Wochenschau
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Die politische Wochenschau
vom 24. bis 30. Juni 2000
Schlagzeilen der Woche zusammengestellt von Christian Klee |
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Zitat der Woche: |
"Befreiung von der Sklaverei der kapitalistischen Unterjochung ist die Parole, die bei allen unterdrückten Völkern zündet. Angriff gegen die Fäulnis und Verworfenheit der westlichen Zivilisation ist das Signal, das überall begriffen wird, wo in der Welt noch gesund empfindendes Volkstum um sein Dasein ringt. Dieser Kampf der unterdrückten Völker ist revolutionär. Dieser Kampf ist die Weltrevolution. Nicht der Weltkommunismus ist das Ziel, sondern die Befreiung der Menschen aus der Finanzversklavung. Dieser Kampf ist zugleich der Kampf der Kulturen gegen die Zivilisation, der Kampf des Glaubens gegen die Berechnung, der Kampf des Irrationalen gegen die 'Vernunft'. Dieser Kampf ist der des schaffenden Menschen gegen den profitierenden Bourgeois. Es ist selbstverständlich, daß Deutschland, sofern es noch auf eine eigene entwicklungsfähige Zukunft hoffen will, sich in die Front der Revolutionäre gegen den Westen stellen muß. Wir fordern, daß Deutschland in diesem Befreiungskampf der Unterdrückten die Führung übernimmt. Das ist die geschichtliche Aufgabe des deutschen Nationalismus." |
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Arnold Friese
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Auf dem UN-Sozialgipfel in Genf wurde beschlossen, die Zahl der absolut Armen bis 2015 zu halbieren. Die Entwicklungsländer forderten hierzu einen Schuldenerlaß und die Marktöffnung auf Seiten der Industriestaaten. Diese wiederum fordern die "Dritte Welt" unisono mit UN-Generalsekretär Annan zu Verwaltungsreformen und Korruptionsbekämpfung auf. Konkret gemeint sind Schaffung einer funktionierenden Wirtschaft und Verwaltung sowie gute Rahmenbedingungen für ausländische Investitionen. Zwischen 1995 und 1998 sind weltweit die Sozialleistungen in Sachen Gesundheit und Erziehung um 20 % gefallen. Um alle Menschen mit dem Notwendigsten zu versorgen, wären 216 Milliarden US-Dollar im Jahr erforderlich, real werden jedoch nur 136 Milliarden ausgegeben. Jedes dritte Kind in den Entwicklungsländern ist unterernährt, in Südasien beträgt diese Quote sogar 50 %. Ohne sauberes Trinkwasser leben 1,7 Milliarden Menschen, und 3,4 Milliarden haben keinerlei sanitäre Anlagen. Bundesentwicklungsministerin Heide Wieczorek-Zeul (SPD) pochte auf Marktöffnung durch die EU und sonstige Industriestaaten, da eine vermehrte Industrieproduktion in den Entwicklungsländern unerwünschte Wanderungsbewegungen verhindere. Wieder die alte Leier: Billige Produktion im Ausland für den einheimischen Markt, was selbst bei hierzulande rückläufigen Realeinkommen noch ausreichende Profite sichert. Als Lockvogel dienten Wieczorek-Zeul und Annan die Aussicht auf eine Entschuldungsinitiative zugunsten der ärmsten Staaten, und zwar über 140 Milliarden DM, verteilt auf 36 Länder, sowie eine Erhöhung der Entwicklungshilfe. Da die bundesdeutschen Banken ihre faulen Kredite ohnehin durch Abschreibungen getilgt haben, wären sie im Gegensatz zur angelsächsischen und japanischen Konkurrenz fein raus. Ferner drängte die BRD auf Ratifikation der Konventionen für Vereinigungsfreiheit (Gewerkschaftsgründung), gegen Zwangsarbeit und gegen Kinderarbeit durch die Entwicklungsländer, was diese jedoch ablehnten. Gegenleistung sollte eine Öffnung des Agrarmarktes in den Industriestaaten sein, was an der Exportorientierung der Entwicklungsländer kaum etwas ändern dürfte. Die Regierungen der Industriestaaten würden bedeutende Einsparungen zu Lasten der einheimischen Landwirtschaft machen, deren Subventionierung sie sich jährlich 350 Milliarden DM kosten lassen. Kanada und die BRD forderten die Besteuerung internationaler Devisentransaktionen, was von den USA und Japan entrüstet zurückgewiesen wurde. Die Gelder sollten für soziale Zwecke eingesetzt werden.
In Genf wurde der Jahresbericht des UN-Entwicklungsprogrammes UNDP vorgestellt, nach dem 1,2 Milliarden Menschen mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen müssen. Während die Zahl dieser absolut Armen in Asien seit 1995 stark rückläufig ist, hat sie in Schwarzafrika noch zugenommen, Schlußlicht in Sachen Lebensqualität ist das vom Bürgerkrieg zerrissene Sierra Leone. Die letzten 24 der 174 auf der UNDP-Liste vertretenen Staaten kommen ausnahmslos aus Schwarzafrika. Die beste Lebensqualität (gemessen an Realeinkommen, Bildung, Lebenserwartung und Gesundheitsfürsorge) weist Kanada auf, gefolgt von Norwegen und den USA. Die BRD liegt hier hinter Frankreich und der Schweiz auf Rang 14. Die größten Fortschritte seit Aufstellung der Liste im Jahre 1974 machten Indien, Ägypten und Nepal; die geringsten Fortschritte der Kongo, Sambia und Rumänien. In Ländern wie Dänemark und der Schweiz stagnierte die Lebensqualität auf einem allerdings sehr hohen Niveau. Von allen Industrieländern weisen die USA die größte menschliche Armut auf, geprägt von hoher Sterblichkeit in den unteren Bevölkerungsschichten, Analphabetismus und Arbeitslosigkeit. Gleich danach folgen Irland und Großbritannien - es scheint sich hier um eine Strukturschwäche angelsächsischer Gesellschaften zu handeln. In den genannten drei angelsächsisch geprägten Staaten beträgt die Analphabetenrate mindestens 20 %.
Im Berliner Reichstag - pardon Bundestag - kündigte der französische Staatspräsident Jacques Chirac an, eine Regierungskonferenz der EU-Staaten werde sich nach dem Gipfel von Nizza auch über die geographischen Grenzen der künftigen Union Gedanken machen und natürlich den in Nizza zu verabschiedenden Grundrechtekatalog präsentieren. Die kommende EU-Verfassung soll durch Referenden in den Mitgliedsstaaten gebilligt werden. Deutschland und Frankreich sollen als Pioniere den Prozeß der europäischen Einigung vorantreiben, indem sie den Kern einer durch ein Sekretariat koordinierten "Avantgardegruppe" bilden. Notfalls sollen die Mitglieder dieser Gruppe auch außerhalb des EU-Vertrages arbeiten. Die Pioniergruppe kann in Chiracs Augen schon ab 2001 Wirtschaft, Kriminalitätsbekämpfung sowie Außen- und Sicherheitspolitik eng koordinieren. Der Präsident erklärte die deutsch-französische Freundschaft zur Grundlage des europäischen Aufbauwerkes, wobei ihm der Verfasser ausnahmsweise sogar zustimmt. Chirac unterstützte öffentlich die bundesdeutschen Forderungen nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat: "Frankreich wünscht, daß Deutschland in Anerkennung seines Engagements, seines Ranges als Großmacht und seines internationalen Eunflusses einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat erhält." Über die Verschiebung des Föderalismusproblems auf eine Regierungskonferenz am Sanktnimmerleinstag sind die Ministerpräsidenten der vorgeprellten deutschen Bundesländer nicht unzufrieden. Ihre Absichten landeten auf einem offiziellen Abstellgleis, so daß sie den EU-Verträgen ohne Gesichtsverlust brav zustimmen können.
Auf dem Gipfeltreffen zwischen dem französischen Staatspräsidenten Chirac und Bundeskanzler Schröder näherten Frankreich und die BRD ihre EU-politischen Marschrouten einander an. Gemeinsam will man sich für eine Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen innerhalb der EU einsetzen, wobei Schröder ausdrücklich davon ausgeht, daß die großen Staaten hierbei ein überlegenes Stimmgewicht erhalten, um nicht von den "Kleinen" überstimmt zu werden. Auf diese Weise will man eine vergrößerte Union "führungsfähig" halten, im Klartext die Dominanz der politisch, wirtschaftlich und militärisch einflußreichsten beiden Kontinentalstaaten festschreiben. Auch mit Zustimmung Fischers erteilte Chirac einem europäischen Superstaat eine klare Absage. Die Nationalstaaten würden als politische Gebilde, wenn auch in neuer Form, fortbestehen. Einer Föderalisierung ganz Europas nach bundesdeutschem Vorbild stehen beide ablehnend gegenüber.
Die gefürchtete deutsch-französische Annäherung rief den britischen Premier Tony Blair auf den Plan. Dieser befürchtet die Entstehung eines bei Mehrheitsentscheidungen unüberwindlichen franko-germanischen Blocks. Auch einer Reform der EU-Verträge noch vor der Osterweiterung steht London ablehnend gegenüber. Blair will die Gespräche darüber erst nach der Erweiterung auf möglicherweise 28 Mitglieder im Jahr 2003 aufnehmen. Folgerichtig strebt Großbritannien danach, sich mit Skandinavien und den iberischen Staaten gegen die drohende Dominanz Frankreichs und der BRD zusammenzuschließen.
Das Bundeskanzleramt eröffnete der bundesdeutschen Öffentlichkeit vorzeitig und sehr zum Unwillen von Sonderermittler Hirsch, daß die Vernichtung und Manipulation von Akten vor dem Machtwechsel 1998 weit umfangreichere Ausmaße als bislang angenommen hatte. Bei allen politisch heiklen Geschäften der Regierung Kohl sind die Akten unvollständig oder wurden nachträglich gesäubert, außerdem wurden zwei Drittel des kanzleramtsinternen Intranet gelöscht. Insgesamt löschten die Handlanger Kohls drei Gigabyte, was rund 1,2 Millionen Blatt Papier entspricht. Schon Mitte der 90er Jahre wurden dem Treuhand-Untersuchungsausschuß (von den Ermittlungen dürfte auch EXPO-Chefin Breuel betroffen gewesen sein) manipulierte Akten präsentiert. Neben der Leuna- und Minol-Privatisierung sind von den Aktenvernichtungen auch der Panzerverkauf an Saudi-Arabien, der Verkauf von Eisenbahnerwohnungen an den Hamburger CDU-Großspender Ehlerding sowie die Privatisierung von Interhotel, den Motorradwerken Zschopau und des Baukonzerns ELBO betroffen. Verschoben wurden Unterlagen über die Vorbereitung auf den Weltwirtschaftsgipfel in Halifax 1995. Es geht nur um staats- und wirtschaftspolitische Vorgänge, CDU-Angelegenheiten beispielsweise blieben unberührt. Der Freiburger Politologe Wilhelm Hennig bemerkte hierzu sehr treffend, Aktenvernichtung in einem solchen Ausmaß komme ansonsten nur vor, wenn ein südamerikanischer Staatschef aus seinem Land fliehe. Hennig erstattete bei der StA Bonn übrigens Strafanzeige gegen "Unbekannt". Hirsch vermutet jedoch, die Maßnahmen seien in vorauseilendem Gehorsam von Beamten des Kanzleramtes durchgeführt worden.
Die Verwicklung der Nachrichtendienste in die Affäre ist nicht nur auf französischer Seite evident, sondern auch der BND hatte seine Finger ausgiebig im Spiel. Waffenhändler Schreiber fungierte phasenweise als Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes. Kein Wunder, denn diskrete Waffenlieferungen in Krisengebiete gehören seit den 60er Jahren zu den Spezialitäten des BND, dem auch der seit langem untergetauchte Holger Pfahls nahestand. Ein weit hochkarätigerer Agent als Schreiber war sicherlich der maßgebende Verhandlungspartner auf deutscher Seite, der "Lobbyist" Dieter Holzer (Mitglied der Loge Atlantikbrücke). Strauß-Kumpan Holzer war unter dem Decknamen Baumholder für den BND aktiv, half bei der Befreiung zweier deutscher Geiseln im Libanon, kungelte zwischen 1982 und 1989 innig mit dem heutigen bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber, ging auch auf SPD-Parteitagen ein und aus und verfügte über einen Bundestagsausweis. Bei einem Besuch in Südafrika bei Nelson Mandela fungierte gar Lady Diana als seine Tischdame. Von den 256 Millionen Francs Schmiergeld, die Elf Aquitaine für den Leuna-Zuschlag zahlte, gingen über die Konten einer Liechtensteiner Briefkastenfirma des ex-Nachrichtendienstlers Guelfi und Holzers wohl rund 13 Millionen DM an die CDU. In den Versuch, eine Panzerfabrik für Thyssen in Kanada zu etablieren , war seit Mitte der 80er übrigens auch Holzers Logenbruder Helmut Wieczorek (SPD), damals Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Bundestag und Mitglied im Vorstand von Thyssen Engineering, aktiv mit dabei.
Die sogenannte Aktion Sicherheitsnetz in Bremen kann nach Zustimmung des Bundesinnenministeriums fortgesetzt werden. Hierunter verbergen sich intensive Personenkontrollen in Innenstadt und Bahnhofsviertel, durchgeführt rein auf Verdacht durch Beamte des BGS. Bis zum Ende der EXPO sind in Bremen noch 50 Mann BGS im Einsatz, danach können die "Sondereinheiten des Innenministeriums" lagebezogen auf bis zu 230 Mann verstärkt werden.
Mit der Explosion einer Autobombe von 50 kg Sprengstoff in Getxo, einem noblen Villenvorort Bilbaos, dehnte die baskische Befreiungsorganisation ETA die nationalrevolutionäre Front weiter aus. Der Anschlag verursachte schweren Sachschaden an den Häusern des korrumpierten Großbürgertums und verletzte sieben Menschen. Größere Menschenverluste konnten vermieden werden, da ETA die Sicherheitsbehörden kurz vor der Explosion warnte. Die Nationalisten bezeichneten ihren Anschlag als eine Kampfmaßnahme gegen die baskische Finanzoligarchie, die als systemerhaltende Hüterin des Kapitalismus fungiere. Begleitend hierzu bedachten ETA-Sympathisanten in Salvatierra bei Vitoria drei Bankfilialen mit Brandflaschen und lieferten der anrückenden Polizei eine Straßenschlacht. Bei San Sebastián wurden Brandanschläge auf die Zweigstelle des Bildungsministeriums und eine Niederlassung der Telefongesellschaft Telefónica verübt.
Mittlerweile haben die gemäßigten Nationalisten in den Regionen Katalonien, Baskenland und Galicien ihre Erklärung von Barcelona von 1998 revidiert. Damals vereinbarten die Regionalisten, sich gemeinsam für eine Erweiterung der Autonomierechte einzusetzen - nunmehr beschränkt man sich auf die Kulturpolitik und die Anerkennung der regionalen Sprachen als Amtssprache. Zur Begründung hieß es, infolge der absoluten Mehrheit der Konservativen in den Cortes seien weitergehende Forderungen derzeit nicht durchsetzbar. Der Plan, Spanien auch offiziell in einen Staat mit mehreren Nationen umzudefinieren, scheint damit vom Tisch zu sein.
Die Landesbeauftragten für die Hinterlassenschaften der DDR-Staatssicherheit forderten Bundesinnenminister Schily zur Herausgabe des von der CIA zurückerstatteten Unterlagenmaterials der SSD-Westaufklärung auf. Das Innenministerium verzögert diese ohne Angabe von Gründen, was zuvor schon von ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern moniert wurde. Schröder untersagte Geheimdienstkoordinatur Uhrlau gar Anfang Juni, vor dem Innenausschuß des Bundestages zum Thema Stellung zu nehmen. Eine Befragung von Schilys Staatssekretär wurde per Kampfabstimmung durch die rosa-grüne Regierungsmehrheit verhindert. Offensichtlich werden diese sogenannten Rosebud-Unterlagen nach der CIA nun auf höchste Anordnung von den bundesdeutschen Diensten ausgewertet. Auch Cem Özdemir, Bundestagsabgeordneter der Grünen, trat für eine Rückgabe an die Gauck-Behörde ein. Um die Nachrichtendienstler nicht zu enttäuschen, soll der VS laut Özdemir weiterhin Einsicht in die Unterlagen nehmen können.
Auf der Berliner Internetkonferenz, ausgerichtet vom Bundesjustizministerium, der Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD und dem Simon-Wiesenthal-Center, forderte Bundespräsident Rau internationale Maßnahmen gegen den Mißbrauch des net - nicht etwa durch Perverse jeglicher couleur oder Schwerstkriminelle, nein, gegen den Mißbrauch durch "Rechtsextremisten". Das der Konferenz zugrundeliegende Material stammt wohl vom Wiesenthal-Center und dem Verfassungsschutz. António Vitorino, EU-Kommissar für Inneres und Justiz, erhob den Kampf gegen diese "Cyberkriminalität" zur Top-Priorität der Union. Die Polizeiapparate der Mitgliedsstaaten sollen für die Bekämpfung von High-Tech-Straftaten trainiert werden. Ferner kündigte Vitorino für den Herbst eine Initiative der EU gegen "Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" an. Als Alternative zu staatlichem Handeln brachte Bertelsmann-Vorstand Thomas Middelhoff ganz im Sinne der Globalisierungsstrategen eine Selbstregulierung durch die Wirtschaft ins Spiel. Die Medienkonzerne sollen also bestimmen können, welche Inhalte im Internet zulässig sind und welche nicht. Zu den Hauptrednern zählte Rabbi Abraham Cooper vom sattsam bekannten Simon-Wiesenthal-Center. Die rechtlichen Einschränkungen für Meinungsäußerungen im normalen Leben sollen seiner Ansicht nach auf das Internet übertragen werden. Vor allem aus den USA ergieße sich via Internet eine Woge antisemitischer, rassistischer und revisionistischer Propaganda in die Welt. Der ab und an unter einem etwas problematischen Verhältnis zur Realität leidende Wiesenthal will alleine bei Ebay 3000 NS-Artikel entdeckt haben. Auch Wiesenthal unterstützt den Globalisierungsstrategen Middelhoff: "Die E-Commerce-Unternehmen müssen eine Verantwortungskultur schaffen und umsetzen." Die USA nahmen wegen des innerhalb der EU zunehmend restriktiven Kurses gegenüber dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht teil, entsandten aber immerhin den FBI-Vizedirektor Mike Vatis. Generalbundesanwalt Nehm hielt diesem auch prompt mangelnde Kooperation vor. Vatis konterte, das FBI arbeite ausgezeichnet mit dem BKA zusammen. Der VS zeigte sich besorgt über angebliche Todeslisten der "Anti-Antifa". Wenn "Antifaschisten" derartige Listen anlegen und es in der Tat zu lebensbedrohenden Übergriffen wie in Celle kommt, handelt es sich anscheinend um einen entschuldbaren Akt wehrhafter Demokratie.
Die syrische Volksversammlung folgte der Baath-Partei und nominierte den frischgebackenen Parteichef Bashar el Assad als Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten. Nun wird eine Volksabstimmung am 10.07. die Machtübernahme des neuen Mannes endgültig absegnen. Bashar el Assad signalisierte bereits sein Einverständnis zu weiteren Verhandlungen mit Israel - zu den gleichen Bedingungen wie sein unbeugsamer Vater (Totalrückzug vom Golan). Der israelische Justizminister Keilin brachte nun einen Kompromiß ins Gespräch. Syrien soll tatsächlich das Nordwestufer des See Genezareth erhalten, wird jedoch kein Wasser abpumpen oder verunreinigen. Israel und Syrien sollen ihre Straßen- und Fischereirechte gemeinsam nutzen. Die israelische Regierung zeigte sich generell überrascht vom unerwartet frühen Verhandlungsangebot aus Damaskus. Die syrische Führung will durch ihre Friedensbereitschaft dringend benötigte Investitionen aus dem Ausland erreichen. Israel und die USA scheinen sogar bereit zu sein, die syrische Vorherrschaft im Libanon zu akzeptieren.
Mit dem Beginn der marching season des reaktionär-klerikalen Orange Order schickten die Briten 2000 Mann Militär als Verstärkung nach Nordirland, um die verfeindeten Bevölkerungsgruppen auseinanderzuhalten. Der Marsch durch die katholische Garvaghy Road in Portadown wurde bereits verboten, da die Orangisten hier bewußt Zusammenstöße provozieren wollten. In Belfast löste ein Oraniermarsch durch den katholischen Westen der Stadt Auseinandersetzungen zwischen aufgebrachten Iren und der Kolonialpolizei RUC aus. Die IRA duldete mittlerweile eine erste Inspektion einiger Waffenlager in der Republik Irland, und zwar durch den finnischen Expräsidenten Martti Ahtisaari und den ehemaligen ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa. Beide machten aus Gründen der Vertraulichkeit keinerlei nähere Angaben. Der IRA Army Council hat bereits die Kontakte zum kanadischen General a.D. John de Chastelain und seiner Entwaffnungskommission wieder aufgenommen. Die IRA soll über mehr als zwei Tonnen Sprengstoff verfügen, über etwa 600 Sturmgewehre, 600 Handfeuerwaffen, 40 Granatwerfer und mindestens eine Rakete vom Typ SAM-7. Dazu kommen Schätzungen zufolge außerdem 1200 Zünder und 1,5 Millionen Schuss Munition. Der Verfasser fügt dieser Aufstellung den Hinweis auf eine ganze Schiffsladung RPG-7-Raketen hinzu, die in den 70ern vom KGB nach Irland verschoben wurden.
Friedrich-Adolf Jahn, Präsident von Haus & Grund Deutschland, forderte die Aussetzung der Ökosteuer als sozial unausgewogen. Im Jahr 2000 werden die privaten Jahreskosten für die Ölheizung um 50 % steigen, und die Gaspreise dürften ebenfalls anziehen. Die 3. Stufe der Ökosteuer im Jahr 2001 werde die Privathaushalte mit 4,6 Milliarden DM zusätzlich belasten, womit eine Mehrbelastung der Vierpersonenhaushalte um 500 DM in allen drei Stufen erreicht wäre. Hinzu kommen die von den Versorgungsunternehmen auf den Verbraucher abgewälzten Steuerbelastungen und Mehrkosten. Professor Werner Schulz, ehemals Chefökonom im Umweltbundesamt, forderte hingegen eine deutliche Erhöhung der Ökosteuer, um die Umweltbelastungen angemessen zu berücksichtigen. Die Wahrheit dürfte, wie so oft, irgendwo in der Mitte liegen. Faktum ist jedoch, daß Singlehaushalte, Studenten, Unterstützungsempfänger und Geringverdiener am härtesten von der Ökosteuer betroffen sind.
In Warschau trafen Vertreter von mehr als 100 Staaten zur Konferenz "Hin zu einer Gemeinschaft der Demokratien" zusammen. Geldgeber sind Polen, Tschechien, die USA, Chile, Südkorea sowie erheiternderweise die nicht gerade als Musterbeispiele für die Einhaltung von Menschen-, Grund- und Völkerrechten bekannten Staaten Indien und Mali. Zur Eröffnung sprach selbst-redend US-Außenministerin Albright. Zum Ziel der Konferenz erklärte sie die Entwicklung eines Rahmens der globalen Zusammenarbeit. Dieser Rahmen solle allen Demokratien helfen, ihre Freiheit zu erhalten und zu vertiefen. In der Warschauer Erklärung taten 107 Staaten ihre Bereitschaft kund, die weltweite "Demokratisierung" zu fördern. Frankreichs Außenminister Védrine verweigerte die Unterschrift, da man unter Federführung der USA Demokratisierung offenbar als Missionierung auffasse. Selbst Albright erklärte, die USA seien nicht mit dem Ziel nach Warschau gekommen, Demokratie zu erzwingen. Gar nicht erst eingeladen wurden die Volksrepublik China, der Irak, Libyen, Angola, Simbabwe und Weißrußland; die russische Führung wies die Einladung zurück.
Die Bundesregierung legte ihren ersten Bericht zum Großen Lauschangriff vor, welcher auf Kritik der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern traf. Es gebe keinerlei effektive parlamentarische Kontrolle, ferner seien bewertende Aussagen über die mit akustischer Wohnraumüberwachung verbundenen Eingriffe in die Grundrechte unmöglich. Die Gesamtzahl der jährlich abgehörten Personen taucht nicht auf, da Berlin nur die Wohnungsinhaber und Beschuldigten nennt, nicht aber deren Kommunikationspartner, die zwangsläufig ebenfalls ins Netz der Sicherheitsbehörden geraten. Ferner fehlen die Zahl der abgehörten Gespräche, die Art der abgehörten Räumlichkeiten sowie Zahlen für Verhaftungen, Anklagen und Verurteilungen.
Die Planungen für Windparks zur Energiegewinnung kommen an der Wasserkante ins Rollen. Vorgesehen sind im Meer stehende Windenergieanlagen nach dänischem Vorbild. Allein vor Niedersachsens Küsten sind acht Parks geplant und befinden sich im Genehmigungsverfahren. Als größtes Projekt ist die Anlage von Prokon Nord Energiesysteme 40 km nördlich Borkum anzusehen. Hier werden 200 Großwindanlagen mehr als 1000 Megawatt erzeigen - beinahe soviel wie ein modernes Kernkraftwerk. Die Umweltschutzverbände befürchten erhebliche Probleme für die Tierwelt und sprechen sich für weiter im Meer liegende Anlagen aus. Windräder im Meer sind zwar 2-300 % teurer als auf dem Festland, profitieren dafür aber von stärkeren und stetigeren Winden.
Nach langwierigen Verhandlungen hat der Ministerrat der OECD in Paris einen Verhaltenskodex für transnationale Konzerne verabschiedet, um endlich die Verhandlungen für ein globales Investitionsschutzabkommen wieder ins Rollen zu bringen. Die Konzerne sollen im Rahmen einer globalisierten Wirtschaft zu verantwortlichem und nachhaltigem Handeln verpflichtet oder, je nach Lesart, ermächtigt werden. Sie sollen die Menschenrechte einhalten, keine Zwangsarbeiter beschäftigen, Transparenz der betriebswirtschaftlichen Daten sicherstellen, für eine vernünftige Ausbildung sorgen, Umweltstandards einhalten und keine Kinder beschäftigen. Neben den 29 OECD-Mitgliedern haben auch Argentinien, Brasilien, Chile und die Slowakei die Vereinbarung unterzeichnet. Es handelt sich um eine reine Absichtserklärung, über deren Einhaltung die Regierungen der Unterzeichnerstaaten wachen werden. Die Erklärung soll das Vertrauen in die segensreichen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen der internationalen Investitionen sicherstellen und dient ausdrücklich dazu, die in Seattle unterbrochenen Verhandlungen über das MAI-Abkommen wieder aufzunehmen. In der Tat hielten sich die Proteste diesmal in Grenzen, weil die "Globalisierungsgegner" (der Verfasser erinnert sich an die triumphierenden Siegesbotschaften einer augenscheinlich völliger Naivität anheimgefallenen "Linken") anscheinend zufriedengestellt sind. Eine Wiederaufnahme der MAI-Verhandlungen ist allerdings vor Jahresende nicht zu erwarten, da in den USA im November ein neuer Präsident gewählt wird.
Auf einer Konferenz in Danzig über "Polnische, deutsche und europäische Probleme mit dem Gedächtnis" haben der polnische Schriftsteller und Journalist Adam Michnik und sein deutscher Kollege Günter Grass an die Schatten der Vergangenheit gerührt. Grass forderte die polnischen Literaten auf, sich endlich einmal um die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg zu kümmern. Michnik schloß sich mit dem Hinweis auf die Verwahrlosung des deutschen Kulturerbes in Polen an. Selbst die den Vertriebenenverbänden ansonsten nicht gerade gewogene "Süddeutsche Zeitung" erkannte an, daß Fischers These, die organisierten Heimatvertriebenen würden die Aussöhnung mit Polen und Tschechien gefährden, vollkommen unlogisch ist. Die Landsmannschaften sollten vielmehr in den Dialog mit eingebunden werden, da es eine Versöhnung nur durch Wahrheit gebe. Als typischer 68er sehe Fischer die Vertreibung als gerechte Strafe für die Verbrechen der Vätergeneration an. Die Argumentation dieser altlinken Gruppe, die Vertriebenenverbände als Entspannungsgegner darzustellen und in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken, sei mit derjenigen der polnischen und tschechischen Chauvinisten identisch. Fischers Politgeneration ignoriere zudem (wie die politische "Rechte" der BRD in ihrer charakteristischen Schwerfälligkeit und Fixierung auf rassistische Traditionen, der Verfasser), daß in den östlichen Nachbarländern, vor allem aber in Polen, längst eine Vertreibungsdiskussion eingesetzt hat. Michniks "Gazeta Wyborcza" warf noch eine andere interessante Theorie in den Raum: Nach Ansicht polnischer Historiker fielen Aggression und Antipathie nach dem Krieg um so heftiger aus, je mehr ein Volk im Krieg mit den Deutschen kollaboriert habe. Unter Betrachtung der Fallbeispiele Niederlande oder Tschechien sicherlich ein ernstzunehmender Gedanke, dem auch die bundesdeutsche Historikerzunft einmal Aufmerksamkeit schenken sollte.