Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 23. bis 29. Dezember 2000

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

Weiterhin Kritik an Rechtschreibreform

Interne Fehde bei irischer INLA

Mitgliederschwund bei Hamburger DGB

Annäherung zwischen China und Vietnam

Weihnachtsmann als Intifada-Kämpfer

ELN soll Kontrollzone in Kolumbien erhalten

Erste Bilanz der BGS-Hotline gegen Rechts

Kosovo-Uranskandal weitet sich aus

Antifaschistische Aktionswoche

Parlamentswahlen in Serbien

USA vermitteln in Nahost

UCPMP weiterhin im Kosovo aktiv

Vorbehalte bei Israelis und Palästinensern

UNO handelt neues Beitragssystem aus

Syrien kritisiert Clintons Nahostpolitik

Schuldenerlaß für 22 HIPC-Staaten

Rußland liefert Waffen an Iran und Indien

2001: Der Mensch wird interpassiv

PDS: Gabi Zimmer will Debatte über Nation

Playstation 2 als Raketenleitsystem

2001: Mobbing als Leitkultur

Christel Fröhlich freigelassen

Italien erwägt Verbot der Forza Nuova

GSG 9 hebt islamistische Zelle aus

Heiner Müller zum 5. Todestag

Medizinische Entwicklungshilfe durch Kuba

Polizei rüstet auf

Zur wirtschaftlichen Lage Kubas

Internationaler Protesttag gegen Polizeibrutalität

ETA-Anschlag in San Sebastián

 

 

Zitat der Woche:
"In einer Wissensgesellschaft kann es den Antityp, der auf die schädlichen Folgen des Fortschritts verweist, nicht geben, wie ihn der Intellektuelle in der Industriegesellschaft vorstellte. Hier wäre der Außenseiter oder Widersacher schnell als ein Zukurzgekommener angesehen, einer, dem mit zu wissen nicht gelang. Gegen das Können hilft kein Könnenverweigern. Sondern einzig die Novalis-Schlegelsche Divination, das große freie und poetische Abirren im Wissentlichen selbst."
- Botho Strauß

 

Auch 2 ½ Jahre nach der Rechtschreibreform sind die Kritiker nicht verstummt. In der "Frankfurter Rundschau" formulierte der seit 30 Jahren in der BRD lebende arabische Schriftsteller Rafik Shami: "Alle Ausländer zusammen haben der deutschen Kultur nicht soviel Schaden zugefügt wie die deutschen Kultusminister, die mit Gewalt die Rechtschreibreform durchdrückten." Der Jenenser Juraprofessor Rolf Gröschner, der Elternklagen bereits vor dem Bundesverfassungsgericht vertrat, spricht von einer "Lage, in der Ignoranz zur orthographischen Tugend wird". In der Bevölkerung gebe es keinen offenen Widerstand, wohl aber eine "stillschweigende freundlich-lethargische Nichtbeachtung der Neuregelungen". Durch diese kollektive Ignoranz spiegele sich die mangelnde demokratische Legitimation der verordneten Reform wider. Nun ein Leckerbissen für Schubladendenker von "rechts" und "links": In wesentlichen Zügen orientiert sich die Rechtschreibreform an einem Projekt von Reichserziehungsminister Bernhard Rust aus dem Jahr 1944.

 

Der Hamburger DGB hat zwischen 1995 und 1999 einen Nettoverlust von mehr als 27.000 Mitgliedern zu verzeichnen, was 12 % der Organisierten entspricht. Im Gegensatz zu den anderen Einzelverbänden konnte die an Alster und Elbe zweitstärkste Gewerkschaft IG Metall ihren Mitgliederstand leicht steigern. Hauptverlierer ist die Deutsche Postgewerkschaft, die 50 % ihrer Mitglieder einbüßte. Die im Dienstleistungszentrum Hamburg führende ÖTV mußte Verluste von 15 % hinnehmen, was nicht zuletzt auf Rationalisierungen, Zeitarbeitsverträge und Billigarbeitnehmer zurückzuführen ist.

 

Das staatliche Fernsehen in Syrien hat einen Videoclip ausgestrahlt, in dem der Weihnachtsmann zum Intifada-Kämpfer wird und mit Steinen nach israelischen Soldaten wirft. Der Beitrag zeigt den Weihnachtsmann zunächst auf dem Weg nach Jerusalem - fröhlich mit Glöckchen klingelnd. An einer israelischen Straßensperre wird ihm jedoch mit Gewalt die Weiterfahrt verwehrt. Daraufhin mischt er sich unter aufbegehrende palästinensische Jugendliche. Der Spot endet mit der Botschaft: "Aufstand für den Frieden".

 

Die vom Bundesinnenministerium eingerichtete BGS-Hotline zur Denunziation rechtsextremistischer Aktivitäten registrierte nach 100 Tagen 1695 Anrufe. In 85 Fällen (5 % der Anrufe) gab es dabei konkrete Hinweise auf rechtsradikale Vorfälle. Diese Hinweise betrafen unter anderem fremdenfeindlich motivierte Übergriffe, Internetseiten und ein Treffen rechter Jugendlicher in einem Jugendzentrum. 230 Anrufer meldeten Vorfälle wie Hakenkreuzschmierereien außerhalb des Bahngeländes. Der BGS leitete die Zeugenbeobachtungen unverzüglich an die für die Ermittlungen zuständigen Landespolizeien weiter. 898 Anrufer suchten Rat: Eltern, Lehrer, Mitarbeiter öffentlicher Einrichtungen und Vereine sowie Erzieher. Zusätzlich erhofft sich die Bundespolizei durch die Anrufe auch Hinweise auf Vandalismus, Schmierereien, Gefährdungen der Gleisanlagen oder Anschläge gegen Bahnanlagen und Einrichtungen, womit die eigentliche Intention deutlich ausgeweitet wird und auch die zustimmenden Schreihälse in Antifa-Kreisen einbezieht.

 

Das Antifaschistische Aktionsbündnis III initiiert eine vom 24. Januar bis zum 4. Februar laufende Antifaschistische Aktionswoche mit Schwerpunkt in Berlin und Brandenburg. Auf die Dokumentierung das infolge politischer Naivität und Herunterleierns leerer Phrasen vernachlässigenswerten Aufrufes verzichten wir hier und zählen eine Auswahl der beteiligten Organisationen und Personen auf: Antifaschistische Aktion, Bündnis 90/Die Grünen, VVN/BdA, der PDS-Bundestagsabgeordnete Carsten Hübner, die IG Medien, Jugendantifa, IG Medien-Jugend, Jusos, Linksruck, Jungdemokraten und die Schülervertretung der Berufsschule Husum.

 

Nach mehrtägigen Verhandlungen mit Israelis und Palästinensern lotete die US-Regierung den politischen Spielraum für eine Vermittlung in Nahost vor. Clinton verlangte von beiden Seiten Zugeständnisse und Kompromißbereitschaft. Der Vermittlungsvorschlag sieht vor, daß Israel die Kontrolle (die Annexion dieser Gebiete ist international nicht anerkannt, Washington spricht hier fälschlicherweise von Souveränität) über die arabischen Viertel Ostjerusalems einschließlich des Tempelberges mit der Al-Aksa-Moschee aufgibt, die Palästinenser dafür aber auf die Rückkehr des Großteils der 3,7 Millionen Heimatvertriebenen nach Israel verzichten. Die Mehrheit der Flüchtlinge soll vom palästinensischen Staat bzw. von den arabischen Gastländern aufgenommen werden. Eine Alternativlösung ist in israelischen Augen laut "Süddeutscher Zeitung" die Aufnahme durch die USA oder die EU. Das jüdische Viertel in Jerusalem, die Klagemauer und der heilige Boden unter dem Tempelberg werden unter israelischer Souveränität verbleiben. Damit entsprach Clinton genau den politischen Vorstellungen des israelischen Außenministers Ben-Ami. Ferner soll ein Staat Palästina 95 % des Westjordanlandes und den gesamten Gazastreifen umfassen. Die restlichen 5 % der Westbank werden dem israelischen Staat angegliedert, die Palästinenser sollen mit anderen Gebieten entschädigt werden. Hinzu kommt ein 10-15 km breiter Korridor, der Israel den freien Zugang zum Roten Meer sichert. Die israelischen Truppen könnten bis 2003 oder gar 2006 im Jordantal verbleiben und die Grenzen kontrollieren, anschließend soll eine internationale Truppe gebildet werden. Für Mitte Januar visieren die Amerikaner eine Friedenskonferenz in Washington an.

 

Arafat zeigte sich nicht zuletzt auf Druck seiner radikaleren Gefolgsleute zurückhaltend, vor allem Marwan Barguti lehnt die US-Vorschläge strikt ab. Chefunterhändler Yassir Abed Rabbo erklärte, das amerikanische Angebot sei keine Chance, sondern eine Falle. In der Tat würde eine Zustimmung einen Verzicht auf die gegen Israel verabschiedete - aber wie üblich nicht umgesetzte - UN-Resolution 194 bedeuten, die eine Rückkehr aller palästinensischen Heimatvertriebenen und den Rückzug aus allen besetzten Gebieten forderte. Zudem wäre der Palästinenserstaat Israel auch weiterhin wirtschaftlich und militärisch vollkommen ausgeliefert. Die Palästinenser formulierten daher eine Liste mit 45 Fragen an Clinton, wie er sich die konkrete Umsetzung seiner Vorschläge vorstelle. Die israelische Opposition kündigte erbitterten Widerstand und im Falle ihres Wahlsieges die Annullierung eines etwaig geschlossenen Abkommens an, und jüdische Faschisten bedrohten Premier Barak mehr oder weniger offen mit dem Tode. Infolge der ablehnenden Haltung Arafats zu den US-Vorschlägen ließ Barak den vereinbarten Gipfel in Sharm el-Sheikh platzen, nachdem das israelische Kabinett die Gedanken Clintons "mit Vorbehalten" als Verhandlungsgrundlage akzeptiert hatte. Der israelische Regierungschef bekräftigte, mit ihm werde es keinen Verzicht auf den Tempelberg und keine Rückkehr der Heimatvertriebenen geben. Bombenanschläge in Tel Aviv und Sufa leiteten dann die erneute Eskalation des Konfliktes ein. Nach Drohungen der Hamas verschärfte Israel seine Sicherheitsvorkehrungen, was die Zusammenstöße wieder aufleben ließ. Die Verlustzahlen stiegen nur leicht auf 318 Gefallene auf palästinensischer und 43 auf israelischer Seite an.

 

Die syrische Regierungspresse richtete heftige Kritik an die Adresse der USA. Washington wurde aufgefordert, endlich seiner internationalen Verantwortung gerecht zu werden, die UN-Resolutionen zu respektieren und die Politik doppelter Völkerrechtsstandards aufzugeben, ansonsten werde ein gerechter und umfassender Friede in Nahost unmöglich sein. Die USA mißachteten die Rechte der Palästinenser und bevorzugten Israel in entscheidenden Fragen wie dem Status Jerusalems und des Rückkehrrechtes der Heimatvertriebenen. Damaskus hielt der Clinton-Administration ferner vor, die Annexion palästinensischen Landes zu begünstigen.

 

Der russische Verteidigungsminister Marschall Igor Sergejew reiste zur genaueren Spezifikation der vereinbarten Waffenlieferungen in den Iran. Russische Quellen meldeten, daß Moskau mit iranischen Rüstungsaufträgen in Höhe von 7 Milliarden Dollar rechnen kann. Weitere 21 Milliarden Dollar werde das Mullah-Regime in Waffenkäufe in China und der EU investieren. Da die angedrohten amerikanischen Sanktionen gegen Rußland bislang ausblieben, wird spekuliert, ob Putin als Gegenleistung seinen Widerstand gegen NMD abmildern wolle. Für ebenfalls 7 Milliarden Dollar werden die indischen HAL-Flugzeugwerke 140 russische Mehrzweckkampfflugzeuge des Typs SU-30 MKI in Lizenz bauen, weitere 18 Maschinen wurden fertig montiert geliefert. Delhi verhandelt mit dem Kreml derzeit über den Lizenzbau von T-90-Panzern und die Lieferung von dem westlichen Patriot-System überlegenen S-300-Luftabwehrraketen. Bereits Mitte Dezember hatte der iranische Vizeaußenminister Ahani bei einem Besuch in Moskau den Vorschlag unterbreitet, einen Asienpakt zwischen Rußland, dem Iran, Indien und China aufzubauen, um dem aggressiven Vordringen der NATO nach Zentralasien und in den Kaukasus Einhalt zu gebieten. Ein weiterer gemeinsamer Gegner sind Pakistan und das Taliban-Regime in Afghanistan. Allerdings hoffen alle angesprochenen Staaten inclusive des Iran selbst derzeit auf eine Verbesserung der Beziehungen zu Washington.

 

Die PDS-Bundesvorsitzende Gabi Zimmer strebt auch weiterhin eine breite Diskussion über den Begriff der Nation an. Mit diesem "Tabuthema der Linken" solle in neue Wählerschichten eingedrungen werden. Zimmer kritisierte in der "Frankfurter Rundschau", daß die Linke "den Nationenbegriff immer nur in Bezug auf andere Völker zuläßt", ihn in Deutschland aber ausspare.

 

Das FBI warnt vor massenhaften Ankäufen der Playstation 2 durch den Irak. Bagdad ordere die zur raschen Verarbeitung hochkomplexer Bilder fähigen Geräte als Leitsysteme für Raketenwaffen. Japan hatte Sony bereits im April besondere Exportbeschränkungen auferlegt, da die 128-Bit-Konsole ein ideales Raketenleitsystem darstellt. Unter Berufung auf den nach Jordanien geflohenen irakischen Atomphysiker Samlan Yassin Zweir berichtete die britische "Sunday Times", der Irak arbeite seit August 1998 wieder an der Entwicklung einer eigenen Atombombe.

 

In Frankreich ist die als Terroristin verdächtigte Deutsche Christel Fröhlich vergangene Woche aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Fröhlich werden Kontakte zum Top-Terroristen Illich Ramirez Sanchez alias Carlos und Beteiligung an Anschlägen vorgeworfen. Sie wurde vor Beginn ihres Prozesses entlassen, weil sich die Untersuchungshaft einem neuen Gesetz zufolge nicht über mehr als vier Jahre erstrecken darf.

 

In Frankfurt/Main wurden bei einer Aktion der GSG 9 vier mutmaßliche islamische Terroristen verhaftet. Es handelt sich um einen Algerer, zwei Iraker und einen Araber mit französischer Staatsangehörigkeit. Beschlagnahmt wurden u.a. Chemikalien, selbstgefertigte Sprengzünder, Schußwaffen und Munition. Nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft soll die Gruppe in lockerer Verbindung mit der Al-Quaida-Bewegung des international gesuchten Osama Bin Laden stehen. Die Frankfurter Zelle dürfte jedoch eher organisatorisch-logistische als militärische Aufgaben erfüllt haben.

 

In der kubanischen Hauptstadt La Habana wurde 1999 ein großangelegtes Projekt der medizinischen Entwicklungshilfe eröffnet. Bereits seit Jahren unterstützte Kuba das Gesundheitssystem in 18 Staaten Lateinamerikas und Afrikas durch die Entsendung von Medizinern in ländliche Regionen, bis es die Lateinamerikanische Schule für Medizinische Wissenschaften schuf. Hier studieren bisher 3440 Studenten und Studentinnen in den ersten 2 Jahrgängen (vorgesehen sind 6 mit 9000 Studierenden) und sollen zu Allgemeinmedizinern ausgebildet werden. Die Hochschule wird aus ganz Lateinamerika sowie aus Nigeria, Guinea-Bissao, Äquatorialguinea und von den Kapverden beschickt. Im nächsten Jahr sollen auch 500 Studierende aus den USA aufgenommen werden, zumeist Angehörige von Minderheiten aus strukturschwachen Gebieten.

 

Auf Kuba haben die seit 1993 eingeleiteten Wirtschaftsreformen deutlich an Schwung verloren. Die Zahl der Selbständigen ist von mehr als 200.000 Anfang 1996 auf 120.000 gesunken, und diese Kleinstunternehmer werden auch noch durch hohe Steuern und Bürokratie an der wirtschaftlichen Entfaltung verhindert. Die Staatsbetriebe müssen mittlerweile ihre Unkosten selber decken und dürfen Produkte auf eigene Rechnung exportieren. Das BIP wird im Jahr 2000 um rund 5,7 % steigen, was vor allem auf Tourismus, Landwirtschaft und weiterverarbeitende Industrie zurückzuführen ist. Dank neuer Erdölfunde vor der Nordküste kann das Land 45 % seines Ölbedarfes für die Stromerzeugung selbst decken. Erstmals seit dem Zusammenbruch des Ostblocks sind die Exporte wertmäßig stärker als die Importe gewachsen, dürften aber immer noch mindestens 2 Milliarden Dollar hinter den Einfuhren zurückliegen. Das Handelsembargo durch die USA schreckt weiterhin viele Investoren ab. Da Castro 1986 den Schuldendienst gegenüber dem kapitalistischen Ausland einstellte, ist Kuba seitdem nicht mehr kreditwürdig. Mit den im Pariser Club vereinigten Gläubigerländern wird bereits über eine Rückzahlung der Schulden von 11 Milliarden Dollar verhandelt. Die BRD hat schon vor Monaten eine separate Vereinbarung über die Rückzahlung von 230 Millionen DM bis Ende 2021 geschlossen und unterstützt deutsche Exporteure mit Hermesbürgschaften.

 

Bei der Explosion einer Zwei-Kilo-Bombe vor einem Gebäude der Sozialversicherung in der nordspanischen Stadt San Sebastian ist ein Passant durch Glassplitter leicht verletzt worden. Die baskische Regionalregierung machte am Donnerstag die Separatistenorganisation ETA für den Terroranschlag verantwortlich.

 

Im Raum Dundalk/Republik Irland scheint sich eine blutige Fehde innerhalb der linksnationalistischen Irish National Liberation Army INLA abzuspielen. Jüngstes Opfer ist der 48jährige Anthony Cunnane, der von einem INLA-Kommando in seinem Haus niedergeschossen wurde und schwere Verletzungen davontrug. Seit einem knappen halben Jahr wird die Region von der örtlichen INLA-Einheit durch brutale Bestrafungsaktionen gegen Kriminelle oder Schutzgeldverweigerer terrorisiert. Das erste Opfer war im Juli der 26jährige Kneipenbesitzer Stephen Connolly, der die Verweigerung einer Schutzgeldzahlung mit dem Leben bezahlte. Daraufhin wurde im August der lokale INLA-Führer "Mad Nick" O´Hare von seinen eigenen Leuten erschossen. Im Zusammenhang mit Vorgängen in North Belfast, wo das INLA-Oberkommando bereits Maßnahmen gegen eine in kriminelle Aktivitäten verwickelte Renegatengruppe angekündigt hat, wagen wir die Prognose, daß die Anschläge auf O´Hare und Cunnane als Vollstreckung von Todesurteilen zu sehen sind. Auch in Dublin soll die INLA-Einheit derzeit nach Polizeiangaben (und nach denen der IRA) eine Metamorphose von der paramilitärischen zur kriminellen Organisation vollziehen und liefert sich Bandenkriege mit Kriminellen. Die Irish Republican Socialist Party als politischer Flügel der Organisation dementiert kriminelle Verwicklungen kategorisch.

 

Der vietnamesische Staatspräsident Tran Duc Luong traf zu einem fünftägigen Besuch in China ein. Die beiden Volksrepubliken unterzeichneten eine Reihe von Vereinbarungen, darunter ein Abkommen über die Grenzlinie im Golf von Tonkin. Strittige Fragen wie die von beiden Ländern beanspruchten Spratly- oder Paracel-Inseln im Südchinesischen Meer (hier werden Ölvorkommen vermutet) wurden ausgeklammert. Weiterhin unterzeichneten China und Vietnam ein Fischereiabkommen, ein Rahmenabkommen für die Zusammenarbeit im 21. Jahrhundert und einen Vertrag über die Nutzung der Atomenergie.

 

Kolumbiens Staatspräsident Andrés Pastrana hat unter kubanischer Vermittlung der zweitgrößten Guerrillabewegung ELN (Nationales Befreiungsheer) zur Erleichterung von Verhandlungen eine eigene Kontrollzone in der Provinz Bolívar im Norden des Landes angeboten. Im Vorfeld hatte die ELN 42 gefangene Polizisten und Soldaten als Friedensgeste freigelassen. Das Abkommen soll nach den negativen Erfahrungen mit der FARC-Zone der betroffenen Bevölkerung vorgelegt werden - eine Zustimmung gilt als unwahrscheinlich. Die stark unter kubanischem Einfluß stehende ELN besteht aus etwa 5000 Kämpfern und operiert hauptsächlich gegen die wirtschaftliche Infrastruktur. In Kolumbien sind im Jahr 2000 mindestens 38.820 Menschen eines gewaltsamen Todes gestorben - 7 % mehr als im Vorjahr. Auch 2001 droht eine Eskalation zum regionalen Konflikt: Venezuelas Präsident Hugo Chavez steht unter beträchtlichem innenpolitischen Druck der bürgerlichen Opposition und könnte die traditionellen Grenzstreitigkeiten, die im vorigen Jahrhundert schon einmal zum Krieg führten, als Ventil nutzen. Bogotá wirft Chavez seit geraumer Zeit die Unterstützung der FARC vor.

 

Nach Italien, Spanien und Belgien hat jetzt auch Portugal eine medizinische Untersuchung seiner im Kosovo eingesetzten Soldaten angeordnet, um etwaige Strahlenschäden durch die Uranmantelgeschosse der NATO zu ermitteln. Das Verteidigungsministerium gab keine Stellungnahme zum Beschluß der Kabinettsmehrheit ab, und der Generalstabschef titulierte die Berichte über die radioaktive Verseuchung der Truppe als "serbische Propaganda". Mit Unteroffizier Luis Paulino ist auch in Portugal bereits der erste Todesfall bekannt. Paulino starb drei Wochen nach seiner Heimkehr aus dem Kosovo.

 

Die vorgezogenen Neuwahlen in der jugoslawischen Teilrepublik Serbien endeten nicht überraschend mit einem Sieg des demokratischen Bündnisses DOS gegen die von Slobodan Milosevic geführten Sozialisten. Zoran Djindjic als designierter Ministerpräsident kündigte an, den gestürzten Diktator in Serbien selbst vor Gericht zu stellen, damit er sich für Korruption, Verbrechen und Wahlbetrug verantworte. Die Demokratische Opposition Serbiens wird mit 64 % der Stimmen und 176 Sitzen stärkste politische Kraft, gefolgt von der sozialistischen SPS mit 15 % und 37 Sitzen, der ultranationalistischen Radikalen Partei mit 9 % und 23 Sitzen sowie der rechtsextremistischen Partei der Serbischen Einheit des im Januar 2000 auf Befehl Milosevics ermordeten Milizenführers Arkan mit 5 % und 14 Mandaten. Weniger als 1 % erhielten zwei sozialistische Splittergruppen, und die Jugoslawische Linke JUL der Milosevic-Gemahlin Mira Markovic wurde mit ganzen 15.000 Schreiben regelrecht eliminiert. In den serbischen Enklaven im Kosovo setzten die Sozialisten sich indessen gegen die DOS durch und wurden stärkste Partei. Die Wahlbeteiligung lag bei nur 58 %. Balkanexperten erwarten nun einen Machtkampf zwischen dem gemäßigteren Kostunica und dem energischen Djindjic, der vor allem einen Zerfall des jugoslawischen Reststaates verhindern will. Montenegros Regierungschef Djukanovic kündigte unterdessen für das kommende Jahr eine Volksbefragung an, ob sein Land Serbien nur noch in einer lockeren Union nach Vorbild der GUS verbunden sein solle. Dieses Modell traf auf entschiedene Ablehnung durch Djindjic, der jedoch einen Militäreinsatz ausschloß. Da die Volkspartei NS die montenegrinische Regierung aus Protest gegen den Separatismus verließ, verfügt Djukanovic nur noch über eine Tolerierungsmehrheit im Parlament.

 

In der Pufferzone zwischen dem Kosovo und Restserbien entführten albanische Partisanen der UCPMB 4 serbische Zivilisten, um 22 albanische Nationalisten freizupressen. Im Presevo-Tal kam es zu Artillerieduellen, und auch nach KFOR-Meldungen werden die jugoslawischen Stellungen für eine albanische Offensive ausgekundschaftet. Jugoslawien forderte mittlerweile vom UN-Sicherheitsrat eine Verkleinerung der 5 km breiten "entmilitarisierten Zone", um sie effektiver überwachen zu können. Belgrad bereitet die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Albanien vor, das gegenüber den Positionen der großalbanischen Extremisten mittlerweile eine distanziertere Haltung einnimmt.

 

Die 189 Mitgliedsstaaten der UNO haben sich auf ein neues Beitragssystem geeinigt. Während 18 Staaten, darunter Rußland, Südkorea, Singapur und Brasilien, ihre Beiträge erhöhen, werden diejenigen der Supermacht USA gekürzt. Washingtons Beitrag wird von 25 auf 22 % und damit 1,1 Milliarden Dollar verringert. Bei den variablen Kosten, d.h. den Aufwendungen für militärische Missionen, sinkt Amerikas Beitrag von 30,5 auf 25 % und 3 Milliarden Dollar. Der US-Medienmogul Ted Turner spendet der UNO 34 Millionen Dollar, um den durch die Kürzungen entstehenden Einnahmenverlust auszugleichen. Japans UN-Beitrag fällt von 20,5 auf weniger als 20 %. Der neue Bemessungsschlüssel beruht auf dem durchschnittlichen BSP eines Staates in den zurückliegenden 4 ½ Jahren. Spannend bleibt, ob Washington sich endlich bequemt, seine Beitragsrückstände in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar zu begleichen.

 

Nunmehr 22 Länder sind in den Genuß eines Schuldenerlasses durch das HIPC-Programm gelangt. Insgesamt wurden den Highly Indebted Poor Countries 34 Milliarden Dollar Schulden erlassen, was einer Verringerung der jährlichen Zinslast um durchschnittlich 50 % entspricht. Die letzten Profiteure waren Madagaskar (1,5 Milliarden Dollar), Ruanda und Guinea (je 800 Millionen Dollar). 18 der HIPC-Staaten befinden sich in Schwarzafrika und 4 in Lateinamerika. Konkret umgesetzt wurden die Zusicherungen von IWF und Weltbank bislang nur in 3 Fällen.

 

Der Hamburger Trendforscher Professor Peter Wippermann erging sich im "Hamburger Abendblatt" in düsteren Prognosen für das kommende Jahr: "Roboter übernehmen soziale Funktionen. Wer ein lernfähiges Spielzeug besitzt, fühlt sich nicht mehr allein. Die Scheinwelt des Virtuellen ist in das Leben herübergezogen worden. Menschen delegieren Fürsorge an Apparate." Der Mensch werde 2001 interpassiv, weil immer mehr Arbeit an Apparate übertragen werde. Hinter dem dramatisch verschärften Trend zur asozialen Ich-AG verberge sich das Individuum, das im Handy- und Internetzeitalter unabhängig in selbstgewählten Bindungen lebt.

 

Stephan Speicher fügt in der "Berliner Zeitung" hinzu: "Die Alternative" hieß eine linke Zeitschrift des alten West-Berlins; Tina - there is no alternative war die Devise Margret Thatchers. Durchgesetzt hat sich bekanntlich Thatcher, und das ist doch recht merkwürdig. Ihr Programm eines erneuerten, erfrischten, unsentimentalen Kapitalismus sollte doch durch Markt und Wettbewerb zu mehr Freiheit und mehr Wahlmöglichkeiten führen. Hier und da ist es auch so, aber vorherrschend bleibt stattdessen doch der Eindruck der Alternativlosigkeit. Alternativlos sind Liberalismus und Kapitalismus, und alternativlos ist der Fortschritt in den Wissenschaften. Zu den Therapiemöglichkeiten aus embryonalen Stammzellen beispielsweise gibt es auch schon keine Alternative mehr. (...) Wenn die Nachbarn es tun, bedeutet das nicht, dass wir es auch anders halten könnten. Es bedeutet, daß wir als Globalisierte mitfahren im 'Rast ich, so rost ich'-Zug."

 

Anhand der Containershow "Big Brother" mahnt der Sozialethiker Thomas Bohrmann in der "Süddeutschen Zeitung", die Unterhaltungsindustrie habe unter Orientierung an der Ich-AG bereits das systematische Mobbing zur Leitkultur erhoben. "Als Soziologe sage ich: Toll! Die haben das Lebensgefühl der Jugend ganz genau getroffen. Als Ethiker aber: Eine Katastrophe! Das Leitmotiv des Spiels ist Mobbing." Irritierend wirkt vor allem, daß die Bewohner sich nicht gegen die Maschinerie wehren, sondern bereitwillig funktionieren. Anstelle von gesellschaftlicher Integration trete die Eliminierung, das "Abwählen". Durch geschickte Bildzusammenschnitte, also durch selektive bzw. selektierte Wahrnehmung werden Persönlichkeiten auf ein bestimmtes Element reduziert und geradezu stigmatisiert.

 

Das italienische Innenministerium prüft nach dem Bombenanschlag auf eine kommunistische Zeitung und der Mißhandlung eines aufdringlichen Journalisten in Rom ein Verbot der Organisation Forza Nuova. Innenminister Enzo Bianco strebt nach einem Verbot per Dekret, da sein Ministerium der FN systematische Gewalttätigkeit gegen politische Gegner ankreidet. Die Forza Nuova zählt 2500 Mitglieder und besteht angeblich seit 1997.

 

Am 30. Dezember 1995 starb der deutsche Dramatiker Heiner Müller. In der "Berliner Zeitung" bemerkt Stephan Suschke hierzu in bitteren Worten: "Sein Begräbnis war erstklassig besetzt. Ministerpräsidenten waren anwesend, Dichter, eine Unmenge von Intendanten, Regisseure, Schauspieler. Ein Staatsbegräbnis erster Klasse. Die Umarmung der neuen Bundesrepublik war ähnlich wirksam wie zehn Jahre zuvor die Verleihung des Nationalpreises der DDR: der Staatsdichter ist unser. Die Eingemeindung in den Status quo der Bundesrepublik war Voraussetzung für die nächste Beerdigung, die seines Werkes. Vor der Beerdigung fand die mit zwei Wochen längste Müller-Lesung im Berliner Ensemble statt. Wir dachten, sie wäre in seinem Sinne, dabei war sie ein Aufscheinen der Trauerprozessionen wie zu Stalins Tod. Wir begriffen nicht, daß wir Statisten waren, als es darum ging, die Texte mit zu begraben. Fünf Jahre später werden seine Stücke in Deutschland nicht gespielt, ausgenommen 'Quartett', sein intelligenter Beitrag zum Boulevard. Müller trug selber sein Scherflein bei, als er durch die Talkshows tingelte, mit der gleichen Absicht wie bei der Stasi, um sie zu benutzen. Aber er hätte es besser wissen müssen. (...) Heiner Müller gehört mittlerweile in die Kategorie 'DDR-Literatur', ein Begriff für einen Sachverhalt, den es vielleicht niemals gab. Aber als Begriff ist er bequem, weil es ein Begriff der Ausgrenzung ist. (...) Dabei ist gerade die Literatur, die auf dem Staatsgebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik entstanden ist, originäre deutsche Literatur, weil es keine Beschleunigung durch den Literaturbetrieb gab. (...) Müllers 'deutsche' Stücke erzählen von dem Deutschland, (das manchmal ein asiatischer Vorposten ist), das man auf dem schnellen Weg nach Europa überspringen will. Aber ohne deutsche Identität wird die Öffnung nach Europa Schimäre bleiben. (...) Müllers Stücke sind sperrig, weil sie die mythologische Last der deutschen Geschichte mitschleppen - tatsächlich soll es unterhalb der Börsenkurse noch anderes geben als Börsenkurse. Das derzeitige Desinteresse an Müllers Stücken ist ein weitgehender Konsens zwischen politischem Klima und Theatermachern. Die neue Bundesrepublik ist wie die alte: die gesellschaftliche Entwicklung scheint festgeschrieben. Sie ist konsensfähig für die opportunistischen Grünen, wie für die opportunistische PDS, die sich um die schwammige 'Mitte' aus CDU und SPD scharen, beim sehnsüchtigen Tanz um das Goldene Kalb. Daß die 'Ränder' auf der Strecke bleiben, ist das notwendige Übel der Globalisierung (....). Obwohl die Marktwirtschaft kein Problem der Menschheit bewältigt hat, wird sie nicht mal reformistisch in Frage gestellt. (...) Die fortwuchernde Verödung der Sprache zehrt nicht nur an der ästhetischen und moralischen Verantwortung, sondern beschreibt die Gefährdung des Menschen."

 

Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU) kündigte eine Aufrüstung der Polizei an. Die Beamten sollen mit Revolvern, Pfefferspray und neuartiger Munition ausgerüstet werden. Unter letzterer ist sogenannte Action-Munition zu verstehen - die Geschosse verformen sich beim Einschlag und bleiben im Ziel stecken. Die bisher üblichen Vollmantelgeschosse stellten infolge ihrer hohen Durchschlagskraft eine Gefahr für Unbeteiligte dar. Ferner erleidet der Getroffene beim Aufprall der Deformationsgeschosse einen Schock und wird mit höherer Wahrscheinlichkeit bewegungsunfähig. Durch Abänderung des Gesetzes über die Anwendung des unmittelbaren Zwangs UzwG können die Beamten wählen, ob sie Pistolen oder ladehemmungssichere Revolver einsetzen. Die vorgesehene Kameraüberwachung von 30 öffentlichen Räumen und "gefährdeten Objekten" wird sich im Einzelfall auf zu observierende Personen konzentrieren. In Brandenburg ist die Ausstattung der Polizei mit schuß- und stichsicheren Westen vorgesehen.

 

Am 15. März des Jahres 2001 wird der 5. Internationale Protesttag (IPGP) gegen Polizeibrutalität abgehalten. Die Initiatoren der Protestbewegung waren anno 1997 das Schweizer Kollektiv Drapeau Noir und eine kanadische Bürgerrechtsbewegung. Zitieren wir, wie üblich stilistisch bereinigt (der Text scheint eine lausige Übersetzung aus dem Französischen zu sein), aus einem Aufruf: "Dieser Polizeibrutalität anprangernde Tag ermöglicht die Begründung und Verstärkung der Verbindungen zwischen den Gruppen, die weltweit direkt und indirekt gegen diese staatliche Brutalität kämpfen. Er schafft internationale Solidarität, die angesichts der weltweit kollaborierenden und äußerst gut organisierten Polizei unbedingt notwendig ist. (...) Er zerbricht den Mythos der Einstimmigkeit über die tugendhaften Werte der Polizei, der vor allem durch pro-polizeiliche Fernsehsendungen, Hollywoddfilme und Massenmedien unterstützt wird. Er bringt Gruppen und Individuen ans Licht, die wegen ihres Engagements in diesem Kampf täglich verfolgt werden. (...) Es ist die Entscheidung der Polizei, ein 'Verbrechen' zu bestrafen, ein 'Gesetz' an einem Ort und zu einer Zeit anzuwenden. Die Polizei, Vollbeauftragter des Staates, übertritt überall und jeden Augenblick die Gesetze (...). Sie mißbraucht ununterbrochen ihre Vollmachten und sie läßt ihrer Gewalt straflos freien Lauf. Die Polizei beobachtet, kontrolliert, spioniert, vergibt Geldstrafen, mißachtet, verfolgt, verhaftet, quält, prügelt, foltert, sperrt ein, deportiert, entehrt und tötet. Sie zielt vor allem auf die Unerwünschten der Gesellschaft (gefährliche Klassen) ab. (...) Der Kluft zwischen Armen und Reichen, der unvermeidlichen Erhöhung der Armut, dem Elend und der allgemeinen Verschlechterung der Lebensbedingungen entgegenwirkend investieren die Regierung in den Polizeiapparat, damit Ordnung und Sozialfrieden um jeden Preis herrschen. (...) Jedes Kollektiv, jeder Mensch entscheidet über seine Aktionsmittel in Abhängigkeit von der politischen Lage des jeweiligen Landes, der Durchführbarkeit bestimmter Aktionen, der Verfügbarkeit finanzieller Mittel usw. Der Schlüssel ist unsere Phantasie, unsere Kreativität."

 

 

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