Politische
Theorie
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Mishima - Japans letzter Samurai
"Wir
zeigen euch einen Wert, der höher steht als der Respekt vor dem Leben.
Es ist nicht Freiheit oder Demokratie. Es ist Japan, das Land unserer Geschichte
und Tradition, das Japan, das wir lieben."
(Mishima, Gekibun [Manifest])
Mishima nimmt unter den Helden dieses zu Ende gehenden finsteren Jahrhunderts deswegen eine Sonderstellung ein, weil er ein Dekadent war. Nach verzärtelter Kindheit entdeckte er seine sadomasochistischen Neigungen homoerotischer Ausrichtung und konsequenterweise westliche Dekadenzautoren wie Thomas Mann. Inmitten seiner Verkleidungen als Schauspieler, Photomodell, Dichterfürst und politischem Journalisten folgte er doch seiner wirklichen Berufung: Zeugnis abzulegen für das ewige Japan in der einzigen noch möglichen Form: der reinen Bejahung des Ewigen durch den Tod des Vergänglichen.
Er war kein irdischer Erzengel wie Codreanu, kein asketischer Sündenbock wie Rudolf Hess, kein martialischer Buddha wie Ungern-Sternberg. Er war ein dekadenter Schriftsteller, der bewiesen hat, daß es auch aus dieser Ausgangslage möglich ist, sich zum Heroismus aufzuschwingen. Die Erkenntnis der Prinzipien auf denen Ordnung, Tradition und Patriotismus beruhen, verpflichtet zur Konsequenz der Tat. Die Drückebergerei, man wäre nicht aus dem Holz für Helden geschnitzt, gilt dann nicht. Im Hagakure, dem Leitfaden der Samurai-Philosophie, steht geschrieben: "Ein Nabeshim-Samurai braucht weder Geisteskraft noch Talent; um es mit einem Wort zu sagen: es genügt, daß er den Willen hat, das fürstliche Haus auf seinen Schultern zu tragen."
Und Mishima kommentiert in seiner Auswahl aus dem Hagakure diese Energiequelle, die allen Menschen entschiedenen Willens zugänglich ist: "Jocho [der Autor des Hagakure] verweist darauf, daß es sich hier um die große und ursprüngliche Kraft handelt, die den Menschen zu seinen Taten bewegt. Wird das normale Leben eingeschränkt durch die Tugend der Bescheidenheit, so kann aus der täglichen Übung die Idee zu einer Tat, die diese Übungen an Heftigkeit übersteigt, nicht erwachsen. Sie braucht ein hohes Maß an Selbstsicherheit und gleichzeitig die Überzeugung, daß man selbst und allein das Haus auf seinen Schultern tragen muß. Wie die Griechen wußte Jocho sehr wohl um den Zauber, den Glanz und den Schrecken dessen, was man die Hybris nennt". (Mishima, Zu einer Ethik der Tat).
Diese Hybris ist es, die heute fehlt. Jeder, der überhaupt noch in der Lage ist, den Verfall um uns in der Tiefe wahrzunehmen, scheint zu meinen, daß die anderen etwas tun sollten, oder solange die anderen nichts tun, das eigene Handeln sinnlos sei, oder man erst 1000, dann 10000, dann 100000 sammeln müßte, oder, oder, oder - getan wird nichts.
Mishima begab sich am 25. November 1970 mit nur vier Anhängern, Studenten, in schicken selbstentworfenen Uniformen in das Hauptquartier der japanischen Armee, hielt einen letzten "literarischen Vortrag" in Form eines Aufrufs zum Staatsstreich an die zusammengerufenen Soldaten und bekräftigte seine Prinzipien durch das höchste Zeugnis, durch den Tod in der japanischen Form des Seppuku, des "Bauchaufschlitzens": "Laßt uns Japan seine wahre Gestalt zurückgeben, und laßt uns sterben. Oder wollt ihr nur das Leben hoch halten und die Seele sterben lassen?" Das Herz der wahren, der imperialen, Gestalt Japans ist der Kaiser, der Tenno. Er ist die Mitte zwischen Himmel und Erde, das Herz des japanischen Volkes. Seine staatliche Machtausübung mag begrenzt sein, doch er handelt allein durch seine Existenz, sein Sein, indem er als Mensch die Menschen vor den Göttern vertritt, und indem er als Gottheit die Götter vor den Menschen repräsentiert. Gerade weil der Tenno nicht handelt, sondern ist, bedarf er schützender Organisationen, Männerbünde, Krieger, die seine imperiale Machtentfaltung ermöglichen. Eine solche gründete Mishima 1968 mit der "Tate-no-kai" (Schildgemeinschaft). Ein paar Dutzend Studenten, für die Mishima selbst moderne Uniformen entwarf, die auf den Manövergeländen der japanischen Selbstverteidigungskräfte am Fuße des heiligen Berges Fuji mehr sportlich als militärisch ausgebildet wurden. Ihre Loyalität war nicht auf Mishima zentriert - sondern durch ihn auf den Tenno!
Zusammengeschweißt wurden diese modernen Samurai, wie die alten, nicht durch den Verdienst eines tugendhaften Lebens, sondern durch die Eventualität eines tugendhaften Todes; dies ist der Tod für die Nation und deren höchste Ausprägung: den Tenno. Der Zweck solcher Kampfgemeinschaften liegt daher nicht im Erreichen politischer Ziele, sondern im gemeinsamen Sterben. Politische Konsequenzen - und Mishima hatte natürlich schon staatsphilosophische Vorstellungen - ergeben sich als Nebenprodukt der reinen Handelns. Das reine Handeln ist die höchste Annäherungsform an die reine Seinsweise des Tenno.
Da in der verwestlichten, demokratisierten Verfallswelt des modernen Japan, die Tradition nicht mehr anwesend ist, hat die Handlung des Seppuku zugleich einen Aspekt des Opfers, das eine Wiederkehr herbeiführen kann und soll, den Sonnenaufgang Nippons. Den inneren Sonnenaufgang hat Mishima in einem seiner letzten Romane vorweggenommen:
"Isao atmete tief ein, strich sich mit der linken Hand über den Leib, schloß dann die Augen, um die Spitze des mit der rechten Hand gepackten Dolches darauf hinzuweisen und, die Finger der Linken an der bestimmten Stelle, mit der ganzen Kraft des rechten Armes zuzustoßen. Genau in dem Augenblick, da sich die Klinge in den Bauch bohrte, stieg hinter seinen Lidern die leuchtend rote Scheibe der Sonne herauf." (Mishima, Unter dem Sturmgott)
Mishima hatte eine solide Schriftstellerkarriere hinter sich, die zeitgemäß mit einem Skandalbuch erotischer Färbung, den "Bekenntnissen einer Maske", eingeleitet worden war. Er betrieb Bodybuilding, tanzte gerne mit Männern und schlug seine Ehefrau. Nicht daß diese Tätigkeiten in keinem Zusammenhang mit seiner Philosophie und letztlich mit der Form seines Todes stehen - nein, sie spiegeln nur zu deutlich seine Versuche der Annäherung an Schönheit, Stärke und Tod. Mit irdischen Mitteln kann man diese aber nur zeigen, nicht verwirklichen, nicht sein. Im Tod kann der Samurai die ewiglichen Prinzipien verwirklichen, wenn er zuvor eine innere Wandlung durchgemacht hat, die wir mit Julius Evola in vier Stadien zusammenfassen: 1. Sich zum Herrn über äußere Eindrücke und Antriebe machen (männliche Askese). 2. Die eigene Autorität gegenüber dem Organismus durchsetzen - Standhaftigkeit (entspricht der militärischen Ausbildung im engeren Sinne). 3. Kontrolle über die Leidenschaften und Gefühle, allerdings in der Form eines inneren Gleichgewichts (ohne aber abzustumpfen). 4. Die Abstoßung oder Loslösung des Ichs. (Julius Evola, Der Weg des Samurai)
Erst mit dem Loslassen, dem Nicht-mehr-wichtig-nehmen des Ichs, ist man bereit für den heroischen Tod in der Schlacht, wie auch für Seppuku. Nicht jeder, der sein Leben durch Selbstmord wegwirft, ist ein Verlobter des Todes. Die Hochzeit mit dem Tod muß vorbereitet und gewählt werden. Dann gibt es keinen Fehlschlag, wie diese kleine Dialogszene zwischen einem Oberleutnant und einem putschwilligen Studenten aus "Unter dem Sturmgott" zum Ausdruck bringt:
"Der Aufstand des Göttersturm-Bundes war ein Fehlschlag; macht Ihnen das nichts?"
"Es war kein Fehlschlag."
"Finden Sie? Nun, und worauf gründen Sie Ihren Glauben?"
"Auf das Schwert", erwiderte Isao, ohne ein Wort zuviel zu sagen.
Der Oberleutnant schwieg eine Weile. Er schien die folgende Frage zunächst bei sich zu erwägen. "Gut, aber dann wüßte ich gern, was Sie sich am sehnlichsten wünschen."
Murmelnd, aber mit Entschiedenheit erklärte Isao: "Im Angesicht der Sonne ... auf steiler Klippe bei Sonnenaufgang die heraufkommende Scheibe anzubeten... auf das glitzernde Meer hinabzuschauen ... dann zu Füßen einer alten, ehrwürdigen Kiefer - mit dem Schwert mich zu töten... Das wäre mein sehnlichster Wunsch."
Gewürdigt durch Martin Schwarz