Politische Theorie

 

Jose Antonio Primo de Rivera - Über die Revolution

 

HAZ Nr. 9, 12. Oktober 1935

Die Masse eines Volkes, das eine Revolution braucht, vermag die Revolution nicht zu machen.

Die Revolution ist nicht in dem Augenblick erforderlich, in dem das Volk darniederliegt, sondern dann, wenn seine Institutionen, seine geistigen Vorstellungen und seine Wünsche unfruchtbar oder nahezu unfruchtbar geworden sind. In diesen Augenblicken tritt die geschichtliche Dekadenz zutage; nicht der Tod durch hereinbrechendes Unglück, vielmehr das dumpfe Abgleiten in eine reiz- und hoffnungslose Existenz. Jede Haltung eines Kollektivs - ein Produkt gleichsam von Erzeugern, deren Zeugungskraft versiegt ist - trägt schon im Augenblick ihres Entstehens den Keim des Unterganges in sich. Das Leben der Gemeinschaft siecht dahin, stumpft ab, geht unter in schlechtem Geschmack und in Mittelmäßigkeit. Dem lässt sich nur durch einen Bruch mit der Vergangenheit und mit einem neuen Beginn begegnen. Die Furchen bedürfen eines neuen Samens, eines geschichtlichen Samens, da der alte seine Fruchtbarkeit verloren hat.

Doch wer soll der Sämann sein? Wer soll den neuen Samen auswählen und den Augenblick bestimmen, ihn der Erde zu übergeben? Darin liegt die Schwierigkeit. Hier stoßen wir auf den demagogischen Wortschwall von links und rechts, auf die widerlichen Lobhudeleien derer, die bei der Masse Stimmen und Beifall suchen. Sie stellen sich vor das Volk und sagen: "Volk, Du bist wunderbar, Du bist der Born der höchsten Tugenden, Deine Frauen sind die schönsten und reinsten der Welt, Deine Männer die klügsten und mutigsten, Du besitzt die verehrungswürdigsten Sitten, die reichste Kunst. Dir ist lediglich das Missgeschick widerfahren, schlecht regiert zu werden. Schüttele das Joch dieser Regierung ab, befreie Dich von ihren Banden, und es wird Dir gut gehen." Das heißt mit anderen Worten: "Volk, mach Dich selbst glücklich durch einen Aufstand."

Solche Worte enthüllen entweder eine widerliche Unaufrichtigkeit, die sich nur zum eigenen Vorteil der Sprache als Köder bedient, um die Masse zu übertölpeln, oder aber einen vollkommenen Unsinn, womöglich noch verderblicher als der Betrug. Niemandem, der auch nur wenig überlegt, kann diese Wahrheit entgehen: wenn ein Volk am Ende einer unfruchtbaren Zeit die großen Triebfedern seines Handelns - durch eigenes oder fremdes Verschulden - rostig werden ließ, wie könnte es dann von sich aus die ungeheure Aufgabe einer Regeneration bewerkstelligen? Eine Revolution, die fruchtbar sein und nicht ins Leere gehen soll, fordert unabdingbar das klare Bewusstsein für eine neue Norm sowie den entschlossenen Willen, die Revolution auch durchzusetzen. Doch diese Fähigkeit, die Norm zu erkennen und durchzusetzen, ist ja gerade die Vollendung. Denn sollte die Kraft gegeben sein, die Revolution durchzusetzen, so ist dies doch ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Revolution nicht notwendig ist. Und umgekehrt erkennt man die Notwendigkeit der Revolution daran, dass die erforderliche Klarheit und der Antrieb fehlen, sie liebend zu wollen und in die Tat umzusetzen. Mit einem Wort: das Volk als Masse ist nicht imstande, sich selbst zu retten, da die Tatsache, zur Rettung befähigt zu sein, der Beweis dafür ist, bereits gerettet zu sein. Pascal glaubte, Christus habe zu ihm gesagt: "Du würdest mich nicht suchen, hättest Du mich nicht längst gefunden." So könnte es auch der Genius der Revolutionäre den Völkern sagen.

Unter den Revolutionsführern, welche die Weltgeschichte kennen gelernt hat, treffen wir verhältnismäßig häufig auf diese beiden Typen: den Anführer, der auf der Suche nach Ruhm, Macht oder Reichtum eine Masse um sich sammelt, um auf ihrem Rücken groß zu werden, und den Vergötzer des Volkes, der in seinem Glauben an die eingeborene Kraft des Volkes - Volk als Masse betrachtet - seinen eigenen Weg finden will. Der Anführer pflegt vom Gesichtspunkt der privaten Moral weniger empfehlenswert zu sein. Er hat kaum Skrupel, er raubt die Gesellschaft, die ihn trägt, aus und tyrannisiert sie. Der Vorteil liegt jedoch darin, dass er mit einem Schlag beseitigt werden kann. Mit seinem Tode endet alle Drangsal. Der andere hingegen hinterlässt einen bleibenden Eindruck und ist, von seiner geschichtlichen Mission her gesehen, ein größerer Verräter als der Anführer.

Jawohl, der größere Verräter. Ich benutze das Wort ohne jede melodramatische Absicht, vielmehr als einfache Bezeichnung für denjenigen, der seinen Posten in einem entscheidenden Augenblick verlässt. Gerade das pflegt der Vergötzer des Volkes zu tun, wenn ihn der Zufall auf die Kommandobrücke einer siegreichen Revolution stellt. Ist er oben, hat er in selbst gewählter Mühe die Spitze erklommen und in denen, die ihm folgen, einen Glauben entzündet, dann hat er selbstverständlich damit auch die Aufgabe übernommen, zu befehlen, zu leiten, den Weg zu weisen. Wenn er nicht so etwas wie den Ruf eines fernen Hafens in sich verspürte, hätte er nicht nach der Führung greifen dürfen. Wer Führer ist, siegreich bleibt und dann aber der Masse am nächsten Tag sagt: "Jetzt sollst Du befehlen; ich stehe hier, um Dir zu gehorchen!" der entzieht sich feige der Verantwortung. Der Führer darf dem Volk nicht gehorchen, er hat ihm zu dienen. Das ist etwas völlig anderes. Dem Volk dienen heißt, die Befehlsverhältnisse zum Wohle des Volkes klären und auch dann für das Wohl des Volkes sorgen, wenn es selbst seine Aufgabe nicht erkennt. Dem Volk dienen heißt, sich in Übereinstimmung mit dem geschichtlichen Schicksal des Volkes zu fühlen, auch wenn es im Gegensatz zu dem Fühlen und Wünschen der Masse steht.

Das gilt um so mehr in revolutionären Zeiten, wenn, wie bereits gesagt, das Volk eine Revolution benötigt, aber nicht mehr fähig ist, das Gute zu erstreben, wenn es sich sozusagen den Magen verdorben hat. Gerade von dieser Krankheit soll es geheilt werden. Das ist das Wunderbare. Und das Schwierige. Deshalb fliehen die schwächlichen Führer vor der Aufgabe und geben, um ihre Schwäche zu verbergen, vor, den Dienst am Volke, das Suchen nach einer schwierigen Harmonie zwischen der Wirklichkeit des Volkes und seiner wahrhaften Bestimmung durch Gehorsam gegenüber dem Volk zu ersetzen. Dieser aber ist, wie jede andere Form der Schmeichelei auch, eine besondere Form der Korruption.

Spanien hat dies vor kurzem zum Teil erkannt: im Jahre 1931. Selten hat die Masse eine so einfache und bescheidene Haltung eingenommen wie damals. Froh hob sie diejenigen empor, welche sie für die besten hielt, froh schickte sie sich an, ihnen zu folgen.

Auf diese Weise konnten die Männer mühelos an die Spitze des Staates gelangen, die seit vielen Jahren die kritische Diagnose gestellt hatten. Es versteht sich, dass ich dabei nicht an die Demagogen denke, sondern an jene kleine erlesene Gruppe, die unter vielen Qualen - zuerst verzweifelter Widerwille, dann aber inbrünstiger Scharfblick - die Sehnsucht nach einem klareren, reineren, erfüllteren Spanien repräsentierten, nach einem Spanien, das endlich frei von soviel traditionellem Schmutz und soviel widerlicher Mittelmäßigkeit sein sollte. Den Männern dieser Gruppe war die Aufgabe gestellt, neue geschichtliche Aktivität zu entfachen, frische Triebe zu pflanzen, die die alten kraftlosen Stämme ersetzen sollten. Diese Männer waren dazu berufen, dies alles gegen jeden Widerstand durchzusetzen, auch gegen den ihrer Revolutionsgenossen, auch gegen den der Masse selbst. Die Führer einer revolutionären Bewegung haben sogar die Anschuldigung zu ertragen, Verräter zu sein. Stets glaubt die Masse, verraten zu werden. Nichts ist nutzloser als der Versuch, ihr zu schmeicheln, um dieser Anschuldigung zu entgehen. Vielleicht haben die geistigen Führer des Jahres 1931 der Masse nicht geschmeichelt, aber sie besaßen auch nicht den Mut, sich ihr entgegenzustellen, um sie Disziplin zu lehren. Mit einer verächtlichen Geste zogen sie sich wieder in ihr Schneckenhaus zurück und überließen das Feld den plumpen Demagogen wie kühnen, tatkräftigen Anführern. So wurde, wie so oft, eine Gelegenheit für Spanien vertan. Die nächste wird nicht vertan werden. Wir haben bereits gelernt, dass die Masse sich selbst nicht zu retten vermag. Und dass es für die Führer keine Entschuldigung gibt, wenn sie desertieren. Die Revolution ist die Aufgabe einer entschlossenen Minderheit, unerreichbar für jedwede Mutlosigkeit. Eine Minderheit, deren erste Schritte die Masse nicht verstehen wird, weil sie, Opfer einer dekadenten Periode, verlor, was das teuerste ist: ihr inneres Licht.

Aber diese Minderheit wird schließlich die unfruchtbare Verwirrung unseres Gemeinschaftslebens ersetzen durch die Freude und die Klarheit einer neuen Ordnung.

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