Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 11. bis 17. März 2000

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

VS über Hamburger Antifa

DGB-Chef Baumgarten auf freiem Fuß

NPD-Kundgebung in Berlin

Kriegsopferrenten in neuen Ländern werden erhöht

Parlamentswahlen in Spanien

Wasserkrise im Nahen Osten

Politische Straftaten rückläufig

Loveparade in Mexico City

Politische Straftaten in Bayern

Videoüberwachung öffentlicher Räume

Van-der-Lubbe-Denkmal in Berlin gestohlen

Freie Nationalisten in Mecklenburg-Vorpommern

Bundesmarine fordert Aufrüstung

Antisemitismus in der Schweiz

Globale Rohstoffreserven schrumpfen

Personalwechsel bei Europol

 

Zitat der Woche:
"Das Wesen jeder Revolution ist die Umwertung der Werte. Wer für sich einen eigenen Wertmesser gefunden hat, den er an seine Umwelt und an sein Tun anlegt, der ist Revolutionär; wer ihn nicht hat, sondern mit demselben Maßstab mißt und mit denselben hergebrachten Urteilen wertet wie seine Zeit, bleibt ein Spießbürger, ob er sich auch noch so radikal gebärdet.“
- Dr. Walther Groß

 

Zum Brandanschlag auf den Pkw der Hamburger Amtsärztin Solveig J., befaßt mit der Überprüfung ärztlicher Atteste für von der Abschiebung bedrohte Asylbewerber, bekannte sich eine Gruppe von selbsternannten Sympathisanten der Revolutionären Zellen. Im Bekennerschreiben kritisiert man die angeblich restriktive deutsche Flüchtlingspolitik und die Abschiebepraxis. Wenige Tage später folgte ein Farbbeutelanschlag auf die Hamburger Villa des Lufthansa-Chefs Jürgen Weber, da in Lufthansa-Maschinen abgeschobene Asylbewerber befördert werden. VS-Chef Wagner beziffert die Zahl der militanten Linksextremisten in der Hansestadt auf 600, unter ihnen 400 sogenannte Autonome. Diese Militanz beschränke sich jedoch vorwiegend auf das Steinewerfen bei Demonstrationen, ansonsten sei "die große Mehrheit der linksextremen Szene...nicht sehr aktiv". Mit weiteren Anschlägen im Bereich der Ausländerpolitik ist nach Angaben von Innensenator Wrocklage (SPD) jedoch zu rechnen. Kaum zu glauben, aber der "antifaschistische Konsens" der liberalkapitalistischen Gesellschaft wird doch noch von "linken" Kreisen verletzt. Der sicherlich vorübergehende Aktionismus sollte keinesfalls mit einer erwachenden Fundamentalopposition oder gar echter Systemkritik verwechselt werden, hier geht es im Grunde genommen nur um aus dem Ruder gelaufenen "Antifaschismus". Die Kanalisierung läßt sicherlich nicht lange auf sich warten.

   

Während der NPD-Kundgebung vom 12.03. in Berlin änderte die Polizei trotz des gerichtlich anerkannten Grundrechtes auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit willkürlich die Marschroute, um einer Konfrontation mit linksextremen Gruppen vorzubeugen. Diese fungierten wieder einmal als willkommener Anlaß zur weiteren Aushöhlung der Grundrechte. Ferner sei angesichts der vorgesehenen Marschroute durch Kreuzberg die Frage gestattet, ob die NPD-Oberen billigend die Gesundheit ihres Anhangs riskieren, um vermehrte Aufmerksamkeit in den Medien zu gewinnen.

   

Siegerin der spanischen Parlamentswahlen ist unerwartet die konservative Volkspartei PP. Der den Charme eines Bankschalterbeamten verströmende Ministerpräsident Aznar konnte 44,5 % der Stimmen und 183 von 350 Sitzen in den Cortes einstreichen. Die Sozialisten der PSOE fielen auf 34,1 % und 125 Mandate zurück. Auch die mit der PSOE verbündete Vereinigte Linke IU erlitt eine verheerende Niederlage - sie verlor die Hälfte ihrer Stimmen und muß sich nun mit 5,5 % und 8 Mandaten bescheiden. Drittstärkste politische Kraft wurde das gemäßigte katalanische Nationalistenbündnis CiU mit 15 Sitzen. Die Wahlbeteiligung fiel gegenüber 1996 von 77 auf 70 %. Im Baskenland profitierte die gemäßigt nationalistische PNV vom Boykottaufruf der ETA-nahen EH und gewann zwei Mandate hinzu. Damit hat sich das Bündnis Aznars mit der katalanischen Regionalpartei CiU erledigt - angesichts der ausgesprochen zentralistischen Position des konservativen Regierungschefs dürften für Spaniens Regionen und vor allem für das Baskenland schwerere Zeiten anbrechen.

   

Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei mit 15.628 politisch motivierten Straftaten 5,9 % weniger Delikte als im Vorjahr. Jede zweite dieser Straftaten hatte einen "rechtsextremen", "fremdenfeindlichen" oder "antisemitischen" Hintergrund, jede fünfte wird der "Linken" zugerechnet. Soviel zum Vorwurf, die Sicherheitsbehörden seien auf dem rechten Auge blind. Die Zuordnungen erscheinen jedoch fragwürdig, da in sage und schreibe 60 % aller Fälle kein Täter ermittelt werden konnte.

   

Im Jahr 1999 stieg die Zahl als rechtsextrem verorteter Gewalttaten in Bayern von 40 auf 56, wobei erstmals seit 1989 wieder ein Todesopfer zu beklagen war. Laut Innenminister Beckstein stellt die nichtorganisierte Szene eine größere Gefahr dar als Republikaner, DVU und NPD. Da der polizeiliche Druck im Bereich des Rechtsextremismus kaum noch gesteigert werden könne, müssten nach Beckstein alle gesellschaftlichen Gruppen gewaltverhindernd wirken. Der Minister setzte hinzu, in weiten Teilen der Gesellschaft werde die Gewalt gegen "Rechte" als Kavaliersdelikt betrachtet. Die DVU sei durch ihre Wahlkämpfe finanziell ausgelaugt, was sich an der Zusammenlegung der DNZ und der DWZ zeige. Im "linksextremen" Bereich blieb die Zahl der Gewalttaten mit 25 konstant, wobei hier Angriffe auf "Rechte" den Hauptposten darstellen. Sorge bereitet Beckstein auch der erstarkende islamische Fundamentalismus. Bayerns Aufklärungsquote für politische Gewaltdelikte liegt bei 88 %. Der CSU-Politiker forderte, nach bayerischem Vorbild den VS bundesweit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität einzusetzen.

   

In Berlin verschwand das für die Aufstellung am Reichstags- äh Bundestagsgebäude vorgesehene Denkmal für den vermeintlichen Brandstifter von 1933, Marinus van der Lubbe. Die Initiatoren des Denkmals hätten sich die Mühe im übrigen sparen können - nach neueren Erkenntnissen (u.a. basierend auf 1933/34 aus politischen Gründen unterschlagenen Polizeiunterlagen) hat der geistig zurückgebliebene Holländer keinesfalls den Reichstag angezündet und nicht einmal am angeblichen Einstiegsort Fingerabdrücke hinterlassen.

   

Konteradmiral Lutz Feldt, neuer Flottenchef des Bundesmarine (27.000 Mann, 122 Einheiten und 109 Flugzeuge), fordert Neuanschaffungen in Höhe von 15 bis 17 Fregatten, Kombinationseinheiten aus Korvette und Minensucher sowie neue U-Boote. Als künftige Hauptaufgabe scheinen ihm internationale Einsätze vorzuschweben: "U-Boote können unabhängig und unsichtbar in internationalen Gewässern und in der Nähe von Krisengebieten operieren, ohne provozierend zu wirken." Im "Hamburger Abendblatt" heißt es dann auch: "In seinem Hauptquartier in Glücksburg wird er künftig an der Spitze jener Teilstreitkraft der Bundeswehr stehen, die auf den Meeren der Welt eine Hauptrolle zu spielen hat." Germans to the front...

   

Seit Einsetzen der industriellen Revolution um 1800 hat sich der jährliche Verbrauch an nicht erneuerbaren Rohstoffen verhundertfacht. Die nicht erneuerbaren Ressourcen machen zu Beginn des 21. Jahrhunderts 90 % des Verbrauches aus. Auf den ersten Blick reichen die entdeckten, vermuteten und förderbaren Vorkommen an fossilen Energieträgern für 1000 Jahre aus. Legt man jedoch ein jährliches Anwachsen des Verbrauches um 5 % zugrunde, schrumpft diese Galgenfrist auf bescheidene 81 Jahre zusammen. Als Auswege sind laut Professor H.C. Binswanger von der Uni St. Gallen neben einer dringend erforderlichen weltweiten Einschränkung des Verbrauchs, sprich einer Abkehr von der liberalkapitalistischen Konsumgesellschaft, vor allem vermehrte Effizienz bei der Energieausnutzung, energiesparende Technologie, eine weniger verkehrs- und energieintensive Infrastruktur sowie Erziehung der Bevölkerung zu nennen. Erneuerbare Rohstoffe können dieses grundsätzliche Umdenken zur "sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit" nur flankieren, sonst ist bald Feierabend.

   

"Befehlsnotstand"? Generalmajor Klaus-Dieter Baumgarten, letzter Kommandeur der DDR-Grenzpolizei, ist nach Verbüßung der Hälfte seiner Strafe von sechseinhalb Jahren auf freien Fuß gesetzt worden. Während seines Verfahrens argumentierte Baumgarten, der Grenzverletzer sei für die Folgen seiner "Straftat" selbst verantwortlich. Ferner hätten - und das ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen - die BRD-Massenmedien mit ihrer Konsumpropaganda den Tod von DDR-Flüchtlingen billigend in Kauf genommen.

   

Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, daß die geringeren Kriegsopferrenten in den neuen Bundesländern das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes verletzen und damit verfassungswidrig sind. Die Bezieher im Osten hätten ihre Opfer im gleichen Krieg für den gleichen Staat erbracht. Nach dem Urteil werden die 60.000 Kriegsopfer der neuen Länder auf Antrag rückwirkend zum 01.01.1999 580 DM mehr Grundrente im Jahr erhalten. Anspruchsberechtigt sind nur Versehrte, die am 18.05.1990 in der ehemaligen DDR lebten (Az 1 BvR 284/96, 1659/96).

   

Infolge der Dürre im vergangenen Jahr hielt Israel seine Lieferverpflichtungen gegenüber Jordanien und den Palästinensergebieten nicht ein. Jordanien erhielt keinen, die Palästinenser kaum einen Tropfen Wasser aus dem israelischen Leitungsnetz. Israel nutzt 80 % der Wasservorkommen in den Palästinensergebieten. Während ein zionistischer Siedler in der Westbank pro Kopf 330 Liter verbraucht, entfällt auf einen Araber nicht einmal ein Zehntel davon. Auf dem 2. Weltwasserforum in Den Haag warnte die niederländische Entwicklungsministerin Eveline Herfkens vor einer globalen Wasserkrise. Vor allem im Nahen Osten sei angesichts des israelischen Verhaltens eine Eskalation nicht auszuschließen. Einen gefährlichen Krisenherd stellen auch die türkischen Staudämme an Tigris und Euphrat dar, die Syrien von Ankaras Wohlwollen abhängig machen. Weltweit haben derzeit 1,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Das Weltwasserform hält jährliche Investitionen von 180 Milliarden US-Dollar für nötig, um das Problem wirksam zu lösen. Bezeichnenderweise hat man dem Forum eine Wassermesse der Industrie angegliedert. Die EU hat bis 2002 13 Milliarden Euro bereitgestellt, um ihre Wasserindustrie zu fördern.

   

Music is the key: Während in Mexiko Abermillionen buchstäblich auf der Straße verrecken oder zu Hungerlöhnen unter miserablen Arbeitsbedingungen ihre Haut für transnationale Konzerne zu Markte tragen müssen, haben Organisatoren der unsäglichen Loveparade (zu ihrer Schande seien die Namen genannt: Ralf Regitz und William Roetger) nichts anderes zu tun, als auf dem deutsch-mexikanischen Festival "Technogeist 2000"  die "kreativen und unternehmerischen Potentiale des jungen Berlin" zur Schau zu stellen. Vielleicht siecht es sich bei Dr. Mottes Klangwelten ja etwas angenehmer dahin.

   

Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern kritisieren die zunehmende Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Während Bayern in Regensburg demnächst reguläre Polizeikameras installiert, hat der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, nichts gegen einen begründeten und genau umgrenzten Einsatz einzuwenden. In der BRD sind gegenwärtig 30.000 Video-Überwachungssysteme im öffentlichen Raum eingesetzt, z.B. in Kaufhäusern, Tankstellen oder Metrostationen. Großbritannien setzt bereits 300.000 Systeme ein, deren Zahl auf eine Million anwachsen wird.

   

Während einer Aktuellen Stunde im Schweriner Landtag hält der mecklenburg-vorpommersche Innenminister Gottfried Timm (SPD) die Ausrichtung der Freien Kameradschaften für bedenklich. Die Zahl "rechter" Gewaltdelikte ist gegenüber 1998 geringfügig von 51 auf 53 angestiegen, wobei insgesamt die Zahl "rechter" Straftaten um 35 auf 268 gesunken ist. Der harte Kern militanter "Rechtsextremisten" ist mit 800 Personen konstant geblieben. Die Freien Kameradschaften verzeichnen regen Zulauf. Zur Zeit sind dem VS 49 solcher Gruppen bekannt; sie steigerten gegenüber 1998 ihre Mitgliederzahl von 50 auf 300 Personen.

   

Einer Umfrage des nicht gerade für seine Wahrheitsliebe bekannten American Jewish Committee hat ergeben, daß sowohl in der deutschsprachigen wie in der frankophonen Schweiz 16 % der Bevölkerung als klare Antisemiten einzustufen sind. Weitere 60 % der Befragten würden eine antisemitische Tendenz zugeben. Jeder dritte Schweizer ist der Ansicht, Juden hätten zuviel Einfluß in der Welt, würden den Holocaust für ihre eigenen Interessen ausnutzen und Schweizer Juden verhielten sich zu Israel loyaler als zu ihrem eigenen Land. Auf der anderen Seite halten mehr als die Hälfte aller Befragten Antisemitismus für ein ernstes Problem.   

 

Thorsten Mehles, Leiter des Dezernats Interne Ermittlungen in Hamburg, wechselt noch vor Jahresende zu Europol nach Den Haag. Dort soll er EU-weit den Kampf gegen Korruption und Organisierte Kriminalität organisieren. Die EU-Innenministerkonferenz fordert derweil mit Nachdruck, die Kompetenzen Europols auszuweiten: Das europäische FBI mit immunen Beamten kommt in Sichtweite.

 

 

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