Politische Theorie

 

„Fundamentalopposition“

 

Von Jürgen Schwab


Die sächsische Landtagsfraktion der NPD macht Geschichtspolitik - und das mit Erfolg. Die Terminlage bot sich dafür auch förmlich an: Von Januar auf Februar stießen zwei bedeutende Gedenktage aufeinander: die Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee und die Zerstörung des alten Dresdens durch die britische Luftwaffe vor 60 Jahren. Beide Orte werden mit mehr oder weniger großen Opferzahlen verbunden. Die Provokation mit der „Einzigartigkeit“ lag deshalb auf der Hand.

Während einer Landtagsdebatte bewiesen die sächsischen Nationaldemokraten, zu denen drei studierte Historiker zählen (Jürgen W. Gansel, Karl Richter, Andreas Molau), historischen Sachverstand, was bedeutet, den historischen Revisionismus an genau dem Frontabschnitt gezielt einzusetzen, wo bei geringer Gefahr für eigene Verluste ein Durchbruch zu erzielen ist. Diese erfolgreiche Strategie steht völlig im Widerspruch zu der von Horst Mahler und seinen Jüngern, die aufgrund von Parolen wie „Den Holocaust gab es nicht“ die Gerichtssäle füllen, um sich dort irrtümlich auf den Osteuropa-Artikel von Fritjof Meyer zu berufen, dem allerdings über die Gesamtopferzahlen der Judenvernichtung keine Aussage zu entnehmen ist.

Erfolgreiche Geschichtspolitik

Hingegen haben die sächsischen Nationaldemokraten erkannt, daß die „Einzigartigkeit“ des deutschen Judenmords, der an sich gar nicht zu bestreiten ist, eben um weitere „Einzigartigkeiten“ ergänzt werden kann. Die Vielfalt der Völker ermöglicht die Vielfalt einzigartiger Massenmorde, weil es nicht nur ein Nationalbewußtsein, sondern weltweit mehrere davon gibt.

Die Anwendung der scheinbar nur für Auschwitz reservierten Vokabeln wie „industrielle Tötung“ (Holger Apfel) und „Bomben-Holocaust“ (Jürgen W. Gansel) auf den alliierten Massenmord von Dresden war ein Treffer mitten ins Nervenzentrum des Systems. Die Folge war: Die etablierten Politiker, Medienleute und gesellschaftlich relevanten Kräfte entblößten insgesamt ihre ganze pseudomoralische Erbärmlichkeit - keine Sachargumente waren zu hören, dafür aber viel Verbotsgeschrei und das Entfachen einer Pogromstimmung gegen Nationalisten.

Die medialen Wellen schlugen von Dresden über Berlin bis nach Düsseldorf (zu Paul Spiegel) und natürlich noch weiter bis nach Israel, wo man sich veranlaßt sah, den Herrn Bundespräsidenten Köhler, der dort gerade Bußfertigkeit zeigte, mit Verbotsforderungen zu behelligen. An Bekanntheitsgrad dürfte es der NPD nun nicht mehr mangeln. Möglicherweise reicht der Rückenwind aus, um in ein paar Tagen in den Landtag von Schleswig-Holstein einziehen zu können.

Auf den ersten Blick erweckt die Fraktionsarbeit nach über 100 Tagen tatsächlich den Eindruck großer Professionalität. Jedoch bedarf die in einer Pressekonferenz vorgetragene Behauptung des Fraktionsvorsitzenden Holger Apfel, die Fraktion verstehe „Fundamentalopposition und Sacharbeit“ gut zu verbinden, einer kritischen Analyse. Es ist vor allem die Frage nach den Themen, die von der NPD im Dresdner Landtag professionell vorgetragen werden.

In Wirklichkeit beschränkt man sich hierbei auf das thematische Arsenal der Alten Rechten: Revisionistische Themen stehen im Mittelpunkt, die auch das Bild der NPD in der Öffentlichkeit prägen. Fundamentale Systemalternativen lassen sich durch solche Schwerpunktsetzung freilich auf Dauer nicht vermitteln. Hier entsteht der Eindruck, die NPD-Alternative bestehe in einer „besseren BRD“, in der es weniger Ausländer gibt und die Juden nichts zusagen haben. Das wäre in der Tat die Karikatur einer „Systemalternative“!

Natürlich ist der „Bomben-Holocaust“ in der auf Alarmismus ausgelegten BRD-Öffentlichkeit besser zu vermarkten als staats- und wirtschaftspolitische Alternativen, die auf Systemänderung abzielen müßten. Aber hat man es wenigstens versucht, die NPD nicht nur als Alternative im Parlament, sondern vielmehr auch als Alternative zum parlamentarischen System vorzustellen? In diesem Punkt ist bisher absolute Fehlanzeige festzustellen.

„Fundamentalopposition“ als Attrappe ...

Was den hochgesteckten Anspruch auf „Fundamentalopposition“ anbelangt, so genügt ein Blick in die Parteizeitung. Daß Holger Apfel ausgerechnet Andreas Molau mit der Redaktion der DS beauftragt hat, ist kein Zufall, denn neben der niedersächsischen Stammesgenossenschaft ist es vor allem die (un-) politische Ausrichtung, die beide verbindet. Egal, was da kommen mag: Apfel kann sicher sein, daß Molau die DS in altbewährter Manier fortführt.

In der Januar-Ausgabe stellt sich Molau in seinem Leitartikel den Lesern als „Systemoppositioneller“ und „Nationalist“ vor. Er steht aber als Fachmann für Kultur und Zeitgeist mit dem Begriff des Politischen seit eh und je auf Kriegsfuß. Unter Pseudonym bekannte er sich vor Jahren dazu, daß für ihn „Staat“ und „Reich“ keine wichtigen Themen sind. Denn das Volk ist für Naturalisten ein Produkt der Natur und als solches in seiner Urwüchsigkeit - ohne viel Geist und Organisation - zu erhalten. Daß es für die Nachkriegsdeutschen nichts Gefährlicheres gibt, als die gedankliche Trennung von Volk und Staat, ist für den stellvertretenden Chefredakteur nicht das Problem.

Zweifellos ist Molau patriotischer Bildungsbürger und beherrscht das Zeitungsmachen wie nur wenige im nationalen Lager. Als politischer Autor hat er aber bisher kaum etwas geleistet. Politisches Denken (Theorie) - das weiß er selbst - ist nicht sein Steckenpferd. Der Staat als Kopfgeburt, als geistiges Artefakt europäischer Nationen (Machiavelli, Hobbes, Bodin, Hegel) gilt dem unpolitisch daher kommenden deutschen Romantiker immer schon als kalt und gefühllos. Denn was der Einzelne selbst gedanklich nicht erfassen kann, ist für das Leben der Gemeinschaft an sich überflüssig. Entgegengesetztes lesen wir beim nationalen Politikwissenschaftler Bernard Willms: „Die Politische Philosophie beginnt beim Einzelnen und endet beim Staat.“ Demzufolge wäre unpolitisch, wer den Staat aus der Politik auszublenden versucht. Ob sich Molau jemals mit der Staatsphilosophie Willms befaßt hat?

Parteipolitischer „Systemwechsel“ ...

Für manch einen neu-sächsischen NPD-Akteur ist solche Belehrung ohnehin Geschwätz. Und so definiert man seine Begriffe eben selbst. Begriffsgeschichte und philosophische Überlieferung - wen interessiert das schon, wenn es um „Realpolitik“ geht. So ist für Molau „Systempolitik“ allemal „abwählbar“. Abwählen kann der Wahlbürger in der BRD freilich nicht das politische System an sich, sondern nur bescheidene Anteile der Systempolitiker, die alleine Molau als „System“ (miß-) versteht.

Was kaum einem DS-Leser auffallen dürfte: Die NPD-„Realpolitiker“ verstehen in ihrer manipulierenden Neudefinition „politisches System“ lediglich als Summe von „Systempolitikern“ und „Systemparteien“, also diejenigen, die derzeit alles tun, die NPD-„Realpolitiker“ von den noch größeren Futtertrögen fernzuhalten. Daran schuld sind selbstverständlich die Linken und die Ausländer, vor allem türkische Männer, die ihre Töchter zwangsverheiraten. Daß jedoch „System“ in der politischen Wissenschaft und Staatsrechtslehre ein politisches „Ganzes“ ist - wie in anderen Lebensbereichen auch (Biologie, Physik, etc.), weshalb in der politischen Sphäre „System“ für das Staats- und Regierungssystem (der BRD) steht, ist für Molau völlig unwichtig.

Dem stellvertretenden Chefredakteur geht es darum, die DS-Leser in der Lebenslüge der verfassungstreuen Rechten (ohne Verfassung!) gefangen zu halten, die „Systemparteien“ seien eigentlich nur „unfähig“ - und somit durch „fähigere“ NPD-Politiker zu ersetzen. Ob aber der Bürger NPD-Politikern wie Holger Apfel mehr Fähigkeit zutraut, ein bundesrepublikanisches Regierungsamt auszufüllen als etwa Gerhard Schröder und Edmund Stoiber - dürfte mehr als ungewiß gelten.

Daß Schröder möglicherweise bei der Lösung zentraler Probleme (Arbeitslosigkeit, Ausländerproblem) systembedingt die Hände gebunden sind (wie jedem anderen an seiner Stelle auch), auf diesen Gedanken möchte Molau selbstverständlich seine Leser nicht lenken - denn das würde Rückschlüsse auf die „Realpolitik“ von NPD-„Realpolitikern“ ermöglichen. Und dies liegt selbstverständlich nicht im oligarchischen Interesse!

Die sogenannte „parlamentarische Demokratie“ der BRD, die in Wirklichkeit die alliierte Gründung einer Oligarchie auf deutschem Boden ist, gilt Molau nun in der Tat als „Demokratie“. Den „Systempolitikern“ wirft er folgerichtig die „Abschaffung der Demokratie“ vor, so als ob es in Deutschland seit 1945 jemals eine Demokratie (Volksherrschaft) gegeben hätte.

Die BRD als „Demokratie“ ...

Wer in der realexistierenden BRD wirkliche Fundamentalopposition erleben möchte, sollte - anstatt zur DS zu greifen - wohl besser die Vorlesungen von Hans Herbert von Arnim besuchen, der auch immer wieder in seinen Büchern feststellt, daß das Grundübel der BRD-„Demokratie“ gerade darin besteht, daß sie keine ist! Von Arnim verdeutlicht gerade in seinem letzten Buch „Das System“, daß das politische System eine Frage von Institutionen ist. Gemessen an Molau ist das schon sehr revolutionär. Beide Positionen sind jedenfalls nicht miteinander vereinbar.

Molaus Begriffsverwirrung stellt keine Ausnahme in den Reihen der sächsischen NPD dar: Denn sein Chef Holger Apfel bezeichnet in einem DS-Interview die BRD gar als „unsere Demokratie“, was heißen soll: Die BRD ist für Apfel nicht nur ein leibhaftiges volksherrschaftliches System, sie ist für ihn auch noch im Jahr 1949 von „unseren“ Eltern und Großeltern in einem souveränen Akt (Volkssouveränität!) gegründet worden. Wären Apfel und Molau irakische Staatsbürger und würden heute im Zweistromland solche Sprüche klopfen, dann wäre wohl ihre jeweilige Lebenserwartung äußerst begrenzt. „Fundamentalisten“ würden ihnen das Lebenslicht auspusten.

Die „Fundamentalopposition“ scheint in der DS immerhin in der Traditionspflege von Wehrmacht und Waffen-SS zu bestehen. Das ist das Zugeständnis, das Rechtspopulisten ahnungslosen Neonationalsozialisten zu machen haben. Das ist das Holz, aus dem sich verfassungstreuer Patriotismus schnitzen läßt, der sich begrifflich zwar im Niemandsland befindet, sich dafür aber mit der populistischen Leerformel einer „Fundamentalopposition“ bemäntelt.

Den Nostalgiefreaks dürfte es wohl kaum auffallen. Der ‚Neonazismus’ gehört zur ‚verfassungstreuen’ Rechten dazu. Schließlich ist die bürgerliche FPÖ auch eine maßgeblich von Nationalsozialisten gegründete und - was ihre Vorgängerorganisation VDU betrifft - sogar mit einer alliierten Lizenz bevorzugte ‚nationale’ Partei.

Rolf Schlierer und Jörg Haider - das mag man den beiden immerhin zugestehen - stehen durchaus für eine seriöse Position innerhalb der Rechten, da sie auf substanzloses Imponiergehabe und leeres Wortgeklingel („Fundamentalopposition“, „Systemopposition“) verzichten. Sie sind im Grunde genommen nicht mehr systemstabilisierend und reformerisch als Apfel und Molau, nur daß letztere aufgrund von oligarchischen Interessen auf ihren neonationalsozialistischen Anhang Rücksicht nehmen müssen - so lange sie ihn benötigen.

Dieses brdnationalsozialistische Spektrum, das systemimmanente Provokation („Sozialismus ist braun“) mit Radikalismus verwechselt, freut sich allemal über starke Sprüche, auch wenn sie inhaltsleer sind. Das freilich werden die NS-Anhänger erst bemerken, wenn Apfel und Molau die NPD in eine bundesrepublikanische FPÖ verwandelt haben. Dann ist es aber zu spät.

Natürlich könnte jedes etablierte Politikwörterbuch den Überzeugungsignoranten Apfel und Molau Auskunft darüber erteilen, was ein „politisches System“ wirklich ist: nämlich das Staats-, Regierungs- und Gesellschaftssystem als Ganzes - mit samt seinen Institutionen und Willensbildungen. „Politisches System“ wird übereinstimmend von allen akademischen Fachleuten - von links bis rechts -, das heißt ideologiefrei auf diese Weise definiert. Aber die „Nationalisten“ leben ja in ihrer eigenen Welt: im rechten Ghetto, das sich selbsttäuschend „Realpolitik“ zumißt.

Politik für Menschen ...

Während „Politisches System“ eindeutig zu definieren ist, gehen beim Begriff der „Demokratie“ die Meinungen zum Teil weit auseinander. Hierzulande versteht man darunter unter den Vorgaben der FDGO in etwa das, was George W. Bush als „Freiheit, Demokratie und Menschenrechte“ propagiert. Und Molau schreibt von den „Menschen“, die „genug“ von einer „Politik“ hätten, „die Menschen ihrer eigenen Heimat entfremdet“; denn „möglich wäre auch, daß die Menschen in Deutschland sich ihrer Mündigkeit bewußt werden und einfach eine andere Politik wollen.“ Mensch Molau!

Bei so viel phrasendreschender Menschentümelei, die konsequent zur unpolitischen Bewußtlosigkeit von Opposition führt, stellt sich schon die Frage nach dem „Nationalismus“, für den der stellvertretende Chefredakteur steht. Im Lexikon „Geschichtliche Grundbegriffe“ (Brunner, Conze, Koselleck), das in jeder geisteswissenschaftlichen Bibliothek einzusehen ist, steht „Nationalismus“ für die politische Idee und Bewegung, die sich zum Ziel den souveränen Nationalstaat gesetzt hat. Dieser deutsche Nationalstaat ist aber für Apfel und Molau die BRD, deren scheinbares Übermaß an Souveränitätsrechten jetzt in Richtung Brüssel verschwindet.

Deshalb soll der bundesrepublikanische Mensch NPD-Politiker wählen, damit die BRD weiterhin „souverän“, das soll heißen: menschlich bleibt. Anstatt zu sagen, daß sei gut so, daß die BRD bald das Zeitliche segnet und dem neuen Versailles (EU) durch Überdehnung der Garaus gemacht wird, möchten die grundgesetztreuen „Nationalisten“ BRD und EU vor dem Untergang retten.

Darauf deutet auch die Kampagne hin, mit der offenbar NPD und DVU die EU vor dem Beitritt der Türkei retten möchten. Udo Voigt, der immerhin laut eines JF-Interviews die BRD „abwickeln“ möchte und sogar selbst am Konzept eines „Europäischen Bundes“ (NPD-Europaprogramm 2004) mitgearbeitet hat, scheint irgendwie mit seinem - unreflektiert wirkenden - nationalrevolutionären Anspruch in der gegenwärtigen NPD auf verlorenem Posten zu stehen. Die Gründe dafür kennt er selbst.


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