Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 22. bis 28. April 2000

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

Hürland-Büning vor dem Spendenausschuß

Großbritanniens Wirtschaft ist angeschlagen

Haider vergleicht EU mit dem alten Rom

Franzosen bekämpfen Amerikanisierung

Bundeswehr: Moral auf dem Balkan erreicht Nullpunkt

Streit um das bretonische Wörterbuch

UNO warnt vor US-Raketenabwehrplänen

Amato neuer italienischer Ministerpräsident

Neue Militärdoktrin in Rußland

Albanischer Terror gegen Kosovo-Serben

 

Zitat der Woche:
"Die Überschätzung der Technik über die materielle Zweckmäßigkeit hinaus führt in eine von allen guten und bösen Geistern verlassene, phantasielose, insektenhafte Tatsächlichkeit, die dadurch so idiotisch wird, daß sie ohne jegliche innere Berechtigung nur noch um ihrer selbst willen da ist."  
- Franz Schauwecker

Vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestages zur Spendenaffäre sagte unter anderem Agnes Hürland-Büning aus. Die CDU-Politikerin fungierte nicht nur während ihrer von 1987 bis 1991 ausgeübten Tätigkeit als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium als verlängerter Arm von Thyssen und Elf Aquitaine. Zur gleichen Zeit ging dort der mittlerweile in Südostasien untergetauchte Holger Pfahls als Staatssekretär seinen dunklen Geschäften nach. Durch ihre vehementen Einsprüche verhinderte Hürland-Büning den Bau einer ESSO-Pipeline von Wilhelmshaven nach Ingolstadt, die eine Konkurrenz für die Leuna-Pipeline in die neuen Länder gewesen wäre.  Nach dem Ausscheiden aus ihrem Amt arbeitete die Staatssekretärin a.D. als Beraterin für den berüchtigten Wirtschaftslobbyisten Dieter Holzer, an den sie ferner 3,5 Millionen DM ihrer Schmiergelder weiterreichte. Hürland-Büning kassierte 8,5 Millionen DM von diversen Firmen (davon 1 Million für das Leuna-Geschäft, 5 Millionen für ein Bauprojekt in Berlin und 2,5 Millionen für dubiose Geschäfte mit e-plus), denen sich 1992 und 1993 je 285.000 DM von Elf Aquitaine hinzugesellten. Das Ausscheiden aus dem Verteidigungsministerium verzuckerte der Staat übrigens mit einem Übergangsgeld von 280.000 DM sowie einer Monatspension von 13.000 DM. Damit nicht genug: Agnes Hürland-Büning trieb ihr Unwesen später in der Bundeswehr-Zukunftskommission unter der Regie des Richard von Weizsäcker. Ihre Mitgliedschaft ließ sie erst ruhen, als ihr Name immer öfter im Zusammenhang mit der Kohl-Affäre genannt wurde. 

   

Jörg Haider ließ im Magazin NEWS zur EU verlauten: "Diese ganze Vereinigung ist genauso unmoralisch und politisch dekadent wie das alte Rom. In der Provnz läßt man arbeiten, um dann die entrichteten Gelder zu verprassen." Das Gegengewicht gegen das korrupte EU-Establishment sollen laut Haider die vielen "demokratischen Bewegungen" in Europa sein. Der scheidende FPÖ-Vorsitzende forderte, noch vor dem Sommer eine Volksabstimmung über den Austritt Österreichs aus der EU abzuhalten.

   

Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr berichtet, daß die auf dem Balkan eingesetzten Soldaten der Ansicht sind, sie selbst und ihre Vorgesetzten seien mangelhaft auf die Auslandskommandos vorbereitet. Als zweitgrößte Gefahr nach Landminen erscheint 45,7 % der Soldaten die Sorge, ihre Vorgesetzten könnten in Gefahrensituationen versagen. Weitere 35,6 % der Truppe fürchtet "unberechenbares Verhalten von Kameraden". Die Äußerungen werfen ein bezeichnendes Licht auf den psychologischen Zustand der Bundeswehr. Ferner gehen 9 % der Ehen und Partnerschaften nach der Rückkehr in die Brüche. Interessant wären in diesem Zusammenhang Umfrageergebnisse bezüglich der erbärmlich schlechten, teilweise seit 30 Jahren veralteten Ausrüstung, mit der die Truppe in durchaus gefahrenträchtige Einsätze im Solde Amerikas gehetzt wird.

   

Zur Eröffnung der UN-Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag NPT in New York warnte UN-Generalsekretär Annan vor den Plänen der USA, ein Raketenabwehrsystem zu installieren. Dieses könnte die weltweite nukleare Abrüstung zurückwerfen und den ABM-Vertrag zur starken Beschränkung derartiger Waffensysteme gefährden. Washington begründet seine Pläne mit der baldigen Bedrohung durch Langstreckenraketen aus dem Iran, dem Irak und Nordkorea, die seine Fähigkeit, der ganzen Welt militärisch seinen Willen aufzuzwingen, gefährden würde. Das System solle nur für einige Dutzend anfliegende Raketen ausreichen und nicht etwa die russische Fähigkeit zum Gegen- oder Erstschlag lähmen. Nach den Zahlen des Haushaltsausschusses des US-Kongresses wird das Abwehrsystem nunmehr 60 Milliarden Dollar kosten. Bis 2015 sollen auf die erste Ausbaustufe von 100 in Alaska stationierten Abfangraketen mit modernstem Radar-Frühwarnsystem zwei weitere Stufen mit 24 tieffliegenden Infrarotsatelliten bzw. 150 weiteren Raketenbasen folgen.

 

Rußland setzte kurz zuvor seine neue Militärdoktrin in Kraft und behält sich damit einen atomaren Gegenschlag auch bei einem Angriff mit konventionellen Waffen vor. Ursache für die Absenkung der nuklearen Hemmschwelle sind der islamische Extremismus sowie die den UN-Sicherheitsrat übergehende NATO-Militärkonzeption. Putin will die Dominanz von NATO und USA zurückdrängen und eine multipolare Welt mit mehreren Großmächten schaffen, was vor allem in Indien und China auf Gegenliebe treffen dürfte. Nahm die Sowjetunion nur die militärische Stärke als Kennzeichen einer Supermacht zur Kenntnis, so fügt Rußland nun die wirtschaftliche Kapazität hinzu. Hauptsorge Moskaus ist, es könne vom Westen auf die Rolle eines Rohstofflieferanten beschränkt werden. Insbesondere im Kaukasus und in Zentralasien, die in den letzten Jahren stark unter den Einfluß anglo-amerikanischer Ölmultis geraten sind, kündigte Putin eine energischere russische Politik an. Im Gegensatz zu den USA, China, Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea hat Rußland immerhin den Atomteststop-Vertrag unterzeichnet und ist bemüht, das offensichtlich von der Clinton-Administration angestrebte neue Atomwettrüsten durch Ratifikation des START II-Abkommens zu unterlaufen. US-Außenministerin Albright sprach sich bereits bezeichnenderweise gegen die von Moskau angeregte Beschleunigung der atomaren Abrüstungsverhandlungen (START III) aus.

 

In Großbritannien wächst die Kritik an Gerhard Schröders wirtschafts- und sozialpolitischem Vorbild Tony Blair. Hintergrund ist die bedrohliche Lage in der verarbeitenden Industrie, die von New Labour zugunsten der Dienstleistungs- und der IT-Branche vernachlässigt wird. Zum Rover-Debakel und der nahenden Schließung des Ford-Werkes in Dagenham bei London gesellen sich drohende Massenentlassungen bei British Steel und der marode Kohlenbergbau, der bereits von London mit 100 Millionen Pfund unterstützt werden muß.  Während alleine London ein höheres BIP als die Schweiz erwirtschaftet, ist die Wirtschaftsleistung in Teilen von Wales und im Nordosten auf das Niveau Ungarns oder Chiles abgesunken. Gegenüber deutschen und amerikanischen Betrieben liegt die Produktivität der Verarbeitenden Industrie nur bei 80 %. Seit der Wahl Labours im Mai 1997 sind hier bereits 250.000 Arbeitsplätze verlorengegangen; der Anteil des verarbeitenden Gewerbes am BIP schrumpfte um 2 auf 16,5 %. Die amtlichen Statistiken, welche die geringste Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren ausweisen, sind eindeutig geschönt. Beispielsweise sind in Barrow 20 % aller arbeitsfähigen Personen erwerbslos. In den Statistiken tauchen jedoch nur 6 % auf, da der Großteil der Arbeitslosen keine Arbeitslosenunterstützung mehr erhält, sondern mit Krankengeld dahinvegetiert. In Großbritannien leben 7 Millionen Menschen an oder unterhalb der Armutsgrenze. 

 

In Frankreich hat der 1996 gegründete Verein "Le droit de comprende" zum Schutz der französischen Sprache vor einsickernden Fremdwörtern bereits 6000 Mitglieder und wird vom Kultusministerium mit 345.000 Francs im Jahr gefördert. Vorsitzender ist der Algerienveteran Marceau Déchamps. Bisher haben die Aktivisten im vor allem gegen Anglismen gerichteten Sprachenkampf bereits 1200 Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Gesetz zum Schutz der französischen Sprache von 1994 anstrengen können. So wurden 15 Unternehmen zu Geldstrafen von bis zu 100.000 Francs verurteilt, weil sie sich weigerten, ihre transnationalen Slogans zu französisieren. Betroffen waren u.a. Yahoo und Nike.

 

Sprachenkampf Teil 2: In Frankreich finden öffentliche Auseinandersetzungen um das bretonische Wörterbuch "Geriadur Brezhoneg" statt. Das Lexikon ist dem bretonischen Dichter Roparz Hemon gewidmet, einem ehemaligen Mitarbeiter des Reichspropagandaministeriums. Zu den wichtigsten Autoren gehörte der am 3. November 1999 verstorbene Alan Heusaff. Dieser war im Krieg Aktivist der antifranzösischen Milizeinheit Bezen Perrot. Im irischen Exil heiratete war er 1961 Mitbegründer der Celtic League, die für das Überleben und die Unabhängigkeit der sechs keltischen Nationen in Europa kämpft. Zu den beanstandeten Stellen im Wörterbuch gehört die Definition des Wortes "existieren": Die Bretagne werde erst dann vollauf existieren, wenn das Französische daselbst zerstört sein wird. 

 

Mit 319 gegen 298 Stimmen bestätigte das italienische Parlament den neuen Ministerpräsidenten Giuliano Amato als Leiter einer instabilen Mehrparteienkoalition. Schon die angestrebte deutliche Verkleinerung des aufgeblähten Kabinetts mißlang dem neuen Mann, der schon 1992/93 amtierte. Trotz ihrer Mitarbeit im Regierungslager kritisierten Grüne und Demokraten Amato wegen seiner Politik bzw. der dunklen Vergangenheit. Oppositionsführer Berlusconi nannte den Ministerpräsidenten den "Konkursverwalter einer im Sterben liegenden Mehrheit", während Gianfranco Fini von der Alleanza Nazionale den Tag seiner Wahl zu einem der schwärzesten Tage in der Geschichte der italienischen Republik erklärte. Antonio Di Pietro, populärer ehemaliger Korruptionsermittler, verließ aus Protest gegen Amato die Demokraten. Der grüne Spitzenpolitiker Edo Ronchi lehnte brüsk seine Ernennung zum Europaminister ab, da die Grünen das Umweltressort verloren. Amato erfreut sich in weiten Kreisen der italienischen Öffentlichkeit keines guten Rufes, weil er als politischer Ziehsohn des korrupten Sozialistenführers Bettino Craxi gilt, der Anfang der 90er Jahre zu insgesamt 20 Jahren Haft verurteilt wurde.

 

Im UN-Protektorat Kosovo attackierten albanische Terroristen einen Krankenwagen, der ein serbisches Kind über die Grenze nach Serbien bringen wollte - im Land fand sich kein Arzt, der es behandeln wollte. Während zwei serbische Polizisten verwundet wurden, fanden zwei UCK-Banditen den Tod. In Grncar detonierte ein von Albanern gelegter Sprengsatz in einem als orthodoxe Kirche benutzten Haus. In Mitrovica griff quasi unter den Augen einer Delegation des UN-Sicherheitsrates ein albanischer Mob zwei Busse an, die Serben von der Karfreitagsmesse nach Hause brachten. Die Messe im albanischen Südteil der Stadt mußte von Bereitschaftspolizei und Panzerwagen geschützt werden.

 

 

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