Politische
Theorie
|
Gesucht und überfällig: der „deutsche Weg“ ins 21. Jahrhundert
Prof. Dr. Michael Nier, aus: Deutschland in Geschichte und Gegenwart, September 2002
Es gibt keine nähere Zukunft, deren Bedingungen nicht heute schon angelegt wären. Zukunft, das sind die verwirklichten Tendenzen unserer Zeit. Immer werden die Tendenzen durch massenhafte Aktionen, organisierte Zwänge und durch Unterlassungen verwirklicht. Wir sind also immer dabei, und auf uns kommt es an. Gibt es Tendenzen gegensätzlicher, sich ausschließender Art, oder gibt es die Möglichkeit, Tendenzen mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu verwirklichen, so kommt es auf Vernunft, Klugheit, Gewitztheit und Durchsetzungsvermögen der Führer und ihrer Gefolgschaften an.
Die führenden Kräfte müssen sich dessen bewusst sein und Massen führen, die diesem Werk in vielen Einzelaktionen zum Durchbruch verhelfen. Dabei vereinigen die Ideen die Massen. Alter Spruch: Die Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift. Große Persönlichkeiten sind die Verkörperung der Tendenzen ihrer Zeit, leben ihre Ideen und wirken als tatkräftige Schöpfer der Zukunft. Sie sind Mensch gewordene Programme und Losungen. Sie können zwar nicht mehr zur Verwirklichung bringen, als die Geschichte hergibt, aber sie können das Tempo bestimmen, die Formen prägen und natürlich einen Zustand herbeiführen, in welchem ihr Werk durch exzessive Übersteigerung oder Unterschätzung der Gegner der Zerstörung anheim fällt.
Immer wieder kommt es in der Geschichte vor, in der Regel nach großen Niederlagen, dass Völker in den Zustand versetzt werden, fremden ausländischen Interessen zu dienen und ihren eigenen zu schaden. In der Regel werden die fremden Interessen mit von eigenen Herrschaftsschichten durchgesetzt. Manche sind sich ihres Frevels bewusst, andere verstehen nicht, was sie tun, sondern folgen dem Zeitgeist, der dieses fremde Interesse verkörpert.
Die Deutschen scheinen wie in einen Schraubstock eingespannt zu sein, sich in tiefer Freundschaft bis zur Selbstaufgabe zu schaden und dabei noch stolz zu sein. Man kann sagen, dass die BRD und auch die DDR jeweils in die gegensätzlichen Himmelsrichtungen orientierte Illusionsgemeinschaften waren. Die BRD identifizierte sich mit Amerika, Antikommunismus und Auschwitz. Der Schaden für die nationale Seele war dagegen in der DDR fast vernachlässigbar. Die Sowjetunion war zwar „Großer Bruder“, aber kein Vorbild. Eine Russifizierung fand nicht statt.
Politik nicht für deutsche Interessen
Die Chance zur nationalen Selbstbestimmung wurde 1990 durch westdeutsche Schuld vertan. Auch heute noch ist die politische Klasse Deutschlands ohne nationalen Gestaltungswillen, ordnet sich den Interessen der USA fast sklavisch unter, glaubt an das Märchen von der Wohltätigkeit der „unsichtbaren Hand“ des Marktes, ist in ihren eigenen Wohlstandsinteressen moralisch versumpft und hütet ihre Privilegien gegen die Bürger. Die anlaufende Wirtschaftskrise wird jedoch dazu zwingen, die Karten auch politisch neu zu mischen. In den nächsten Jahren öffnet sich noch einmal ein Startfenster zur nationalen Selbstbestimmung der Deutschen in und mit Europa. Diese Chance darf nicht wieder vertan werden.
Erst wenn wir unsere Zeit verstehen, andere zum gleichen Verständnis bringen und uns politisch organisieren, können wir erfolgreich unsere Interessen durchsetzen. Politik ist Durchsetzung von Gruppeninteressen mit Hilfe des Staates oder im Kampf um den Staat. Unter Interessen sind die Beziehungen zwischen den objektiven Lebensgrundlagen und einem diesen entsprechenden Tun von Personengruppen (sozialen Klassen, Ständen, Völkern, Stämmen, Familien und anderen Gruppen) zu verstehen. Das Interesse zielt darauf ab, die eigenen Lebensbedingungen zu sichern. Das Handeln von Personengruppen kann ihren Interessen entsprechen oder auch gegen diese gerichtet sein.
Die Bedeutung von Werten
Unmittelbar mit „Interessen“ korrespondieren „Werte“. „Werte“ sind Grundhaltungen, die das Handeln auf die Durchsetzung von Interessen ausrichten und als Bewertungsmaßstäbe eines solchen Verhaltens dienen. In den „Werten“ verkürzt sich die theoretische, moralische oder religiöse Begründung auf Worte, die faktisch Sollsätze enthalten. Die Werte können eingeübt werden, ohne dass sie dabei kritisch reflektiert werden müssen. Insofern werden gern „Wertekommissionen“ gebildet, die die Werte mehr trommeln oder blöken als erklären.
Die Textauszüge der amerikanischen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sind dafür eine schöne Illustration. Indem sie „Werte“ beschwört, verbirgt sie heuchlerisch „Interessen“. Politiker zelebrieren gern „Werte“. Gewinnsucht, Volksfeindlichkeit und andere böse Absichten schmücken sich gerne mit „Werten“. Jörg Haider gelang es, in seinem Buch „Die Freiheit, die ich meine“ das Wort „Freiheit“ allein und in Zusammensetzungen bis zu vierzehn Mal pro Textseite unterzubringen.
Heute können wir feststellen, dass die Globalisierung der Finanzmärkte, der den Staaten in aller Welt durch die transnationalen Konzerne aufgenötigte Freihandel und die Umgestaltung aller Lebensbereiche aller Völker zu Warenmärkten, überall zutiefst volksfeindlich ist - auch in den USA und in Westeuropa. Die Interessen des internationalen Finanzkapitals stellen heute das globale Generalinteresse dar. Die USA sind die Festung, aus der die globalen Ausfälle und Verheerungszüge erfolgen. Über die NATO sind Vasallen in die militärischen Strategien integriert. Die Politiker des Westens sind ihrer Hauptfunktion nach Interessenvertreter des internationalen Finanzkapitals und auf die USA fixiert.
Wer diese Funktion nicht ausüben will, kommt nicht zum Regieren. Wer zufällig zum Regieren kommt und nicht willig ist, wird mit allen, aber auch wirklich allen Mitteln bekämpft. Wer willig, aber ungeschickt ist, bekommt einen Versorgungsposten. Wer eine Zeitlang diese Interessen gut vertreten hat, aber dann gescheitert ist, der bekommt an nicht so exponierter Stelle einen neuen Wirkungskreis oder wird anderweitig versorgt. Man möge dazu nur einmal in „Munzingers Archiv“ die Lebensläufe bekannter Politiker anschauen.
Die Welt unter amerikanischem Kapitalismus
Der russisch-jüdische Logiker, Schriftsteller, Maler und ehemalige Dissident Alexander Sinowjew hat vor einigen Jahren mit Blick fürs Wesentliche den heutigen Kapitalismus seziert:
„Nach dem Zweiten Weltkrieg machte sich die Tendenz der Umwandlung großer Gebiete und ganzer Länder in Vereinigungen, die wie riesige Finanzsysteme und Kapitale funktionieren, deutlich bemerkbar. Ausschlaggebend ist dabei nicht die Konzentration von Kapital, sondern die Organisation des Lebens der Bevölkerungsmehrheit auf eine Art und Weise, als ob diese lediglich als Mittel zum Funktionieren des Kapitals diente. Der neue Zug in der Evolution des Kapitalismus ergab sich in der Einbeziehung der Bevölkerungsmassen in Geldtransaktionen nach den Gesetzen des Kapitals, in der Vermehrung solcher Operationen und in der Rolle der Menschen darin. Die westliche Gesellschaft wurde eine Gesellschaft des Geldtotalitarismus.“ (Alexander Sinowjew, „Der größte Umbruch der Menschheitsgeschichte“, in: Neues Deutschland, 10. Januar 1995, S. 12)
Nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums bekam dieser neue Kapitalismus eine qualitativ neue Ausdehnungschance. Heute haben wir ein „Streben des Westens nach einer Vorherrschaft in der Welt, danach, die gesamte Menschheit zum eigenen Vorteil - und nicht im Interesse einer gewissen abstrakten Menschheit - zu organisieren. Die Weltwirtschaft ist in erster Linie die Eroberung des Planeten durch transnationale Gesellschaften des Westens.“ (Ebenda)
Mit der „neuen Weltordnung“ unter amerikanischer Führung und dem als „Kampf gegen den weltweiten Terrorismus“ getarnten globalen Interventionsprogramm zeigt sich diese Despotie des Finanzkapitals. Zum Finanzkapital sei bemerkt, dass dies ein gesetzmäßiges Entwicklungsprodukt der sozialen Evolution ist und mit dem heutigen Kapitalismus seine bisher höchste Reifestufe erreicht hat. Wer in den beruflichen Dienst tritt, der hat diesem System des Geldtotalitarismus nach seinen inneren Gesetzen zu dienen. Dem „Geld“ ist die ethnische Herkunft seiner Diener völlig egal.
Auch zu den USA gehört die US-Administration und der winzige Kreis derer, die zwischen Führungspositionen in den Banken und Konzernen und Regierungsämtern pendeln. Diese betreiben aus Profitinteresse Weltpolitik und wollen uns als Mittel dafür ihre Ideologie in ihre aktuellen Bewertungen aufdrängen. Wir sollen ihnen ergeben folgen. Condoleezza Rice, die Sicherheitsberaterin von Bush und der drängende Geist hinter seinen Reden, hat uns in der FAZ vom 19.10.2002, S. 10, auf „Unsere gemeinsamen Werte“ vergattert. Sie sieht die Politik der USA als eine idealistische Politik, weil sie von Werten und dem Charakter der Gesellschaft ausgehe.
„Die Vereinigten Staaten und ihre Bündnispartner auf der ganzen Welt haben viele gemeinsame Werte - eine umfassende Verpflichtung zur Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft und offenen Handel...Um das weiter aufzubauen, was Präsident Bush als ein Gleichgewicht der Macht bezeichnet, das sich zugunsten der Freiheit neigt, müssen wir die Vorteile von Freiheit und Wohlstand, deren wir uns in den Industrieländern erfreuen, soweit wie möglich verbreiten...Die Erweiterung des Handels ist unerlässlich für die Entwicklung armer Nationen und für die wirtschaftliche Gesundheit aller Nationen...Wir werden versuchen, jede Nation in einen sich erweiternden Kreis der Entwicklung einzubeziehen...Wir wollen anderen die Demokratie nicht aufzwingen, wir möchten nur zur Schaffung der Bedingungen beitragen, unter denen die Menschen eine freiere Zukunft für sich beanspruchen können.“
Das klingt überaus freundlich. Die Keule ist in Watte verpackt. Es ist eine alte Lehre aus der Geschichte, dass man Politikern nicht aufs Maul schauen soll, sondern auf die Fäuste. Die westliche Freiheit reduziert sich letztlich auf die abstrakte Proklamation von freiem Handel und freiem Konsum. Bush warnt: „Die Erfordernisse der Freiheit gelten voll für Afrika, Lateinamerika und die gesamte islamische Welt.“ (Grundsatzrede in West Point, in: FAZ, 3.6.2002, S. 6)
Natürlich verdienen an der „Welthandels-Freiheit“ das Finanzkapital und die transnationalen Konzerne. Bauern, Kleineigentümer, Mittelstand und nationale Unternehmen sollen an die Wand gespielt werden. Dafür werden weltweit Politiker geworben, ihre Länder dem freien Zugriff des internationalen Kapitals geöffnet. Putsch und Krieg für die Freiheit sind Mittel. Der Putsch gegen Allende in Chile und der Aggressionskrieg gegen Rest-Jugoslawien gehören dazu. Politiker, die ihr Volk dagegen schützen wollen, kommen vor internationale Strafgerichtshöfe oder werden zu Teufeln in Menschengestalt erklärt.
Die meisten Bürgerrechtler stehen aus ihrer Naivität, Eitelkeit oder kalten Berechnung direkt oder indirekt im Dienst dieses global-imperialistischen Strebens. Der jeweils wirtschaftlich und militärisch Stärkste zwingt die Welt unter seine Interessen. Heute sind es in staatlicher Form die USA. Die internationale Finanzoligarchie und die transnationalen Konzerne wollen eine Welt, in der sich ihre Interessen frei verwirklichen lassen. Die Kräfteverhältnisse der Ungleichheit und der wachsenden, ungleichmäßigen wirtschaftlichen Bedingungen in der Welt werden ausgeblendet. Der IWF, die Weltbank, die WTO und die gleichgeschalteten Medien lügen international die „Globalisierung“ als Fortschritt für Wohlstand und gegen die Armut. Alles dies wird schön mit „Werten“ garniert.
Doch das Verhängnis wird wohl erst einmal seinen Lauf nehmen müssen. Das amerikanische Volk ist dabei aber in der historischen Mission, die angelaufene Entwicklung zu stoppen und die vorgesehenen Weltverbrechen zu verhindern. Leider ist es über die Jahrzehnte gelungen, die Masse der US-Bürger in einen Zustand fast vollständiger geschichtlicher und politischer Unwissenheit zu versetzen: 1 % der High-School-Schüler haben fundiertes Geschichtswissen, 89 % derselben haben entweder überhaupt kein solches Wissen (57 %) oder nur Grundwissen (32 %), das ihnen keine begründeten Wertungen ermöglicht. (Junge Welt, 23.6.2002, S. 8)
Europa als Ausbeutungsobjekt
Die Europäische Union ist ihrem Wesen nach eine Freihandelsgemeinschaft der transnationalen Konzerne und des spekulativen Finanzkapitals. Die europäischen Völker sind in diesem System entweder Kunden oder fiskalische Ausbeutungsobjekte. Die EU trägt nur äußerlich ein paar demokratische Züge. Sie ist dem Wesen nach eine Verwaltungsdiktatur des europäischen Großkapitals. Doch steht dahinter das globale Interesse der USA, die EU und die NATO in inniger Verbindung für die endgültige Inbesitznahme Russlands und Sibiriens einzusetzen. Die EU wird deshalb freundlich genötigt, alle an Russland grenzenden europäischen und vorderasiatischen Staaten aufzunehmen. Auch Israel und die Türkei sollen schnell vereinnahmt werden. Verbunden werden soll dies mit der Erweiterung der NATO und dem damit einhergehenden Aufbau US-amerikanischer Stützpunkte. Andererseits soll die EU aber selbst in einem Zustand weltpolitischer Unmündigkeit bleiben.
Javier Solana, als oberster Verwaltungschef der EU und außenpolitischer Beauftragter, ist dabei die Schlüsselfigur. Er steht über der EU-Kommission und kann selber weiter agieren, wenn diese wieder einmal ausgewechselt werden muss. Der hinter der Kommission arbeitende Apparat sichert ebenfalls die Kontinuität. Abgehobene Eliten von Konzernbossen und Bankern regieren mit einer Menge von Hilfskräften dieses Gebilde. Sicher leben auch sie in einer Welt historischer Illusion. Ihr Interesse liegt im Freihandel, und so sind sie bestrebt, den dort vorherrschenden transnationalen Konzernen den Weg in alle Territorium zu ebnen.
Aus ihrer Sicht sind die in den Territorien lebenden Menschen nur Wirtschaftselemente. In der Sozialpolitik sind die Menschen auf Kostenfaktoren oder Kunden reduziert. Diese Elite verachtet die Völker und scheut zu Recht den Volkswillen von unten. Jeder Akt der Demokratie von unten jagt den Eurokraten Schauer über den Rücken. Moralische Skrupel scheinen sie nicht zu haben, denn die Moral wird mit neoliberaler Ideologie und mit exorbitant hohen Dienstbezügen zugeschüttet. Alle Kommissare haben sich vor ihrer Auswahl verdient gemacht und sind extremistische Neoliberale.
Und doch scheinen erfahrene Politiker zu erkennen, dass die Gestaltung der EU im Sinne der USA die EU letztlich selbst zerstören kann. Unter dem Titel „Giscards Erinnerung“ war in der FAZ vom 9.11.2002, S. 10, eine kleine Meldung: „Neu ist, dass ein hoher europäischer Politiker - kein Geringerer als der Mann, der an der Spitze des Reformkonvents der Arbeit an der europäischen Verfassung Form und Richtung gibt - offen ausspricht, was zwar in so gut wie allen Hauptstädten gedacht, aber aus allerlei Gründen, strategischen wie taktischen, nicht zugegeben wird. Europa in der Gestalt der EU wird jedoch nur Bestand haben, wenn es den Willen und die Kraft zur Abgrenzung hat. Aus Giscard spricht der Glaube an die Gemeinsamkeit der europäischen Kultur und Lebensart als unerlässlicher Grundlage des Einigungsprozesses - und die Sorge um das Erreichte und das zu Erreichende, weil die Bedeutung dieser Werte verkannt wird.“
Es gibt in Europa Nationen, die noch in der Lage sind, den Umgang der Eliten mit ihren Lebensinteressen zu bewerten. Die Italiener und die Franzosen scheinen dazu zu gehören. Es gibt aber auch noch andere. In dem Maße, wie sich Osterweiterung und Weltwirtschaftskrise überdecken, wird das EU-Gebilde instabil. Da ist unser Nachbar Polen mit seinen nationalistischen Parteien ein interessantes Studienobjekt, sei es die Bauernpartei „Samoobrona“ oder die nationalkatholische „Liga der polnischen Familien“ (LPR). Lepper bezeichnete den Verkauf der Warschauer Elektrizitätswerke an die RWE als Hochverrat! (Siehe: „Okkupanten im Gewand von Investoren. Polnische Nationalisten setzen deutsche Unternehmen mit Hitlers Armeen gleich“, in FAZ vom 1.11.2002, S. 6).
Vermutlich wird die EU von ihren Rändern aufgerollt und nicht aus dem Wirtschaftszentrum BRD zur Implosion gebracht. Allen ost- und südosteuropäischen Völkern geht es unter dem Kapitalismus wesentlich schlechter als zu Zeiten des Sozialismus. Die Erweiterung der EU nach Osten kann zu einer weiteren Verarmung der dortigen Völker führen. Um dies abzusichern, wird parallel dazu auch die NATO ausgedehnt und die Länder letztlich durch westliche Truppen besetzt. Im Konfliktfall sollen sie „befriedet“ werden
Andererseits liegt in einer erneuerten EU auch eine Chance. Die Welt braucht ein starkes Europa mit einem starken Deutschland von weltpolitischem Gewicht. David Binder, der frühere Deutschland-Korrespondent der „New York Times“, zitierte in seinem Artikel im „Spiegel“ (Nr. 45 / 4.11.2002, S. 137) Martha Mauthner. Sie habe festgestellt, seit dem Ende des Kalten Krieges „halten die anderen uns für einen Amok laufenden Riesen“. Diese Auffassung haben viele, werden sich aber in der Regel hüten, diese auszusprechen. Binder schreibt in der Würdigung von Gerhard Schröders Weigerung, deutsche Truppen gegen den Irak einzusetzen und seiner Betonung des „deutschen Weges“:
„Der einzig mögliche Rivale für die Vereinigten Staaten, dazu nicht einmal ein unfreundlicher, wäre die Europäische Union. Um Europa klein zu halten, hat Washington die verstärkte Rolle der USA in der NATO forciert. Auch die NATO-Kampfhandlungen in Bosnien und im Kosovo können als Probeeinsätze Amerikas in seiner Selbstdarstellung als ‚europäische’ Vormacht gesehen werden. Schließlich findet die Erweiterung der NATO ebenfalls unter amerikanischer Führung statt. So gesehen ist Kanzler Schröders Alleingang - der inzwischen von Frankreich weitergeführt wird - von bahnbrechender Wichtigkeit oder zumindest Vorbote eines Umbruchs. Auch mit seiner hauchdünnen Mehrheit im Bundestag sollte er Kurs halten.“
Natürlich war es durch den Wahlkampf eingegeben, als Gerhard Schröder vom „deutschen Weg“ gesprochen hatte. Politiker ziehen immer gern ein nationales As aus dem Ärmel, wenn sie dadurch ihre Wahlchancen verbessern können. Damit wollen sie so tun, als ob ihnen das Volk am Herzen liege. Andererseits ist er nicht nur hoher Staatsmann, sondern hat die Beziehung zu den Unterschichten, aus denen er ja stammt, nicht ganz verloren. Gerhard Schröder spürt die Anzeichen des Bebens. Er scheint zu fühlen, dass mitten in seine zweite Kanzlerschaft die große Krise fällt, in der er scheitert oder durchkommt.
Für deutsche Interessen
Deutsche Interessen sind die Interessen des deutschen Volkes an seinem dauerhaften Gedeihen. Zum deutschen Volk gehört man aufgrund seiner Herkunft aus der historisch gewachsenen Gemeinschaft deutscher Stämme. Zum deutschen Volk gehörig ist aber auch der, der ins deutsche Volk eingewachsen ist, der sich zugehörig fühlt, dem Gesamtinteresse mit gedient hat und dient. Da hilft die dekorative Verleihung einer deutschen Staatsbürgerschaft nicht. Da werden Rechte vergeben, ohne dass Pflichten eingefordert werden können und wollen. Falls diese Parallelgesellschaften ihre eigenen Interessen gegen das deutsche Volk durchzusetzen beginnen, entstehen im Extremfall Bürgerkriege oder wechselseitige Vertreibungen. Generell sind multiethnisch-liberalistische Gesellschaften durch Interessenantagonismen instabil. Das kann auch international als Waffe eingesetzt werden, sozusagen eine „ethnische Waffe“. Die Proklamation einer „Leitkultur“ ist in solchen Situationen nur ein hilfloser Versuch der verbalen Gegenwehr.
Wenn wir in der Bundesrepublik Deutschland deutsche Interessen proklamieren und wieder zum Fundament der Politik machen wollen, so muss das deutsche Volk selbst wieder zur Besinnung kommen. Eine solche Selbstbesinnung kann eintreten, wenn
1. Deutschland erlebbar Opfer ausländischer Interessen wird und der Handelnde als Gegner oder Feind identifiziert werden kann (Aufgenötigte Aufgabe der Währungshoheit; Zwang zur Beteiligung an US-amerikanischen Globalisierungskriegen und Beteiligung an Kriegsverbrechen; EU als Konzerneuropa; Diffamierung der Deutschen als Tätervolk; Aufnötigung von Masseneinwanderung durch UNO- oder EU-Beschlüsse),
2. die Deutschen durch Handlungen offensichtlich beleidigt werden und man sich der nationalen Würde erinnert (Tatsache der Besetzung durch US-amerikanische Truppen und weiterer Ausbau von Stützpunkten für Globalisierungskriege; Bundesrepublik als freies Operationsgebiet westlicher Geheimdienste),
3. Eliten nur noch Interessen egoistischer Gruppen vertreten und sich gegen das Volk wenden (Forderung von Konzernvertretern, Funktionären der Unternehmerschaft und Politikern, das deutsche Sozialsystem zu beseitigen; Verachtung der deutschen Nation und national denkender Deutscher durch bekannte Politiker; Proklamation Deutschlands zum Einwanderungsland; Bevorrechtung unterschiedlichster Minderheiten).
4. die Diskriminierung von Teilen des deutschen Volkes im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und der Zerstörung der Leistungsstrukturen der DDR anhält (ehemalige DDR-Deutsche als Deutsche niederen Status; Apartheid-ähnliche Herrschaftsstrukturen im Beitrittsgebiet; Aufhebung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbotes und Sonderstrafrecht für hoheitliches Handeln in der DDR; Verfolgung von Soldaten der Grenztruppen der DDR; diskriminierende Haftbedingungen für DDR-Generale; usw.),
5. ausländische Besitzer deutscher Firmen gegen die nationalen Interessen diejenigen und der deutschen Mitarbeiter handeln (Transfer deutscher Technologien ins Ausland; Umlenken von Investitionen in die Stammfirmen; Forderung von Subventionen faktisch als Tributpflicht des deutschen Staates; feindliche Übernahmen und Zerschlagung von Unternehmen),
6. Verteilungskonflikte in der Wirtschaftskrise auftreten (Regieren der Schröder-Administration mit Notverordnungen á la Brüning; Diskriminierungskampagne von Regierung, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften gegen Arbeitslose; Riester-Rente als Zwangsrente zur Förderung der Finanzmärkte; Maßnahmen zur Erhöhung der Besteuerung für Unter- und Mittelschichten),
7. kulturelle Diskriminierung durch Amerikanisierung und Abbau der gesamten kulturellen Substanz Deutschlands geschieht (Absenkung des Niveaus der Massenmedien auf Niveau der amerikanischen Unterklasse; Zerstörung von nationaler Würde und Sitte; Schließung von Kultureinrichtungen; Privatisierung des Bildungswesens; Diskriminierung deutscher Künstler; offensichtlich rachsüchtige Verunglimpfungen der gesamten deutschen Geschichte, einschließlich der Geschichte der DDR und der Lebensleistung der damaligen Bürger).
Dieser Besinnungsprozess hat spontane Momente, an denen die bewusste Förderung der Besinnung anknüpfen muss. Vor einer noch wohlstandsfetten Bevölkerung mit schwarz-weiß-roten Fahnen als „Nationaler Widerstand“ zu paradieren, weckt höchstens Verwunderung. Natürlich ist dort auch ein seelisches Bedürfnis verborgen, es wird aber so nicht befriedigt.
Allgemein ist in den Parteien in Deutschland ein panischer Diensteifer entbrannt, den Willen des Finanzkapitals durchzusetzen. Diese Leute heißen „Reformer“. Die ersten einhundert Tage der zweiten Schröder-Regierung waren neoliberaler Exzess. Bei dieser Gelegenheit kann es sein, dass sie Feuer in die Scheune tragen.
Der deutsche Weg kann erst dann gegangen werden, wenn sich der amerikanische Weg als Sackgasse erwiesen hat. Das dürfte nicht mehr lange dauern. Gegenwärtig wird der amerikanische Weg ganz Europa aufgezwungen. Die so genannten Eliten Europas und auch Deutschlands haben sich diesem Wollen verschrieben. Experten werden zur hemmungslosen Agitation in diese Richtung genutzt. Die Vorschläge sind blanker Sozialdarwinismus. Mit diesem Exzess verzehren sich die „Eliten“ und legen dem Volk fast zwangsläufig nahe, sich neue zu suchen.
Dies wird dank der EU und der neoliberalen Weltideologie ein gesamteuropäischer Vorgang. Radikaler Sozialabbau und „Privatisierung“ der öffentlichen Dienstleistungen sollen bald flächendeckend werden und führen zu endemischen Konfliktherden. In diesen Konflikten werden dann der Kapitalismus und seine internationalen Herrschaftsstrukturen in Frage gestellt. Es wird ein revolutionärer Lernprozess sein.
Der Versuch der EU und der Bundesregierung, die geheimen Vereinbarungen des GATS (General Agreement on Trade in Services) durchzusetzen, und die jetzt schon laufenden Vorbereitungen werden Massen von Bürgerinitiativen auf den Plan rufen. Es geht um die totale „Privatisierung“ von Post und Telekommunikation, Wasser- und Energieversorgung, Bahn und ÖPNV, Abfallbeseitigung und Recycling, von Krankenhäusern und allen Bildungseinrichtungen, letztlich auch Straßen und Brücken. Diese „Privatisierung“ greift unmittelbar ins Bürgerleben ein und stellt eine vollständige Enteignung der Bürger dar.
Die Radikalität der Gegenwehr ist durch die latent vorhandene Bürgerwut gesichert, besonders in Deutsch-Nordost. Dort ist die Wut nun bald am Platzen. Die jetzt spontan entstehenden Bürgerinitiativen werden sich vernetzen. Es entsteht ein Flächenbrand von Protest. Die Bürger erkennen wieder ihre Macht als Volksmassen. Runde Tische und bewaffnete Bürgerwehren können sich bilden. Geschieht das in Europa und weltweit, dann entsteht ein permanenter Notstand des radikalkapitalistischen Systems. Das kann in den nächsten zwei bis drei Jahren passieren. Wir können nur hoffen, dass die Herrschaften in den USA, der EU und in Deutschland so anständig den Bürgern begegnen, wie es die Parteien und Regierungen der damals sozialistischen Staaten ihren protestierenden Bürgern gegenüber taten.
Verbunden ist diese Zeit der Proteste und Rebellionen natürlich auch mit einem zum mindesten zeitweiligen Verfall der Ordnung, der Banken und der Versorgung. In der freihändlerischen Just-in-time-Gesellschaft ohne die Möglichkeit, wieder „zum Bauern zu gehen“, kann es ernsthafte Versorgungsprobleme geben.
Wir gehen im Zuge der Überwindung des global-neoliberalen Exzesses harten Zeiten entgegen. Wir können das abmildern, wenn sich die Regierungen Europas beizeiten ihrer nationalen Interessen bewusst werden und geschickt gegensteuern. Der Staat, also der Nationalstaat, wächst wieder in seine dienende und schützende Verantwortung gegenüber dem Bürger hinein. Der Bürger wird dann auch seinen Staat schützen. Sie vereinen sich im nationalen Interesse.