Politische
Theorie
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Nation und Arbeiterklasse
von Heinrich Laufenberg und Fritz Wolffheim
Vorbemerkung:
Nachstehender Text erschien erstmals im Jahre 1920 im Hamburger Willaschek-Verlag.
Laufenberg und Wolffheim waren im November 1918 die Schlüsselfiguren der
revolutionären Linken in Hamburg. Hierbei vertraten sie schon früh
den Standpunkt eines an nationalen Gesichtspunkten orientierten Linkskommunismus
und eines Volkskrieges gegen die Versailler Ordnung. Es darf spekuliert werden,
inwieweit die Thesen der beiden Einfluss auf Ernst Niekisch ausübten. Als
Vorreiter des deutschen Nationalbolschewismus und wegen ihrer syndikalistischen
Orientierung wurden Laufenberg und Wolffheim im Oktober 1919 aus der KPD ausgeschlossen
und traten der im April 1920 gebildeten Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands
KAPD bei. Das KAPD-Intermezzo dauerte nur bis zum August 1920 an, als erneut
der Parteiausschluss wegen nationalbolschewistischen Abweichlertums erfolgte.
Als Splittergruppe entstand nun der Hamburger Bund der Kommunisten. Laufenberg
trat in den späten 20er Jahren noch durch die Zeitschrift „Harpune“
hervor, während sein Kampfgefährte sich Paetels Sozialrevolutionären
Nationalisten anschloss. Heinrich Laufenberg starb am 3. März 1932; Wolffheim
landete nach dem 30. Januar 1933 in diversen Konzentrationslagern und kam am
17. März 1942 in der Männerabteilung des KZ Ravensbrück um.
- Richard Schapke
I.
Der Kommunismus ist die Lehre vom Klassenkampf des Proletariats in der kapitalistischen Gesellschaft. Sein Ziel ist die Zertrümmerung des kapitalistischen Weltsystems und seine Ersetzung durch die Kommune der Weltwirtschaft.
Kampf und Ziel sind international. Bourgeoisie und Proletariat werden in ihrer Existenz bedingt durch die kapitalistische Produktionsweise. Der Kampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat geht durch die Nationen hindurch, sie durch den Gegensatz der Klassen in feindliche Heerlager zerreißend. Aber wie beide Klassen nur da sein können, so lange die kapitalistische Gesellschaft dauert, so steht am Ende ihres Kampfes die Aufhebung des Klassengegensatzes in allen Ländern durch das siegreiche Proletariat. Indem das Proletariat die kapitalistische Wirtschaftsform zertrümmert und mit der Klassengesellschaft Kapitalismus und Lohnsystem aufhebt, hebt es die Bourgeoisie und zugleich sich selber als nicht besitzende Klasse auf. Damit entzieht es der Klassenunterscheidung innerhalb der Nationen den Boden. Die kommunistische Gesellschaft stellt alle arbeitenden Glieder eines Volkes als Freie und Gleiche nebeneinander. Aus der vergesellschafteten Arbeit des klassenlosen Volkes wächst sie empor, und ihre Vollendung findet sie durch die föderalistische Zusammenfassung der Wirtschaft der klassenlosen Völker in der Kommune der Welt.
Der revolutionäre Kampf des Proletariats, der im Schoße der bürgerlichen Nationen einsetzt, greift die revolutionären Tendenzen auf, die er bei seinem Beginn vorfindet. Wo die bürgerliche Gesellschaft selbst noch mit den feudalen Gewalten um ihre politische Gestaltung ringt, ficht das Proletariat in der vordersten Schlachtreihe des Bürgertums als die energischste die Revolution vorwärts treibende Schicht. Nach dem Siege des Bürgertums über die feudale Welt greift es in die revolutionären Kämpfe ein, die neu aufkommende und erstarkende Gruppen der bürgerlichen Klasse selbst um die Anteilnahme an der Staatsmacht entfesseln, und während es auch in diesen Umwälzungen die bürgerlichen Flügel der Revolution unterstützt, kämpft es zugleich für die Durchsetzung eigener Klassenziele, um die eigene revolutionäre Kampfbasis wieder die gesamte bürgerliche Klasse zu verbreitern. Gerade der Verlauf der bürgerlichen Revolutionen erbringt den sichtbaren Beweis, dass der bürgerliche Emanzipationskampf zwar die Probleme der Menschheitsbefreiung aufrollt, dass es aber der Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft selber bedarf, um sie zu lösen. Alle jene Probleme rücken daher automatisch in den Ring des proletarischen Kampfes. Das wichtigste von ihnen, in dem alle anderen sich wie in einem Brennpunkte treffen, ist die Organisation der Nation. Denn der politische Ausdruck der bürgerlichen Gesellschaft ist der bürgerliche Staat, der die Nation als seine gegebene Grundlage zu organisieren versucht. Und da ihm diese Organisation so wenig gelang, wie die Lösung aller anderen Menschheitsprobleme, die die bürgerliche Gesellschaft aufwirft, das Proletariat aber, um seine eigene Emanzipation zu vollziehen, den bürgerlichen Staat erobern und zertrümmern muss, ist es gezwungen, auch in diesem Falle die ungelöste Aufgabe an eben dem Punkt wieder aufzugreifen, wo die bürgerliche Revolution sie gelassen hat.
Die Stellung des Proletariats zur Nation hat schon das Kommunistische Manifest von Marx und Engels vom Jahre 1848 scharf umrissen. Hier heißt es: „Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben. Indem das Proletariat zunächst sich die politische Herrschaft erobern, sich zur nationalen Klase erheben, sich selbst als Nation konstituieren muss, ist es selbst noch national, wenn auch keineswegs im Sinne der Bourgeoisie.“ Besitzlos, wie die Proletarier sind, sind sie auch landlos. Und als Landlose haben sie kein Vaterland. Indem das Proletariat die bürgerliche Gesellschaft mit allen ihren politischen und wirtschaftlichen Erscheinungsformen zu zertrümmern strebt, richtet sich sein Klassenkampf unmittelbar gegen den bürgerlichen Staat und damit gegen die bürgerliche Organisation der Nation. Dadurch aber, dass es sich innerhalb dieser bürgerlichen Gesellschaft als nationale Klasse zusammenschließt, um mit der Überwindung des bürgerlichen Staates seine nationale Klassenorganisation zur nationalen Staatsorganisation zu erheben, ergreift es Besitz von dem Lande und all seinen Werten. Es hört auf besitzlos, landlos, vaterlandslos zu sein. Denn es wird selber die Nation und kann nicht mehr antinational sein, weil es nicht gegen sich selber sein kann. Es wird zum Träger der nationalen Kultur und damit zum Träger der nationalen Idee. Dieser Umwandlungsprozess setzt ein mit dem Kampf um die Macht selbst, mit dem Ausbruch der proletarischen Revolution.
Die Pariser Kommune vom Frühjahr 1871 war der erste Versuch, die revolutionäre Diktatur des Proletariats aufzurichten, also eine proletarische Staatsorganisation zu schaffen. Als das bonapartistische Frankreich durch den Krieg zerschlagen war, und die französische Bourgeoisie aus Furcht, das Proletariat zu bewaffnen, mit dem Landesfeind volksverräterische Vereinbarungen traf, erhob sich das Pariser Proletariat - Arbeiter, Handwerker und die fast besitzlose bürgerliche Unterschicht der kleinen Leute -, um den revolutionären Widerstand zu organisieren und die nach dem Sturz des Kaiserreichs errichtete Republik vor den Klauen der französischen Bourgeoisie und der fremden Eroberer zu bewahren. Weil Paris die Hauptstadt eines straff zentralisierten bürgerlichen Nationalstaates war, sah sich sein Proletariat, als es im Namen dieses Staates seine Herrschaft aufrichtete, sofort vor die nationale Frage gestellt. Es ist bezeichnend für das Ineinanderfließen nationaler und internationaler Gesichtspunkte, dass Marx als Haupt der 1863 geschaffenen Ersten Internationale sofort die Bedeutung der nationalen Politik der Kommune hervorhob und damit zugleich die Notwendigkeit einer geschlossenen nationalen Organisation für die gesamte revolutionäre Politik des Proletariats aufdeckte. In seiner Schrift über den Bürgerkrieg in Frankreich, die als Adresse des Generalrates der Internationale erschien, schreibt er: „Die Pariser Kommune sollte selbstverständlich allen großen gewerblichen Mittelpunkten Frankreichs zum Muster dienen. Sobald die kommunale Ordnung der Dinge einmal in Paris und den Mittelpunkten zweiten Ranges eingeführt war, hätte die alte zentralistische Regierung auch in den Provinzen der Selbstregierung der Produzenten weichen müssen. In einer kurzen Skizze der nationalen Organisation, welche die Kommune nicht Zeit hatte, weiter auszuarbeiten, heißt es ausdrücklich, dass die Kommune die politische Form selbst des kleinsten Dorfes sei, und dass das stehende Heer auf dem Lande durch eine Volksmiliz mit äußerst kurzer Dienstzeit ersetzt werden sollte. Die Landgemeinden eines jeden Bezirks sollten ihre gemeinsamen Angelegenheiten durch eine Versammlung von Abgeordneten in der Bezirkshauptstadt verwalten, und diese Bezirksversammlungen dann wieder Abgeordnete zur Nationalversammlung in Paris schicken; die Abgeordneten sollten jederzeit absetzbar und an die bestimmten Instruktionen ihrer Wähler gebunden sein. Die wenigen, aber wichtigen Funktionen, welche dann noch für eine Zentralregierung übrig blieben, sollten nicht, wie dies absichtlich gefälscht worden, abgeschafft, sondern an kommunale, das heißt streng verantwortliche Beamten übertragen werden. Die Einheit der Nation sollte nicht gebrochen, sondern im Gegenteil organisiert werden durch die Kommunalverfassung; sie sollte eine Wirklichkeit werden durch die Vernichtung jener Staatsmacht, welche sich für die Verkörperung dieser Einheit ausgab, aber unabhängig und überlegen sein wollte gegenüber der Nation, an deren Körper sie doch nur ein Schmarotzerauswuchs war. Während es galt, die bloß unterdrückenden Organe der alten Regierungsmacht abzuschneiden, sollten ihre berechtigten Funktionen einer Gewalt, die über der Gesellschaft zu stehen beabsichtigte, entrissen und den verantwortlichen Dienern der Gesellschaft zurückgegeben werden.“
In dieser kurzen Skizze ist ein vollständiger Aufbau des nationalen proletarischen Staates enthalten. Fügt man ihm den Gedanken der betriebsweisen Vertretung als Grundlage ein, so hat man das ganze moderne Rätesystem, wie wir es auffassen, die Organisation der Selbstverwaltung von unten her, auf föderalistischer Basis mit zentralisierenden Zwischengliedern und einer obersten Spitze, die aus dem Obersten Landesrat - von Marx noch als Nationalversammlung bezeichnet - hervorgeht, ein System, das auf der Staffelung von unten beruht und wonach jeder Beauftragte der Gesellschaft von seinen Auftraggebern jederzeit zurückgerufen werden kann, wann immer er sein gebundenes Mandat verletzte. Alle die Einwendungen, die von fanatischen Deklamatoren einer für die Kulturländer der Welt undiskutierbaren Diktatur von Parteiregenten gegen jene Auffassung erhoben werden, richten sich somit auch gegen die Pariser Kommune, gegen die Erste Internationale und gegen Karl Marx, als dessen Schüler sich heute die Zaunkönige der proletarischen Revolution zu gebärden belieben.
Auch die Verfassung der russischen Sowjet-Republik kann nicht umhin, das Selbstbestimmungsrecht der Nationen ausdrücklich anzuerkennen und festzulegen. Im zweiten Absatz des ersten Artikels der Erklärung der Rechte des werktätigen und ausgebeuteten Volkes bestimmt sie: „Die russische Sowjetrepublik wird auf der Grundlage eines freien Bundes freier Nationen als eine Föderation nationaler Sowjetrepubliken errichtet.“ Wenn das Moskauer Büro der Dritten Internationale sich anmaßt, allen Ländern die Diktatur kommunistischer Parteipolitikanten aufzwingen zu wollen, so schlägt es damit nicht nur der ganzen bisherigen Praxis des wissenschaftlichen Kommunismus, sondern auch den Grundsätzen der Verfassung des eigenen proletarischen Staates ins Gesicht.
II.
Wiewohl das Wort Nation römischen Ursprungs ist, kennt das Altertum diesen Begriff nicht in seiner heutigen politischen Bedeutung, sondern bezeichnet damit, was wir Landsmannschaft nennen. Erst im Mittelalter gewinnt das Wort einen umfassenderen politischen Sinn. Das Herrschaftsgebiet des deutschen Adels und der freien deutschen Bauernschaft, das sich von den Mündungen des Rheines, der Maas und der Schelde bis hinauf nach Kurland, bis an die Karpaten und im Süden tief hinein nach Italien erstreckte, ein Länderkomplex, dem zeitweilig Polen und später durch dynastische Heiraten Ungarn und Spanien angegliedert waren, trug den Namen Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Später wird die Verbindung der Begriffe Staat und Nation zu einem Kennzeichen der bürgerlichen Epoche.
Der bürgerliche Klassenkampf bringt den Kampf gegen die Vorherrschaft der Grundherren und gegen die durch sie bedingte Organisation von Staat und Wirtschaft. Die feudale Wirtschaft ist eine Bedarfswirtschaft. Jedes Dorf, jeder Flecken, selbst jede Stadt produzieren, was sie selber verzehren und verbrauchen. Der geringe Tauschverkehr, der zwischen ihnen vor sich geht, bezieht sich in der Hauptsache auf entbehrliche Dinger. Ein Gitterwerk von Zöllen und Mauten überspannt das Land, um die innere Geschlossenheit der örtlichen Wirtschaft aufrecht zu erhalten. Dieser Produktionsverfassung entspricht die feudale Staatsorganisation. Sie beruht auf dem persönlichen Lehensverhältnis, in dem die Grundherren kraft der gegenseitigen und widerrufbaren Übertragung von Bodennutzungen zueinander und zugleich zum Staatsoberhaupte stehen, das über alles Land die letzte und höchste Verfügungsgewalt besitzt. Unabhängig von völkischen Verschiedenheiten kann der feudale Staat seine Grenzen so weit stecken, als er Lehensverhältnisse mit Grundherren herzustellen vermag. Von dieser feudalen ist die bürgerliche Wirtschafts- und Staatsorganisation grundverschieden. Die bürgerliche Wirtschaft beruht auf dem Austausch. Je notwendiger und allgemeiner er wird, je mehr sich die Produktion auf den Austausch im Großen einstellt und damit zugleich kapitalistisches Gepräge gewinnt, um so mehr ist die beginnende kapitalistische Wirtschaft daran interessiert, dass die inneren Schranken hinweggeräumt werden und große Gebiete mit einheitlicher Verkehrssprache, einheitlichen Sitten, Gebräuchen, Gesetzen und demnach mit straffer, zentraler Verwaltung entstehen, die dem aufstrebenden Kapital als innerer Markt dienen können, auf denen seine Überlegenheit über die feudale Zwergproduktion sich voll zu entfalten vermag, und die sich hinwiederum aus Gründen der Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Wirtschaften der verschiedenen Länder mehr oder minder voneinander abschließen müssen. Sowohl aus dem geschichtlichen Gegensatz der bürgerlichen zur feudalen Produktions- und Staatsordnung wie aus ihrem eigenen inneren Wesen ergibt sich, dass die Zusammenfassung des ganzen Volkes in einem einheitlichen staatlichen Rahmen, der Zusammenschluss aller seiner Landsmannschaften zur großen Nation das gegebene Ziel bürgerlich-kapitalistischer Politik darstellt.
Aber der bürgerliche Staat zeigt sich außerstande, dieses Ziel zu verwirklichen. Nicht einmal Frankreich, das in jahrhundertelangen Kriegen um die Schaffung des nationalen Staates gerungen hat, vermochte alle Landsmannschaften des französischen Volkes als Nation in einem Staatswesen zu vereinigen. Auch diese Unfähigkeit liegt im eigenen Wesen der kapitalistischen Wirtschaftsweise begründet. Tauschwirtschaft und Konkurrenz sind das Leitmotiv bei der Schaffung und Abgrenzung ihrer Wirtschaftsgebiete voneinander. Wie ehedem in der feudalen Welt das allgemein menschliche Interesse zurücktrat hinter das Personeninteresse der Feudalherren, so trat es jetzt zurück hinter das Sachinteresse der Warenbesitzer. Wenn die bürgerliche Freiheit und Gleichheit sich entpuppte als eine Freiheit der Ausbeuter, die nichtbesitzenden Schichten gleichmäßig auszubeuten, was konnte da die durch den bürgerlichen Klassenkampf entstehende Nation anders sein als eine Organisation zur planmäßigen Durchführung einer bürgerlich-kapitalistischen Wirtschaft, die nicht Rücksicht nahm auf die allgemein menschlichen Interessen der Landesbewohner, sondern lediglich auf die besonderen Ausbeutungsinteressen der Geld- und Warenbesitzer? Und dieses Gesetz, das die Beziehungen der Bewohner eines jeden kapitalistisch organisierten Landes beherrscht, waltet naturgemäß mit der gleichen Unbedingtheit auch über den Beziehungen der kapitalistischen Nationen untereinander.
In dem Maße, wie die Bourgeoisie von der Staatsmacht Besitz ergreift, wird die Staatspolitik zur Zusammenfassung ihrer Wirtschaftsinteressen gegenüber dem Auslande. Damit wird auch die Frage der Festsetzung von Landesgrenzen zu einer machtpolitischen Frage im Dienste der Wirtschaftsinteressen des Kapitals. Wo kapitalistische Interessen die Beherrschung von Flussmündungen und Wirtschaftszentren, von Bodenschätzen und Verkehrsstraßen verlangen, da werden die entsprechenden Grenzen erzwungen, sofern nur die kapitalistische Bourgeoisie die Macht besitzt, um ihre Sonderinteressen dem eigenen und den fremden Völkern gegenüber durchzusetzen. Mit der Entwicklung von Welthandel und Weltwirtschaft beginnt das Ringen um die Beherrschung der Meere, um die Beherrschung von Häfen und Küsten, das mit den kontinentalen Interessen der Bourgeoisie in den einzelnen Ländern ihre überseeischen Interessen aufs engste verschlingt und die Staatenkarte des heimischen Kontinents von den Machtverhältnissen auf fremden Erdteilen abhängig macht. In ihrer Gier, sich selber Monopol und Vorherrschaft zu sichern, reißen die rivalisierenden Bourgeoisien zusammengehörige Völker auseinander, pferchen sie fremde Volkssplitter dem eigenen Staate ein, schaffen sie künstlich kleine Staaten, die an sich selber weder lebensfähig noch existenzberechtigt sind, die der Eifersucht der Großen ihren Bestand verdanken. Und wie der zentralen Verwaltung des bürgerlichen Staates ein zentralisierter militärischer Apparat entspricht, so verschärft das Dasein dieses Heeres als Mittel kapitalistischer Politik die Tendenzen zur Zersplitterung und Zerreißung schwächerer Völker, weil bei der Festsetzung von Landesgrenzen neben den wirtschaftlichen Sonderinteressen auch noch die militärischen Gesichtspunkte der möglichen Offensive oder Defensive ins Gewicht fallen.
So wenig die bürgerliche Gesellschaft in der Lage ist, menschliche Freiheit und Gleichheit zu verwirklichen, so wenig vermag sie es, die Völker im nationalen Rahmen zu organisieren. Während sie die Teile der eigenen Nation, die sie in ihren Staatsmechanismus hineinzwingt, im Innern vergewaltigt und unterdrückt, zwingt sie zugleich Teile fremder Nationen aus wirtschaftlichen Sonderinteressen in diesen Rahmen hinein, dadurch andere Völker zerreißend und ohne es verhindern zu können, dass hinwiederum von anderen Staaten Teile ihrer eigenen Nation zwangsweise eingegliedert und vom Volkskörper abgesplittert werden. Und unfähig wie sie ist, die Nationen zu organisieren, korrumpiert sie den Begriff der Nation, indem sie aus der Frage der Zugehörigkeit zu einem Volke die Frage nach der Zugehörigkeit zu einem Staate macht und damit den Begriff der Nation in den der Nationalität verwandelt. Auch diese Korrumpierung geschieht zwangsläufig, weil die kapitalistischen Klassen sich nur durch die Gewaltmaschine ihres Staates wider das Proletariat ihrer eigenen Länder und im Kampfe miteinander behaupten können, weil die Staatspolitik der kapitalistischen Epoche nicht ungeteilte Nationen, sondern im besten Falle stets nur mehr oder minder große Bruchteile von Nationen zu erfassen vermag, mithin über die Schaffung von Nationalitäten nicht hinausgelangt. Wie in einem bürgerlichen Staate selbst dann die Nation verwandelt ist in eine Nationalität, wenn der bürgerliche Staat nur Glieder eines Volkes organisiert, so hängt die Befreiung der Nation davon ab, dass die bürgerlichen Staaten zerschlagen werden. Erst ihre Zertrümmerung hebt den Begriff der Nationalität auf und gestattet den zerrissenen und zersplitterten Völkern, sich zu Nationen zu vereinigen, und erst die proletarische Revolution öffnet dazu den Weg.
III. (Historischer Abriss 1648 bis 1848)
IV. (Historischer Abriss 1848 bis 1918)
V.
Die Zertrümmerung des Fürstenbundes löschte mit einem Schlage die Entwicklung aus, die Deutschland seit dem Beginn der Revolution von 1848 genommen hatte. Die aus der Revolution geborenen Machtorgane, die Räte, hatten unmittelbar nach der Novembererhebung 1918 in Heer und Volk die ganze Macht in den Händen. So wenig sie verpflichtet waren, sich um die erledigten Grenzen des zertrümmerten Deutschen Staatenbundes zu kümmern, so selbstverständlich war die Aufnahme einer nationalen Politik ohne jede Rücksicht auf die dynastischen Interessen, die bis dahin die Schaffung einer Volksorganisation verhindert hatten und die nun zerschmettert am Boden lagen.
Sozialdemokratische Fakire mit ihrem unabhängigen Anhang heulender Medizinmänner und spartakistischer Analphabeten haben sich eingebildet, das Wesen der Revolution hätte darin zu bestehen, dass nun an Stelle der verjagten Fürsten unter Konservierung der zusammenbrechenden staatlichen Maschinerie sich die Politikanten aller Parteien der Arbeiterbewegung vor die Futtertröge der staatlichen Verwaltungen setzten, um die staatliche Bürokratie durch ihren parteipolitischen Anhang abzulösen. Sie glaubten gar ein Übriges zu tun, wenn sie als Faune in Badehosen die Friedensschalmei internationaler Wilsoniaden erklingen ließen. Statt zu begreifen, dass die Revolution eine völlig neue Organisation Deutschlands erforderte, und dass diese nur geschaffen werden konnte durch die Konsolidierung der revolutionären Machtorgane und somit der revolutionären Klasse selbst, versuchten sie einen Apparat zu meistern, der selbst in den Händen derer, die ihn aufgebaut hatten, Staat und Wirtschaft nicht mehr zusammenzuhalten vermocht hatte. Dem aus dieser Politik verblendeter Toren sich ergebenden völligen inneren Zerfall, der mit dem wirtschaftlichen Chaos den Kampf aller gegen alle auslöste, entsprach die volle Auslieferung des Landes an die Schakale des Völkerbundes. Die Aasgeier der Weltfinanz, die vor der Kraft der russischen Revolution als hilflose Tröpfe zurückbeben, haben nach eigenem Geständnis in den ersten Wochen nicht geglaubt, von einem revolutionierten Deutschland herauspressen zu können, was ihnen die verbrecherische Feigheit der sozialdemokratischen Erzbergerei ausgeliefert hat. Vorwärtsgetrieben durch das pazifistische und wilsonistische Marktgeschrei unabhängiger Anreißer der Entente-Politik hat die sozialdemokratische Regierung in Koalition mit den deutschen Agenturen des internationalen Finanzkapitals den Frieden von Versailles unterzeichnet, obwohl sie wissen musste, dass schon der Versuch seiner Durchführung Deutschland für immer als selbständigen Staat von der Erdkarte wischt und das Volk zwingt, sich als Kulturdünger und Kanonenfutter in Millionen unter die Erde zu zerstreuen. Ein natürliches Ergebnis dieser sozialdemokratischen Regierungsakrobatik ist der Vertrag von Spaa, der wenigstens das Eine zeitigen wird: Dass nach zweijähriger Entnervung und Entmannung der Revolution sich die deutsche Arbeiterklasse erneut erheben wird, um die raffgierigen Banditen zu erledigen, die in ihrem schmutzigsten Eigeninteresse die Konsolidierung der Revolution und damit die Entstehung eines neuen Staates zu verhindern gewusst haben.
Jede staatliche Organisation besteht aus einem politisch-bürokratischen Verwaltungsapparat und einer Zusammenfassung von Volksmassen, die diesem Apparat unterstellt werden. Im Staate herrscht die Klasse, die den Apparat in Händen hat und die Organisationsform des Volkes bestimmt. Damit sie es kann, muss die über die reale Macht im Lande, das heißt über die Waffen, verfügen. Für jeden staatlichen Neuaufbau ist deshalb die Organisation der Bewaffnung Voraussetzung und Grundlage. Indem das Proletariat die Macht ergreift, organisiert es die Bewaffnung aller Arbeitenden, die für die Kontrolle der in ihre Verfügungsgewalt übergegangenen Waffen sich eigene Organe schaffen. Auf der Organisation der Bewaffnung beruht die proletarische Diktatur. Der Gleichheit des Rechtes auf die Waffe entspricht die Gleichheit in allen politischen Rechten. Diese Gleichheit der Macht und der Rechte schließt innerhalb der Arbeiterklasse jede Vergewaltigung durch Gruppen mit Sonderinteressen aus. Aus der bewaffneten Arbeiterklasse erheben sich die Räte als die Herrschaftsmittel der proletarischen Diktatur. Durch ihre Zusammenfassung über das ganze Land und ihre Staffelung von unten nach oben wird diese Diktatur organisiert. Die Diktatur der Arbeiterklasse ist ein staatlicher Zustand, der als solcher auf der Organisation der realen Macht beruht. Der so entstandene Staat gibt sich seine Gesetze und erzwingt ihre Anerkennung und Durchführung mit allen staatlichen Machtmitteln. Wie gegenüber einer so gewaltigen Macht, wie die Organisation der bewaffneten Arbeiterklasse sie darstellt, jeder Versuch eines Widerstandes im Innern aussichtslos ist, so verfügt dieser Staat über die Mittel, Willkürakte seitens Einzelner und Revolten von politischen Gruppen mit Sonderinteressen im Keime zu ersticken.
Der proletarische Staat ist eine Volksorganisation, die eine besondere Gewalt außerhalb des Volkes nicht kennt. Indem das Proletariat sich als Klasse bewaffnet, schafft es seine Klassenorganisation und benutzt die durch die Bewaffnung erlangte Gewalt, um diese Klassenorganisation zur Volksorganisation zu erweitern. Die Bewaffnung des Proletariats zerschlägt mit dem kapitalistischen Staat die Fundamente der Klassenorganisation der Bourgeoisie und hebt allen ihren politischen Einfluss auf. Ihr Monopol an den Produktionsmitteln wird beseitigt, ihre wirtschaftlichen Organisationen werden aufgelöst, die gesamte Wirtschaft tritt unter die Kontrolle der Gesellschaft. Um die Wiederkehr einer Klassenherrschaft der Bourgeoisie unmöglich zu machen, vernichtet das Proletariat alle Privilegien, die in der bürgerlichen Gesellschaft die Bourgeoisie besaß. Damit hat die Bourgeoisie aufgehört, als Klasse zu bestehen, und es bleiben außerhalb des proletarischen Klassenrahmens die Einzelpersonen der zerschlagenen Klasse übrig. Das Proletariat gliedert diese Deklassierten seiner Klassenorganisation ein, indem es jeden Einzelnen zur Leistung von gesellschaftlich nützlicher Arbeit verpflichtet. Alle bislang bürgerlichen Berufe, die schon in der kapitalistischen Wirtschaft gesellschaftlich nützliche Arbeit voraussetzten, wie die Berufe der Ärzte, Techniker, Lehrer und Spezialisten aller Art, und die in einer vergesellschafteten Produktion eine erhöhte Bedeutung gewinnen, üben ihre Tätigkeit aus unter der öffentlichen Kontrolle, die mit den Räteorganen verbunden ist.
In demselben Maße, wie durch Eingliederung der früher bürgerlichen Berufe sich der Rahmen der proletarischen Organisation erweitert, verbreitert sich die demokratische Grundlage der staatlichen Diktatur. Voraussetzung für die Gleichberechtigung der in den ehemals bürgerlichen Berufen Tätigen ist ihre freiwillige Einordnung in das gesellschaftliche System, das sich das Proletariat erschafft, während in den Fällen, wo Widerstand geleistet oder Sabotage geübt wird, selbstverständlich die notwendigen Straf- und Sicherungsmaßnahmen greifen. Dass in einer gesellschaftlichen Organisation der Arbeit alle Personen, die grundsätzlich ihre Teilnahme an der gesellschaftlichen Arbeit verweigern, weil sie bisher gewohnt waren, als Spekulanten, Couponabschneider, Gauner oder Schieber über ein arbeitsloses Einkommen zu verfügen, außerhalb des staatlichen Bürgerrechts stehen und absolut Objekte der Staatsgewalt sind, ergibt sich aus der einfachen Tatsache, dass in dem auf der Organisation der Arbeit beruhenden Staate alle Rechte durch die Teilnahme an der gesellschaftlich nützlichen Arbeit bedingt werden.
Der Klassenkampf des Proletariats vollzieht sich in allen Ländern als Kampf gegen die Bourgeoisie und gegen den Staat, durch den sich die Herrschaft der Bourgeoisie auswirkt. Wo immer aber das Proletariat die Macht errungen und die eigene Bourgeoisie niedergezwungen hat, da ersteht mit dem proletarischen Staat zugleich die Voraussetzung für die Schaffung der nationalen Volksorganisation. Von den bewaffneten Klassenorganisationen des Proletariats ausgehend, besteht das Ziel der freiwilligen oder erzwungenen Eingliederung der Bourgeoisie in das Proletariat in der gegenseitigen Durchdringung der bürgerlichen und proletarischen Klasse, in der Auflösung ihrer Gegensätze zu einer höheren gesellschaftlichen Einheit.
VI.
Die volle Durchführung der Organisation des Volkes durch das Proletariat beseitigt die kapitalistischen Staatsgrenzen; sie hebt die Nationalitäten auf und verwirklicht die nationale Einheit der Völker. Zum ersten Male in der Geschichte treten die Völker als in sich geschlossene kulturelle Einheiten auf den Plan. Gemeinsamkeit der Sprache, Gemeinsamkeit der Geschichte, Gemeinsamkeit der Wirtschaftsbeziehungen, und damit Gemeinsamkeit der Kultur - das werden von jetzt ab die Grundlagen für ihre Gruppierung und für die Grenzen ihres Zusammenschlusses. Solange diese Organisation der Völker nicht über die ganze Erde verwirklicht ist, behält in jedem Lande der Zusammenschluss noch die staatliche Form, die erst absterben kann mit der Durchführung der Weltkommune in einer weltweiten klassenlosen Gesellschaft.
Die volle Durchführung der nationalen Volksorganisation bricht sich zunächst an dem Widerstand der kapitalistischen Klassen der anderen Länder, die die Verwirklichung der nationalen Einheit durch das Proletariat nicht gestatten können, ohne sich selber aufzugeben. Aber der proletarische Klassenkampf endet nicht mit der Niederzwingung und Auflösung der Bourgeoisie des eigenen Landes. Der Sieg des Proletariats eines Landes hat vielmehr zur Voraussetzung den Sturz der Bourgeoisie in allen Ländern. Mit allen staatlichen Machtmitteln unterstützt daher das siegreiche Proletariat eines Landes den Befreiungskampf der Proletarier aller Länder, um ihnen zu helfen, den Sieg zu erringen, ihren Staat aufzurichten, ihre nationale Völkerorganisation durchzuführen.
Die über die ganze Erde durchgeführte proletarische Revolution findet die von der Ausbeutung und Knechtschaft befreiten Völker auf freier Erde als eine freie Vereinigung nationaler Wirtschaftskommunen, als die Föderation der Nationen, durch deren Zusammenschluss sich die Weltkommune entwickelt.