Politische Theorie

 

"An Liberalismus gehen die Völker zu Grunde"

Von Martin Schwarz (2000)

Ein politischer Schriftsteller, dessen Hauptwerk den Titel "Das dritte Reich" trägt, wird wohl 75 Jahre nach seinem Tod kaum auf ehrenden Nachruf hoffen dürfen. Daher wird Moeller van den Bruck, der am 30. Mai 1925 aus Flucht vor den Dämonen einer seelischen Erkrankung den Freitod wählte, auch nur wenigen in der Fülle seiner Ideen und den Facetten seines Wesens heute noch bekannt sein.

Dabei war er nicht nur einer der wenigen, auf den das Etikett "konservativer Revolutionär" wirklich passt, sondern auch ein Rechtsintellektueller neuen Typs - literarisch gebildet, ästhetisch einfühlsam, und dennoch pointiert in der Formulierung und radikal im Anspruch. Gerade deshalb, um weiterhin das Bild des tumben Hurrapatrioten pflegen zu können, wird man von gegnerischer Seite auch wenig an ihn erinnern mögen. Und auf der Rechten gilt wiederum, was Moellers Nachlaßverwalter Hans Schwarz im Vorwort zu einer späteren Auflage des "Dritten Reiches" geschrieben hat: "Man hat ihn romantisch, literarisch, ungeschichtlich, philosophisch genannt, um die eigene Bequemlichkeit vor dem Nachdenken und Umdenken zu behüten."

Arthur Moeller van den Bruck, 1876 in Solingen geboren, lebte nach Aufenthalten in Frankreich und Italien als freier Schriftsteller in Berlin. Den Vornamen Arthur benutzte er aus Ablehnung gegen den "ruchlosen Pessimismus" Schopenhauers nie. Seine anspruchsvolle literarische Tätigkeit entfaltete sich in der Übersetzung und Herausgabe von Barbey d´Aureville, Edgar Allan Poe und Guy de Maupassant. Als Glanzstück gilt die zusammen mit Dimitri Mereschkowski in 22 Bänden herausgegebene deutsche Dostojewski-Ausgabe. Von Dostojewski übernimmt er auch die Vorstellung des Dritten Roms. Bei ihm findet Moeller van den Bruck die endzeitliche Vision des letzten Imperiums, die symbolisch mit den parakletistischen Ideen ("das kommende Reich des heiligen Geistes") der Montanisten und den Prophezeiungen des Joachim von Fiore übereinstimmt. "Moeller van den Bruck hat die Auffassung des Dritten Roms der russisch-orthodoxen Tradition auf Deutschland angewandt, und damit ein politisch-spirituelles Projekt ausgearbeitet, das danach von den Nationalsozialisten aufgenommen wurde", so Alexander Dugin, der russische Experte für politische Eschatologie.

Zum Tragen kommt die politische Zuspitzung der allgemeineren Kulturmorphologie des Frühwerks nach der deutschen Apokalypse von 1918. "Das Recht der jungen Völker" war eine Bestandaufnahme der neuen Lage und ein Weckruf aus seiner Feder. Zugleich wurde Moeller zu einer zentralen Figur des jungkonservativen Kreises in der Motzstraße, der sich auch als Juniklub institutionalisierte.

Mit dem bereits erwähnten Buch "Das dritte Reich" beabsichtigt Moeller, "die Parteien von der Seite der Weltanschauung (her) zu zertrümmern". Dies, in dem er die Schlagwörter, denen sich zumeist je eine einzelne Parteiung des prolongierten Bürgerkriegs zuordnen lässt, aufnimmt und umgeprägt für den "deutschen Nationalismus" in Anspruch nimmt: revolutionär, sozialistisch, liberal, demokratisch, proletarisch, reaktionär, konservativ. Diese Kraftanstrengung, in Gegensätzen leben zu können, muss auch auf einer weiteren zwiefältigen Basis im Inneren des "deutschen Nationalisten" aufbauen: "Der deutsche Nationalist dieser Zeit ist als deutscher Mensch immer noch ein Mystiker, aber als politischer Mensch ist er Skeptiker geworden." Die Zerrissenheit, die jedem "revolutionären Konservativismus" inne wohnt, spitzt sich bei Moeller in einer radikalen Weise zu, so dass Christoph Steding, von Moellers "scharfen Dialektik, die man auch Dualektik nennen möchte" sprechen kann. Eine Dialektik, die nicht in einer Hegelschen Synthese, sondern im "Dritten" des Dritten Reichs, des Dritten Roms, des Dritten Zeitalters aufgehoben wird. Diese eschatologische Geschichtsvollendung ist das radikal Andere zu jenem "Ende der Geschichte", das der Liberalismus herbeiführen möchte. Geschichtsvollendung und Geschichtsverendung erinnern an die bekannten Typen des "Übermenschen" und des "letzten Menschen" bei Nietzsche.

Als die zutiefst zersetzende Kraft figuriert bei Moeller der Liberalismus, nicht der Sozialismus oder sonst etwas. Denn es ist der Liberalismus, an dem die Völker zu Grunde gehen. Liberalisierung der Abtreibung, Liberalisierung des Drogenkonsums, Liberalisierung des Strafrechts... Es ist immer ein Hauch des Todes, der den Liberalismus umweht, diese Gesinnungslosigkeit ohne Gemeinschaftsgefühl, aber auch ohne aristokratische Distanz. Der Liberale ist wahrlich ein Agent des Nichts in dieser Welt. Er betreibt die Atomisierung des zur Gesellschaft erniedrigten Volkes, die Auflösung von jahrhundertealten Institutionen wie Ehe und Familie - ohne dass zumindest kollektivistische Surrogate an deren Stelle gesetzt würde, wie es der Sozialismus immerhin versuchte. Dazu kommt sein Spott über alles, was den schöpferischen Vorfahren noch heilig war: der Liberalismus ist der Geruch der Verwesung, der sich über die Welt breitet.

Doch gerade "in dieser sinkenden Welt, die heute die siegreiche ist", gilt es für Moeller van den Bruck an der Reichsidee festzuhalten, und "Streiter für das Endreich" zu sein. Das Endreich "ist immer verheißen. Und es wird niemals erfüllt. Es ist das Vollkommene, das nur im Unvollkommenen erreicht wird."

Die Nationalsozialisten erwiesen sich - aus welchen Gründen personeller, außenpolitischer oder ideologischer Natur auch immer - als unfähig, das "Dritte Reich" Moellers auch nur im Unvollkommenen zu erreichen; dabei hatte Moeller gewarnt, dass eine Bewegung, die nur revolutionär, nur proletarisch ist, nichts Bleibendes schaffen und keine Werte erhalten kann. Die Haltung der nationalsozialistischen Intellektuellen spiegelt sich im Tagebuch des Dr. Joseph Goebbels. Einerseits schreibt dieser am 18.12.1925: "Ich habe Zeit gefunden, wieder mal in Ruhe ein Buch zu lesen: Moeller van den Bruck, 'das dritte Reich'. Der Frühverstorbene schreibt wie in prophetischer Schau. So klar und ruhig, und dabei doch von inneren Leidenschaften ergriffen, schreibt er all das, was wir Jungen längst mit Gefühl und Instinkt wussten." Doch folgt auf diese treffende Charakterisierung sogleich die Abwehr der die physische Ebene übersteigenden kulturellen Anstrengung: "Geistige Erlösung? Nein Kampf bis aufs Messer. (...) Wir haben die politische Ästhetik knüppelsatt, bevor wir sie kennen."

Die Adenauer-Restauration konnte und wollte natürlich den "deutschen Sozialismus" erst recht nicht verwirklichen, die Sozialdemokraten haben mit dem deutschen Patriotismus völlig gebrochen. Allen dreien - Nationalsozialisten, Christlichkonservativen und Sozialdemokraten - fehlte auch der Wille, das Parteienhafte zum Ganzen hin zu überwinden. Doch wer in der nationalen oder konservativen Opposition hat das Erbe Moellers und den Auftrag des Reiches angenommen?

Die Frage zu beantworten, hieße das Elend der deutschen Rechten zu erklären. Erfreulicherweise gibt es jedoch heute wieder eine verstärkte Reichsdiskussion in jener Bundesrepublik, die immer noch den Namen "Deutschland" im Namen führt - gegen jede multikulturelle Verfassungswirklichkeit.

"Es gibt nur Ein Reich, wie es nur Eine Kirche gibt. Was sonst diesen Namen beansprucht, das ist Staat, oder das ist Gemeinde oder Sekte. Es gibt nur Das Reich." Diese selbstverständlichen Aussagen Moellers sind heute aber selbst jenen oft nicht mehr begreiflich, die sich noch auf das verrufene Wort beziehen, um sich seiner Aura zu bedienen. Das "Dritte Reich" - im eschatologischen Sinne Moellers - gilt als vergangen und daher zählt man weiter, hofft auf ein viertes. Mit dem prophetischen Gehalt der Dreizahl weiß man nämlich schon gar nichts mehr anzufangen, das "vierte Reich" aber ist ein Begriff wie die "siebte Republik" oder die "fünfzehnte Legislaturperiode".

Es soll nicht der falsche Eindruck aufkommen, Moeller van den Bruck hätte sich im Mystischen verloren. Im Gegenteil, er versuchte auch hier die Gegensätze, beide Welten, zusammenzuhalten: die Welt der Mythen und die Welt der Prinzipien. "Aus Mythen wachsen die Kulturen der Völker. Über Prinzipien baut sich ihre Staatlichkeit auf. Beides zu verbinden, Überschwang mit Wirklichkeit, Schöpfung mit Gesetz, eine ideale Welt mit politischem Ansehen, wird die Bestimmung der Deutschen sein, mit der sie auch aus dieser Gegenwart wieder hervorgehen, wofern ihre Zukunft universal sein soll: national und europäisch zugleich." (Der preußische Stil, 1915) Die Prinzipien der Staatlichkeit liegen für Deutschland im Preußentum, denn Preußentum ist der Wille zum Staate. Was für Moeller auch bedeutete, dass jeder Deutsche, der den Entschluss zu Deutschland fasst, als Deutscher Preuße ist.

In dem Dreiviertel Jahrhundert seit Moellers Tod haben sich zwar die konkreten politischen Tagesfragen gewandelt. Doch umso mehr erschrickt man vor der bedrückenden Aktualität der Schlussworte aus dem "Dritten Reich": "Das Tier im Menschen kriecht heran. Afrika dunkelt in Europa herauf. Wir haben die Wächter zu sein an der Schwelle der Werte."

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