Politische Theorie

 

Grundgesetz

Die Wirklichkeit hält nicht mehr aus


Wenn es nach dem Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel (Nr. 20, 12.5.03) geht, dann wird das Provisorium für die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr viele Geburtstage erleben. So lautet der Untertitel: „Wie das Grundgesetz Reformen blockiert“. Weil die Deutschen 1945 „enthauptet“ wurden (Hamburgs EX-OB Dohnanyi), besitzen sie heute keine richtige Regierungsgewalt, sprich Reichsgewalt mehr.

Jürgen Schwab

Aufgrund dieser verfassungspolitischen Lage, in der sich die Nachkriegsdeutschen befinden, die der preußische Publizist Hans-Dietrich Sander einmal zutreffend als „Niederlage“ bezeichnet hatte, leben wir in einem permanenten Reformstau - von der Sinnhaftigkeit der vielen „Reformen“ einmal abgesehen -, so daß heute in der BRD die französische Parole gilt: Rien ne va plus! (Nichts geht mehr!) Der Bundeskanzler und sein Kabinett, so der Spiegel, können nicht einmal zügig über das Dosenpfand entscheiden. Alleine über Krieg und Frieden entscheiden kann Gerhard Schröder beziehungsweise sein Parteifreund Johannes Rau (Bundespräsident) sowieso nicht. Die Entscheidung über den Ausnahmezustand (Carl Schmitt) liegt ohnehin bei der alliierten Besatzungsmacht.

Gehen wir nun in aller geboten Kürze zur Quelle des Übels zurück: Nach der Kapitulation der großdeutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 und der Verhaftung der Reichsregierung Dönitz am 23. Mai 1945 ist das Deutsche Reich als Völkerrechtssubjekt nicht untergegangen, aber nach wie vor handlungsunfähig. Nach der sogenannten Entnazifizierung, Partei- und Medienlizenzvergabe und Installation des Programms amerikanischer Umerziehung wurde am 23. Mai 1949 das Grundgesetzt vom Parlamentarischen Rat unter Vorsitz von Konrad Adenauer verabschiedet und verkündet sowie von den alliierten Hochkommissaren genehmigt. Zuvor wurde es von einem ominösen „Verfassungskonvent“ ausgearbeitet, der im Sommer 1948 nur 13 Tage lang auf der bayerischen Insel Herrenchiemsee getagt hatte. Die Grundstruktur der neuen Möchtegernverfassung hatten die alliierten Sieger sowohl dem Verfassungskonvent als auch dem Parlamentarischen Rat vorgegeben, was vor allem parlamentarische Demokratie und Bundesstaat bedeutete.

Rund 50 Jahre später, im Jahre 2000, sollte eine Partei, die NPD, verboten werden, unter anderem deshalb, weil deren Vertreter das fremdherrschaftliche Zustandekommen dieses Grundgesetzes und die überhaupt gemeinwohlschädlichen Verhältnisse, die auch damit einhergehen, kritisieren. Nachdem erst unlängst das Verbotsverfahren gegen die NPD aufgrund des Dilettantismus der BRD-Innenminister, allen voran Günther Beckstein und Otto Schily, erbärmlich gescheitert war, hat nun die Spiegel-Redaktion in ihrer besagten Ausgabe im großen und ganzen den staatspolitischen Reformkatalog - in bezug auf eine neue Verfassung - vorgelegt, den bereits der NPD-Arbeitskreis „Volk und Staat“ in der nationaldemokratischen Schriftenreihe Profil Nr. 11 ausgearbeitet hatte. Genau dieses NPD-Heft wurde ausführlichst besprochen im zuletzt eingereichten Verbotsantrag aller Verbotsantragsteller. Wir gehen hier nicht soweit zu behaupten, die Spiegel-Redaktion habe die NPD-Forderungen einfach abgeschrieben, aber über ein Verbotsverfahren gegen den Hamburger Verlag dürfte sich zumindest Günther Beckstein bereits seine Gedanken machen. Und sein örtlich zuständiger Hamburger Kollege, der hanseatische Oberverfassungsschützer Ronald Schill wird bereits Gewehr bei Fuß stehen.

Das Problem der neuen Metternichs besteht nun in der Tat darin, daß es mittlerweile so viele Grundgesetzkritiker gibt („Verfassungsfeinde“ ohne Verfassung!), von ganzlinks bis halblinks, von bürgerlichen Wissenschaftlern wie Arnulf Baring, Erwin Scheuch und Hans Herbert von Arnim bis hin zu den Nationalrevolutionären in der NPD, so daß die Demokratiekritik an der Demokratie, die keine ist (Hans Herbert von Arnim) einfach nicht mehr einzudämmen ist. Zu fragen bleibt: Können sich die Deutschen ein Leben ohne Grundgesetz vorstellen? Ja, sie können es! Die Neue Ordnung wird bereits gedacht - auch an den BRD-Lehrstühlen von Staatsrecht und Politikwissenschaft, wo bereits die neuen Verfassungsentwürfe in den Schubladen liegen, die auf den Tag X warten.

Nach dem Spiegel zu urteilen, wird nun ein fieberhafter Wettbewerb um die besten ordnungspolitischen Ideen unter der deutschen Intelligenz einsetzen. Und wer sich bei diesem Ideenwettbewerb abhängen läßt, weil er ihm vielleicht auch geistig nicht gewachsen ist, wie allen voran die US-Vasallenparteien CDU und CSU und in ihrem Schlepptau die wenigen Angehörigen rechtsreaktionären Sekten, die werden eines schönen Tages wie die bewußtlose Ost-Berliner Mutter im Film Good Bye Lenin in einem neuen Umfeld aufwachen, in dem es dann die DDR beziehungsweise in unserem Falle die BRD nicht mehr gibt. Vielleicht dann noch als Simulation mit Adenauer-Bild im Wohnzimmer. Unbedingt Recht hatte Georg Wilhelm Friedrich Hegel als er im Jahre 1808 an Niethammer schrieb: „Die theoretische Arbeit - überzeuge ich mich mehr - bewegt mehr Zustände in der Welt als die praktische; ist erst das Reich der Vorstellungen revolutioniert, so hält die Wirklichkeit nicht aus.“

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