Politische Theorie

 

Michael Koth

REDE IN LEUNA


Gegen Ende des Jahres 2000 kam es in Leuna, Sachsen-Anhalt, zu einem denkwürdigen Vortrag: Michael Koth, seines Zeichens Aktivist des Berliner Kampfbundes Deutscher Sozialisten, ehemaliger Genosse der KPD/ML und der SEW, sprach auf Einladung einer PDS-Basisorganisation. Als Grenzgänger in der „Grauzone“ zwischen „Links“ und „Rechts“ mit ausgiebiger Erfahrung in nationalkommunistischer Politik war der Referent wie kaum ein zweiter geeignet, über das oftmals ambivalente Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus zu informieren und aufzuzeigen, dass es auch Möglichkeiten jenseits der „Antifa-Falle“ gibt. Das Referat enthält zudem zahlreiche Informationen über die „NS-Linke“. Wir danken Michael Koth für die Genehmigung, den erstmals unter kds-im-netz.de erschienenen Beitrag an dieser Stelle erneut veröffentlichen zu können! --- Richard Schapke

 

Liebe Kameradinnen und Kameraden, und Genossinnen und Genossen!

Daß diese Anrede kein Versehen ist, werdet ihr hoffentlich selbst am Schluß meines heutigen Vortrages feststellen, nachdem dann doch einige Zeit hier vergangen sein wird. Der Genosse Fidel Castro spricht durchschnittlich 3 ½ Stunden zu den Volksmassen, ohne daß dort Langeweile aufkommt. Bei mir wird es etwas kürzer werden. Dank aber zuerst einmal dem Kampfgenossen Fred E., der hier zusammen diese Versammlung mit Genossen einer PDS - Basisorganisation und Freunden der örtlichen Volkssolidarität ermöglicht haben.

Auf dem Territorium der ehemaligen DDR und besonders im Bereich des Roten Leuna ist auch in Zeiten schlimmster Pogromhetze gegen alles, was sich noch einen revolutionären Anspruch auf Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse bewahrt hat, eben viel mehr möglich als in der Alt-BRD.

Namentlich möchte ich in diese Worte der Hochachtung auch den Leiter de Gaststättenkollektives mit einbeziehen, der uns hier "Asyl" gewährt und es bei dieser im Saal anwesenden Truppe bestimmt nicht mit "Scheinasylanten" zu tun hat. Hatte er doch schon einmal mit jungen irregeleiteten Menschen zu tun, die glaubten, Antifaschisten zu sein, sich aber wie übelste Sozialfaschisten a La Carl Severing oder Zörgiebel verhielten, was ihn fast seine Konzession kostete (und eine hohe Fensterglasrechnung).

Ich wollte meine Ausführungen zum "Rot-Braunen Bündnis" in drei Teile aufgliedern, wobei Abschnitt Teil 1 die Jahre 1920-23 umfaßt. Dazu nur diese Stichworte:


Teil 2:

Wird den Zeitraum zwischen 1927-33 umfassen und hierbei ausführlich das Verhältnis von KPD und NSDAP (und umgekehrt, damit die dialektische Wechselwirkung stimmt) behandeln. Dabei werden Tatsachen ans Licht der Öffentlichkeit (oder auch hier in den mit NARVA Glühbirnen erhellten Versammlungsraum) kommen, die Dogmatikern beider Lager bestimmt nicht ins Weltbild und Bildzeitung zusammensetzt. Diese Ausführungen werden etwa 70 % meiner Rede ausmachen, da sonst der zeitliche Rahmen gesprengt werden würde.

Teil 3:

Würde die Politik der KPD unter Führung von Max Reimann der Jahre 1947 bis zum Verbot im Sommer 1956 umfassen, mit folgenden Schwerpunkten:

Die Interessen der Nation wurden also von deutschen Kommunisten höher eingestuft als die Klassenfrage. Auf die Frage des Genossen Thomas L. von der Kommunistischen Plattform möchte ich kurz nochmals auf die im 1. Teil erwähnte Rede Karl Radeks eingehen, die in einer Zeit in Moskau gehalten wurde, als Deutschland sozusagen mit der Revolution schwanger ging. In dieser Situation erläuterte Karl Radeck, der Deutschlandexperte der Komintern, in seinem später Schlageter-Rede genannten denkwürdigen Aufruf den Sinn einer Zusammenarbeit mit der nationalen Rechten gegen die Politik der westlichen Siegermächte.

In seiner am 20. Juni 1923 vor dem erweiterten Exekutivkomitee der kommunistischen Internationale (EKKI) gehaltenen Rede versucht er, dem Leben des von einem französischen Kommando wegen Sabotage und Spionage erschossenen Albert Leo Schlageter einen Sinn zu geben. Mahnend rief Radek den deutschen Nationalisten zu: "Gegen wen wollen die Deutschvölkischen kämpfen: Gegen das Ententekapital oder das russische Volk? Mit wem wollen sie sich verbinden? Mit den? Mit den russischen Arbeitern und Bauern zur gemeinsamen Abschüttlung des Joches des Ententekapitals, oder mit dem Ententekapital zur Versklavung des deutschen und russischen Volkes?" Da in Deutschland alle Schichten der Bevölkerung von einer nationalistischen Welle erfaßt seien, müsse auch die KPD dieser Stimmung Rechnung tragen. Bislang habe die gesamte kommunistische Bewegung diesen Gesichtspunkt völlig vernachlässigt. Doch nunmehr begriffen weite Teile des Proletariates ihr Elend nicht allein als Folge der Klassenherrschaft der Kapitalisten. Vielmehr sei für sie die Politik der nationalen Unterdrückung durch die Entente Schuld an der augenblicklichen Lage. Deshalb müsse die deutsche Arbeiterklasse jetzt eine ähnliche Rolle übernehmen wie die deutschen Bauern in den Befreiungskriegen gegen Napoleon. " Die Sache des Volkes zur Sache der Nation gemacht, macht die Sache der Nation zur Sache des Volkes" (Die rote Fahne, 10.8.23).

Und im BRD-Schulbuchbund Geschichte Klasse 7/8 (Sehen-Beurteilen-Handeln 1967) heißt es voller Haß auf eine Entwicklung die der herrschenden pro-kapitalistischen Klasse des Staates von Weimar gefährlich werden könnte: "Das Echo auf diese bemerkenswerte Kursänderung war groß. In der Folgezeit kam es zu zahlreichen Diskussionen zwischen Vertretern der nationalen Rechten und Kommunisten. Das Antiwestliche Ressentiment stellte das Bindeglied der ideologischen Todfeinde dar. Die Kommunisten erklärten sich zu geschworenen Gegnern des Versailler Vertrages. In der Hoffnung, die proletarische Anhängerschaft der Nationalsozialisten für sich zu gewinnen, nahmen kommunistische Redner nationalsozialistische und sogar vereinzelt antisemitische Parolen in ihr Repertoire auf. (...) Fälle wie der, von dem der KPD-Funktionär Heinz Neumann berichtete, demzufolge kommunistische Arbeiter unter dem Kommando preußischer Frontoffiziere gegen die französische Besatzungsmacht Sabotageaktionen durchführten, blieben [nicht!!!] die Ausnahme" (S. 105).

Doch nun endlich zum eigentlichen Hauptthema des heutigen Abends, zum Verhältnis von KPD & NSDAP im Zeitabschnitt von 1927-1933 zueinander. Ein kurzer Abstecher in den Oktober 1939 versteht sich. Ganz kurz noch möchte ich den soeben hier erschienenden Kampfgenossen Jürgen S. von der NPD-Führung ebenso herzlich begrüßen, wie den mit auch erheblicher Verspätung gerade eingetroffenen Heinz M., Arbeiterveteran aus der Berliner PDS, Bezirksleitung Prenzlauer Berg. Du weißt doch: "Wer zu spät kommt, den bestraft der Mineralsekretär" (Lachen im Publikum).

Liebe Freunde! Spätestens seit Dr. Joseph Goebbels Gauleiter von Berlin wurde (1927) begann der Aufschwung der revolutionären Kräfte in der NS-Bewegung in der Reichshauptstadt. Als einer seiner engsten Mitarbeiter zog sich Goebbels einen jungen Arbeiter, Heinz Franke, aus den Siemens-Schuckert-Werken heran, der noch bis 1925 aktives Mitglied des Rot-Front-Kämpferbundes (RFB) war. In einer Stellungnahme heißt es in einem internen Rundschreiben der KPD:

"Das Titelblatt der Broschüre Arbeiterverrat vom stellvertretenden Propagandaleiter Heinz Franke herausgeben, ließ einen auf den ersten Blick nicht an die NSDAP denken: verhärmte, hoffnungslos schauende Menschen, die sich in die Reihen zur städtischen Volksspeisung einreihten; Massen, die Plakate mit der Aufschrift "Nieder mit dem Kapitalismus" trugen und darüber Bonzen im Smoking an reich gedeckten Tischen, unter ihnen Otto Braun und Carl Severing. Ein Versammlungsaufruf in Berlin benutzte ganz ähnliche Worte. Wenn darin von der anzustrebenden "Diktatur der schaffenden deutschen Arbeiter" gesprochen wurde, dann war jedermann klar, was das Vorbild war".

Kein Jahrzehnt später wurde diese revolutionäre Taktik selbst von Seiten der NS-Führung bestätigt, wie dies in Strieflers "Kampf um die Macht", 1998, beschrieben ist:

Als Hitler sich viele Jahre später an die Anfänge politischer Arbeit während der Kampfzeit erinnert, betont er, daß es ihm damals nicht darauf angekommen sei, das feige Bürgertum zu gewinnen, sondern die Arbeiterschaft für seine Gedankenwelt zu begeistern. Um dieses Ziel zu erreichen, bediente er sich einfacher, aber offenbar wirkungsvoller Methoden - allesamt im Laufe der Zeit von den traditionellen Arbeiterparteien entwickelt. Aber es ging Hitler nicht um eine schlichte Kopie. Er wollte provozieren, und nichts schien dafür geeigneter als der auffällige Symbolwert der roten Farben. Sie hatte er gewählt, um dadurch die linke Seite zu reizen, zur Empörung zu bringen und sie zu verleiten, in unsere Versammlungen zu kommen, wenn auch nur, um sie zu sprengen, damit wir auf diese Weise überhaupt mit den Leuten reden konnten. Die Provokation entsprang offensichtlich nicht so sehr dem Willen zur Unruhe, zum Krawall, sondern einem ernsthaften Bemühen, mit den Anhängern der linken Parteien in Berührung zu kommen. Aber nicht nur an Wänden und Litfaßsäulen waren aufreizende Plakate zu sehen, auch Lastwagen, über und über mit knallroten Plakaten beklebt, roten Fahnen ausgestattet und mit Sprechchören besetzt, rollten besonders durch die Arbeiterviertel der großen Städte. Gesellschaftliche Unterschiede manifestierten sich neben Sprache und Symbolen auch in der Kleidung. Um einmal gewonnene Vertrauen nicht wieder zu verlieren und um weitere Gefolgsleute aus der Arbeiterschaft anzuwerben, verlangte Hitler von seinen Anhängern stets das Erscheinen in Alltagskleidung - ohne Schlips und Kragen."

Der antikommunistischen Propaganda gewisser NS-Kreise um Personen wie J. Streicher, aber auch Alfred Rosenberg, setzte Dr. Goebbels eine Propaganda der ideologischen, suchenden Auseinandersetzung mit der Ideenwelt der KPD entgegen. Seine persönliche Jugendfreundschaft mit einem KPD-Mitglied, einem Bergarbeiter von der Ruhr, durfte ihn darin beeinflußt haben. Dazu wird im Werke von C. Striefler anschließend hinzugefügt:

"Aber (weil es) unter den Kommunisten (...) nach Ansicht (von Dr. Goebbels) nicht nur Unmenschen und Bestien (gab), sondern auch eine große Zahl irregeleiteter. Die Kommunisten in den Kleinstädten der ländlich geprägten Umgebung Berlins zählten nicht Verbrechertum zu ihren Mitgliedern, die anständige, radikale, von der SPD und den Bauchnationalen angewiderte Arbeiter seien. Die meisten der anständigen Kommunisten in der Mark seien bereits zur NSDAP übergetreten, so daß sie häufig das Lied Brüder in Zechen und Gruben mit charakteristisch geändertem Text sangen: Einst waren die Kommunisten, wenig Stahlhelm und SPD, Gott sei Dank, heut Nationalsozialisten, Kämpfer der NSDAP".

Diese Politik des ehrlichen Ringens um die Herzen und Hirne der deutschen Arbeiterklasse löst bei der verbonzten SPD-Führung ein ideologisches Erdbeben aus. Ein Beispiel dazu möchte ich euch jetzt bringen und zwar aus dem Reichstag (weitere SPD-Reaktionen zeige ich dann danach auf):

"Dies wurde in der Reichstagsrede des Sozialdemokraten Hermann Müller am 17. Oktober 1930 deutlich. Nationalsozialisten und Kommunisten stören sie gleichermaßen. Scharf nahm Müller Stellung gegen den Antrag des nationalsozialistischen Abgeordneten Gregor Strasser auf entschädigungslose "Enteignung des gesamten Vermögens der Banken- und Börsenfürsten". Eine solche Forderung sei nicht mehr weit von den Ideen des Kommunismus entfernt, die ein Programm aufgestellt hätten, das "eigentlich nicht für die Erde aufgestellt" worden sei. Zur Lösung der augenblicklichen Wirtschaftsprobleme trügen beide Parteien nur Agitation bei. In einem Kommentar zur Ernennung Carl Severings zum preußischen Innenminister verweist die Kölnische Volkszeitung auf die Gleichartigkeit des Radikalismus von Links und Rechts. Sogar die Prawda verherrliche die nationalsozialistischen Ausschreitungen am Tage der Reichstagseröffnung als kommunistisch. Sie habe den Demonstrationen der Arbeiter und Erwerbslosen gesprochen, die - "revolutionäre Lieder singend" - von der Polizei mit dem Gummiknüppel auseinandergetrieben worden seien. Es sprach für den tief verwurzelten Antibolschewismus der Sozialdemokratie wie für ihre Sicht des nationalsozialistischen Gegners, wenn sie in der Zeitschrift der sozialdemokratischen Wehrorganisation eine tendenzielle Gleichsetzung der beiden Parteien vornahm und die Anhänger Hitlers ungehemmt als "Berufsbolschewisten" bezeichnet (...) das Nationale sei lediglich Phrase zur Gewinnung der Schwerindustrie" (Vorwärts, 19.10.30, Kölnische Volkszeitung, 21.10.30).

Sowjetische Stellen, egal ob sie von der Berliner diplomatischen Vertretung der UdSSR oder aus der Moskauer Komintern-Zentrale kamen. Was das Wechselverhältnis von SPD/KPD zur NSDAP anging, folgende interessante Schlussfolgerung: Die Demonstrationen der Nationalsozialisten wirkten nach Beobachtung eines Organisationsfachmanns der Komintern weit proletarischer als die der Sozialdemokraten, denen es nicht gelang, ihre proletarischen Elemente auf die Straße zu bringen. "Bei der äußeren Aufmachung ihrer Veranstaltungen und Straßendemonstrationen ahmen sie nicht nur ihr großes Vorbild, den italienischen Faschismus, nach, sondern stehlen dazu rücksichtslos von en wirklich revolutionären Bewegungen, auch von den Kommunisten, alle solche Methoden der Arbeiter, die auf die Massen Anziehungskraft ausüben können. Die eigentliche ideologische Auseinandersetzung sucht die KPD deshalb in den Wahlversammlungen mit der NSDAP, weniger mit der SPD" (Einsicht in das Zentrale Parteiarchiv (ZAP) am 14.8.87; interner Bericht an den M-Apparat des ZK der KPD).

Wie solches dann in der Praxis ausgesehen hat, und das solche Art von Versammlungen keineswegs immer mit Saalschlachten und den dazugehörigen Toten bzw. Verletzten enden mußten, zeigt folgender Bericht aus der Voßschen Zeitung vom 14. August6 1930: Zwei Tage zuvor hatten sich die beiden Lokalmatadoren von KPD und NSDAP in einer Wahlversammlung gegenübergestanden. In städtischen Saalbau in Essen fand am 12. August 1930 zum Thema Sowjetstern oder Hakenkreuz eine bemerkenswerte Versammlung statt, zu der ebenfalls die KPD aufgerufen hatte: Die Polizei hatte umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Bei der Durchsuchung der Versammlungsbesucher förderten die Beamten mehrere Schreckschusspistolen, Taschenmesser und Fahrradzubehör zu Tage, die als Waffen im Sinne der Notverordnung des Reichspräsidenten vom 25. Juli galten. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Kommunisten sangen nach Eröffnung der Veranstaltung die Internationale, während die Nationalsozialisten auf die gleiche Melodie ein Lied mit dem Schlußsatz sangen: "Der Nationalsozialismus befreit das Vaterland!" Der Kommunist Anton Saefkow übernahm die Leitung der Versammlung und erklärte, daß den eingeladenen nationalsozialistischen Rednern Terboven und Zilkens eine Stunde Redezeit zugesichert worden sei.

Terboven hat das Wort. Er sei stolz auf seinen Kampf gegen das „rote Schreckgespenst“ in den Tagen der Münchener Räterepublik. Heute wolle er aber nicht seine kostbare Redezeit mit Erlebnissen aus der Vergangenheit füllen. Das Finanzkapital sei in der Gegenwart der größte Ausbeuter des deutschen Volkes. Es beherrsche auch das kommunistische „Arbeiterparadies“ Rußlands. 90 Prozent des Finanzkapitals sei jüdisch. (...) Nachdem Terboven seine Redezeit beendet hatte, erteilte Saefkow dem Schriftleiter der nationalsozialistischen Zeitung Neue Front, Zilkens, das Wort.

Dieser begann seine Ausführungen mit der Anrede: „Liebe Volksgenossen!“ Das Ansinnen des Kommunisten Florin, gegen Hitler zu sprechen, verwarf Zilkens. Dies komme gar nicht in Frage, denn das sei ungefähr so, als wenn er selbst beantrage, gegen Lenin zu sprechen, falls dieser noch lebte. Nachdem Zilkens unter großer Unruhe die Bühne verlassen hatte, sangen die NSDAP-Leute unter dem tosenden Pfeifen der Kommunisten wiederum die „Hitlernationale“. Unter starkem polizeilichem Schutz verließen die Nationalsozialisten den Saal, formierten sich auf der Straße zu einem Zug und marschierten ab."

Und liebe Freunde, weil hier gerade der Gesang erwähnt wurde, dessen Liedertexte oft sehr ähnlich waren, möchte ich ausführlich aus einer Sendung von Antenne Brandenburg zitieren (26.8.98), die PDS-Genossen dankenswürdiger Weise mitgeschnitten haben:

"An dieser Stelle ist ein Blick auf die augenfällige Ähnlichkeit der Kampflieder der (...) Gegner angebracht. Die sogenannte "Hitlernationale" dürfte das Paradebeispiel dafür sein, daß die nationalsozialistische Bewegung sich der Lieder ihrer Feinde bewußte bediente und die Texte veränderte. Die Worte waren Provokation und Programm zugleich. Auf Hitlerleute, schließt die Reihen, / zum letzten Kampf sind wir bereit / mit Blut woll'n wir das Banner weihen / zum Zeichen einer neuen Zeit. / Auf rotem Grund im weißen Felde / weht unser schwarzes Hakenkreuz /(Refrain Schon jubeln die Siegessignale, / schon bricht der Morgen hell herein, / der Nationale Sozialismus / wird Deutschland Zukunft sein! Drum, Brüder, auf die Barrikaden, / wenn Hitler ruft, so folget gleich! / Die Reaktion hat uns verraten, / aber dennoch kommt das Dritte Reich. / Aus Werkstatt und au den Kontoren / folgt unsere Freiheitskämpferschar ..."

Dies war keineswegs das einzige Beispiel für eine bewusste Umwandlung kommunistischer Lieder. "In einem Appell an das schaffende deutsche Volk (zitiert) Joseph Goebbels einen Vers au der jedermann geläufigen Internationale. (...) Melodien der (KPD) wurden mit eigenen Texten unterlegt. Fast ebenso verbreitet wie die Hitlernationale war ein anderes Traditionslied der Arbeiterbewegung. Auch dieses Lied blieb nach seiner Abwandlung eindeutig für Arbeiter gedacht: Brüder in Zechen und Gruben, Brüder ihr hinter dem Pflug, / aus den Fabriken und Stuben folgt uns'res Banners Zug! / Börsengauner und Schieber knechten das Vaterland;/ wir wollen ehrlich verdienen, fleißig mit schaffender Hand./ Hitler ist unserer Führer, ihn lohnt nicht gold'ner Sold, / der von den jüdischen Thronen vor seine Füße rollt. / Einst kommt der Tag der Rache, einmal, da werden wir frei; /schaffendes Deutschland erwache, brich deine Ketten entzwei. / Dann laßt das Banner fliegen, daß unsere Feinde es seh'n / immer werden wir siegen, wenn wir zusammensteh'n. / Hitler treu ergeben, treu bis in den Tod. / Hitler wird uns führen einst aus dieser Not.

Es wird berichtet, daß die Lieder sich so ähnelten, daß bei Propagandamärschen durch Arbeiterviertel die Bevölkerung auf den Straßen und aus den Fenstern die Melodie mitgesungen hat, ohne zu wissen, daß es sich um ein nationalsozialistisches Lied handelte. Die Nationalsozialisten zeigten keine Berührungsängste im Umgang mit dem Erzfeind. Mit den Sozialdemokraten wollte man jedoch nicht in Zusammenhang gebracht werden."

Soweit dieser sehr interessante Rundfunkbericht der unter dem "netten" Titel "Gleiche Brüder - gleiche Lieder?" gesendet wurde. Daß im Gegensatz zu heute in den 20'er und 30'er Jahren ein wirklicher ideologischer Meinungsstreit möglich war, beweist der folgende Bericht eines KPD-Genossen für seine Gauleitung Ruhr vom Nov. 1932:

"In ein Essener Lokal hatte der dortige Ortsgruppenvorsitzende der NSDAP, Zilkens (...) Kommunisten eingeladen. Um deren Vertrauen zu gewinnen, beschäftigte er sich zunächst mit der kommunistischen Idee. Zwar bestünden prinzipielle Gegensätze zwischen den beiden Anschauungen, aber insgesamt habe man auch zahlreiche Übereinstimmungen. Der Kampfgedanke sei beiden Bewegungen gemeinsam. Allerdings müsse es als Utopie gelten, die Ziele der Arbeiterklasse auf internationalem Wege durchsetzen zu wollen. Nur die Nationalsozialisten kämen als Retter der Arbeiterklasse in Frage, da ihre Weltanschauung nicht materialistisch sei. Ganz ähnliche Töne schlug der Reichstagsabgeordnete Florian (NSDAP) an, als er den Wahlerfolg vom 14. September als Sieg über den Marxismus feierte. Der Bolschewismus habe in der Welt so großen Erfolg, weil seine Heere vom Idealismus beseelt seien. Das folgende Beispiel soll aufzeigen, wie es der NSDAP schon vor der Machtergreifung gelang, in Teilen der Arbeiterklasse, besonders in den Industrieregionen Mitteldeutschlands große Einbrüche zu erlangen. Hier gilt es besonders R. Jordan und dem Landarbeiter Hildebrand (später Gauleiter von Mecklenburg) zu erwähnen, die beide au proletarischen Verhältnissen kamen und auch als Mächtige niemals zu Bonzen und Parasiten à la H. Göring verkamen.

Hitler ernannte Rudolf Jordan 1931 zum Gauleiter in diesem Ballungszentrum. Ihm war die Aufgabe gestellt worden, einen Bezirk politisch zu stürmen, der zu den Hochburgen der KPD gehörte. Jordan stammte aus einfachen Verhältnissen, arbeitet bereits mit 14 Jahren in der Fabrik. Über die katholische Jugendorganisation ‚Neudeutschland' und dem Bund Oberland gelangte er zu den Nationalsozialisten. Das soziale Programm Hitlers mit seinen ‚zwingenden Gegengründen gegen die Menschheitsparolen der marxistischen Parteipolitiker' entsprach eigentlich seinem antikapitalistischen Vorstellungen. Max Hölz war im sächsischen Industriegebiet noch ganz lebendig, galt dort als Symbolfigur von ernstzunehmender Bedeutung, und die Kommunisten hatten nicht nur im ‚roten (...)'Leuna weit mehr Anhänger als die SPD, Jordan führte einen Kampf gegen Bolschewismus und Reaktion, aber wenn die Nationalsozialisten in den Betrieben auftraten, dann hinderten sie (nur) die Barrikadenkämpfer der KPD daran, rote Fahnen über den Betrieben zu hissen. Beim ersten Treffen mit seinen Kreisleitern wurde Jordan klar, daß mit der in den Industriegebieten rapide wachsenden Arbeitslosigkeit die Bürgerkriegsstimmung anwuchs. Jordan stellte seine erste Kundgebung deshalb unter den Titel „Hitler oder Lenin?“ und verkündete darin die Vision von der Internationale lenken lasse. Die KPD stand diesen Aktivitäten der Nationalsozialisten in einer traditionellen Hochburg der organisierten Arbeiterbewegung relativ ratlos gegenüber."

Die NS-Bewegung, als letzte Schutztruppe des Großkapitals, als Steigbügel der schlimmsten Reaktion? Doch historische Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Nicht Streikbrechertum von Seiten der NSDAP, sondern durchaus die praktische Unterstützung de größten Arbeiterkampfes im Jahr 1930, wurde von den Braunhemden betrieben. Hier nun ein Bericht über eine gemeinsame Versammlung von KPD und NSDAP im Berliner Saalbau Friedrichshain aus der Feder des Sozialdemokraten Vorwärts aus dieser Zeit (18. Dez. 30):

"KPD und NSDAP stimmten darin überein, daß das kapitalistische Wirtschaftssystem Schuld an der augenblicklichen Krise habe. Die Vorstellungen, wie die Krise zu meistern sei, wichen jedoch in charakteristischer Weise voneinander ab. Der Metallarbeiterstreik, von beiden Parteien generell befürwortet und trotz alles Gegensätze unterstützt und durchgeführt, war das beherrschende Thema der Versammlung im Saalbau Friedrichshain, zu dem die NSDAP eingeladen hatte. Obwohl die KPD zum gleichen Zeitpunkt zu einem anderen Ort eingeladen hatte, zog es weit mehr Menschen zum mit Spannung erwarteten Rededuell zwischen den beiden rhetorisch versierten Köpfen der beiden Parteien, Neumann und Goebbels. Zunächst aber ergriff der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Karwahne, ein ehemaliger Kommunist das Wort. Als Überläufer kann seinen Ausführungen zu den Missständen in der KPD besondere Glaubwürdigkeit zu. (...) Dann trat Neumann nach vorne. Stockend und gar nicht so, wie man es von dem gewandten Rhetoriker gewohnt war, antwortete er, ohne auf die NS-Argument einzugehen. Im wesentlichen waren es die Parolen von der nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes, die die KPD während der ganzen Zeit ununterbrochen skandierte. Goebbels schrieb notierte enttäuscht in sein Tagebuch: "Er ist gleich sehr befangen und redet lauter Bockmist. Macht bald Schluß, weil er nichts mehr zu sagen hat, und wird dann von mir erbarmungslos zusammengebügelt."

All diese Aktionen (Veranstaltungen, Diskussionsrunden usw.) hatten zur Folge, daß teilweise sogar KPD-Bezirksleitungsgenossen zur NSDAP übertraten, wie umgekehrt es der KPD durch die Arbeit der ihr nahe stehenden Zeitschrift Aufbruch gelang, führende Nationalsozialisten für sich zu gewinnen. Erwähnen möchte ich auch das Gauleitungsmitglied Wasserkante Uhse (siehe Roman "Leutnant Bertram") und der in die Geschichte als "Hauptmann von Ulm" eingegangene Richard Scheringer, der in seinen Lebenserinnerungen 1988 ein würdevolles Denkmal für seinen alten NS-Kampfgefährten, SA-Obergruppenführer Ludin setzte. Der historischen Gerechtigkeit halber muß ich aber noch erwähnen, daß es der NSDAP gelang, erheblich mehr KPD-Genossen für sich zu gewinnen, als es umgekehrt der Fall war. (In einer Mitteilung des M-Apparates für das ZK der KPD am 18. 12. 32).

"In einem längeren Dossier für den Berliner Polizeipräsidenten Grzesinski wurden namentlich einig Wanderredner der NSDAP aufgezählt, die ehemals bei der KPD ihre politische Heimat hatten. Einer von ihnen, Stephan Ehn, war mit Stalin. Lenin und Trotzkij bekannt gewesen und hatte zu den Mitorganisatoren der Revolution in Österreich-Ungarn gezählt. 1924 begann er sich mit dem nationalen Gedankengut zu beschäftigen und trat zwei Jahre später aus der KPD aus. Dort galt er wegen seines Auftretens gegen den „Judeneinfluß“ als Nationalbolschewist. 1928 trat Ehn der NSDAP bei und profilierte sich bei etwa 500 Veranstaltungen als Wanderredner (...) Der Exkommunist Karl Klötzner war sogar Mitglied der russischen GPU gewesen. Nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion betätigte er sich als Redner für die NSDAP. Das frühere KPD-Mitglied Bertold Karwahne wurde von den Nationalsozialisten mit einem Reichstagsmandat bedacht. Bis 1924 war Karwahne für die KPD in Hannover aktiv gewesen, zwei Jahre später war er zur kommunistischen Opposition Iwan Katz übergetreten und hatte dann 1930 bei den Reichstagswahlen erfolgreich für die NSDAP kandidiert. Hingewiesen wird außerdem auf den nationalsozialistischen Betriebszellenleiter des Gaues Groß-Berlin Johannes Engel und den bekannten Führer der deutschen „Tscheka“ Felix Neumann, der nach der Verbüßung einer langjährigen Haftstrafe wegen de geplanten Mordanschlages auf den Reichswehrgeneral Hans von Seeckt als Propagandaredner für die NSDAP auftrat. Doch auch bei der großen Masse der NSDAP-Angehörigen fiel dem Bericht zufolge auf, daß eine beachtliche Zahl von ihnen früher Anhänger der KPD gewesen ist. Von der SA-Berlin wurde eine Umfrage durchgeführt, der zufolge bei einzelnen Stürmen sogar 55 Prozent der Mitglieder ehemalige Kommunisten waren. Bei einem Aufmarsch der Nationalsozialisten in Braunschweig trug eine Berliner Gruppe der SA sogar noch die Uniform des 'Kampfbundes gegen den Faschismus' und war nur durch die Armbinden als SA zu erkennen."

Die Gründe für einen Wechsel der Fronten können ideologischer Art gewesen sein. Diese dürfte vor allem bei exponierteren Leuten der Fall gewesen sein, die bei Versammlungen nun nationalsozialistischen Gedankengut glaubhaft vertreten werden mussten. Sie können auch durch bestimmte Eigenarten der SA oder der Hitlerjugend bedingt gewesen sein. Gerade jüngere Arbeiter waren keineswegs auf Gedeih und Verderb mit der kommunistischen Bewegung verbunden. Die SA war eben nicht allein eine paramilitärische Kampforganisation, sondern auch eine Art Wohlfahrtseinrichtung. Unter den besser verdienenden Anhängern der Partei gesammelte Nahrung und Kleidung wurde an ärmere Parteigenossen verteilt, um die karge staatliche Unterstützung aufzubessern. Die kommunistisch Anhängerschaft war nicht so festgefügt, wie die ideologisch bedingte Vorstellung von der "antifaschistischen Kampfgemeinschaft" glauben machen will. Selbst bei organisierten Antifaschisten existieren enge Verbindungen zur SA. Nach einem internen Bericht der KPD beherrschte die nationalsozialistische asoziale Ideologie viele sogenannte Antifaschisten im Berliner Stadtteil Neukölln, so daß der Rote Sturm wegen seiner politischen Mängel aufgelöst wurde. Die engen Kontakte datieren noch auf eine Zeit, als Nationalsozialisten und Mitglieder dieser Gruppe gemeinsam im kommunistischen Jugendverband (KJVD) organisiert waren. Später war das Verhältnis der Antifa-Gruppe zur SA dann sogar so gut, daß sie auch weiterhin mit Mitgliedern der SA befreundet war" (Einsicht in das ZPA am 26. 5. 86: Bericht für die Bezirksleitung Berlin-Brandenburg-Grenzmark). Diese kameradschaftlichen Beziehungen zwischen der Basis der beiden Arbeiterparteien, blieben kein Intermezzo von unten. In vielen Bezirksparlamenten und sogar auf Reichstagsebene kam es zur Aktionseinheit beider antikapitalistischer Organisationen. So lesen wir bei Striefler folgende Schilderung dieser Frage:

"Bei 241 namentlichen Abstimmungen im Reichstag und im preußischen Landtag stimmten zwischen 1929 und Ende 1930 KPD und NSDAP in 140 Fällen gleich. In der 5. Wahlperiode waren sich die beiden extremistischen Parteien sogar nur in acht von 102 Abstimmungen uneins. Es war keineswegs eine lediglich negativ Zusammenarbeit gegen die Politik der Regierung. Die Nationalsozialisten stimmten beispielsweise dem Antrag des KPD-Abgeordneten Stoecker auf Zahlung einer Winterbeihilfe an Erwerbslose ausdrücklich zu. In der Begründung ging man weniger auf das gemeinsame Vorgehen mit Kommunisten ein, sondern betont sachliche Gesichtspunkt bei der Entscheidung, die auf Dauer mehr zu einer Schwächung des Bolschewismus beitragen würden als die Politik der übrigen Parteien. "Der Nationalsozialismus wird die Front der Zukunft schweißen gegenüber allen anderen, und unser Führer Adolf Hitler hat schon recht, wenn er schließlich sagt; Die Rückkehr eines Fürsten zu seinem Volke bedeutet heute nichts mehr, aber die Rückkehr von Millionen deutscher Arbeiter des Vaterlandes sind ein Fanal zur Freiheit."

Und weil sich breite Kreise der Nationalsozialisten (bis hinein in ihre Führung) als Vertreter des Interesses aller Lohnabhängiger deutscher Werkfähiger sahen, kam es trotz vieler Sabotageversuche aus den "eigenen" Reihen zur Bildung der nationalsozialistischen Betriebszellen Organisation (NSBO). Über ihre Entwicklung heißt es in einen Bericht des Vorwärts vom Dezember 1932: "Ihrem Selbstverständnis nach war die NSBO keine Gewerkschaft, noch nicht einmal ein gewerkschaftliches Gebilde, "sondern sie war und ist eine politische Kampfform der NSDAP in den Betrieben, um Adolf Hitlers Idee zu verbreiten (...) und brauchbare deutsche Arbeiterelemente für den Nationalsozialismus zu gewinnen. Wenngleich Adolf Hitler der Organisationsleitung der freien Gewerkschaften einen gewissen Respekt nicht versagen konnte, so bekämpfte er sie gleichwohl wegen ihrer allzu starken Anlehnung an die marxistischen Parteien und deren Gedankengut. Deshalb trat er für die Gründung einer nationalsozialistischen Interessenvertretung unter den Arbeitern ein. Allerdings lehnte Hitler zunächst die Schaffung eigener Organisationen ab, weil er die Erfolgsaussichten gering einschätzte. Als jedoch besonders in Berlin immer mehr Arbeiter wilde Betriebszellen gründeten, befürwortete er diese Entwicklung und wies der NSBO die Aufgabe zu, als „SA der Betriebe“ nationalsozialistisches Gedankengut zu verbreiten."

Der Kampf um die Arbeiter sollte in Zukunft nicht mehr ausschließlich in Massenversammlungen ausgefochten, sondern in die Betriebe hineingetragen werden. Ziel dieser Betriebsgruppen war die unablässige Propaganda durch Wort und Schrift für den Nationalsozialismus. In eigener Regie wurden Lohnstreiks durchgeführt, die selbst dann unterstützt werden sollten, wenn sie ursprünglich von den Kommunisten ausgegangen waren. Mit diesen war man sich einig in der Bekämpfung des liberal-kapitalistischen Wirtschaftslebens und im Kampf gegen einzelne Unternehmer. Zunächst hielt sich ihr Erfolg in grenzen, aber nach der vom Angriff und durch zahlreiche Flugblätter unterstützten "H.i.B. (Hinein in die Betriebe)-Aktion" wuchs ihre Bedeutung. Diese Aktion ging einher mit der ebenfalls 1931 beschlossenen erstmaligen Beteiligung an Betriebsratwahlen. Schon bei den ersten Beteiligungen im Frühjahr 1931 erreichte man einige beachtliche erfolge, blieb jedoch noch weit hinter den Stimmenergebnissen der Freien Gewerkschaften und RGO zurück.

Ausführlich setzten sich die nationalsozialistischen Agitatoren mit der Lügenflut der Marxisten auseinander, die die NSBO als Bande von Streikbrechern bezeichnete. Man sei nicht Gegner der Gewerkschaften, sondern Gegner ihrer tödlichen Umklammerung durch die Marxisten. Immer wieder wiesen die Nationalsozialisten energisch auf Mißstände innerhalb der Gewerkschaften hin. Dort hätten hochbezahlte Funktionäre, so hieß es, häufig genug nicht mehr die Interessen einer aufgeblähten Gewerkschaft.

Jeder einzelne sollte im persönlichen Gespräch werben. Wie diese Aktion vonstatten gehen sollte, beschreibt Johannes Engel, selbst Arbeiter im Berliner Betrieb Knorr-Bremse. Jeder Nationalsozialist habe am Arbeitsplatz einen Kollegen, der eigentlich ein politischer Gegner sei, ihm aber als Mensch nahestünde. Solchem guten "Menschenmaterial" sollte man eine Karte für eine Veranstaltung der NSDAP in die Hände drücken, selbst wenn man diese Karte selber bezahlen müsse. Schon bald würde sich, so der erhoffte Erfolg einstellen." Kein Vorwurf ist häufiger von uns Kommunisten gegenüber der NSDAP gebraucht worden, als der des Streikbruches: Die Präsens der NS'ler in den Betrieben diente nur der Aufgabe im Konfliktfalle den kämpfenden Werktätigen in den Rücken zu fallen. Auch diese These lässt sich heute nicht mehr aufrechterhalten. Alle Berichte der Politischen Polizei (POPOS) der Weimarer Republik sprechen von aktiven Streikkämpfen der NSBO-Kader.

Vielmehr beteiligte sich die NSBO sogar besonders intensiv an der Streikwelle im Herbst 1932. Glaubt man den Angaben der Reichsorganisationsleitung der NSDAP, dann unterstützte bzw. führte di NSBO zwischen April 1932 und Januar 1933 insgesamt 117 Streiks. Stets ging es um die Abwehr Maßnahmen, die die ohnehin angespannte Lage der Arbeiter betrafen: Lohnabbau, Urlaubskürzungen, untertarifliche Bezahlung. Die meisten waren von der RGO. (...) Der Streik gegen den Lohnabbau um 20 Prozent bei den bayrischen Motorenwerken (BMW), einem Betrieb, in dem die Kommunisten schwach vertreten waren, ging auf Initiative der NSBO zurück. (...) (Einsicht in das ZPA vom 26.5.86)

Bei der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG), immerhin das drittgrößte Wirtschaftsunternehmen Deutschlands und das größte kommunale Unternehmen der Welt, standen alle Räder still. Straßenbahnen, Omnibusse und U-Bahn-Linien hatten den Betrieb vom 3. bis zum 7. November eingestellt. Nur wer das Geld für eine Taxe aufbrachte oder in der unmittelbaren Nähe einer S-Bahn-Station wohnt, konnte in diesen kühlen Herbsttagen sein Ziel erreichen. Weit über die Grenzen der Stadt hinaus erregte der Streik ungeheures Aufsehen. Aus dem ganzen reich kamen Solidaritätsspenden anderer städtischer Arbeiter. Der BVG-Streik war ein wilder Streik, aber er war keineswegs das Ergebnis reiner Agitation. Gemeinsam von der kommunistischen RGO und der NSBO in Szene gesetzt, spiegelte er die ungeheure Empörung in den Betrieben wider. Besänftigende Worte freigewerkschaftlicher Funktionäre stießen auf taube Ohren. Für einen Streik in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit mußten triftige Gründe vorliegen.

Anlaß waren die Bedingungen des neuen Tarifvertrages. Die Arbeitgeber versuchten, der Notverordnung Papen nachzukommen. Der zufolge sollten höhere Löhne der Arbeiter in städtischen Betrieben dem allgemeinen Lohnniveau angepaßt werden. Die BVG-Direktion fordert zunächst ein Lohnsenkung um 14 bis 23 Pfennig pro Stunde, ließ sich aber nach zähen Verhandlungen mit den Gewerkschaften auf einen Kompromiß ein. Ab 1. November sollten die Stundenlöhne um 2 Pfennige sinken. Gegen diese Regelung (...) machten RGO und NSBO gemeinsam Front. Bereits im Vorfeld des Streiks hatten einfache Mitarbeiter beider Organisationen in Diskussionsveranstaltungen Gemeinsamkeiten festgestellt.

Zwar waren nicht mehr als 5 Prozent der Belegschaft kommunistisch oder nationalsozialistisch organisiert, aber trotz des geringen Organisationsgrades beider Gruppen verstand es die KPD, aus dem Arbeiterkampf einen politischen Streik zu machen. Die NSDAP dagegen betonte stets, es geh einzig und allein um die Verbesserung der konkreten Arbeitsbedingungen. Nicht nur die vielen Unorganisierten, auch Gewerkschaftsmitglieder folgten den Parolen beider radikaler Parteien. Bei oberflächlicher Betrachtung mußte dies auf den Außenstehenden wie ein festes Bündnis wirken. Die Kommunisten dominierten die Einheitsausschüsse, die den Streik leiteten. Die Nationalsozialisten aber unterstützten die "Kampagne gegen Lohnabbau" in breiter Front. In einer Ausgabe des Angriffs im November 1932 wurden alte Skandale wieder aufgegriffen:

"Wieder sollen die Ärmsten der Armen leiden, und von ihrem kargen Lohn soll ihnen noch in Teil geraubt werden, um für die Schulden der Gesellschaft gerade zu stehen (...) Holt Euch von denen das Geld, die die Schulden gemacht haben, von Herrn Reuter (...), dem seidenbehemdeten und derzeitig beurlaubten Herrn Brolat, dem pensionierten unvergeßlichen Oberbürgermeister von Berlin, Herrn Böß, und den Freunden der vorgenannten Herren, den Gebrüdern Sklarek. Von all denen ist noch Geld zu holen, um die Schulden der BVG abtragen zu können."

Die Urabstimmung am 2. November sprach eine deutliche Sprache. Von den 21.902 Stimm- berechtigten beteiligten sich 18 537 an der Abstimmung. 14 471 stimmten für einen Streik. Lediglich 3 993 folgten der von Gewerkschaften und SPD ausgegebenen Parole. Nach den Satzungen der Gewerkschaften reicht dieses überwältigende Ergebnis nicht für die Ausrufung eines rechtmäßigen Streiks. Mindestens 75 Prozent der gesamten Belegschaft, nicht der Abstimmenden, hätten mit "ja" stimmen müssen. Die Zeichen standen auf Sturm.

Der (...) Nichtangriffspakt zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten hielt. Noch am Abend des 2. November, kurz nach Bekannt werden des Ergebnisses, wurde der wilde Streik ausgerufen. Die Arbeiter ignorierten das unmißverständliche Ultimatum, die Arbeit wieder aufzunehmen. Die angedrohte Entlassung schreckte nur wenig. Bereits am 3. November standen Streikposten vor dem Betriebsbahnhof. Arbeitswillige wurden bedrängt und wichen der Gewalt. Nahm ein Straßenbahnzug die Fahrt auf, durchschnitt man kurzerhand die Leinen der Stromabnehmer, versperrte die Schienen mit Steinen, schüttete Sand in die Schienen oder goß Beton in die Weichen. SA-Männer zogen gemeinsam mit Kommunisten durch die Straßen und demolierten fahrende Omnibusse. In der Nacht verschärfte sich die Lage. Im ganzen Stadtgebiet kam es zu (...) Sabotageakten. Bäume wurden gefällt und versperrten die Schienen. In den nächsten tagen folgten nur wenige den Appellen, die Arbeit wieder aufzunehmen. 1 900 meldeten sich am Morgen des 5. November an ihrem Arbeitsplatz. Der Versuch, zumindest einen Teilverkehr aufrecht zu erhalten, scheiterte. Die BVG brach unter dem Eindruck der Gewalt das Experiment des Notverkehrs ab" (Angriff, November 1932).

Doch der von den Kommunisten verbreitete Eindruck, die Nationalsozialisten seien lediglich auf den fahrenden Zug aufgesprungen, trügt. Zahlreichen Polizeiberichten zufolge waren sie bei einzelnen Aktionen sogar die treibende Kraft. Nachdem die Kommunisten erkannt hatten, wie sinnlos eine weitere Aufrechterhaltung des Streikes sei, stellten sie am 7. November alle Aktionen ein. Als die BVG-Direktion ihre Drohung verwirklicht und 1 000 Arbeiter entließ, nahm die Streikbereitschaft rapide ab. In den Abendstunden des 7. November verkehrten bereits über 50 Prozent der Verkehrlinien, am nächsten Tag herrschte wieder Normalität. Die NSBO erklärte den Streik erst einen Tag später für beendet.

Nach diesen Beispielen aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung können wir bedauern, wie Hans-Dietrich Sander in den Staatsbriefen 12/2000 schrieb, daß die Nationalsozialisten und die Kommunisten als feindliche Brüder zu wenig erkannten, daß sie im selben Boot saßen: "Es hinderte sie daran die Bürgerkriegslage zu Beginn der 30er Jahre, als sie sich feindlich gegenüber standen. Diese Bürgerkriegslage überdauerte in katalanischen Ausmaßen. Die überlebenden Nationalsozialisten in der BRD versuchten, ihr Engagement ex post mit strammen Antikommunismus zu kompensieren." Liebe Freunde, denkt immer daran: "Die Stunde vor dem Sonnenaufgang ist die dunkelste Stunde der gesamten Nacht!" In diesem Sinne rufe ich Euch ein herzliches "Freundschaft“ zu!!!

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