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Michael Hardt / Antonio Negri
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Empire - Konstituierende Macht und transnationaler Staat
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Eine Analyse der herrschenden Ordnung
Der Paradigmenwechsel
im Produktionsprozess, hin zum Netzwerk, hat die Ausdehnung der Macht
transnationaler Konzerne vorangetrieben. Die Neuartigkeit von Verh�ltnissen
jenseits und au�erhalb der tradierten Grenzen von Nationalstaaten
lenkt den Blick auf Kapital und Staat, auf die lange Geschichte des Kampfs
um die Macht. Die Geschichte dieses Konflikts wird leicht missverstanden.
Trotz st�ndiger Gegens�tze zwischen Kapitalisten und Staat ist,
und hierin besteht das Missverst�ndnis, ihr Verh�ltnis ein wirklicher
Konflikt nur dann, wenn man einzelne Kapitalisten betrachtet.
Marx und Engels beschreiben den Staat als das ausf�hrende Organ,
das die Interessen der Kapitalisten organisiert. Das Handeln des Staats,
auch wenn es bisweilen den unmittelbaren Interessen einzelner Kapitalisten
widersprechen mag, stimmt mit den langfristigen Interessen des Gesamtkapitalisten,
also des gesellschaftlichen Kapitals insgesamt, �berein. Die Konkurrenz
unter Kapitalisten, so das Argument, garantiert nicht das Wohl des Gesamtkapitalisten,
denn die unmittelbare egoistische Jagd nach dem Profit ist von Grund auf
kurzsichtig. Der Staat verk�rpert dem gegen�ber den Weitblick,
der die Interessen einzelner Kapitalisten vermittelt und im gemeinsamen
Interesse des Kapitals aufhebt. Dennoch werden Kapitalisten die Macht
des Staates bek�mpfen, selbst wenn der Staat in ihrem gemeinsamen
Interesse handelt. Dieser Konflikt ist, aus der Perspektive des gesellschaftlichen
Kapitals betrachtet, in der Tat eine gl�ckliche und produktive Dialektik.
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Transnationale Souver�nit�t
Die Dialektik von Staat und Kapital hat in den verschiedenen Phasen kapitalistischer Entwicklung unterschiedliche Auspr�gungen angenommen. Eine schnelle und ungef�hre Periodisierung mag helfen, zumindest die grundlegenden Merkmale dieser Dynamik zu problematisieren. Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, als der Kapitalismus sich in Europa vollst�ndig etablierte, ben�tigte der Staat, um die Angelegenheiten des gesellschaftlichen Gesamtkapitals zu regeln, nur bescheidene Interventionsmittel. Diese Periode gilt retrospektiv (und gewisserma�en verzerrt) als �Goldenes Zeitalter� des europ�ischen Kapitalismus, charakterisiert durch den Freihandel. Au�erhalb der europ�ischen Nationalstaaten dieser Periode, das hei�t vor der vollst�ndigen Implementierung m�chtiger Kolonialverwaltungen, operierte europ�isches Kapital mit noch weniger Beschr�nkungen. In gro�em Ma� waren die kapitalistischen Handelsgesellschaften souver�n auf kolonialem oder pr�kolonialem Territorium, etablierten ihr eigenes Gewaltmonopol, ihre eigene Polizei und Gerichtsbarkeit. Die holl�ndische Vereenigde Oost-Indische Compagnie (VOC) etwa beherrschte die von ihr ausgebeuteten Territorien auf Java bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts mit eigener Souver�nit�t. Auch nach der Aufl�sung der VOC im Jahre 1800 herrschte das Kapital relativ frei von staatlicher Einmischung und Kontrolle. Die Situation der kapitalistischen Handelskompanien in den britischen s�dasiatischen und afrikanischen Kolonien war im Grunde die gleiche. Die Souver�nit�t der East India Company (EIC) dauerte bis zum Ostindiengesetz von 1858, das die EIC unter die Herrschaft der K�nigin brachte, und die freie Herrschaft kapitalistischer Wagnisgesellschaften und Entrepreneurs im s�dlichen Afrika hielt bis wenigstens zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts.
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Nationalstaat und Monopolkapital
Die Periode war, sowohl
in Europa wie in �bersee, durch wenig Hang zu staatlicher Intervention
gepr�gt; innerhalb der europ�ischen Nationalstaaten vollzog
sich die Regierung der einzelnen Kapitalien (in ihrem eigenen kollektiven
Interesse) ohne gro�e Konflikte, und in den kolonialen Territorien
waren sie ohnehin faktisch souver�n.
Das Verh�ltnis zwischen Staat und Kapital ver�nderte sich im
neunzehnten und fr�hen zwanzigsten Jahrhundert allm�hlich, als
die kapitalistische Entwicklung zunehmend durch Krisen bedroht war. In
Europa und den USA entstanden Corporations, Trusts und Kartelle und errichteten
Quasi-Monopole in spezifischen industriellen Branchen oder bestimmten
Bereichen von Branchen, weit jenseits nationalstaatlicher Grenzen. Die
Periode der Monopole bedeutete f�r das Wohl des Kapitalismus eine
direkte Bedrohung, weil Monopole die Konkurrenz unter den Kapitalien untergruben,
die f�r das System das Lebenselixier ist. Die Bildung von Monopolen
und Quasi-Monopolen unterminierte zugleich die staatliche Handlungsf�higkeit.
Die riesigen Kapitalgesellschaften gewannen die Macht, ihre partikularen
Interessen gegen�ber den Interessen des Gesamtkapitals durchzusetzen.
In der Folge gab es eine Reihe von Auseinandersetzungen, in denen Staaten
versuchten, ihr Kommando �ber die Kapitalgesellschaften auf Antitrust-
Gesetze, auf Steuern und Abgaben sowie auf die Ausweitung gesetzlicher
Regulierung der gro�en Industrie zu gr�nden.
In den Kolonialgebieten f�hrte das unkontrollierte Treiben der souver�nen
Handelskompanien und Wagnisgesellschaften in die Krise. So war der Aufstand
von 1857 gegen die EIC in Indien ein Warnsignal f�r die britische
Regierung, das auf das drohende Desaster hindeutete, falls man die kolonialen
Kapitalisten unkontrolliert gew�hren lie�. Das im Jahr darauf
vom britischen Parlament verabschiedete Ostindiengesetz war eine direkte
Antwort auf das Krisenpotential. Die europ�ischen M�chte errichteten
allm�hlich voll ausgebildete und funktionst�chtige Verwaltungsstrukturen
in den kolonialen Gebieten und vollzogen damit letztlich die Integration
der kolonialen �konomie und Gesellschaft in die Rechtsprechung des
Nationalstaats; dies verteidigte die Interessen des gesellschaftlichen
Gesamtkapitals gegen die Krise. Die Nationalstaaten waren im Innern wie
nach au�en gezwungen, st�rker zu intervenieren, um die Interessen
des gesellschaftlichen Gesamtkapitals gegen einzelne Kapitalisten zu sch�tzen.
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Die verschwundene Autonomie des Politischen
Heute ist eine dritte Phase des Verh�ltnisses voll ausgepr�gt. Gro�e transnationale Konzerne haben faktisch die Rechtsprechung und Autorit�t von Nationalstaaten hinter sich gelassen. Es mag darum scheinen, als w�re die �ber Jahrhunderte andauernde Dialektik zu Ende: Der Staat sei unterlegen und kapitalistische Unternehmen beherrschten die Erde. In zahlreichen Untersuchungen haben linke Autorinnen und Autoren in den vergangenen Jahren das Ph�nomen in apokalyptischen Bildern beschrieben: die Bedrohung der Menschheit, hemmungslosen kapitalistischen Konzernen ausgeliefert, und angesichts dessen die Sehnsucht nach den alten, Schutz bietenden Machtverh�ltnissen im Nationalstaat. Ganz entsprechend feiern die Parteig�nger des Kapitals das neue Zeitalter der Deregulierung und des Freihandels. Doch wenn es wirklich so w�re, wenn der Staat tats�chlich aufgeh�rt h�tte, die Angelegenheiten des Gesamtkapitals in die H�nde zu nehmen, wenn die produktive Dialektik des Konflikts zwischen Staat und Kapital wirklich vorbei w�re, dann m�ssten es die Kapitalisten sein, die �ngstlich in die Zukunft blicken. Ohne Staat h�tte das gesellschaftliche Kapital kein Mittel, gemeinsame Interessen zu verfolgen und umzusetzen.
Die gegenw�rtige
Phase ist deshalb tats�chlich keineswegs als ein Sieg kapitalistischer
Unternehmen �ber den Staat ad�quat beschrieben. Wo transnationale
Konzerne und globale Netzwerke der Produktion und Zirkulation die Macht
der Nationalstaaten unterminiert haben, finden sich Funktionen und Elemente
staatlicher Konstitution tats�chlich strukturell und r�umlich
verschoben. Diese Ver�nderungen im Verh�ltnis zwischen Staat
und Kapital sind im Detail zu pr�fen. Zun�chst aber zur Krise
der Politik im nationalstaatlichen Kontext. Nationale Souver�nit�t
verliert an Bedeutung, und mit ihr die sogenannte Autonomie des Politischen.
Heute hat eine Vorstellung von Politik als unabh�ngiger Sph�re,
in der Konsens hergestellt und im Konflikt gesellschaftlicher Kr�fte
vermittelt w�rde, wenig Existenzberechtigung. Auf den sozialen Konsens
wirken viel eher �konomische Faktoren, etwa die Handelsbilanz oder
die Devisenspekulation. Deren Dynamik unterliegt nicht der Kontrolle von
politischen Kr�ften, von denen traditionellerweise angenommen wird,
sie hielten die Souver�nit�t in H�nden. Der Konsens wird
auch nicht durch die klassischen politischen Mechanismen bestimmt. Regierungshandeln
und Politik sind v�llig in ein System des transnationalen Kommandos
integriert. Kontrolle artikuliert sich in einer Reihe von internationalen
K�rperschaften und Funktionen. Das gleiche gilt f�r die Mechanismen
politischer Vermittlung, die entsprechend der Logik der B�rokratie
und der Managementsoziologie funktionieren und nicht mehr traditionellen
politischen Vorstellungen von Konflikt und Vers�hnung, Vermittlung
und Klassenkampf entsprechen. Politik verschwindet dabei nicht; was verschwindet,
ist jede Art der Autonomie des Politischen.
Der Niedergang jeder autonomen politischen Sph�re bedeutet zugleich,
dass eine Revolution im Rahmen nationaler Politik undenkbar wird, dass
es unm�glich ist, die Gesellschaft umzuw�lzen, indem man den
Staat erobert. Die klassische Vorstellung von der Gegenmacht und vom Widerstand
gegen die moderne Souver�nit�t allgemein tr�gt immer weniger.
Die Situation erinnert in gewisser Hinsicht an jene, in der Machiavelli
in seiner Epoche sich befand: die tragische und vernichtende Niederlage
von Widerstand und Revolution der �Humanisten�, herbeigef�hrt
durch eine souver�ne F�rstenmacht, oder genauer den fr�hen
modernen Staat. Ein neuer Typus von Widerstand musste gefunden werden,
der den neuen Dimensionen von Souver�nit�t entsprach. Auch heute
k�nnen wir sehen, dass die traditionellen Arten von Widerstand, wie
ihn etwa die Organisationen der institutionalisierten Arbeiterbewegung
w�hrend des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts entwickelten,
ihre Kraft zu verlieren beginnen. Einmal mehr muss ein neuer Typus von
Widerstand erfunden werden.
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Die Pyramide der globalen Ordnung
Auf den ersten Blick
erscheint der konstitutionelle Rahmen der �neuen Weltordnung�
als ungeordnete und chaotische Ansammlung regierender und repr�sentierender
Organe. Die Elemente sind einem weiten Spektrum von K�rperschaften
zugeordnet (in Nationalstaaten, in nationalstaatlichen Assoziationen und
in internationalen Organisationen aller Art), unterschiedliche Funktionen
und Inhalte trennen sie (etwa als Organisationen f�r Politik, Geld,
Gesundheit oder Erziehung) und eine Vielzahl produktiver T�tigkeiten
durchziehen sie. Bei genauerer Betrachtung zeigt das ungeordnete Set gleichwohl
einige Fixpunkte. Sie bilden ein Raster, das nicht so sehr eine Ordnung
festschreibt, sondern vielmehr Politik und Recht weltweit einen relativ
koh�renten Horizont bietet. Die Analyse der globalen Machtverh�ltnisse
in verschiedenen Gestalten und Organisationen zeigt die Struktur einer
Pyramide, die aus drei Stufen besteht, von denen jede mehrere Ebenen aufweist.
An der Spitze der Pyramide findet sich die eine Supermacht, die USA, die
sich im Weltma�stab den Einsatz von Gewalt vorbeh�lt - eine
Supermacht, der es freisteht, allein zu entscheiden, die es aber vorzieht,
gemeinsam mit anderen unter dem Dach der Vereinten Nationen (UN) zu handeln.
Dieser singul�re Status trat mit dem Ende des Kalten Kriegs ein und
wurde zum ersten Mal im zweiten Golfkrieg best�tigt. Auf einer zweiten
Ebene der obersten Stufe, wo die Pyramide ein wenig breiter wird, gibt
es die Gruppe von Nationalstaaten, von der die grundlegenden weltweiten
monet�ren Institutionen kontrolliert werden. Sie haben damit die
M�glichkeit, die internationalen Wechselkurse zu regulieren. Diese
Nationalstaaten sind durch eine Reihe von Organen verbunden: die G7, die
Clubs von Paris, London oder Davos etc. Und schlie�lich ist es auf
einer dritten Ebene der obersten Stufe ein heterogenes Set von Vereinigungen
(in denen mehr oder weniger die gleichen M�chte vertreten sind, die
auch milit�risch oder monet�r hegemonial sind), das f�r
kulturelle und biopolitische Macht im globalen Ma�stab steht.
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Netzwerke der Kapitalverwertung
Unterhalb der obersten Stufe globalisierten Kommandos gibt es eine zweite, auf der sich die Kommandostrukturen weltweit verteilen. Hier steht weniger die Einheit als die Verkn�pfung im Vordergrund. Diese Stufe ist im Wesentlichen so strukturiert, wie sich transnationale kapitalistische Unternehmen im Weltmarkt ausgedehnt haben, in einem Netzwerk aus Kapital-, Technologie- und Migrationsstr�men. Diese Produktionsorganisationen, die den Markt bilden und beliefern, breiten sich unter dem Schutz der Zentralmacht, der ersten Stufe der Pyramide aus. Es ist an den transnationalen Konzernen, die rigide Struktur der zentralen Macht zum Leben zu erwecken. Tats�chlich bilden transnationale Konzerne durch die globale Verteilung von Kapital, Technologie, Waren oder Menschen weitl�ufige Netzwerke der Kommunikation und organisieren die Befriedigung von Bed�rfnissen. Die Einheit der Kommandospitze wird dergestalt durch transnationale Konzerne und Marktorganismen artikuliert. Der Weltmarkt homogenisiert Territorien, differenziert sie zugleich und schreibt die Geografie des Globus damit neu. Ebenfalls auf der zweiten Stufe, auf einer Ebene, die oftmals der Macht transnationaler Konzerne untergeordnet ist, befinden sich die �souver�nen� Nationalstaaten, die nunmehr im wesentlichen lokale, territorialisierte Organisationen geworden sind. Die Nationalstaaten �bernehmen verschiedene Funktionen: eine politische Vermittlung im Hinblick auf die globalen Hegemonialm�chte, Aushandlungsprozesse mit den transnationalen Unternehmen, eine Verteilung von Einkommen entsprechend der biopolitischen Notwendigkeiten innerhalb ihrer eigenen begrenzten Territorien. Nationalstaaten werden zu Filtern im Fluss der globalen Zirkulation und zu Reglern an den Verbindungsstellen des globalen Kommandos. Anders gesagt, b�ndeln und verteilen sie den Reichtum, der zur globalen Macht und von ihr weg flie�t, und disziplinieren zugleich die Bev�lkerungen nach dem Ma� des M�glichen.
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Multitude, Volk, Nation
Die dritte und breiteste
Stufe der Pyramide bilden schlie�lich Gruppierungen, die innerhalb
der globalen Machtordnung populare Interessen repr�sentieren. Die
Multitude ist den Strukturen der globalen Macht nicht direkt zu inkorporieren,
sie muss vielmehr durch Repr�sentationsmechanismen eingegliedert
werden. Wer repr�sentiert �das Volk� in der globalen
Konstitution, sei es oppositionell oder legitimatorisch? Und wichtiger:
Welche Kr�fte und Prozesse verwandeln die Multitude in ein Volk,
das in der imperialen Konstitution repr�sentiert werden kann? In
vielen F�llen f�llt Nationalstaaten diese Rolle zu, im Besonderen
den subalternen und kleinen Staaten. Innerhalb der Generalversammlung
der Vereinten Nationen etwa agieren Zusammenschl�sse kleinerer Nationalstaaten,
die zahlenm��ig zwar in der Mehrheit, im Hinblick auf ihre
Macht aber in der Minderheit sind, als bestenfalls symbolische Einschr�nkung
oder Legitimation der Macht der Gro�m�chte. Die Generalversammlung
der UN gilt derart als Repr�sentation der gesamten Welt, ebenso wie
andere globale Foren. Diese Repr�sentation der Nationalstaaten im
globalen Ma�stab verweist im Anspruch, populare Interessen zu vertreten,
auf miteinander zusammenh�ngende Verh�ltnisse: der Nationalstaat
als Repr�sentation des �Volks�, dieses als Repr�sentation
der Multitude.
Nationalstaaten
sind jedoch mit Sicherheit nicht die einzigen Organisationen, die in der
neuen Weltordnung an der Konstruktion und Repr�sentation des �Volks�
beteiligt sind. Ebenfalls auf der dritten Stufe der Pyramide werden populare
Anspr�che weltweit deutlicher und direkter als von Regierungen von
einer Vielzahl von Organisationen repr�sentiert, die relativ unabh�ngig
von Nationalstaaten und kapitalistischen Unternehmen sind. Diese Organisationen
gelten h�ufig als Grundlage einer globalen Zivilgesellschaft. Sie
w�rden darin die Bed�rfnisse und W�nsche der Multitude
in Formen kanalisieren, die innerhalb der globalen Machtstrukturen repr�sentierbar
w�ren. In ihrer neuen globalen Form kann man hier immer noch die
Apparate der traditionellen Zivilgesellschaft erkennen.
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Globale Zivilgesellschaft?
Die wichtigsten Elemente
der globalen Zivilgesellschaft werden unter dem Namen �Nichtregierungsorganisationen�
(NGO) zusammengefasst. Der Ausdruck NGO ist nicht sehr genau definiert:
damit ist jede Organisation gemeint, die behauptet, �das Volk�
zu repr�sentieren und in dessen Interesse zu agieren, unabh�ngig
von staatlichen Strukturen (und h�ufig gegen sie). F�r viele
ist NGO tats�chlich synonym mit �popularer Organisation�,
weil populare Interessen im Unterschied zu staatlichen Interessen bestimmt
werden. Diese Organisationen operieren auf lokalen, nationalen und supranationalen
Ebenen. Der Ausdruck NGO fasst eine enorme Zahl ganz unterschiedlicher
Organisationen zusammen: Aus den Neunzigern stammt die Zahl von �ber
18 000 NGO weltweit. Einige dieser Organisationen erf�llen Funktionen
in der Art traditioneller Gewerkschaften, andere verfolgen den Missionsauftrag
religi�ser Sekten, wieder andere verstehen sich als Repr�sentanten
von Bev�lkerungsgruppen, die nicht durch einen Nationalstaat repr�sentiert
werden. Es w�re sinnlos, die Strukturen und Funktionsweisen solch
vieler und heterogener Organisationen in einer einzigen Definition beschreiben
zu wollen.
Von Kritikern wird den NGO vorgeworfen, dass sie, da sie au�erhalb
staatlicher Macht stehen und h�ufig im Konflikt mit ihr sind, mit
den neoliberalen Projekten des globalen Kapitals vereinbar seien und ihnen
direkt dienten. W�hrend das globale Kapital die Macht der Nationalstaaten
�von oben� angreife, so das Argument, verfolgten die NGO eine
Parallelstrategie �von unten� und zeigten das �Community
Face� des Neoliberalismus. Es mag sein, dass die Aktivit�ten
vieler NGO dazu beitragen, die neoliberale Orientierung des globalen Kapitals
zu bef�rdern, doch ist keineswegs das Handeln aller NGO davon bestimmt.
Nicht auf Seiten der Regierung oder gegen die Macht der Nationalstaaten
zu stehen, bringt diese Organisationen nicht von selbst auf die Seite
des Kapitals. Es gibt verschiedene Wege, au�erhalb des Staats und
gegen ihn zu agieren, das neoliberale Projekt ist einer davon.
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Biomacht und humanit�rer Auftrag
In unserem Zusammenhang, im Kontext der Analyse des Imperiums, interessieren uns besonders NGO, denen es um die Repr�sentation derer geht, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu repr�sentieren. Solche NGO, h�ufig ganz allgemein humanit�re Organisationen genannt, haben in der gegenw�rtigen Weltordnung tats�chlich Einfluss und Macht. Ihr Mandat besteht nicht darin, die partikularen Interessen dieser oder jener Gruppe zu verfolgen, sondern vielmehr darin, auf direkte Art die globalen und universalen Interessen der Menschheit zu repr�sentieren. Menschenrechtsorganisationen (wie Amnesty International oder Americas Watch), Friedensgruppen (wie Witness of Peace und Shanti Sena) und medizinische oder Hungerhilfsorganisationen (etwa Oxfam oder M�decins sans fronti�res) verteidigen menschliches Leben gegen Folter, Hungertod, Massaker, Gefangenschaft und politischen Mord. Ihre politische T�tigkeit beruht auf einem universellen moralischen Anspruch - auf dem Spiel steht das Leben selbst. Es ist in dieser Hinsicht nicht pr�zise zu behaupten, diese NGO repr�sentierten jene, die sich nicht selbst repr�sentieren k�nnen (die Bev�lkerung im Krieg, die hungernden Massen und so weiter), oder vertr�ten weltweit das �Volk� in seiner Gesamtheit. Sie repr�sentieren vielmehr das Leben. Sie transformieren die Politik, machen das gattungsm��ige Leben zu ihrem Gegenstand, das Leben in seiner ganzen Allgemeinheit. Diese NGO finden ihr Feld im Humus der Biomacht; sie sind die kapillaren Enden im heutigen Netzwerk der Macht, sie sind - um zu unserer Metapher zur�ckzukehren - der weitl�ufige Sockel der globalen Machtpyramide. Hier, auf der allgemeinen und breitesten Stufe, treffen die politischen Aktivit�ten der NGO mit der Funktionsweise des Imperiums zusammen, sie sind �jenseits der Politik�, auf dem Terrain der Biomacht, es geht um die Belange des Lebens selbst.
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Hybride Konstitution - Von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft
Hinter den beschriebenen
Ph�nomenen k�nnen wir in der dreiteiligen Anordnung von Funktionen
und Elementen direkt die Problematik des Imperiums erkennen. Anders gesagt,
die aktuelle imperiale Situation �hnelt der theoretischen Beschreibung
imperialer Macht als h�chster Form der Regierung, die Polybius am
Beispiel Roms ausarbeitete und die in der europ�ischen Rechtsgeschichte
tradiert ist. F�r Polybius stellte das Imperium Romanum die Spitze
der politischen Entwicklungsgeschichte dar, insofern es die drei �guten�
Formen der Macht vereinte: Monarchie, Aristokratie und Demokratie, verk�rpert
in der Person des Imperators, im Senat und in den Komitien des Volks.
Das Imperium verhinderte, dass diese guten Formen im Teufelskreis der
Korruption verfielen, durch den aus der Monarchie die Tyrannei wird, aus
der Aristokratie die Oligarchie und aus der Demokratie die Ochlokratie.
Das antike Modell imperialer Konstitution scheint unserer Realit�t
in gewisser Weise n�her zu sein als seine funktionale Reformulierung
in der modernen, liberalen Tradition. Wir sind heute wieder in einer dynamischen
Phase der Macht und Akkumulation, in der Funktionen in erster Linie aus
dem Blickwinkel der Kr�fteverh�ltnisse und ihrer Materialit�t
gesehen werden und nicht aus der Perspektive eines m�glichen Gleichgewichts
oder einer Formalisierung des endg�ltigen Arrangements. In dieser
Phase der Konstitution des Imperiums wird den Forderungen, die der moderne
Konstitutionalismus zum Ausdruck bringt (etwa Gewaltenteilung zwischen
Legislative, Judikative und Exekutive oder prozedurale Legalit�t),
nicht die h�chste Priorit�t zuerkannt.
Das heute entstehende Imperium ist gleichwohl nicht auf das antike Modell
des Polybius zur�ckgeworfen. Die heutige Ordnung ist postmodern,
das hei�t, die Entwicklung ist �ber die Moderne hinausgegangen,
�ber das liberale Modell einer gemischten Konstitution. Ihr System
- Formalisierung des Rechts, konstitutionelle Garantien und Gewaltenteilung
- wird entlang zweier Hauptlinien im �bergang von der Moderne zur
Postmoderne ver�ndert.
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Reelle Subsumtion
Die erste Fluchtlinie betrifft die Art des konstitutionellen Zusammenhangs: Es ist ein �bergang zur Hybridisierung von Regierungsfunktionen in der Gegenwart. Der Prozess der reellen Subsumtion, der Subsumtion der Arbeit unter das Kapital und des weltweiten Aufgehens der Gesellschaft im Imperium, zwingt die Macht, die r�umliche Dimension und die Distanz, die die Verh�ltnisse bestimmte, zu zerst�ren und in hybriden Formen zu verbinden. Diese Mutation r�umlicher Verh�ltnisse ver�ndert die Aus�bung der Macht selbst. Vor allem meint postmoderne imperiale Monarchie die Herrschaft �ber die Einheit des Weltmarkts, und darum ist sie aufgerufen, die Zirkulation von Waren, Technologien und Arbeitskraft zu garantieren - also im Endeffekt die vereinigende Dimension des Weltmarkts. Die Globalisierungsprozesse der monarchischen Macht ergeben jedoch nur einen Sinn, wenn sie als eine Reihe von Hybridisierungen angesehen werden, in denen die Monarchie mit anderen Formen der Macht operiert. Imperiale Monarchie ist nicht auf einen besonderen isolierbaren Ort festgelegt - das postmoderne Imperium besitzt kein Rom. Der monarchische K�rper ist selbst vielgestaltig und im Raum verteilt. Die Hybridisierung ist noch deutlicher bezogen auf die Entwicklung der aristokratischen Funktion, und besonders im Hinblick auf die Entwicklung und Verkn�pfung von Produktionsnetzwerken und M�rkten. Tats�chlich gehen aristokratische und monarchische Funktionen tendenziell unaufl�sbar ineinander �ber. Im Fall der postmodernen Aristokratie besteht das Problem nicht einfach darin, eine vertikale Verbindung zwischen Zentrum und Peripherie herzustellen, um Waren zu produzieren und zu verkaufen, sondern zugleich ein weites Spektrum von Produzenten und Konsumenten miteinander und zwischen M�rkten in Beziehung zu setzen. Das allseitige Verh�ltnis zwischen Produktion und Konsum wird noch wichtiger, wenn die Produktion von Waren im Wesentlichen durch immaterielle Dienstleistungen bestimmt und in Netzwerkstrukturen eingebettet ist. Hybridisierung wird zum zentralen Merkmal und zur Bedingung f�r den Kreislauf von Produktion und Zirkulation. Und schlie�lich sind die demokratischen Funktionen im Imperium gleicherma�en durch Hybridisierungen bestimmt, in denen Machtverh�ltnisse sich verschieben und neue Kr�fteverh�ltnisse sich einrichten. Auf allen drei Ebenen zeigt sich, wo man vorher von Mischformen sprechen konnte, von organischer Interaktion zwischen Funktionszusammenh�ngen, die aber selbst gesondert und distinkt blieben, die Hybridisierung der Funktionen selbst. Die erste Linie der Ver�nderung w�re demnach der �bergang von der gemischten zur hybriden Konstitution.
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Subjekt und Subjektivit�t
Die zweite Fluchtlinie
konstitutioneller Ver�nderung deutet zugleich auf eine Verschiebung
in der Konstitutionstheorie und auf eine neue Qualit�t der Konstitution
selbst, und sie zeigt sich gegenw�rtig an der Tatsache, dass Herrschaft
zunehmend die zeitliche Dimension von Gesellschaft und entsprechend die
Dimensionen der Subjektivit�t selbst betrifft. Dem monarchischen
Moment kommt gleicherma�en die Funktion zu, als Weltregierung die
Zirkulation von Waren aufrechtzuerhalten und als Mechanismus zu wirken,
der die gesellschaftliche Gesamtarbeit und mithin die Bedingungen ihrer
Reproduktion organisiert. Das aristokratische Moment entfaltet seine hierarchische
Herrschaft und seine Ordnungsfunktion gegen�ber den transnationalen
Verbindungen der Produktion und Zirkulation nicht nur mittels traditioneller
monet�rer Instrumente, sondern auch und sogar zunehmend mittels der
Instrumente und Dynamiken in der Kooperation der gesellschaftlichen Akteure
selbst. Die Prozesse sozialer Kooperation werden als aristokratische Funktionen
konstitutionell formalisiert. Schlie�lich liegt, obwohl sowohl monarchische
als auch aristokratische Funktionen auf die subjektiven und produktiven
Dimensionen der neuen hybriden Konstitution verweisen, der Schl�ssel
zum Verst�ndnis der Ver�nderungen im demokratischen Moment,
und das demokratische Moment in seiner Zeitdimension verweist letztlich
auf die Multitude. Wir sollten nicht vergessen, dass es hier um die imperiale
�berdeterminierung der Demokratie geht, um die Erfassung der Multitude
in flexiblen und modulierenden Kontrollapparaten. Genau an dieser Stelle
ist der wichtigste qualitative Sprung zu erkennen: von der Disziplinar-
zur Kontrollgesellschaft. Herrschaft wird direkt �ber die Bewegungen
produktiver und kooperierender Subjektivit�ten ausge�bt; Institutionen
werden kontinuierlich den Regeln dieser Bewegungen entsprechend formiert
und reformiert; und die Topographie der Macht h�ngt in erster Linie
nicht l�nger an r�umlichen Verh�ltnissen, sondern sie ist
den zeitlichen Verschiebungen der Subjektivit�ten eingeschrieben.
Hier begegnen wir dem Nicht-Ort der Macht wieder, auf den wir bereits
hingewiesen haben. Das hybride Kontrollregime des Empire bildet sich an
einem Nicht-Ort aus.
An diesem imperialen Nicht-Ort, im hybriden Raum, den der Konstitutionsprozess
geschaffen hat, sind die Bewegungen der Subjekte immer schon pr�sent,
kontinuierlich und ununterdr�ckbar. Das Problem der gemischten Konstitution
bleibt bestehen, doch hinzu treten nun mit ganzer Intensit�t die
Verschiebungen, Modulationen und Hybridisierungen im �bergang zur
Postmoderne. Die Bewegung vom Gesellschaftlichen zum Politischen und zum
Juridischen, die Konstitutionsprozesse immer begleitet, beginnt Form anzunehmen;
die reziproken Beziehungen zwischen gesellschaftlichen und politischen
Kr�ften, die im Konstitutionsprozess formale Anerkennung fordern,
beginnen sich herauszubilden; und schlie�lich sind hier die verschiedenen
Funktionen (Monarchie, Aristokratie, Demokratie) das Ma� f�r
die Macht der Subjekte, die sie konstituieren und den Versuch unternehmen,
Segmente ihres Konstitutionsprozesses sich anzueignen.
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Widerstand
Diese Analyse des
Imperiums, seiner Gestalt und seiner Konstitutionsprozesse, beabsichtigt
letztlich, das Terrain zu identifizieren, auf dem Widerstand und Alternativen
entstehen k�nnen. Im Imperium ist die Konstitution selbst ein umk�mpfter
Einsatz - genau wie in modernen und antiken Gesellschaften -, doch der
Charakter dieses Einsatzes und dieses Kampfs ist keineswegs klar. Ganz
allgemein l�sst sich der Aufbau der imperialen Konstitution als Form
eines rhizomatischen und universellen Kommunikationsnetzes begreifen,
in dem zwischen allen Punkten oder Knoten Beziehungen hergestellt werden.
Ein solches Netzwerk scheint paradoxerweise f�r Widerstand und Intervention
gleichzeitig v�llig offen und v�llig geschlossen. Einerseits
geben die Verkn�pfungen formal allen Subjekten im Beziehungsnetz
die M�glichkeit, simultan pr�sent zu sein, doch andererseits
ist das Netzwerk selbst ein Nicht-Ort im eigentlichen Sinn. Der Kampf
um die Konstitution wird auf diesem mehrdeutigen und sich ver�ndernden
Terrain ausgetragen.
Drei wesentliche Variablen bestimmen die Auseinandersetzung, Dimensionen,
die sich im Bereich zwischen Allgemeinem und Einzelnem bewegen, zwischen
der Axiomatik der Herrschaft und der Selbstidentifikation des Subjekts,
und zwischen der Produktion von Subjektivit�t durch die Macht und
dem autonomen Widerstand der Subjekte. Die erste Variable betrifft die
Best�ndigkeit des Netzwerks und seine allgemeine Kontrolle, das hei�t,
dass das Netzwerk (positiv) immer funktionieren kann und gleichzeitig
(negativ) nicht gegen die Macht funktionieren kann. Die zweite Variable
betrifft jene, die im Netzwerk Dienste erbringen und eine angemessene
Entlohnung fordern, so dass sich im Netzwerk eine kapitalistische �konomie
erh�lt und reproduziert und mit ihr die sozialen und politischen
Spaltungen bleiben, die ihr eigen sind. Die dritte Variable schlie�lich
stellt das Netzwerk selbst dar, die Mechanismen, mit denen Unterschiede
der Subjektivit�ten produziert werden, und die Weise, in der diese
Unterschiede innerhalb des Systems funktional gemacht werden.
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Die Autonomie der Multitude
Entsprechend diesen
drei Variablen muss jede Subjektivit�t Subjekt werden, dem Netzwerk
der Herrschaft und der Kontrolle allgemein unterworfen (im fr�hmodernen
Sinn Subjekt, Untertan einer souver�nen Macht), und gleichzeitig
unabh�ngig Handelnde in der netzf�rmigen Produktion und Konsumtion.
Ist eine solche doppelte Artikulation m�glich? Ist das System in
der Lage, zugleich politische Subjektion und die Subjektivit�t der
Produzentinnen und Konsumenten aufrechtzuerhalten? Es scheint nicht so.
Tats�chlich ist es die grundlegende Existenzbedingung des universellen
Netzwerks, dass es hybrid ist. Dieser konstitutionelle Rahmen f�hrt
zu der Hypothese, dass dem politischen Subjekt Fl�chtigkeit und Passivit�t,
den Produzentinnen und Konsumenten hingegen Pr�senz und Aktivit�t
zukommen. Die Ausbildung der neuen gemischten Konstitution f�hrt
zu einem grundlegenden Ungleichgewicht der Akteure, folglich zu einer
gesellschaftlichen Dynamik, die das produzierende und konsumierende Subjekt
von den Mechanismen politischer Subjektion befreit (oder zumindest die
Position in ihr uneindeutig macht). Hier scheint der prim�re Ort
der Auseinandersetzung aufzutauchen, auf dem Terrain der Produktion und
Regulation von Subjektivit�t.
Ist dies wirklich das Resultat einer Ver�nderung der kapitalistischen
Produktionsweise, der kulturellen Entwicklung zur Postmoderne und der
politischen Konstitutionsprozesse des Imperiums? Wir sind noch nicht in
der Lage, diesen Schluss zu ziehen. Dennoch ist deutlich, dass in der
neuen Situation Strategien, die auf Ausgleich und regulierte Partizipation
zielen, wie sie liberale und imperialistische gemischte Konstitutionen
immer verfolgt haben, auf neuartige Schwierigkeiten sto�en, die
auf der starken Autonomie der individuellen und kollektiven produktiven
Subjekte gr�nden, die in den Prozess involviert sind. Auf dem Terrain
der Produktion und Regulation der Subjektivit�t, in der Trennung
zwischen �konomischem und politischem Subjekt, k�nnen wir ein
wirkliches Feld der Auseinandersetzungen und K�mpfe ausmachen, auf
dem alle Z�ge erneut offen sind - eine Krisensituation im eigentlichen
Sinn, vielleicht sogar eine revolution�re Situation.
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