Politische Theorie

 

Nationalismus und „unbewältigte Vergangenheit“

aus: Junges Forum Nr. 1/1964


Es wird heute allgemein von einer Krise des nationalen Lagers gesprochen. Tatsächlich befinden wir uns hier am Tiefpunkt einer Entwicklung, in einer Sackgasse. Die Richtung dieser Entwicklung wurde vor allem durch den Ausgang des Zweiten Weltkrieges bestimmt. Obwohl dieser durch die politische und weltanschauliche Spaltung Deutschlands die nationalen Fragen in den Mittelpunkt gerückt hat, blieb es den nationalen Kräften versagt, politisch Fuß zu fassen. Das liegt an dem tieferen Problemkreis, mit dem die nationale Frage heute verknüpft ist.

Mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches schien nämlich der nationale Gedanke ad absurdum geführt. Hatte er sich doch hier auf der Grundlage einer „völkischen Weltanschauung“ bis zur Hybris gesteigert. Höhepunkt dieser Übersteigerung war das unmenschliche Element des „Rassismus“ innerhalb dieser Anschauung. So war und ist nationales Gedankengut mit einer schweren Hypothek belastet. Die nationalen Kräfte konnten sich unmöglich mit dieser geistigen Grundlage identifizieren. Zwar geschah das bei einigen Gruppierungen, doch niemals öffentlich. Der politische Standpunkt der Nachkriegsnationalen beruhte nicht auf einer neu gewonnenen Schau – dafür war die Zeit noch nicht reif -, sondern man erklärte ihn einfach als Ausdruck nationaler Haltung. Dieser verhängnisvolle Mangel einer geistigen Grundlage wirkte sich im Verlauf der Nachkriegszeit katastrophal aus.

Denn jene Zwangslage konnten die Gegenkräfte weidlich ausnutzen. Für die traditionellen Gegenkräfte des verblichenen Nationalsozialismus und auch des nationalen Gedankens war es leicht, den Nachkriegsnationalen nazistischen Geist zu unterstellen. Auf Jahre hinaus hatten sie das Monopol über die Massenpublikationsmittel. Jede nationale Regung wurde mit der Bezeichnung „rechtsradikal“ etikettiert und war damit politisch erledigt. Denn die Vorstellungswelt der Öffentlichkeit war inzwischen so gestaltet worden, dass man hierunter nur noch „verbrecherische nazistische Umtriebe“ verstand.

Das Fehlen einer neu gewonnen geistigen Grundlage und der sich daraus ergebende Mangel einer politischen und gesellschaftlichen Konzeption haben die Nachkriegsnationalen in eine unfreiwillige Verteidigung gedrängt. Denn in der politischen Auseinandersetzung verbanden ihre Gegner die nationalen Thesen mit dem Gedankengut des Dritten Reiches. Da die Nationalen aber nicht bereit sein konnten, alles zu verdammen, was zu den Triebkräften und Zielen jener Epoche zählte, wurden sie zu „Verteidigern der Gewaltherrschaft“ gestempelt. Damit ging ihnen jede politische Aktionsfähigkeit verloren. Der Weg führte von nun an mehr und mehr in die Isolation.

Es hat sich in der weiteren Folgezeit klar herausgestellt, dass es heute und künftig unmöglich ist, ohne einen festen geistigen Standort Politik zu treiben. Denn der tief greifende Bewusstseinswandel des modernen Menschen hat die elementaren Lebens- und Glaubensfragen neu aufgeworfen. Er will in der Politik wissen, welches Schiff er betritt. Er will daher auch wissen, was verborgen unter der Wasserlinie liegt. Denn hier lässt sich der Zustand eines Schiffes am besten beurteilen. So ist es auch in der heutigen Politik. Die zunächst hintergründige geistige Grundlage macht sichtbar, ob eine politische Bewegung in die Zukunft steuern kann oder nicht. Sie zeigt dem Menschen, immer vorausgesetzt, dass er überhaupt denkt, ob die geforderten Ziele auf einer entwicklungsfähigen geistigen Basis beruhen, die den Stürmen der Auseinandersetzung trotzen kann. Die Nachkriegsnationalen sind aber nur in die Rettungsboote geflüchtet. Ein neues Schiff als zukunftsträchtige geistige Grundlage konnten sie nicht erbauen. So musste das deutsche Volk alte – durch die Besatzungsmächte wieder in Dienst gestellte – politische Gefährte besteigen, die mehr Wracks als Schiffen glichen.

Nach dem Krieg kam die Forderung nach „Bewältigung der Vergangenheit“ auf. Damit meinte man den unverdauten Brocken „Nationalsozialismus“, der unserem Volke damals wie heute beschwerlich im Magen liegt. Dieser chronisch-pathologische Zustand hat auch erhebliche Charakterveränderungen im deutschen Volk hervorgerufen, an die man sich bereits zu gewöhnen beginnt. So ist der Deutsche nicht mehr der aktive, tatenfrohe Mensch, der aufrecht sein Schicksal gestaltet, der im bewussten Stolz seiner Volkszugehörigkeit für die Zukunft Deutschlands schafft. Nein, er ist ein gebeugter, sich anpassender Bürger geworden. Seine Arbeit hat er der Zukunft anderer Völker gewidmet. Die Lebensinteressen des deutschen Volkes lässt er dabei weitgehend außer Acht. Die Deutschen sind keine Nation mehr, sondern eine Gemeinschaft von Krämerseelen, die für ihre Dienste ehrlos am Tische der Reichen sitzen dürfen. Das Symbol der heutigen Deutschen ist nicht mehr der Adler, sondern die Mastgans. Denn auch sie ist infolge ihres angefressenen „Wohlstandes“ nicht in der Lage, die ganze und natürliche Freiheit zu fordern und auszufüllen. Auch sie vermutet im fütternden Wärter naiv den Beschützer und Interessenvertreter! Des Deutschen Freiheit ist das eigene „Ich“ und nicht das stolze „Wir“, das uns einst zu den Leistungen antrieb, die unser Dasein als Einzelne und als Volk bereichern.

An Deutschland erinnert man sich nur mit Unbehagen, da es stets den unverdauten Brocken schmerzlich bewusst werden lässt. Damit ist die „unbewältigte Vergangenheit“, d.h. die Überwindung des „Nationalsozialismus“ zum nationalen Schlüsselproblem geworden.

Haben nun diejenigen, die so lautstark die „Bewältigung“ fordern, die Vergangenheit bewältigt?

Die beiden weltanschaulichen und politischen Hauptrichtungen in unserem Staat – die „Rationalisten“ und die „Restauration“ - haben es nicht gekonnt. Ihre ganze geistige Leistung besteht lediglich darin, die Vergangenheit zu verdammen. Sie haben die Vergangenheit nicht „bewältigt“, sondern höchstens „vergewaltigt“! Das ist eine entscheidende Tatsache, die unseren Blick wiederum tiefer auf das eigentliche hinter- und vordergründige Glaubensringen unserer Zeit lenkt. Denn hier liegt auch die Erklärung für diesen Vorgang.

Eine gerechte Beurteilung im Zuge einer ehrlichen geistigen Auseinandersetzung mit dem Fragenkomplex „Nationalsozialismus“ hätte naturgemäß auch seine Ursachen berücksichtigt. Es wird in der heutigen Zeit aber immer nur von den unmenschlichen Auswirkungen dieser Epoche gesprochen, ihre tieferen geistigen und seelischen Ursachen werden dagegen tunlichst verschwiegen. In diese Ursachen aber sind die heutigen politischen und weltanschaulichen Kräfte zutiefst verstrickt.

Sie selbst bildeten und bilden den Urgrund solcher geistigen und politischen Exzesse, da sie den Menschen in einen gesellschaftlichen Zustand zwängen, dem er zu entrinnen sucht. Die geschichtliche Epoche des „Dritten Reiches“ war die kritische Phase, wo man sich gewaltsam dieses Zustandes entledigen wollte, um nach vorn stürmend Neuland zu gewinnen. An seinen Ufern aber wurde man von neuen Wahrheiten geblendet. Sie nahmen bald den Rang absoluter Gottheiten ein und wurden so zur Geißel wie einst die Götting „Vernunft“ der Französischen Revolution. Es war hauptsächlich die neu entdeckte biologische Wahrheit von Volk und Rasse, welche zu den bekannten Übersteigerungen führte. Sie verursachte die uns noch immer belastende Opferung der Menschlichkeit.

Trotzdem ist diese Zeit eine Epoche gewesen, die uns die natürliche Entwicklungsrichtung gewiesen hat. Ihre extremen Auswüchse verpflichten die jungen Kräfte, die absoluten Gottheiten zu entthronen und sie als relative Glieder in eine neue universale Schau der Dinge zu verarbeiten. Das ist die von uns geforderte „Bewältigung“ einer falschen – weil auf Übersteigerungen aufgebauten – Weltanschauung, zugunsten einer natürlichen Entwicklung des Menschen in neuer Freiheit und Bindung. Das ist der lebensnotwendige Durchbruch zu einer „neuen Mitte“, der allein einen Rückfall in eine solche menschliche Krise unmöglich macht.

Die alten weltanschaulichen Kräfte sind nicht in der Lage, der natürlichen Entwicklung Raum zu schaffen. Ihr überholtes Gedankengut kann das neue Bewusstsein nicht mehr geistig formen. Und damit kann es auch keine Ziele aufstellen, die der sittlichen und politischen Ordnungssehnsucht des modernen Menschen entsprechen. Die nationalsozialistische Epoche hat diesen Tatbestand klar zu Tage gefördert. Seine unmenschlichen Entgleisungen werden nun dazu benutzt, um einmal von dieser historischen Tatsache abzulenken und zum anderen die längst überfällige politische Ablösung hinauszuschieben. So ruft angesichts dieser Lage die Restauration „Zurück zu den alten Ufern!“ und der Rationalismus will den Menschen ewig im kalten, dunklen Fluss der Massengesellschaft halten. Beide Bestrebungen laufen der natürlichen Entwicklung zuwider. Die neue Freiheit und Bindung wird nur von den Kräften geschaffen werden können, die die geforderte „Bewältigung der Vergangenheit“ im Sinne der natürlichen Entwicklung durchführen können. Mit dieser sittlichen Aufgabe aber ist das nationale Problem untrennbar verbunden. Es ist der Schlüssel zur nationalen Wiedergeburt Deutschlands.

Mit der echten Überwindung des „Nationalsozialismus“ werden auch wieder der nationale Selbstbestimmungswille und das alte Selbstvertrauen in unserem Volke wiederkehren. Das sind Elemente, die wir für die Lösung der anstehenden Fragen benötigen, die mit einer Wiedergeburt Deutschlands verbunden sind.

Diese Zusammenhänge lassen erkennen, warum die Nachkriegsnationalen scheitern mussten. Sie konnten sich den Forderungen der Nachkriegswirklichkeit nicht stellen. Als „Gesellschaft der Schiffbrüchigen“ erlagen sie einem gefährlichen Irrtum. Sie glaubten, auch sie könnten nun wieder Politik machen wie einst zu Weimarer Zeiten. Man war der irrigen Meinung verfallen, es ginge auch ohne verbindendes Gedankengut, das die entstandenen Fragen klar beantwortet. Bewiesen ist, dass es heute mit „nationaler Haltung“ und dem Appell an das Nationalgefühl allein nicht mehr getan ist. So lässt sich das politische Leben nicht mehr gestalten!

Mit der Formel von der „nationalen Opposition“ gestand man sich ein, dass das Gesetz des Handelns endgültig verloren gegangen war. Und das lag fast gesetzmäßig in dieser Entwicklung, da man ohne geistige Basis politisch operieren wollte. Dass man nur in einem Rettungsboot saß statt in einem seetüchtigen Schiff, wollen manche noch immer nicht wahrhaben. Deshalb ist von solchen Kräften auch kein Beitrag für eine Genesung Deutschlands zu erwarten.

Die Aufgabe fällt jetzt den jungen Kräften zu, die den schwierigen Weg der schrittweisen Bewältigung der Vergangenheit gegangen sind. Sie allein besitzen den Schlüssel zur Zukunft!

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