Wochenschau
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Die politische Wochenschau
vom 8. bis 14. Juli 2000
Schlagzeilen der Woche zusammengestellt von Christian Klee |
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Zitat der Woche: |
"Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung." |
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Antoine de Saint-Exupéry
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Der Rüstungskritiker und Schriftsteller Jürgen Grässlin hat die Bündnisgrünen nach 13 Jahren Parteimitgliedschaft verlassen. Er wirft seiner Expartei den Bruch der Wahlversprechungen von 1998 vor, die ein Verbot militärischer Interventionen, die Auflösung der Krisenreaktionskräfte, Entmilitarisierung und Abrüstung enthielten. Im Streitgespräch des Bremer "Weser-Kurier" mit der grünen Verteidigungsexpertin Angelika Beer erklärte Grässlin, die Grünen hätten mit der Zustimmung zum Kosovo-Krieg ihre Grundsäule der Gewaltfreiheit pervertiert. Ferner habe die Partei der Erhöhung der Verteidigungsausgaben bei gleichzeitiger Kürzung des Sozialetats zugestimmt. Da Grässlin auch Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner DFG-VK ist, haben wir hier ein weiteres Indiz für die Trennung von Bürgerinitiativen und den zum Bestandteil des Militärisch-Industriellen Komplexes gewordenen Grünen.
Im Haupteinkaufszentrum Madrids detonierte an der Plaza de Callao um 6.30 h eine Autobombe der baskischen Befreiungsorganisation ETA. Da die Nationalrevolutionäre die Polizei 20 Minuten vorher telefonisch warnten, gab es nur 8 Verletzte. Die 20-Kilo-Ladung verursachte an 27 Hochhäusern und rund 50 Geschäften erheblichen Sachschaden. In Pamplona/Navarra zündeten ETA-Synpathisanten einen kleineren Sprengsatz vor der Wohnungstür des im Urlaub befindlichen konservativen Kommunalpolitikers José Cruz Pérez Lapazaran. Sozialisten und Konservative fordern die gemäßigt nationalistische PNV auf, ihre Zusammenarbeit mit der ETA-nahen Partei Herri Batasuna im baskischen Parlament und den Kommunen zu beenden. Ohne die Unterstützung von HB hat die baskische Regierung jedoch keine parlamentarische Basis mehr.
Berlins CDU-Innensenator Werthebach und Wolfgang Bosbach, Vizefraktionschef der Union im Bundestag, forderten eine Verschärfung des Versammlungsgesetzes. Als Aufhänger muß die NPD-Demo am Brandenburger Tor herhalten. Die CDU hat vorgeschlagen, künftig extremistische Demonstrationen an historisch und politisch bedeutsamen Orten, explizit am Brandenburger Tor, zu verbieten.
Israel hat auf amerikanischen Druck auf den Verkauf des Frühwarnsystems Phaecon (andere Lesart Phalcon) an die Volksrepublik China verzichtet. Tel Aviv annullierte das Geschäft unter Hinweis auf die "Notwendigkeit einer fortgesetzten engen Beziehung mit der amerikanischen Regierung und dem Kongreß". Premier Barak hofft jedoch ausdrücklich auf weitere Rüstungsgeschäfte mit den Chinesen. Washington drohte mit der Kürzung seiner sich auf immerhin 2,8 Milliarden Dollar (davon 2 Milliarden Militärhilfe) belaufenden Hilfsgelder. Im Rahmen der Camp David-Verhandlungen mit Arafat sicherten die USA Israel zu, als Sicherheitsgarantie nach einer Verständigung mit den Palästinensern Raketenabwehrsysteme und Radaranlagen an Tel Aviv zu liefern.
Im französischen Albi hat McDonald´s einen 23jährigen Angestellten entlassen. Der Grund für seinen Hinauswurf bestand darin, daß er sich erfrechte, einer hungernden Bettlerin fünf Hamburger zu schenken. McDonald´s wirft dem Franzosen Vertragsbruch und "Mißachtung der betriebsinternen Mahlzeiten-Politik" vor. Der Gekündigte geht nun zur Begeisterung weiter Teile der französischen Öffentlichkeit vor Gericht.
Horrormeldungen aus dem Internet: Netscape 4.7. sollte wirklich nur von Personen installiert werden, die sich für unbescholtene Bürger halten ("Ich habe nichts zu verbergen"). Das Programm leitet nämlich die Verbindungs- und Downloaddaten aus dem Internet zur weiteren Aus- und Verwertung an den Mutterkonzern AOL Time Warner weiter, welcher traditionell über gute Beziehungen zur CIA verfügt. Nicht genug damit. Die FBI-Akademie in Quantico hat ein Programm namens Carnivore entwickelt. Carnivore wird per von den Anbietern aufgrund gesetzlicher Vorgaben eingerichteter Überwachungsschnittstelle an das Netzwerk derselben angeschlossen und ist dann imstande, wohl anhand der IP-Adresse jede verschickte mail ausfindig zu machen. Ferner spürt Carnivore sein Opfer in Chatrooms auf und erkennt, welche Sites es besucht hat. Das FBI versichert, seine Entwicklung nur nach richterlicher Anordnung einzusetzen. Gewiß, gewiß.
Seit Wochenbeginn riegeln UDA-Einheiten zwei bis drei Dutzend Straßen in Belfast ab und hissen dort die Flagge mit der roten Hand, dem Wahrzeichen des protestantischen Ulster. Die Hauptstadt Nordirlands ist mittlerweile ab 17.00 h wie ausgestorben, und um 19.30 h geht der letzte Bus. Wie in Portadown marschieren vor der abgesperrten katholischen Ormeau Road maskierte protestantische Paramilitärs auf und feuern in die Luft. In Portadown selbst und in anderen Städten griffen Loyalisten die Sicherheitskräfte an. Damit haben sich Johnny Adairs Hardliner sehr zum Unwillen des reaktionären Orange Order nicht nur in Portadown, sondern auch in Belfast an die Spitze des antikatholischen Widerstandes gestellt, der zusehends eine antibritische Spitze bekommt. UDA und LVF wiederum liefern sich derzeit eine blutige Fehde mit der ebenfalls protestantischen, aber dem Friedensabkommen zugeneigten Ulster Volunteer Force UVF. In der Kleinstadt Larne wurde das UVF-Mitglied Andy Cairns erschossen, während ein weiterer Paramilitär in Coleraine bei Derry mit Messerstichen getötet wurde. Ebenfalls bei einer Messerstecherei unter rivalisierenden Loyalisten gab es einen Schwerverletzten in Belfast. Vor einer Polizeistation in Stewartstown explodierte in deutlicher Hörweite Portadowns die Autobombe einer IRA-Splittergruppe. Am Mittwoch marschierten in Belfast und 17 weiteren nordirischen Städten 80.000 Orangisten auf. Mit dem Abflauen der Krawalle zur Wochenmitte gab die Polizei bekannt, daß seit Monatsbeginn 57 Polizisten und 5 Soldaten bei 280 zumeist von Protestanten verübten Angriffen verletzt wurden. Die Sicherheitskräfte nahmen 146 Verhaftungen vor.
Die im malaysischen Kuala Lumpur geführten Verhandlungen der USA und Nordkoreas über Pjöngjangs Raketenprogramm stagnieren. Nordkorea fordert als Kompensation für den Exportstop seiner Raketentechnologie 1 Milliarde US-Dollar von Washington.
Laut "Le Monde" tätigte André Tarallo, ehemaliger Chef der Dependance von Elf Aquitaine in Gabun, vor Gericht folgenschwere Aussagen. Mit Wissen Mitterands und des französischen Finanzministeriums seien 256 Millionen Francs (77 Millionen DM) Schmiergelder für die Leuna-Privatisierung an bundesdeutsche Empfänger und vor allem die CDU geflossen. Die Auszahlung erfolgte über den ehemaligen Nachrichtendienstler Hubert Le Blanc-Bellevaux, der als Kontaktmann zwischen Mitterand und Elf fungierte.
Wie durch Ermittlungen der StA Wiesbaden bekannt wurde, zahlte das Unternehmen Ferrero seit Beginn der 80er Jahre nicht unerhebliche Geldsummen an die hessische CDU. Insgesamt wanderten so 1 Million DM als nicht verbuchte Barspende in die schwarzen Kassen der Landesgeschäftsstelle.
In Zlatare/Kosovo tötete ein amerikanischer KFOR-Soldat ein 7jähriges Kind. Das Mädchen kam ums Leben, als sich bei der Reparatur eines Schulzaunes aus der offensichtlich ungesicherten Waffe des GIs ein Schuß löste. Angaben über die Nationalität waren der dpa-Meldung (aus Sicherheitsgründen?) nicht zu entnehmen. Der ehemalige UCK-Offizier Ramush Haradinaj wurde bei einem mysteriösen Gefecht nahe Streoc verwundet. Die Meldung kam aus dem Brüsseler NATO-Hauptquartier, und Haradinaj befindet sich derzeit zur fürsorglichen Behandlung im US-Hospital Landstuhl bei Kaiserslautern. Die UN haben Ermittlungen aufgenommen. Haradinaj ist Vorsitzender der linksnationalistischen Allianz für die Zukunft des Kosovo, die im Raum Streoc und andernorts gewaltsam gegen die Gemäßigten um Ibrahim Rugova vorgeht. Demnach stellt Hashim Thacis chauvinistische Demokratische Partei des Kosovo nicht mehr die unangefochtene Führungsmacht der Radikalen dar. Haradinajs Linksnationalisten sind möglicherweise auch für die Liquidierung des Rugova-Unterführers Alil Dreshai und des ehemaligen UCK-Offiziers Ekrem "Drini" Rexha verantwortlich.
Die polnische Staatsanwaltschaft Oppeln hat Anklage gegen den ehemaligen Leiter des Arbeitslagers Lambinowice, Geborski, erhoben. In Lambinowice, einem ehemaligen Bestandteil des Auschwitz-Lagerkomplexes, wurden nach 1945 Deutsche zur Zwangsarbeit festgehalten und mißhandelt. Geborski wird die Verantwortung für mindestens 48 Tote angelastet.
Auf dem Flug zum G 8-Gipfel in Japan machte sich Bundesaußenminister Fischer in einem neuen Narrenstück einer Verletzung des nordkoreanischen Luftraumes schuldig. Pjöngjang stufte seine von der Flugbereitschaft der Bundeswehr gestellte Maschine nicht ganz zu unrecht als militärisches Objekt ein und verlangte daher den diplomatischen Antrag auf eine Überfluggnehmigung für nordkoreanisches Territorium. Als diese Stellungnahme in Berlin eintraf, war Fischers Maschine bereits von Helsinki nach Fernost abgeflogen. Nordkorea protestierte formell gegen die durch den Überflug begangene Verletzung seiner Souveränität und wies darauf hin, seine Streitkräfte hätten größte Rücksicht gezeigt. Das Auswärtige Amt verweigert wieder einmal eine vernünftige Stellungnahme über das jüngste Husarenstück seines Chefs.
In der BRD gehen 8,7 % jedes Schuljahrganges ohne einen Abschluß ab. Unter den 20-29jährigen haben 12 % keinen Berufsabschluß und befinden sich auch nicht in der Ausbildung. Bei den 20-25jährigen ist der Anteil der ungelernten Beschäftigten seit 1991 von 11,2 % auf 15,4 % angestiegen. Hauptursache dieses Anstiegs ist der Lehrstellenmangel.
In Finnland finden derzeit wieder einmal Diskussionen über die Rolle der finnischen SS-Veteranen statt. Bei einer Kranzniederlegung in Helsinki, mit der ehemalige Freiwillige des SS-Bataillons "Narwa" ihrer gefallenen Kameraden gedachten, stellte die Garnison eine 8 Mann starke Ehrenwache. Die Zeremonie war Teil eines Treffens mit deutschen Angehörigen der Waffen-SS. Verteidigungsminister Enestam und Gideon Bolotowsky, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Helsinki, drängen auf schnellstmögliche Aufklärung der Vorgänge. In Finnland beziehen ehemalige SS-Freiwillige die gleichen Zusatzrenten wie andere Kriegsteilnehmer. Schon im vorigen Jahr gab es heftige Auseinandersetzungen, als der Kriegsopferverband mit Geldern des Kultusministeriums in der Ukraine ein Denkmal für gefallene deutsche und finnische Angehörige des Bataillons "Narwa" errichten wollte.
Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern verhinderten zumindest vorübergehend eine Telekommunikationsverordnung der Bundesregierung. Die Verordnung hätte das anonyme Benutzen von Telekommunikationsverbindungen unterminiert, ferner hätten die Anbieter Verbindungsdaten 6 statt bisher 3 Monate lang speichern müssen. Verbindungsdaten hätten ungehindert ins Ausland verkauft werden können, auch wenn im Zielland geringere Datenschutzanforderungen gelten. Damit wäre die bundesdeutsche Verordnung sogar hinter der EU-Richtlinie zurückgeblieben.
Hamburgs umstrittener Richter Roland Schill erweitert den bundesrepublikanischen Parteiendschungel um ein weiteres Gewächs: Die Partei Rechtsstaatliche Offensive PRO. Wie nicht anders zu erwarten, handelt es sich hier um eine Mixtur aus STATT-Partei und rechtsbürgerlicher Law-and-Order-Gruppierung. Das Programm fordert eine massive Aufstockung des Polizeiapparates, die Unterbringung gewalttätiger Kinder und Jugendlicher in geschlossenen Heimen, die sofortige Abschiebung von mit Drogen oder Schußwaffen ertappten Ausländern oder die Räumung der linken Logistikzentren in Hamburg. So mancher in den Augen des Verfassers eher als radikalisierter Spießer oder Deutschnationaler zu verortende "Neonazi" mag sich angesichts solcher Forderungen klammheimlich die Hände reiben, aber: Hier werden (wie an anderer Stelle) die Symptome der Krankheit bekämpft und nicht ihre Ursachen.
Die von US-Verteidigungsminister Cohen mit seinem chinesischen Amtskollegen Chi Haotian geführten sicherheitspolitischen Gespräche in Peking endeten nicht gerade in Harmonie. Chi forderte die USA auf, ihr Raketenabwehrsystem NMD schnellstmöglich zu begraben, da es die Abrüstungsbemühungen und das militärische Gleichgewicht störe. Auch die militärische Unterstützung Washingtons für das von Peking als innerchinesische Angelegenheit betrachtete Taiwan stieß auf wenig Gegenliebe. Ferner wurde erstmals einer größeren Öffentlichkeit offenbart, daß die USA beabsichtigen, mit TMD ein taktisches Raketenabwehrsystem mit ihren asiatischen Verbündeten aufzubauen. Ferner gehörte die chinesische Unterstützung des pakistanischen Atomwaffenprogramms zu den Gesprächsthemen.