maeena als Herausgeber der saudischen „Arab News“ witzelte bezüglich der Authentizität des Bandes, dank Hollywood habe schließlich auch Forrest Gump auf John F. Kennedy treffen können. Hinweise nordamerikanischer Computerexperten deuten darauf hin, dass ein altes Video mit einem neuen Ton unterlegt worden sein könnte. Die Tonqualität ist zudem dermaßen miserabel, dass selbst gebürtige Araber kein einziges Wort verstehen und auf die englischen Untertitel aus den amerikanischen Traumfabriken angewiesen sind.

 

Um bei der Verteilung der Geschäftsanteile in Zentralasien nicht abseits zu stehen, unterbreitete die Bundesregierung den USA das Angebot, sich mit 600 bis 1200 Soldaten an einer „Friedenstruppe“ für Afghanistan zu beteiligen. Den Hauptanteil der insgesamt 8000 Mann starken Truppe wird zunächst Washingtons Kriegspartner Großbritannien aufbringen. Die Verbände sollen die Kontrolle im Raum Kabul übernehmen und die unzuverlässigen Warlord-Einheiten von der afghanischen Hauptstadt fernhalten. Weitere Auslandseinsätze in Ostafrika und möglicherweise in Kuwait sind in Vorbereitung. In den vergangenen Jahren verwandelte sich die Bundeswehr auch offen in das, als was sie schon immer konzipiert war: Eine Söldnertruppe im Dienste des westlichen Imperialismus und des internationalen Großkapitals. An den Interventionsfronten der NATO auf dem Balkan bzw. zur Bewachung amerikanischer Einrichtungen in der BRD sind derzeit fast 13.000 Mann im Einsatz. Zusammen mit dem durch Einsatzvor- und –nachbereitung, Ausbildung und Erholung gebundenen Personal ergibt das rund 60.000 Soldaten. Damit ist derzeit beinahe ein Drittel der 200.000 für derartige Einsätze in Frage kommenden Soldaten durch Auslandseinsätze gebunden. Die 92.000 Wehrpflichtigen können für derartige Missionen – noch – nicht herangezogen werden.

 

Die konstituierende Sitzung des vor drei Wochen gewählten Kosovo-Parlaments endete nicht unerwartet im Chaos. Das Parlamentsgebäude in Pristina stand unter scharfer Bewachung von KFOR-Protektoratstruppen, alle 120 Abgeordneten mussten Durchsuchungen über sich ergehen lassen. Den 22 serbischen Parlamentariern war die Anreise nur unter militärischem Geleitschutz möglich. Aus den Wahlen ging Ibrahim Rugovas Demokratische Liga als stärkste Fraktion hervor, verfehlte jedoch die für die Wahl eines Präsidenten im 1. Wahlgang erforderliche Zweidrittelmehrheit. Rugova lehnte jedoch jegliche Koalition mit anderen politischen Gruppierungen ab und beanspruchte die Ämter des Parlamentspräsidenten, des Kosovo-Präsidenten und des Regierungschefs für seine Partei. Zudem verweigerten die Wahlsieger jegliche Verhandlungen mit den Vertretern der serbischen Bevölkerungsgruppe und den beiden anderen großen albanischen Parteien. UN-Protektor Häkkerup stand offensichtlich auf Seiten des im Machtwahn befindlichen Rugova und verweigerte Hashim Thaci, dem ehemaligen Oberbefehlshaber der Untergrundarmee UCK und Parteivorsitzenden der Demokratischen Partei, das Wort im Parlament. Für Unmut sorgte ferner die Wahl des Parlamentspräsidenten, bei der sich die Demokratische Liga mit einfacher Mehrheit durchsetzte. Daraufhin verließen die 25 Abgeordneten der Partei vorübergehend das Plenum und sabotierten einige Tage später die Wahl Rugovas zum Präsidenten der nominell zu Serbien gehörenden Provinz. Die Kosovo-Verfassung räumt Parlament und Regierung nur eingeschränkte Befugnisse ein, während die oberste Gewalt von UN-Protektor Häkkerup ausgeübt wird. Dieser besitzt auch das Vetorecht gegen jede Parlamentsentscheidung. Die Entscheidung über verfassungsrechtliche Fragen wie den künftigen Status des Kosovo obliegt ohnehin nicht den Abgeordneten.

 

Das Goddard Institute der NASA und die University of Columbia veröffentlichten einen gemeinsamen Forschungsbericht über die zu erwartenden Auswirkungen der weltweiten Klimaveränderung auf Südeuropa. Beispielsweise werden sich bis zum Jahr 2100 27 % der gesamten Landesfläche Italiens und Spaniens in Wüsten und Steppen verwandeln. Gleichzeitig werde Südeuropa den Ansturm von mehr als 70 Millionen Umweltflüchtlingen aus Nordafrika erleben, die durch die Ausbreitung der Sahara nach Norden getrieben werden. Leicht fassbar sind die dramatischen Veränderungen in Sizilien, wo die Niederschläge sich seit 1998 um 60 % verringerten. Auf der italienischen Mittelmeerinsel mussten zahlreiche Gemeinden bereits zur Rationierung des Wassers greifen. Hier ist die Anzahl der Sonnentage auf mehr als 310 pro Jahr gestiegen. Alleine im Bereich des Anbaues von Zitrusfrüchten wird für das Jahr 2002 mit einem klimabedingten Schaden in Höhe von umgerechnet 20 Milliarden DM gerechnet.

 

Nachdem eine Einigung mit Russland auf dem Verhandlungswege nicht erzielt werden konnte, kündigten die USA zum 01. Juli 2002 einseitig den ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen. Somit hat die Bush-Administration sich aller juristischen Fesseln entledigt, die der Umsetzung des geplanten Raketenabwehrsystems Missile Defence entgegenstehen. Fast gleichzeitig sabotierten die USA die Genfer Verhandlungen über eine internationale Konvention zum Verbot biologischer Waffen. Zur Beruhigung der Weltöffentlichkeit und vor allem Moskaus bekräftigte Bush seine Bereitschaft, das atomare Arsenal des Schreckens drastisch zu reduzieren. Die Kündigung des ABM-Vertrages stellt eine extreme Brüskierung der UNO dar. Eine Woche zuvor hatte die UN-Vollversammlung mit 84 gegen 4 Stimmen bei 61 Enthaltungen für die unveränderte Beibehaltung des ABM-Vertrages votiert.

 

Ein schwerer Zwischenfall in Neu-Delhi löste eine schwere Krise im Verhältnis der beiden Atommächte Indien und Pakistan aus, die bekanntermaßen bereits drei Kriege gegeneinander führten. Die Beziehungen sind seit Jahren äußerst gespannt, da im indisch besetzten Teil des mehrheitlich muslimischen Kaschmir islamistische Partisanen gegen die Fremdherrschaft kämpfen und dabei vom pakistanischen Geheimdienst unterstützt werden. Bei einem spektakulären Angriff eines islamistischen Kommandos auf den Sitz des indischen Zentralparlaments in Neu-Delhi kamen 5 Untergrundkämpfer sowie 7 Polizisten, Wachleute und Angestellte ums Leben. Ministerpräsident Vajpayee erklärte im Fernsehen, sein Land werde die Herausforderung annehmen und den Kampf gegen den Terrorismus intensivieren. Die indische Regierung lastete den Anschlag der von Pakistan aus operierenden Organisation Lashkar-e-Toiba an und forderte den benachbarten Rivalen auf, gegen den islamistischen Terror vorzugehen.

 

 

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