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Staubsauger im Äther - Das Echelon-System der NSA

 

 

Verfasser: Richard Schapke

   

„Humbug“ --- Ernst Uhrlau, Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung    

„Echelon ist nur ein Gerücht.“ --- Frits Bolkestein, EU-Kommissar für den Binnenmarkt    

 „Wir brauchen mehr Beweise.“ --- Graham Watson, Vorsitzender des Ausschusses für Bürgerrechte im Europaparlament    

 

 

Ende Februar bequemte sich das Europaparlament dazu, sich in zweitägigen Anhörung des Journalisten Duncan Campbell eingehend mit dem amerikanischen Abhörsystem Echelon zu befassen. Die belgische Regierung wagte es als bislang einziges europäisches Kabinett, bei "unseren amerikanischen Freunden" (Kohl) gegen die Überwachung des gesamten Telekommunikationsverkehrs - national und international - per Kabel, Funk und Satellit zu protestieren. Für diese Überwachung ist der amerikanische Nachrichtendienst National Security Agency NSA zuständig.

Die NSA wurde 1952 unter Präsident Truman bei strengster Geheimhaltung gegründet, um zum einen den sowjetischen Funkverkehr abzuhören und zum anderen die amerikanischen Nachrichtenverbindungen zu sichern. Unter Reagan wurden die Kompetenzen wesentlich erweitert - das Ergebnis war P-415 Echelon. Hinter Echelon verbirgt sich ein Überwachungssystem mit weltweit mindestens 120 Abhörstationen. Während 50 dieser Stationen auf russische Satelliten gerichtet sind, kümmern sich 40 um die westliche Kommunikation. Zu nennen sind die Hauptniederlassungen Menwith Hill und Morwenstow in Großbritannien, Bad Aibling in der BRD, Nikosia auf Zypern, Geraldian Station und Shoal Bay in Australien, Waihopei in Neuseeland, Misawa in Japan, Yakima Firing Center und Sugar Grove in den USA sowie Leitrim in Kanada. Hinzu kommen die Abhörstationen Karamusel in der Türkei und San Vito dei Normanni, die jedoch in den offiziellen Echelon-Karten des Verfassungsschutzes nicht enthalten sind. Beispielsweise ist Morwenstow in Cornwall für Europa, den Atlantik und den Indischen Ozean zuständig. Hier münden die transatlantischen Tiefseekabel in die kontinentalen Netze. Die Außenstelle Menwith Hill in Yorkshire überwacht vorgeblich den Nahen Osten, kümmert sich aber "nebenbei" um die französischen und italienischen Kommunikationsverbindungen. Alleine in Menwith Hill sind 1400 Amerikaner und 350 Mitarbeiter des britischen Verteidigungsministeriums tätig. Seit dem Ende des Kalten Krieges wurde die Anlage erheblich erweitert, um den neuen globalen Anforderungen gerecht zu werden.

Die Kooperation mit dem britischen Partnerdienst Government Communcations Headquarters GCHQ wickelt das Büro für Sonderverbindungen SUSLO in London ab, denn nicht nur die Amerikaner sind an Echelon beteiligt. Der nachrichtendienstlichen UKUSA-Union (England und die USA) aus der Frühzeit des Kalten Krieges wurden zur Perfektionierung von Echelon Anfang der 80er Jahre Australien, Kanada und Neuseeland angeschlossen. Die Erstverwertung der Informationen steht nur der NSA zu, die übrigen Partner erhalten den Zweitzugriff. Einen Drittzugriff für bestimmte Bereiche haben die BRD, Dänemark, Norwegen, Malaysia, Singapur, Südkorea, Israel, Taiwan und ehemals Südafrika. Die freigegebenen Informationen lassen sich von den Angehörigen der "intelligence community" über ein internet-artiges Wide Area Network WAN abrufen.

Exkurs: Aus Frustration über den sparsamen Umgang der Amerikaner mit nichtmilitärischen Informationen hat die zuständige Bundeswehr-Austauschgruppe des BND gemeinsam mit Frankreich ein separates Lauschprojekt gestartet, das seinen Sitz in Berlin-Reinickendorf nahm. Jüngste Frucht dieser Kooperation ist eine gemeinsam betriebene Abhörstation in Französisch-Guayana. Neben der Austauschgruppe unterhält der BND weltweit mindestens zehn Abhörstationen für die globale Kommunikation, die nach dem Muster der NSA arbeiten. Der französische Auslandsnachrichtendienst DGSE beispielsweise, vom Echelon-System ausgeschlossen, betreibt in Frankreich zwölf Horchposten, wobei sich weitere auf Guadeloupe, in Djibouti, auf Mayotte und auf Réunion befinden.

Hinter dem harmlosen Namen Bundesstelle für Fernmeldestatistik verbirgt sich eine Dependance des BND, die in der Bundesrepublik elf erkannte Abhörstationen (Husum, Heiligenhafen, Schöningen, Brühl, Bonn, Monschau, Kassel, Butzbach, Stockdorf, Pullach, Starnberg) betreibt - Zielobjekte Satellitenkommunikation und normaler Telefonverkehr. Die BSFS taucht in den offiziellen BND-Angaben über Abhörkapazitäten nicht auf: diese gelten nur für die Abteilung Technische Beschaffung. Den Anschluß stellen die mit der Fernmeldeverkehr-Überwachungs-Verordnung vom Mai 1995 obligatorischen Schnittstellen bei den Anbietern sicher. Ehe wir´s vergessen: Die Teilstreitkräfte der Bundeswehr betreiben ebenfalls eigene Anlagen, so die Marine in Bramstedtlund nahe der dänischen Grenze oder die Luftwaffe in Gatow bei Berlin.

An mindestens einem Drittel aller US-Botschaften befinden sich sogenannte SCE- oder SCS-Teams, Gemeinschaftsunternehmen von NSA und CIA. Diese kombinieren das Expertenwissen der NSA mit den praktischen Fähigkeiten der CIA-Agenten. Sollte die US-Botschaft sich auf einem Hügel befinden oder gar in der Nähe der Ministerien für Äußeres und Verteidigung oder anderer wichtiger Amtssitze, kann das Gastland mit Sicherheit von der Aktivität eines SCE-Teams ausgehen. Zielscheiben dieser Gemeinschaftsunternehmungen können auch Einrichtungen von Drittstaaten oder Industriebetriebe usw. sein. Eine weitere Komponente des globalen Überwachungssystems sind Satelliten, deren Kameras die Erde mit einer Auflösung von 3 Zentimetern beobachten und ihre Bilder in Echtzeit an den NSA-Schwestergeheimdienst NRO (National Reconnaissance Office) liefern. Soeben beendete die Raumfähre ENDEAVOUR die Verfilmung der Erdoberfläche mit einem Spezialradar in perfekt dreidimensionaler Bildqualität - Auflösung 1 Zentimeter. Die Resultate werden der Forschung erst nach zwei Jahren zugänglich gemacht; vorher wertet sie das NRO für das Pentagon aus.

Da die amerikanischen Hersteller von Firmen der Informations- und Kommunikationsbranche seit 1994 verpflichtet sind, durch Erfüllung sogenannter International User Requirements (IUR) die Überwachung technisch und organisatorisch zu erleichtern, sind beispielsweise Microsoft-Produkte oder AOL/Netscape geradezu eine Einladung für die NSA, den e-mail-Verkehr abzuschöpfen. Zwischen der US-Regierung und den IT-Firmen besteht eine Vereinbarung, für den Export gedachte Produkte mit einem geringeren Sicherheitsstandard auszurüsten. Bekannt ist der Fall des Lotus-Programmes "Notes", dessen Schlüssel von Anfang an der NSA bekannt waren.

Die Überwachung erfolgt - wie auch durch den BND - anhand bestimmter Schlüsselworte nach dem Memex-System. Es wird zwar kolportiert, die NSA habe Schwierigkeiten mit dem Abhören akustischer Verbindungen, aber die Experten haben bereits einen dem Fingerabdruck vergleichbaren Voiceprint entwickelt. Anhand dieses "Stimmabdrucks" kann jede Person mit höchster Zielsicherheit identifiziert werden, ganz gleich, an welchem Ort der Welt sie sich aufhält. Am Rande sei angemerkt, daß BND-Insider entweder die NSA oder die CIA verdächtigen, die Urheber des Kryptographieprogramms PGP zu sein. Hauptziel der Amerikaner ist seit dem Ende des Kalten Krieges die europäische Wirtschaft - im vergangenen Jahr belief sich der Schaden auf mindestens 40 Milliarden DM. Pikanterweise begründen die Amerikaner ihre Wirtschaftsspionage mit den korrupten Geschäftspraktiken der europäischen Konzerne, für welche die Affäre um den Waffenhändler Schreiber ein bezeichnendes Beispiel ist.

Nicht genug damit, die NSA hat seit langem die Leitungen der Europäischen Kommission und des Europaparlaments angezapft. Gemäß des halbkolonialen Status der EU erklärte sich die Kommission am 12. März 1998 auf Anfrage eines Abgeordneten sicherheitshalber für unzuständig. Sehr zum Vorteil der Amerikaner, die mittlerweile die Büros des EU-Ministerrates und diejenigen des EU-Sicherheitsbeauftragten Solana verwanzt haben. Zur gleichen Zeit liefen übrigens die Wirtschaftsverhandlungen der EU mit den assoziierten AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik).

Das Resultat von Echelon ist die Überwachung von bis zu 2 Milliarden Kommunikationseinheiten täglich. Aufällige Kommunikationseinheiten werden zur Auswertung durch NSA-Mitarbeiter herausgefiltert. Im NSA-Hauptquartier Fort Meade/Maryland wird von 50.000 Personen täglich ein Papierberg von bis zu 60 Tonnen Gewicht ausgewertet. Gerät eine Person in die Fänge von Echelon, so werden diese Daten auch bei scheinbarer Irrelevanz nicht gelöscht, sondern sorgsam gespeichert. Die eingehende Informationsmasse bereitet bei der Auswertung einige Schwierigkeiten, wie sich versteht. Der Dienst beschäftigt jedoch mehr hochqualifizierte Mathematiker als jeder andere staatliche oder private Arbeitgeber weltweit. Sein Etat beläuft sich auf schätzungsweise 10 Milliarden Dollar.

Zentrum der NSA-Aktivitäten in der BRD ist die Anlage von Bad Aibling bei Augsburg. Von hier aus werden alle Satelliten im Orbit gesteuert, die sich aus rund 600 Kilometer Höhe mit der Überwachung des bundesdeutschen Nachrichtenverkehrs befassen. Die Anlage reicht stolze sechs Ebenen in den Erdboden hinein und ist üblicherweise für deutsche Nachrichtendienstler tabu. Diese sitzen in einer benachbarten Anlage und erhalten nur die rein militärischen Informationen. Das Europa-Hauptquartier der NSA, NCER, befindet sich im US-Europakommando USEUCOM in Stuttgart-Vaihingen. Außenstationen gibt es beispielsweise in Augsburg, Berlin, Frankfurt/Main, Langen und Köln sowie an neun weiteren Orten in der BRD.

Ein Beispiel für die politische Verwertbarkeit von Echelon durch die beteiligten Regierungen ist die Überwachung des britischen Bergarbeiterführers Arthur Scargill während des großen Bergarbeiterstreiks von 1984, als Maggie Thatcher die Entmachtung der Gewerkschaften einleitete. Selbst die unsägliche Prinzessin Diana wurde infolge ihres Engagements für amnesty international oder ihrer Kampagne gegen Landminen das Opfer systematischer Lauschangriffe. Ferner besteht die Möglichkeit, nationales Recht zu umgehen, indem kurzerhand ein anderer Echelon-Partnerdienst gebeten wird, eine Zielperson zu überwachen. In Großbritannien soll dies bereits mehreren Ministern widerfahren sein, die im Auftrag der Downing Street von den Kanadiern abgehört wurden.

Während man in Bonn in gewohnter Vasallenmanier den Kopf in den Sand steckt, rafften sich EU-Industriekommissar Liikanen und EU-Ratspräsident Gomes dazu auf, die Verletzung der Privatsphäre und die Wettbewerbsverzerrungen durch Echelon zu verurteilen. Konkrete Schritte gegen die USA oder ihr trojanisches Pferd Großbritannien vermißt man jedoch. In Frankreich bereiten mehrere Abgeordnete eine Schadenersatzklage gegen die angelsächsischen Staaten vor, und in Dänemark forderte die Parteijugend der Sozialistischen Volkspartei bereits, Clinton wegen Industriespionage anzuzeigen. In den USA droht eine Untersuchung durch den Kongreß, da Echelon zur illegalen Überwachung amerikanischer Staatsbürger eingesetzt wird. Angesichts einer anstehenden Beratung der Innen- und Justizminister über Echelon Ende Mai haben London und Washington vorsorglich bestritten, daß mit dem Abhörsystem etwa Spionage bei den "Verbündeten" betrieben werde. Erst Mitte April bequemte sich die Bundesregierung, damit Uhrlau desavourierend, die Existenz von Echelon zu bestätigen. Im übrigen hieß es, von Bad Aibling könnten keine unliebsamen Abhöraktionen ausgehen, denn diese seien laut NATO-Truppenstatut verboten. Es darf schallend gelacht werden.

 

 

 

 

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