Politische
Theorie
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Faschismus und aristokratischer Gedanke im heutigen Italien
Von Julius Evola (aus: Der Ring, 1932)
Nach unserer Überzeugung ist eine wahre Reaktion gegen den liberalistisch-demokratischen
Verfall nur auf der Grundlage der traditionellen Grundsätze von Hierarchie,
Aristokratie und Königtum möglich. Jede andere Lösung ist ein
Kompromiss, welcher das Problem vertagt, statt es zu überwinden. Uns entgegen
steht heute ein neues, entschlossen gedachtes politisches "Ideal",
das durch folgende Merkmale charakterisiert ist: dass es Arbeit und Wirtschaft
als höchste Werte ausgibt; jeden wahrhaften Unterschied auflöst, um
ihn auf das Niveau des Geldes oder der technischen Geschicklichkeit zurückzuführen,
das Individuum nur als Produktionsmittel und unpersönlichen Teil des rationalisierten
Kollektivwesens betrachtet, keine übersoziale Gipfelung als Sinn der Gesamtorganisation
anerkennt und duldet und als höchstes Ziel der Kultur eben jene materielle
Eroberung der Welt setzt, die einer übermächtigen Bestie verständlich
wäre. Wer solche moderne Entstellung des politischen Gedankens ablehnt,
der hat keine andere Alternative übrig: nur die Rückkehr zu den Werten,
die wir im höheren Sinne "traditionell" nennen dürfen, also
zur aristokratisch-qualitativen Auffassung des Lebens, des Menschen und des
Staates kann ihm als Verteidigung gelten.
Wie bekannt, will heute der Faschismus sich als eine Wiederaufbaubewegung darstellen,
deren Wert nicht nur national bzw. italienisch, sondern auch europäisch
zu sein beansprucht. Das faschistische Phänomen ist aber nicht so eindeutig,
wie es viele vermuten. Es ist eine Synthese entgegen gesetzter Forderungen -
und es wäre interessant festzustellen, in welchem Maße es die Möglichkeiten
eben zu einem traditionell-aristokratischen Wiederaufbau bietet und in welchem
Maße es Bestrebungen ganz anderer Natur freien Raum lässt. Durch
die bloße Erklärung der Grundidee von Autorität, Disziplin und
Staatssouveränität wird tatsächlich der Sinn einer klaren politischen
Richtung noch nicht gegeben. Von diesem bloß formalen Standpunkt aus könnten
sogar Faschismus und Sowjetismus zusammentreffen. Es handelt sich vielmehr um
die Bestimmung des Inhalts, der jenen Grundsätzen als Geist gelten soll.
Einige Betrachtungen in dieser Hinsicht über das italienische Regime können
also auch den deutschen Leser interessieren.
Das vorfaschistische Italien besaß eine eigene monarchische Überlieferung. Was für einen Sinn hat der Faschismus dieser Tradition gegenüber? Hier lässt sich eine sonderbare Gegensätzlichkeit zwischen Tatsache- und Rechtszustand und eine sonderbare Gleichgültigkeit des Faschismus bestätigen, sich eine geeignete verfassungsrechtliche Stellung zu schaffen. De facto stehen die faschistische Partei mit ihrer Organisation und die Gestalt des "Führers" im Mittelpunkt der italienischen Wirklichkeit. Formalrechtlich stehen aber beide in einem untergeordneten und zufälligen Plan. Der "Duce" bleibt immer und bloß ein vom König ernannter und dem König verantwortlicher Regierungschef; juridisch ist er der führende Ministerpräsident, welcher zu einer Art Reichskanzler geworden ist, wodurch er dem König die Ernennung sowohl der Minister wie auch des Sekretärs der faschistischen Partei vorschlägt. Im Hofzeremoniell folgt er allen Prinzen des königlichen Hauses. Dazu kommt noch folgendes: Auf keinerlei Weise ist vorgeschrieben, dass der Regierungschef "Faschist" sein soll Verfassungsrechtlich bleibt es dem König immer frei, den Regierungschef zu ernennen, den er will: der "Duce" hat als solcher keine Rechtspersönlichkeit und keine Erbfolge. - Es folgt daraus, dass verfassungsrechtlich die Spitze der Monarchie in Italien jenseits der faschistischen Revolution noch frei und herrschend geblieben ist - dass daher der Faschismus der italienischen monarchischen Tradition gegenüber den Wert eines zufälligen Phänomens nur insoweit nicht hat, als er sich engstens mit dieser Tradition selbst durchdringt und verschmilzt in der Anerkennung, dass nur diese, aber keine Diktatur als solche, die Stetigkeit und Festigkeit des Staates sichern und hegen kann.
Nähern wir uns einem zweiten Punkt. Die faschistische Verfassung hat den so genannten "Großen Rat" (Gran Consiglio) geschaffen in dessen Befugnissen einige die Verminderung des monarchisch-traditionellen Gedankens zu finden glaubten. Die Ansicht bzw. das Gutachten des Großen Rates ist obligatorisch für die Thronfolge. Dabei ist aber zu beachten, erstens: dass es sich eben um ein bloßes Gutachten handelt - zweitens: dass der Große Rat selbst wie eine Art Kronrat aussieht. Mit Ausnahme der Quadriumviri (die vier Führer des Marsches auf Rom, die aber keine Erbfolge haben) und einiger Vertreter des Parlaments (die von der Wahl abhängig sind), gehören alle die übrigen Glieder dem Großen Rate nur durch königliche Ernennung an. In dieser Lage könnte aber die willkürliche Absage des Großen Rates, den legitimen Thronfolger anzuerkennen, nur den Charakter des Verrates und des Staatsstreiches haben. Andererseits ist es sonderbar - immer vom formalrechtlichen Standpunkt aus - dass der Faschismus dem traditionellen Gedanken noch keinen gründlichen Schutz vor dem liberal-parlamentarischen Krebsgeschwür gesichert hat. Es ist wahr, dass in Italien ein neues Parlament waltet, worin kein Parteikampf mehr zu spüren ist und dessen Abgeordnete von der faschistischen Partei gebilligte korporativ-syndikalistische Vertretungen sind. Aber die Billigung der Partei genügt nicht. Die von oben her ausersehenen Abgeordneten sollen auch durch die nationale Urwahl bzw. durch ein Plebiszit, bestätigt werden, für das doch immer das alte liberalistisch-demokratische allgemeine Wahlrecht gilt. Daher ist es theoretisch gestattet uns vorzustellen, dass das "Volk" die von der Regierung und dem Faschismus dargebotene Liste ablehnen und eine neue Liste mit einer gewissen Anzahl eigener Vertreter fordern könnte. Mit anderen Worten: wenn früher das Volk durch die Wahl nur eine besondere Partei bevorzugen konnte, so ist jetzt das Volk durch die Wahl fähig, nicht mehr zu einer besonderen Partei, sondern zu der Regierung überhaupt "ja" oder "nein" zu sagen. Daher wäre sogar formalrechtlich die Rückkehr zu einem Parlament denkbar, worin eine Mehrheit von republikanischen und kommunistischen Abgeordneten - wie es in der vorfaschistischen Zeit geschah - "Die rote Fahne" singen und den Saal verlassen dürfte, sobald der König eintritt.
Aus diesen Feststellungen lässt sich ersehen, dass die praktische Macht des Faschismus in Italien eine streng organisch gedachte Verfassungslehre noch nicht gefunden hat. Bestrebungen nach einem organischeren Gedanken sind ja in Italien vorhanden, aber noch unbestimmt und uneins.
Auch im Faschismus
ist z.B. eine "Linke" tätig. Sie entspricht der bloß syndikalistisch-korporativen
Richtung, die selbst nach einem organischen Aufbau strebt, aber in ganz anderem
Sinne, als wir es wünschen könnten. Man muss bemerken, dass der italienische
Korporativismus eine vom deutschen (Spann, Everling usw.) verschiedene Herkunft
hat: er stammt nicht wie dieser aus dem Genossenschaftswesen des Mittelalters,
sondern geht auf den Syndikalismus eines Sorel und zum Teile auch auf den Saint-Simonismus
zurück. Von seinem Gesichtspunkt aus hat der "Hierarchie"-Gedanke
einen vorwiegend wirtschaftlich-technischen Sinn. Der hierarchische Aufbau des
faschistischen Staates ergäbe sich eben aus der Gliederung der verschiedenen
Arten organisierter Arbeit, ohne dass darin irgendein außer- oder überpolitisches
Prinzip wie der traditionelle aristokratische Gedanke Platz fände. In derartigen
Gedankengängen wurde in halbfaschistischen Zeitschriften sogar ein Begriff
des Faschismus als "Integration" des Bolschewismus vertreten, hat
man auf Grund der korporativen Idee eine völlige Beseitigung des Klassenunterschiedes
gefordert, und neulich auf dem Korporativen Kongress von Ferrara ist der Faschist
Prof. Ugo Spirito soweit gegangen, das private Eigentum zugunsten eines ständisch-kommunistischen
Eigentumsbegriffes ("Corporazione Proprietaria") abschaffen zu wollen.
Nach Muster der Sowjetverfassung, doch mit einem Unterschied: innerhalb eines
national-organischen Staatsgefüges. Die faschistische Hierarchie wäre
also wie folgt gegliedert: produktiver Bürger - Syndikat - Korporation
- korporativer Staat. - Die Verteidiger solcher Gedanken erklären natürlich
nicht, was im Rahmen einer bloß technisch-wirtschaftlichen Wirklichkeit
der Begriff "national" bedeuten soll. Wenn sie konsequent wären,
so könnten sie nicht umhin, all das was monarchische Tradition und qualitativ-nationaler
Gehalt bedeutet, als unorganisches Überbleibsel einer überholten Vergangenheit
zu betrachten.
Im Widerspruch zu derartigen Tendenzen streben andere Strömungen nach einer
aristokratisch gesinnten organischen Integration des faschistischen Staates.
Man darf nicht vergessen, dass der Faschismus genaue und strenge Gesetze zum
Schutz des Adelstitel und gegen deren Missbrauch promuliert, gleichzeitig aber
repräsentative Persönlichkeiten des neuen Italiens (wie z.B. D'Annunzio,
General Diaz, Minister Acerbo usw.) in den Adelsstand erhoben hat. Schließlich
ist auch bei der Ernennung der Bürgermeister oder Gouverneure die Wahl
vornehmlich auf Träger großer, historischer Namen gefallen. All dies
bleibt doch im Zustand eines unbestimmten Impulses, von der Faschismus noch
zu keiner rechtspolitischen Wirklichkeit gebracht hat. Die italienische Nation
hat sich überwiegend unter dem Einfluss der 48er Ideologie gebildet und
hat als solche keine wahre Adelstradition verteidigt: der Adelstitel war bloß
ein Ehrentitel, mit dem juridisch weder ein lehnsherrliches noch politisches
Vorrecht verbunden war. Adel bedeute Tradition privater, außerhalb des
monarchisch-parlamentarischen Gefüges des italienischen Staates lebender
Familien.
Die oben erwähnten Bestrebungen beanspruchen dagegen für den Adel eine organische Funktion innerhalb des neuen faschistischen Staates. Hier sind vor allem die Ideen von S.M.Cutelli und seiner Zeitschrift "La Nobiltà della Stirpe" zu erwähnen. Cutelli strebt zur strengsten Durchdringung des verfassungsrechtlich bestimmten monarchisch-traditionalistischen Gedankens mit der faschistischen Wirklichkeit. Als Hauptidee gilt ihm die hierarchische Abstufung zweier Aristokratien, lebenslänglich die eine, erblich die andere. Die lebenslängliche Aristokratie wäre aus allen in die faschistische Nationalpartei Eingeschriebenen zusammengesetzt, da ihrem Statut nach diese Partei "die wegen ihrer Treue, ihres Mutes, ihrer Ehrlichkeit und Intelligenz vertrauenswürdigsten Italiener" sammeln sollte. "Faschist" wäre dadurch schon ein Adelstitel, der ihren Trägern gewisse Rechte und Vorteile den anderen Bürgern gegenüber gewährleisten sollte. In der Masse der bloßen "Faschisten" sollte sich aber nach Cutelli eine weitere Differenzierung vollziehen, wodurch wir jenseits des wirtschaftlich-korporativen Gefüges und des Parlaments gebracht würden. Das heißt: man sollte einer zweiten erblichen faschistischen Aristokratie rechtliche Existenz geben, mit eigener politischer Autorität, da aus einem solchen Stand die Glieder eines zweiten, unmittelbar vom König abhängigen, dem englischen Lordsparlament ähnlichen Reichstag oder Senats zu wählen wären. Die Angehörigkeit zu diesem zweiten Parlament würde an sich den Rechtsbegriff eines neuen, erblichen, von Cutelli Senatorsorden (Ordine Senatorio) genannten Adels bestimmen. Das noch Lebendige in der früheren italienischen Aristokratie sollte nach Cutelli in diese neue Aristokratie umgegossen werden.
Diese Verfassungsrechtliche Einordnung der Aristokratie lässt aber die Frage ihrer geistigen Bedeutung kaum erörtert. Soll der Adel nur politische Bedeutung haben? Welches Verhältnis besteht zwischen Blut- und Kulturfrage? Dies sind Hauptpunkte für jede neue Staatsauffassung. In Italien gibt es noch jetzt eine legitimistische Strömung, deren Hauptvertreter R.R.Petitto und Baron Monti sind. Diese Schriftsteller behaupten, dass Arbeit, Rechtschaffenheit, Tüchtigkeit, Intelligenz nur bürgerliche Eigenschaften sind; dem Adel sind höhere Qualitäten - wie das Ehre-, Traditions- und Treuegefühl, der Stolz, seinem Fürsten jenseits jedwelchen persönlichen Interesses zu dienen, usw. - eigen, die durch die erbliche Selektion gewährt werden sollen und den Adelsstand zu den höchsten Befehlsstellen befähigen. Ein springender Punkt wird berührt, insofern diese Schriftsteller als Legitimisten die Lehre vom Heiligen Recht anerkennen. Sie nehmen aber solche Lehre bloß als "Tradition" an, ohne jene innere metaphysische überkirchliche Begründung derselben sich klarzumachen, die endlich ein wirklich geistiges Staatsideal dem bloß sozial-politischen Gedanken des modernen Verfalls entgegensetzen könnte.
Diese Gegensätzlichkeit kennzeichnet dagegen einen kleineren Kreis, der auch eine Kampfzeitschrift - "La Torre" - hatte. Eine Schrift des Herzogs Rossi Caracciolo von Lauriano - eines Nachfolgers des berühmten, von den Engländern in Neapel gehängten Admirals Caracciolo - ist für solche extremistische Richtung von besonderer Bedeutung. Hier gilt als Ausgangsprämisse ein entschiedener Aufstand gegen die moderne Kultur. Alles, was bloß politischen Charakter hat, wird als "plebejisch" gebrandmarkt. Die Tafel der von der modernen Welt gesetzten Werte weist den Autoren dieser Gruppe als Fazit: amerikanisches Neubarbarentum und Vernichtung echten Adels. Aristokratie bedeutet ihnen eine Schicht geistiger Werthaftigkeit und erst in zweiter Linie eine soziale Kaste. Ihr ist aber die Ausgabe, Qualität gegen Quantität, "Mehr-als-Leben" gegen "Nur-Leben", Persönlichkeit gegen Kollektivismus, Hingebung an eine uninteressierte wertschöpferische Tätigkeit gegen Praktizismus, Mammonismus, Mechanismus, Arbeit als Zwang zu verteidigen. Hier soll Geist zu einem blutbedingten Lebensstil werden, keine dem traditionslosen Einzelindividuum durch entsprechendes Training erreichbare "Konstruktion" sein. Adel ist ja überhaupt weniger im Sinne einer sozialen oder politischen Gegebenheit, als als geistige Forderung aufzufassen: in morschen und dekadenten Zweigen alter Stämme sollen aber die werthaften latenten Wesensmerkmale sittlich-blutmäßig verwurzelten Adels frisch erweckt werden, damit der "Typus" durchbricht, aristokratischer Geist und aristokratische Kaste wieder ein und dasselbe werden. Also handelt es sich um die Schaffung eines wahren Überstaates, worin die Aristokratie wieder eine überpolitische und fast sakrale Autorität und Funktion verkörpert. Sie hätte die Bestimmung, die ganze soziale Hierarchie und das System der ökonomisch-produktiven Kräfte mit dem Geist eines "Mehr-als-Leben" zu durchdringen und zu rechtfertigen. Für diese Richtung hat der Faschismus also nicht als "modernes" Phänomen Wert, sondern soweit er durch den Romgedanken gewissermaßen zum Geiste der sakral-aristokratischen, sowohl dem alten Römertum wie auch dem arisch-römischen Mittelalter angehörigen Staatsauffassung zurückführt.
In Italien sind jedoch alle diese Bestrebungen im Zustand eines Ferments geblieben, das noch keinen fühlbaren Einfluss weder auf die offiziellen Kreise des Faschismus, noch auf die amtlichen Rechtstheoretiker ausgeübt hat. Nichtsdestoweniger sind sie nicht zu unterschätzen und zu vernachlässigen, da sie vom idealen Standpunkt aus eine innere Spannung schaffen, welche die faschistische "Linke", d.h. die bloß korporativ gerichteten italienischen Strömungen, im Gleichgewicht hält. Die Frage einer wirklich organischen faschistischen Synthese bleibt noch unbestimmt und ungelöst. Nur durch die künftige selbstbewusste Entscheidung des offiziellen Faschismus für die eine oder die andere von uns angedeuteten entgegen gesetzten Richtungen wird Italien ein deutliches Wort Europa sagen und eventuell das Symbol von jenem traditionellen Wiederaufbau bieten, der unseres Erachtens auch der Mythos einer besseren deutschen Zukunft ist.