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Gedanken zur Gewerkschaftsfrage
Verfasser: Richard Schapke
Seit Mitte der 80er Jahre erlebt die BRD einen anhaltenden Verfall der betrieblichen Mitbestimmung. Waren damals rund 50 % der Arbeitnehmer durch Betriebsr�te vertreten, die infolge der in Teilen nach wie vor g�ltigen hitleristischen Arbeitsgesetzgebung ohnehin eher Konfliktpuffer als Arbeitnehmervertreter sind, so ist der Vertretungsgrad im Jahr 2000 auf 35 % gefallen. Von den Kleinbetrieben mit 5 bis 20 Arbeitnehmern weisen nur 4 % einen Betriebsrat auf, in mittleren Betrieben mit 21 bis 100 Arbeitnehmern nur 28 %. Es gilt als arbeitsrechtliches Gemeingut, da� gerade in mittelst�ndischen Betrieben der Widerstand der Arbeitgeber gegen die Einrichtung eines Betriebsrates besonders stark ist. Getreu dem "Herr-im-Haus-Standpunkt" bef�rchtet der besserverdienende Teil der Bev�lkerung eine "St�rung des Betriebsfriedens", zum Beispiel eben durch unerw�nschte Vertretung von Arbeitnehmerrechten und -forderungen. Die r�ckl�ufige Betriebsratsdichte in der BRD ist kaum auf das mangelnde Interesse der Arbeitnehmer zur�ckzuf�hren - der Gro�teil der Bev�lkerung h�lt Betriebsr�te und Gewerkschaften f�r eine hervorragende Einrichtung. In der IT-Branche verf�gen gar nur 18 % der Betriebe �ber einen Betriebsrat. Hier stellt man die Arbeitnehmer mit Gewinnbeteiligungen ruhig - Konsum statt �nderung der Produktionsverh�ltnisse.
Arbeitnehmerrechte und Gewerkschaftseinflu� werden zudem durch das zunehmende Sozialdumping ausgehebelt: Arbeiteten 1970 noch 84 % der Arbeitnehmer in den alten L�ndern in normalen Besch�ftigungsverh�ltnissen, so ist dieser Anteil auf 66 % zur�ckgegangen. Das verbleibende Drittel der Arbeitnehmer wurde in Scheinselbst�ndigkeit abgedr�ngt, ist geringf�gig besch�ftigt, hat einen befristeten Arbeitsvertrag oder mu�te seine Seele gar an eine sozialparasit�re Zeitarbeitsfirma verkaufen. Vor allem in den neuen L�ndern verlassen immer mehr Betriebe die Unternehmerverb�nde, so da� die Fl�chentarife ausgeh�hlt werden. Viele Arbeitgeber verhandeln unter Ausschaltung der Gewerkschaften direkt mit kollaborationsbereiten Betriebsr�ten und erzielen hierbei in der Regel finanzielle Gewinne. Problematisch ist ebenfalls das allm�hliche Erstarken des wirtschaftsfriedlichen Christlichen Gewerkschaftsbundes CGB, der faulen Kompromissen mit dem Kapital noch zugeneigter ist als die DGB-Gewerkschaften.
In der dem CGB nahestehenden "Deutschen Angestellten-Zeitung" (Juli/August 2000) erging sich J�rg Gebsacker, Vorsitzender des Deutschen Handels- und Industrieangestellten-Verbandes DHV, in Ausf�hrungen zur Gegenwart und Zukunft der Gewerkschaftsbewegung. Die Gestaltung des Arbeitslebens durch Tarifvertr�ge sei in die Kritik geraten, "weil sie von immer mehr Unternehmen als 'Korsett' empfunden werden, das die wirtschaftliche Entwicklung und damit auch die Schaffung von Arbeitspl�tzen behindert". Zahlreiche Arbeitspl�tze haben sich aus den traditionellen Wirtschaftsbereichen wie Produktion und Handel in die New Economy (Informatik, Kommunikation, Medien) verlagert. "Sowohl in den neuen wie in den alten Branchen steigen die Anforderungen an Leistungsf�higkeit und Leistungsbereitschaft, entstehen neue Formen der Arbeitsorganisation. Je differenzierter die Arbeitsbereiche werden, desto weniger k�nnen die Interessen dieser Leistungstr�ger kollektiv vertreten werden. (...) Mitarbeiter betrachten sich mehr und mehr als Leistungstr�ger und damit als Partner des Betriebs. Da ist f�r Gewerkschaften mit Gegenmachts-Theorie kein Platz. (...) Machtentfaltung als probates Mittel zur L�sung von Konflikten in der Arbeitswelt hat ausgespielt."
Also auch hier: Der leistungsorientierte Arbeitnehmer hat mit seinem patriarchalischen Arbeitgeber zusammenzuarbeiten, dieser wird schon wie weiland der alte Krupp f�r sein Wohlergehen Sorge tragen. Folgerichtig haben DHV und CGB mit der Bundesvereinigung Deutscher Dienstleistungsunternehmen im Sommer den sogenannten "Dienstleistertarif Bolero" ausgehandelt. Im Gegensatz zu den sonst �blichen Tarifvertr�gen setzt Bolero "verbindliche Rahmenbedingungen. Er macht den Mitarbeitern und Betrieben das Angebot, sich dieses Regelungswerkes als Grundlage zu bedienen und selbst�ndig seine Regelungen auf die Notwendigkeiten des Einzelfalles und die Bed�rfnisse des Unternehmens weiterzuentwickeln." Hier wird die Unterminierung der Fl�chentarife durch die Einzelunternehmen gef�rdert, ferner ist leistet der CGB der Atomisierung der Arbeitnehmerschaft in gegen�ber Kapital und Staat ohnm�chtige Individuen geradezu Vorschub. Angesichts der Zust�nde gerade in mittelst�ndischen Unternehmen sollte klar sein, welche Seite bei der innerbetrieblichen Ausgestaltung der Bedingungen im Vorteil ist. Die Betriebsr�te - sofern �berhaupt vorhanden - sollen Branchenverb�nden oder Einzelbetrieben zur Seite stehen, um Bolero "auf die Bed�rfnisse des Einzelunternehmens zuzuschneiden oder abzu�ndern". Der Trend geht eindeutig hin zur Werksgemeinschaft � la Deutsche Arbeitsfront, und daran wird auch die anstehende Reform des Betriebsverfassungsgesetzes nichts �ndern.
Eine wesentliche Grundlage des liberalkapitalistischen Systems ist die Kontrolle des produktiven Kapitals durch eine hierzulande selbst im Verh�ltnis zum EU-Durchschnitt �beraus kleine Bev�lkerungsschicht. Der Sturz dieser sozialen, �konomischen und politischen Ordnung bedingt eine �nderung der Produktionsverh�ltnisse. Diese kann beispielsweise in staatlicher Beteiligung an den Schl�sselindustrien, Sozialisierung der Versorgungs- und Infrastrukturbetriebe sowie in der Einf�hrung einer Geplanten Marktwirtschaft mit staatlichen Rahmenpl�nen und Kontrollmechanismen bestehen. Wie die historische Entwicklung bei SPD, NSDAP, PDS oder Gr�nen aufzeigt, endet jeder blo�e Reformversuch mit der zwangsl�ufigen Integration in das kapitalistische System. Es gilt nicht, die Symptome der Krankheit zu beseitigen, sondern ihre Ursache. Ohne die �nderung der Produktionsverh�ltnisse wird jedes politische Experiment unbedingt zum Scheitern verurteilt sein.
Freiwillig wird die Elite ihre Verf�gungsgewalt �ber die Produktionsmittel und damit den kapitalistischen Staat kaum aus der Hand geben. Patriarchalische Werksgemeinschaften oder naive Schw�rmereien von einer Volksgemeinschaft mit gel�utertem "schaffenden Kapital" sind - wie gerade die deutsche Geschichte eindrucksvoll beweist - keine Heilmittel. Korporativistisch orientierte Kastraten wie DGB, CGB oder Deutsche Arbeitsfront sind zur Organisation des Widerstandes unf�hig. Auch pseudosozialistische Lippenbekenntnisse der orthodoxen Rechten reichen hier nicht aus, ferner ist zu bedenken, da� unreflektierter Rassismus die breite Bev�lkerungsmasse auseinanderdividiert und sie damit als potentielle Tr�gerin des Widerstandes schw�cht.
Die Alternative besteht im zum Klassenkampf der breiten Bev�lkerungsmasse gegen die besitzende Elite weiterzuentwickelnden Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Konflikt und in der Thematisierung der sozialen Frage. Der Klassenkampf der Expropiierten gegen die Expropriateure mu� sich hierbei auf eine schlagkr�ftige, konsequent politisch und sozialistisch ausgerichtete Gewerkschaftsbewegung st�tzen k�nnen. Die Gewerkschaftsbewegung ist nicht nur ein Mittel zur Korrektur sozialer Mi�st�nde, sondern in erster Linie ein politisches Kampfinstrument zur Beseitigung der bestehenden sozialen, �konomischen und politischen Ordnung. Auch nach Erreichung des Kampfziels ist ihre Existenz von unverzichtbarer Bedeutung als Kontrollorgan und Vertretung der breiten Bev�lkerungsmasse, um erneute politische, �konomische und soziale Degenerationen zu verhindern.