Politische Theorie

 

Zur Debatte um die Vertreibung


von Robert Korda

Bei einem Besuch der Netzseite des „Informationsdienstes gegen Rechtsextremismus“, deren Lektüre zum gelegentlichen Pflichtprogramm eines Nationalrevolutionärs gehören sollte, stößt man aktuell auf einen Artikel von Samuel Salzborn, der sich mit der Vertreibung der Deutschen aus den deutschen Ostgebieten beschäftigt. Obwohl dieser Artikel bereits 2 Jahre alt ist, verdient er Aufmerksamkeit, insbesondere auch weil sich Herr Salzborn auf seiner eigenen Netzseite als Historiker etabliert, der geneigten Leserschaft seine Analysen auch in Buchform zur Verfügung stellt und eine „wissenschaftliche“ Aktion gegen ein „Zentrum gegen Vertreibung“ initiiert hat. Zudem lehrt Salzborn seine Thesen am „Institut für Politikwissenschaft der Universität Giessen“ und wird von der „Bundeszentrale für politische Bildung“ als Referent für „Flucht, Minderheiten, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ geführt.

In besagtem Artikel unterstellt Salzborn, die seit einiger Zeit wieder stattfindende Diskussion um die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten jenseits der Grenzen von 1945 diene in Wahrheit einzig dem Revanchismus, die Deutschen wollten sich damit in die „internationale Opfergemeinschaft“ hineinmogeln.

Die Vertreibung sei keinesfalls ein wie auch immer geartetes Unrecht gewesen, könne es nicht gewesen sein, da sonst ja ein Teil des Potsdamer Abkommens für nichtig erklärt und damit grundsätzlich dessen rechtliche Verbindlichkeit in Abrede gestellt werde. Außerdem sei die Umsiedlung im Potsdamer Abkommen völkerrechtlich verbindlich festgelegt worden. Wenn man die prosaische Beschreibung der Vertreibungen als eine Umsiedlung einmal übersieht, das ist es einfach argumentativer Unsinn. Salzborn verweist ausdrücklich auf Absatz XIII. des Abkommens, ohne zu erwähnen, daß dort steht „Die drei Regierungen haben die Frage unter allen Gesichtspunkten beraten und erkennen an, daß die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muß. Sie stimmen darin überein, daß jede derartige Überführung, die stattfinden wird, in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen soll“. Die Humanität dieser „Überführungen“ ist bekannt, die Bilder erschütternd.

Sozialwissenschaftler Salzborn ignoriert bewußt, daß das Festschreiben eines Unrechts in einem Abkommen dieses Unrecht zwar möglicherweise de jure legalisiert, es aber eben immer noch nicht zu Recht macht.

Die Vertreibung von etwa 14 Millionen Menschen aus ihrer Heimat war ein durch keinerlei Recht abgedecktes Verbrechen. Die Vertreibung erfolgte größtenteils nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, sie war keine Kriegshandlung mehr.

Salzborn formuliert reichlich seltsam: „(so) stellt die damit forcierte Generalisierung von Flucht und Vertreibung der Deutschen infolge des Zweiten Weltkriegs als Unrecht keine historisch adäquate Interpretation dar.“ Was ist dann die historisch adäquate Interpretation? Das es Recht war 14 Millionen Menschen ihrer Heimat zu berauben und 2 Millionen dieser Flüchtlinge in den Tod zu schicken oder einfach zu ermorden? Man fragt sich wo Salzborn Rechtswissenschaften studiert hat, wie er auf seiner Netzseite ausführt.

Obwohl es bis 1949 kein verbindliches kodifiziertes Völkerrecht gegeben hat, das Vertreibung und Zwangsumsiedlung geächtet hätte, legitim war die Vertreibung nicht. Es ist unbestreitbar, daß diese Dimension der Vertreibung in der Geschichte einmalig ist.

Obwohl Salzborn das Potsdamer Abkommen zu einem wichtigen Meilenstein des Völkerrechts umdeutet übersieht er geflissentlich, daß in diesem unter Punkt IX. folgender Satz steht, daß „...die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zu der Friedenskonferenz zurückgestellt werden soll“. Man staunt nicht schlecht, wenn man sieht wie ein Sozialwissenschaftler mit juristischem Hintergrund selektiv zitiert. Steht doch in eben dem Potsdamer Abkommen, die Westgrenze Polens sei nicht endgültig festgelegt. Die erwähnte Friedenkonferenz der Siegermächte hat es bekanntermaßen nie gegeben. Wenn sich die von Salzborn beschriebenen Revanchisten an ihm orientierten und sich auf das Potsdamer Abkommen beriefen, geriete Salzborn in erheblichen Erklärungsnotstand. Oder gelten für ihn nur die Teile des Abkommens, die ins eigene Weltbild passen?

Salzborn führt in seinem Text weiter aus es, habe nie ein Tabu gegeben, die Vertreibung zu thematisieren, dies sei absurd. Ist es das wirklich? Die kaum des Revanchismus zu bezichtigende Netzseite der „Bundeszentrale für Politische Bildung“ schreibt dazu „Wenn die Deutschen nun nach Jahrzehnten der Tabuisierung die Vertreibung wieder zu einem Bezugspunkt ihres kollektiven Gedächtnisses machen...“ usw. (Artikel zum kollektiven Gedächtnis von Helga Hirsch - lesenswert!).

Offensichtlich hat Salzborn hier eine völlig andere Wahrnehmung. Er schreibt: „So konnten sich auch die Deutschen als eine "derart in ihren Wahnzielen bloßgestellte, der grausamsten Verbrechen überführte Population" (Zitat Mitscherlich, „Die Unfähigkeit zu trauern.“) in der unmittelbaren Nachkriegszeit um nichts anderes kümmern, als um sich selbst".

Salzborn postuliert hier mit der Einfügung des Mitscherlich-Zitates eine Kollektivschuld der „Population“ um einige Zeilen später vom „stets halluzinierten Vorwurf einer deutschen Kollektivschuld, den es tatsächlich von alliierter und assoziierter Seite nicht gegeben“ habe zu sprechen. Es ist interessant, wie Salzborn sich innerhalb dieses Artikels ständig selbst widerspricht. In einem jedoch hat er fast recht, er schreibt, man wolle über deutsche Opfer sprechen, ohne über den Nationalsozialismus zu sprechen. Nicht ohne darüber zu sprechen, aber eben auch nicht mehr ausschließlich darüber. Es ist vollständig unwissenschaftlich mit der Pauschalbegründung Nationalsozialismus ständig jegliche Diskussion um nationale Belange des deutschen Volkes zu unterbinden. Die Zeit, wo jeder Versuch, das Unrecht am deutschen Volk zu thematisieren, damit abgewürgt wird, man wolle nur das Leid der Opfer des nationalsozialistischen Genozids relativieren, muß Vergangenheit sein.

Man muß die Vertreibung als das dokumentieren was sie war, ein Verbrechen, das niemand mit dem Hinweis auf Auschwitz oder Hitler rechtfertigen kann. Verbrechen mit Verbrechen zu begründen ist mehr als peinlich, es ist kriminelle Logik.

Zu behaupten, alle Vertriebene seien Nationalsozialisten gewesen oder glühende Anhänger Hitlers ist vollständig unhaltbar. Auch wenn es Salzborn nicht wahr haben möchte, der größte Teil der Vertriebenen waren Alte, Frauen und Kinder, die mit dem nationalsozialistischen Genozid nichts zu tun hatten.

Wenn Salzborn zudem schreibt, daß die Umsiedlung der Deutschen „in Konsequenz auf die Massenvernichtung der europäischen Juden erfolgte“, so lügt er schlicht. Die Vertreibung der Deutschen aus den deutschen Ostgebieten erfolgte nicht als Reaktion auf den Genozid am jüdischen Volk, sie hatte damit wenig bis gar nichts zu tun. Sie erfolgte als Reaktion auf alte ethnische Konflikte der Region.

Salzborns Sichtweise der Dinge geht aus seinem erwähnten Aufruf gegen ein Vertriebenenzentrum deutlich hervor, indem er schreibt die „Erinnerung der Vertreibung hat ihren legitimen Ort im individuellen Gedenken der Menschen“. Im individuellen Gedenken ist es legitim, Ausstellungen, Dokumentationen und ausgesprochene Fakten sind es nach seiner Anschauung wahrscheinlich nicht. Es ist ungeheuerlich wie er mit einer erheblichen Perfidie in diesem Aufruf gegen ein solches Zentrum hetzt und vor einer angeblichen Umdeutung der Vergangenheit warnt. Er vermischt ständig Sachverhalte, spricht von „historischen Reaktionen auf die nationalsozialistische Volkstums- und Vernichtungspolitik“ und so weiter. Die Gebietsansprüche Polens gegenüber dem Deutschen Reich waren deutlich älter und kamen lange vor dem Nationalsozialismus auf. Bereits 1921 lebten im neu entstandenen Polen 27 Millionen Menschen, wovon jedoch nur 19 Millionen Polen waren. Polen lag während Zeit zwischen den Weltkriegen mit sämtlichen Nachbarn außer Rumänien und Lettland im Grenzstreit.

Samuel Salzborn hingegen unterstellt, daß die „deutschen Minderheiten soziale und politische Konflikte geschürt haben, die eine wesentliche Voraussetzung für die Zerschlagung der osteuropäischen Nationalstaaten darstellten“. Die geschichtliche Wahrheit sieht anders aus. In den Ostgebieten war die deutsche Bevölkerung nicht die Minderheit, sie stellt die Bevölkerungsmehrheit. Eine Minderheit waren lediglich die Sudetendeutschen in der neu entstandenen Tschechoslowakei, wo sie einen Bevölkerungsanteil von 23% darstellten. Hier hilft ebenfalls ein gelegentlicher Blick in Geschichtsbücher. Nicht ausschließlich die Deutschen schürten Konflikte. Nach dem Versailler Diktat und den an völkischen Gegebenheiten in Europa vollkommen vorbeigehenden Grenzziehungen waren die Konflikte vorprogrammiert. Provokationen der polnischen Minderheit gab es beispielsweise in Oberschlesien nach der dort erfolgten Volksabstimmung. Hier hatte die polnische Minderheit unter Wojciech Korfanty den Konflikt geschürt. Am 12.10.1921 wurde das Gebiet Oberschlesiens gegen das Votum der Bevölkerungsmehrheit an Polen übergeben. Auch in Posen, Danzig, Memel und der Tschechoslowakei sind durch die jeweiligen nicht deutschen Bevölkerungsgruppen massiv geschürte ethnische Konflikte dokumentiert. Das deutsche Volk als alleinschuldig an der Situation darzustellen leugnet jede historische Tatsache. Vor dem ersten Weltkrieg hatte es in Europa kaum ethnisch homogene Gebiete gegeben.

Salzborn versucht, die Vertreibung von Millionen von Menschen als eine zweckmäßige Lösung und historische Notwendigkeit darzustellen, ohne überhaupt zu begreifen, daß die ethnischen Konflikte im Osten Europas Jahrhunderte alt waren und keinesfalls durch nationalsozialistischen Volkstumspolitik entstanden sind.

Menschen die sich mit der Aufarbeitung der europäischen Geschichte befassen pauschal als Revanchisten darzustellen ist in höchstem Maße unseriös.

Salzborn unterstellt, die Geschichte der Vertreibung sei ausreichend aufgearbeitet, es gebe genügend Bücher und zudem Mahnmahle in fast jeder Stadt. Er hat offensichtlich nicht einmal begriffen, welches Trauma die Vernichtung jahrhundertealter Kultur und die Vertreibung von fast 20% der deutschen Bevölkerung aus ihren angestammten Siedlungsgebieten darstellt. Oder er will es nicht begreifen.

Die Dokumentation des Schicksal und der mögliche Erhalt kulturellen des Erbes der Bevölkerung der deutschen Ostgebiete ist ein wichtiger Faktor der nationalen Identität des deutschen Volkes.

Es ist bedauerlich, daß Teile der deutschen Intellektuellen immer noch nicht wahr haben wollen, daß 1200 Jahre Kulturgeschichte nicht auf ewig mit 12 Jahren Hitlerismus aufzurechnen sein werden.


 

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