Politische Theorie

 

Die "Kanonische Erklärung zur Bewegung von 1968"

 

Richard Schapke

 

Der weiland zu 14 Jahren Hochsicherheitstrakt verurteilte RAF-Mitbegründer Horst Mahler überschritt spätestens 1998 die schmale Grenze vom Linksnationalismus zum Revolutionären Nationalismus, den Verfasser hiermit an die unvergessenen National-Bolschewisten der Weimarer Zeit erinnernd. Mahler sieht die Angelegenheit allerdings anders und erklärte, man solle keine längst verlassenen Frontabschnitte beziehen.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß auch Rudi Dutschke als Maoist die Berechtigung des nationalen Befreiungskampfes anerkannte und schon mal die spitzfindige Bemerkung fallenließ, es habe in Deutschland drei große Arbeiterparteien gegeben - die SPD, die KPD und die NSDAP. Im Gegensatz zum geistigen Standard der authentischen Linken muten die intellektuellen Leistungen der SDS-Rebellen und der Baader-Meinhof-Gruppe an wie der Duft einer Apfelsine im Verhältnis zu dem einer Bowlingkugel.

Diese Feststellung soll nicht davon ablenken, daß diejenigen, die - im Gegensatz zum revolutionären Flügel - weiland den "Marsch durch die Institutionen" antraten, heute in den Institutionen des plutokratischen Raubstaates zuhause sind. Nunmehr schicken sie sich in Gestalt der Regierung Schröder-Schily-Fischer als würdige Nachfolger Kohls an, dessen unseliges Treiben zu vollenden und Deutschland den Globalisierungshaien zum Fraß vorzuwerfen.

Angesichts der geistigen Einöde auf der "Rechten" und angesichts ihrer politischen Lage kann man Mahler und seinen Weggefährten wie Reinhold Oberlercher, Günter Maschke (ex-Herausgeber der "konkret" und Kader des illegalen KPD-Apparates) oder Professor Bernd Rabehl wohl kaum vorwerfen, sie würden sich auf die Seite der stärkeren Bataillone schlagen. Vielmehr versuchen sie - dem Verfasser ist dieser Gedankengang nicht fremd - neuen Strategien und Theoremen den Weg zu bahnen durch das Gestrüpp von rechter Reaktion, Rassismus und veralteten Platitüden.

Zu diesem Zweck haben die ehemaligen SDS-Kader Horst Mahler, Reinhold Oberlercher und Günter Maschke eine "Kanonische Erklärung zur Bewegung von 1968" herausgegeben, die hier unter Berufung auf den Rundbrief 1/1999 der "DESG-inform" nachstehend dokumentiert werden soll.

"Angesichts des anhaltenden Mißbrauchs, der in Deutschland von Funktionären und Propagandisten der Fremdherrschaft über das deutsche Volk im besonderen wie der globalimperialistischen Kapitalherrschaft über die Völker der Welt im allgemeinen mit dem Mythos von 1968 betrieben wird, sehen die Unterzeichner sich zu folgender Erklärung veranlaßt, um nicht nur als Zeitzeugen, sondern auch als damals geschichtlich handelnde Personen gegenüber den Nachgeborenen und der Geschichtsschreibung klarzustellen, daß die Bewegung der Jahre 1968 weder für Kommunismus noch für Kapitalismus, weder für drittweltlich oder östliche noch für westliche Wertegemeinschaft aufstand, sondern allein für das Recht eines jeden Volkes auf nationalrevolutionäre und sozialrevolutionäre Selbstbefreiung. Schon gar nicht stehen wir für irgendeine Parteipolitik, für Parlamentarismus, für rot-grüne Regierungskoalitionen, für Demokratie als politischen Kapitalismus, und erst recht haben wir nichts zu schaffen mit Liberalismus, Konservatismus oder Sozialismus im Sinne einer Klassenherrschaft innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Die 68er Bewegung steht nicht für die Amerikanisierung der Welt, nicht für die Zerstörung der Völker und der Familien durch Kommerzialisierung von allem und jedem, nicht für die Ausbreitung von Job-Mentalität, schlechter Musik, Pornographie, Rauschgift, Kapital, Verbrechen und Kapitalverbrechen - sie steht für das Gegenteil.

 

Artikel 1.

Die Kulturrevolution von 1968 war die erste Weltrevolution gegen den Kapitalismus. Sie wurde getragen von der Jugend der industriell entwickelten Länder, nicht von der Arbeiterklasse, nicht vom Mittelstand, nicht von der Bourgeoisie oder der Bürokratie.

 

Artikel 2.

Das Jahr 1968 bezeichnet den ersten Aufstand für das Reich der Freiheit. Den Ausgangspunkt dieses Aufstandes bestimmte Rudi Dutschke schon 1965: ‚Die tendenziell völlige Arbeitslosigkeit muß für uns...der Fixpunkt sein. Von diesem...Endziel des technologischen Prozesses her muß sich unsere Strategie konstituieren." Am 5.9.1967 postulierten Krahl/Dutschke für den Aufstand eine Ausgangslage, in der ‚die Herrschenden die Massen ernähren müssen'.

 

Artikel 3.

Das deutsche ´68 war nach 1945 der zweite deutsche Aufstand gegen eine Besatzungsmacht, der wie der 17. Juni 1953 seinen Schwerpunkt in Berlin hatte. (Das Hauptgefechtsfeld war von der Stalinallee auf den Kurfürstendamm verlegt.) Nach Johann Galtung war die deutsche Marx-Renaissance nach ´68 eine Unabhängigkeitsbewegung (Leviathan 3/83, 325) des teutonischen Denkstils gegen den angelsächsischen.

 

Artikel 4.

Das deutsche ´68 war der zweite deutsche Aufstand gegen die Weltherrschaft des Kapitals. Deswegen wurde er als ‚linker Faschismus' tituliert.

 

Artikel 5.

Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) spielte eine der Jenenser Urburschenschaft vergleichbare Rolle als nationalrevolutionärer Initiator. Der zu Beginn der 70er Jahre sich bildende Waffen-SDS (Rote Armee-Fraktion) setzte die Tradition eines Karl Sand, eines Major von Schill und eines ernsthaften Waffenstudententums fort. In der tragischen Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer traf der Waffen-SDS einen SS-Mann, der die Position der nationalrevolutionären Volksgemeinschaft zugunsten derjeniges des Anführers eines Klassenkampfverbandes verraten hatte.

 

Artikel 6.

Was für die nationalrevolutionäre Burschenschaft des frühen 19. Jahrhunderts das Jahr 1848, das war für den nationalrevolutionären SDS des Jahr 1989: eine Bestätigung des eingeschlagenen Weges zur Volkssouveränität und eine steckengebliebene Volksrevolution. Wurde nach 1848 die völkische Wiedervereinigung des Deutschen Reiches durch die antivölkische Restauration der dynastischen Herrschaften verhindert, so hat ab 1990 das Parteiensystem als Vogtei der Fremdherrschaft durch einen Verfassungsstreich seine Kollektivdiktatur in Deutschland konserviert.

 

Artikel 7.

In der 68er Bewegung sind zwei nationalrevolutionäre Flügel entstanden, die Neue Linke und die Neue Rechte. Erstere legte ihre Hauptstoßrichtung gegen den Amerikanismus, letztere gegen den Sowjetismus. Die Neue Rechte hat ihr Nahziel erreicht und wendet sich zunehmend gegen den Amerikanismus und Kapitalismus, so daß eine Wiedervereinigung dieser beiden nationalrevolutionären Flügel stattgefunden hat. Nur dieses Neue hat den 68er Mythos erzeugt, hat die Kunst und Kultur inspiriert. Das 68er Theorieprogramm hat den deutschen Idealismus fortgesetzt, hat die Anstrengung des Begriffs auf sich genommen, die Welt von Gott her zu denken. Die Idee einer Internationale der Nationalrevolutionäre wurde im Februar 1968 auf dem Berliner Vietnamkongreß gefaßt, der die Aufgabe hatte, ‚Keimformen einer europäischen Befreiungsfront zu legen, um die Großmächte und ihre Kollaborateure aus Zentraleuropa zu drängen' (Bernd Rabehl, 6.12.98).

 

Artikel 8.

Im Jahre 1968 wurde nicht nur das Neue und mit ihm der Mythos geboren, sondern geriert auch das Alte, auch Liberalismus und Konservatismus, auch reaktionäre Linke und reaktionäre Rechte, in Bewegung, und das Veraltete hatte, wie häufig in der Geschichte, eine destruktive Mehrheit. Diese Kräfte haben sich sämtlich von der 68er Bewegung später distanziert oder sie verflachend und verfälschend exploitiert oder dämonisiert. Die Krone der Verfälschung und des Verrats ist die Darstellung der rot-grünen Regierung als Machtantritt der 68er Ideen.

 

Artikel 9.

Jede Nation, die nicht untergehen will, wird ihre Staatsverfassung wie ihre Sozialkultur immer wieder der Revolution unterziehen, also der Umkehrung ihrer wesentlichen Verhältnisse dergestalt, daß neue und höherstehende Verhältnisse wesensbestimmend werden. Auch die Links-Rechts-Unterscheidung in der politischen Willensbildung tritt ständig neu auf. Denn jede Politik hat es mit Rechten der Personen, ob Einzelne oder Gemeinschaften, zu tun. Die rechte Politik will diese Rechte verteidigen oder zurückholen. Diese Rechte sind aber nur ins Dasein getreten durch eine politische Linke, die ihre Entstehung zuerst gefordert und ihre Schaffung und Gewährung schließlich durchgesetzt hat."

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