Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 27. Mai bis 2. Juni 2000

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

BKA hat Datenbanksystem ViCLAS eingeführt

PDS konzentriert sich im Westen auf Kommunen

BKA sammelt genetische Fingerabdrücke

Analphabetismus in Italien

EU für grenzüberschreitende Polizeiarbeit

UUP kehrt in nordirische Regierung zurück

USA lockern Kontrolle des Technologieexports

Verhaftungsaktion gegen Real IRA

NMD kann bis zu 150 Milliarden DM kosten

Siemens kaufte die Bundesregierung

Rußland warnt vor Folgen von NMD

Nationalistische Kundgebung in Lemberg/Ukraine

EU kritisiert NMD-Pläne

Erdölverknappung droht im 21. Jahrhundert

Bildungsausgaben in der BRD

Clinton nimmt Aachener Karlspreis entgegen

   

Zitat der Woche:
"Wir verwerfen die übliche Unterscheidung zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft. Die letztere ist nur ein Teil der ersten - oder auch umgekehrt. Beide sind Eins."
- Ernst Haeckel

 

Nach einem seit 1996 laufenden Pilotprojekt in Bayern haben mittlerweile alle Bundesländer und das BKA das kanadische Datenbanksystem ViCLAS übernommen. Über ViCLAS (Violent Crime Linkage Analysis System) werden von Experten erstellte Täterprofile (angeblich nur bei schweren Gewaltdelikten) erfaßt und können bundesweit zwischen dem BKA und den LKA ausgetauscht werden. Der mit der Aufklärung eines Deliktes befaßte Sachbearbeiter beantwortet einen standardisierten Katalog von 168 Fragen und reicht diesen an die neuen Dienststellen 402 bei den LKA weiter. Hier überprüfen speziell geschulte Polizeibeamte den Fall, erstellen gegebenenfalls ein Täterprofil und geben dieses in den gemeinsamen ViCLAS-Speicher ein. Stellt ein Ermittler Gemeinsamkeiten zwischen seinem aktuellen und einem der gespeicherten Fälle fest, erfolgt eine Neuüberprüfung durch einen zweiten Analytiker. Bei einer Übereinstimmung wird die jeweilige Dienststelle informiert, denn die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholungstat ist dann sehr hoch. Ziel von ViCLAS ist es, anhand der speziellen "Handschrift" des Täters seine individuellen Merkmale wie Alter, Beruf, soziale Stellung und Bildungsstand herauszuarbeiten.

   

Daneben können seit 1998 die Täter bei schweren Gewaltdelikten durch richterliche Anordnung zur Abgabe einer Speichelprobe zur Erstellung eines genetischen Fingerabdrucks gezwungen werden. Diese Erbgutanalysen werden beim BKA gesammelt - bisher sind offiziell 41.000 solcher Fingerabdrücke gespeichert worden. Mit einer verfeinerten Analysemethode erreichen übrigens die aus ausgefallenen Haaren stammenden genetischen Fingerabdrücke eine Trefferquote von 90 %. Zuvor war eine Analyse nur bei ausgerissenen Haaren möglich (Hautzellen hafteten an ihnen). Nunmehr können die Sicherheitsorgane die ausgefallenen Haare in Labors auflösen und die DNA der Zellen isolieren.

   

Die Justiz- und Innenminister der EU peilen gegenwärtig die Schaffung einer grenzüberschreitenden Überwachungsarbeit an. Ferner soll der Juristenstab Eurojust übernationale Ermittlungen koordinieren. Die Vereinheitlichung der Ausbildungsrichtlinien für Angehörige der Sicherheitskräfte liegt zwar noch in weiter Ferne, taucht aber bereits auf dem Fahrplan auf.

   

Auf dem Florenzer NATO-Gipfel kündigten die USA eine Lockerung ihrer rigorosen Kontrolle von Technologieexporten an, um die Kooperation mit den europäischen Partnern zu verbessern und natürlich um ihrer Rüstungsindustrie neue Absatzmärkte zu öffnen. In dieser Frage setzte das Pentagon sich nunmehr gegen das State Department durch. Die NATO-Partner forderten die USA auf, sich beim Raketenabwehrsystem NMD einer besseren Abstimmung zu befleißigen und vor allem keinen Alleingang zu unternehmen.

   

Das Hamburger Institut für Friedensforschung ermittelte, daß die Kosten für NMD alleine in der 1. Phase auf 150 Milliarden US-$ ansteigen können. Nicht auszudenken seien die Kosten der 2. Phase, wenn die weltraumgestützte Komponente des Systems aufgebaut wird. Eventuell könnten nicht nur Rußland und die Volksrepublik China, sondern auch Pakistan und Indien den Atomwaffensperrvertrag kündigen, um das durch NMD veränderte Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Der BND sprang seinen amerikanischen Freunden mit der Feststellung zur Seite, potentielle Atomwaffen aus den "Schurkenstaaten" Iran, Irak, Libyen oder Nordkorea könnten auch Mitteleuropa bedrohen.

   

Generaloberst Walerij Manilow, einer der führenden Militärs in Rußland, warnte vor einem Zusammenbruch des Rüstungskontrollsystems durch die Folgen von NMD. Das im ABM-Vertrag festgelegte Verbot von umfassenden Raketenabwehrsystemen sei die Grundlage des gesamten Systems. Das Gerede von den Schurkenstaaten hält man in Moskau für einen Vorwand, unter dem die USA langfristig die Russen als nukleare Konkurrenz ausschalten wollten. Rußland führt zur Zeit anstelle des seit mehr als 10 Jahren vor sich hingammelnden alten Potentials die moderne Langstreckenrakete Topol M ein, die mit gegenwärtig verbotenen Mehrfachsprengköpfen ausgerüstet werden kann. Eine primitive, aber phantasievolle Methode zum Unterlaufen einer Raketenabwehr wurde bereits in den 80ern entwickelt: Langstreckenraketen mit Einfachsprengkopf stoßen Hunderte von ballonartigen Flugkörpern aus und verwirren die Abwehr. Weitere Methoden sind die schon erwähnten Mehrfachsprengköpfe (die NMD-Raketen können nur ein Ziel erkennen und treffen) oder stickstoffgekühlte Sprengköpfe, die von den Spürgeräten nur schwer zu erkennen sind.

   

Auf seiner Europareise wurde Clinton von EU-Vertretern und sogar von seinem gehorsamen Vasallen Gerhard Schröder gewarnt, NMD könne ein neues atomares Wettrüsten auslösen. Auch wenn Washington sich mit Rußland einige, werde die Volksprepbulik China die Raketenabwehr als feindseligen Akt verstehen. Wladimir Putin brachte in gewohnt verwirrender Weise in der Tat den Gedanken ins Spiel, auch Rußland an NMD zu beteiligen - Nord-Süd-Kontflikt in Reinkultur. Die VR China verfügt gegenwärtig nur über 20 Interkontinentalraketen und würde durch NMD auch bei einer (bereits angelaufenen) Nachrüstung atomar weitgehend neutralisiert werden. Um einen Gesichtsverlust zu vermeiden, könnte Peking seine Aufrüstung forcieren, was wiederum Rückwirkungen auf Indien und Pakistan haben und einen asiatischen Rüstungswettlauf auslösen würde.

   

Der einschlägig bekannten OECD-Studie zum Bildungswesen der Mitgliedsländer zufolge befindet sich die BRD mit Ausgaben von 3490 DM pro Jahr und Schüler im Sektor Grundschule im hinteren Bereich. Japan, Österreich, Dänemark, Norwegen, Schweden, die Schweiz und die USA weisen ein um mehr als die Hälfte höheres Ausgabenniveau auf. Ab der 11. Klasse befindet die BRD sich hingegen mit 9322 DM pro Jahr und Kopf unter den Spitzenreitern. Vier Fünftel aller bundesdeutschen Gesamtschulen arbeiten nach veralteten Methoden und Erkenntnissen.

   

Die PDS erzielte bei westlichen Landtagswahlen nach den 1,4 % und Schleswig-Holstein nur 1,1 % in Nordrhein-Westfalen. Als Lösung regte Bundesgeschäftsführer Bartsch an, sich im Westen auf die Kommunen zu konzentrieren und auf eine Teilnahme an den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zu verzichten.

   

Nach einer Untersuchung des Europäischen Bildungszentrums haben zwei von drei Italienern Schwierigkeiten beim Lesen und vor allem beim Schreiben. In Italien gibt es 2 Millionen Voll-Analphabeten - auch 8 % der Akademiker können weder lesen noch schreiben. Zwei Drittel der Bevölkerung lesen gar nicht oder würden nur mit "übermenschlichen Anstrengungen" zu 10. Zeile eines Zeitungsartikels kommen. Betroffen sind vor allem die Geburtsjahrgänge zwischen 1935 und 1955; als Ursache können ruhigen Gewissens die Kriegsfolgen und das Nachkriegschaos in Italien benannt werden.

  

Mit der knappen Mehrheit von 459 gegen 403 Delegierten konnte David Trimble die Ulster Unionist Party dazu bewegen, nach der erklärten Bereitschaft der IRA zur Unschädlichmachung ihres Waffenarsenals in die nordirische Regionalregierung zurückzukehren. Blairs Nordirlandminister Peter Mandelsohn hob die seit Februar bestehende Suspendierung der Exekutive in der Tat wieder auf. Die katholische Seite wird in dieser Regierung durch die gemäßigten Sozialdemokraten und die republikanische Sinn Féin vertreten. Trimble wurde heftig aus Ian Paisleys radikaler Democratic Unionist Party kritisiert, die der UUP vorhält, sie sei nunmehr Bestandteil eines Prozesses geworden, der im Anschluß Nordirlands an die Republik Irland enden werde. Die DUP drohte damit, ihren Boykott der Regionalregierung fortzusetzen: Aus Protest gegen die Regierungsbeteiligung Sinn Féins nahmen die von ihr gestellten Minister Peter Robinson (Soziales) und Nigel Dodds (Regionale Entwicklung) bislang an keiner einzigen Kabinettssitzung in Belfast teil.

   

In Nordirland wurden unterdessen acht Aktivisten der republikanischen Real IRA festgenommen, da sie in Planungen für neue Attentate verwickelt gewesen sein sollen.

   

Im Zusammenhang mit der CDU-Spendenaffäre wird gemeldet, daß der Siemens-Konzern beachtliche Summen an die Union spendete, weil Kanzler Kohl bei illegalen Geschäften des Unternehmens beide Augen zudrückte und die Hand aufhielt. Nach einem BND-Bericht von 1990 hatte sich die DDR in den 80ern Technologie und Anlagen von Siemens vor allem für die Fertigung von Computerchips beschafft. Der Geheimdienst hatte gar ein Telefonat des zugegebenermaßen genialen DDR-Devisenbeschaffers Schalck-Golodkowski mit dem damaligen Kanzleramtschef Wolfgang Schäuble abgehört, in welchem dieser sich ausdrücklich für das Stillhalten Bonns bei krummen Geschäften mit Siemens bedankte. Bei den an die CDU geflossenen Beträgen geht es um Gelder in Höhe von 5 bis 9 Millionen DM, die über diskrete Schweizer Konten verschoben wurden.

   

In der westukrainischen Stadt Lwiw/Lemberg demonstrierten mehr als 10.000 Menschen für eine Zurückdrängung des russischen Einflusses in der Ukraine und für eine Entrussifizierung des Landes. Auslöser war die Ermordung des ukrainischen Komponisten und Musikers Ihor Biloschir, der nach einem Zusammenstoß mit Angehörigen der russischen Bevölkerungsgruppe am 55. Jahrestag des Sieges der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg überfallen und zu Tode geprügelt wurde. Auf die Nachricht von Biloschirs Tod reagierten ukrainische Jugendliche mit dem Sturm auf russischsprachige Geschäfte.

   

Nach einer Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BGR in Hannover werden im Jahr 2020 50 % der Welterdölreserven verbraucht sein, was eine dramatische Verteuerung auslösen wird. Erdöl deckt noch immer 40 % des weltweiten Energiebedarfes, die höchste Bedeutung besitzt es im Verkehrswesen. Die bekannten und ökonomisch förderbaren Vorkommen werden auf 150 Milliarden Tonnen geschätzt. Bei einer Jahresförderung von 3,5 Milliarden Tonnen halten sie noch 40 Jahre lang. Weitere 80 Milliarden Tonnen werden in noch unbekannten Vorkommen vermutet. Vor allem in der Zeit nach 1900 hat die Menschheit insgesamt 120 Milliarden Tonnen Erdöl verfeuert. Zu den ökonomisch förderbaren Vorräten hinzu kommen die nichtkonventionellen Vorräte wie Schweröle, Ölschiefer oder Ölsand, die das BGR auf 240 Milliarden Tonnen beziffert. Förderung und Nutzung sind sehr kostenintensiv, was sich auf die Preise auswirken wird. Eine Energiekrise ab 2020 ist jedoch unwahrscheinlich, da die Ölförderung zugunsten anderer Energieträger wie Kohle, Erdgas, Wind, Solarenergie und Geothermik sinken wird, die von einer Nutzung der nichtkonventionellen Vorkommen flankiert werden. Solarzellen und Wasserstoffmotoren sind bereits einsatzreif, auch wenn die Kosten noch sehr hoch liegen. Die bekannten Erdgasvorräte reichen mit 135,5 Milliarden Kubikmetern noch bis 2060 aus.

   

Bei der Entgegennahme des Aachener Karlspreises (im Umfeld herrschte faktisch der Belagerungszustand) erklärte US-Präsident Clinton, Rußland müsse Bestandteil der NATO und der EU werden. Ohne Rußland bleibe die Vision vom ungeteilten Kontinent Europa unvollständig. Der russische Präsident Putin redete im Vorfeld auf einem Treffen mit hochrangigen Vertretern der EU-Bürokratie einer Annäherung an die EU das Wort, welche beiden Seiten vor allem wirtschaftliche Vorteile bringen soll. Bundeskanzler Schröder dankte Clinton kniefällig, es sei nicht zuletzt dem persönlichen Einsatz Clintons zu verdanken, daß die nordamerikanischen Kulturimperialisten sich nicht nach dem Ende des Kalten Krieges von Europa abwandten, etwa um sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern und die Alte Welt - endlich - von ihrem seelenmordenden Würgegriff zu erlösen. Das Haupt der rosa-grünen Bundesregierung jubelte dem korrupten Wüstling aus Arkansas zu: "Bill, mit Deinem Engagement bis Du ein wahrhaftiger Europäer geworden." Uns hätte es nicht weiter verwundert, wenn Clinton vom Blitz erschlagen worden wäre, als er ausgerechnet mit dem Sarkophag Karls des Großen stumme Zwiesprache hielt. Clinton legte seinen europäischen Juniorpartnern ferner nahe, die Türkei müsse voll in die EU integriert werden, ebenso die übrigen Staaten Südosteuropas. Die USA und die EU sollten auch künftig "ihre gemeinsamen Werte von Freiheit und Demokratie" verteidigen. Als Grundlage dieser Allianz erschien Oberbürgermeister Jürgen Linden die "Befreiung" Europas im Jahre 1945 durch die Amerikaner. Naja, gut, die Sowjetunion existiert nicht mehr, die kann man da schon mal vergessen. Bezeichnenderweise nannte Clinton den Kosovo-Krieg einen der "besten Momente unserer Allianz". Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg wurde zu allem Überfluß auch von Aachens Bischof Heinrich Mussinghoff als Einsatz zur Sicherung des Friedens angepriesen. Im Karlspreiskomitee war die Preisverleihung an Clinton wegen dieses Krieges nicht unumstritten, beispielsweise titulierte der britische Expremier Edward Heath den US-Präsidenten als "Kriegstreiber". Zu den weiteren Höhepunkten dieses würdelosen Schauspiels zählte eine zweistündige Freßorgie, an der neben Clinton Schröder, Joschka Fischer und Madeleine Albright teilnahmen. Ein verlorener Haufen von 100 linken Demonstranten protestierte gegen die Preisverleihung - in echt humanistisch-liberalistischer Tradition kritisierte man nicht etwas das Weltherrschaftsstreben Nordamerikas, sondern die Todesstrafe in den USA. Gute Nacht.

 

 

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