Repression und Überwachung

 

DOKUMENTATION EINER VERFOLGUNG

 

EIN "Urteil" im Namen des Volkes

jeder mündige Bürger sollte sich fragen: "im Namen WELCHES Volkes?"

 

 

 

4 Ns 46 Js 593/95 [Wappen]

(75/99)

LANDGERICHT MÜNSTER

 

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

 

 

In der Strafsache
g e g e n Erhard K e m p e r,
geboren am 15. November 1929 in Gütersloh,
zuletzt wohnhaft gewesen in XXXXX XXXXXXXX,
XXXXXXXX XXXXXXXX, verheiratet, deutsch,
z.Zt. in Haft in der JVA Münster,

 

w e g e n Volksverhetzung

hat die IV. Kleine Strafkammer des Landgerichts Münster (Westf.) auf die Berufung der Staatsanwaltschaft Münster gegen das Urteil des Amtsgerichts Münster vom 4. Dezember 1996 in der Hauptverhandlung vom 7. Juli 1999, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Landgericht Rocznik
als Vorsitzender,
Frank Pagenkemper, Maria Kirsch als Schöffen,
Oberstaatsanwalt Schrade als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt Berkenheide, Münster, als Verteidiger,

Justizobersekretär Zuch als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

 

für  R e c h t  erkannt:

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil aufgehoben.

Der Angeklagte wird wegen Beleidigung unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Münster vom 05. 02. 1998 - 11 Ls 46 Js 399/97 - unter Auflösung der dort verhängten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von

einem Jahr und drei Monaten verurteilt.

 

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen (einschließlich Revisionsverfahren).

 

Angewendete Vorschrift: § 185 StGB.

 

G r ü n d e :

I.

Mit Anklage vom 13.12.1995 hat die Staatsanwaltschaft Münster dem Angeklagten vorgeworfen, er habe in Münster und Berlin im Mai 1995 durch dieselbe Handlung durch Verbreitung von Schriften eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 220 a Abs. 1 bezeichneten Art (Völkermord) in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, geleugnet und zugleich durch Verbreiten von Schriften andere beleidigt. Ihm wurde vorgeworfen, am 22.06.1995 einen Brief mit der sogenannten Gaskammerlüge verbreitet zu haben. Von diesem Vorwurf sprach ihn das Amtsgericht Münster mit Urteil vom 04.12.1996 aus tatsächlichen Gründen frei mit der Begründung, das Tatbestandsmerkmal des "Verbreitens von Schriften" fehle. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Münster form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Auf die Berufung hin verurteilte ihn die 13. Kleine Strafkammer des Landgerichts Münster am 13.05.1997 wegen Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Auf die Revision des Angeklagten hob das OLG Hamm mit Beschluß vom 16.12.1997 das Urteil mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Münster.

Bei der seitdem zuständigen erkennenden Kammer wurde das Verfahren zunächst mit einem weiteren Berufungsverfahren verbunden, in dem der Angeklagte Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts Münster vom 05.02.1998 eingelegt hatte, das näher unter Ziffer II. 7. dargestellt wird. Das Verfahren wurde terminiert auf den 27.05.1998. Weil der Angeklagte nicht erschien, wurde seine Berufung in dem damals noch verbundenen Verfahren gemäß § 329 StPO wegen schuldhaften Nichterscheinens zum Berufungstermin vom 27.05.1998 verworfen, seine hiergegen eingelegte Revision blieb erfolglos und das unter Ziffer II. 7. näher dargestellte Verfahren wurde deshalb am 28.08.1998 rechtskräftig abgeschlossen. Im vorliegenden Verfahren wurde sodann ein weiterer Termin zur Verhandlung über die Berufung der Staatsanwaltschaft auf den 26.10.1998 angesetzt. Auch zu diesem Termin erschien der Angeklagte nicht, er hatte bereits mit Schreiben vom 25.10.1998 mitgeteilt, daß er in die Illegalität abtauche. Es erging sodann am 26.10.1998 ein Haftbefehl der Kammer, der am 30.04.1999 zur Festnahme des Angeklagten führte. Seitdem befindet er sich im vorliegenden Verfahren in Untersuchungshaft, die allerdings seit dem 10.05.1999 zur Vollstreckung rechtskräftiger Entscheidungen unterbrochen ist.

II.

Der heute 69 Jahre alte Angeklagte ist verheiratet, aus der Ehe sind vier bereits volljährige Kinder hervorgegangen. Die beiden jüngsten studieren im 5. bzw. 10. Semester, die beiden älteren arbeiten bereits als Bibliothekarin bzw. Ärztin. Der Angeklagte war früher als Agraringenieur tätig und ist nun Rentner mit einer monatlichen Rente von 2.399,00 DM.

Der Angeklagte betätigt sich schon seit längerer Zeit publizistisch und nennt sich selbst "freier Berichterstatter im Widerstand". In seinen Publikationen beschäftigt er sich vor allem mit der Judenvergasung im Dritten Reich und sämtliche Vorstrafen des Angeklagten bezüglich Volksverhetzung und Beleidigung betreffen Äußerungen und Publikationen zur Frage der Judenvergasung.

Im Einzelnen ist der Angeklagte wie folgt vorbestraft:

1.     Am 04.03.1987 verhängte das Landgericht Dortmund - KLs 31 Js 64/86 - wegen gemeinschaftlich begangener Volksverhetzung in Tateinheit mit Verunglimpfung des Staates eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 25,00 DM.

2.     Am 01.07.1987 verurteilte ihn das Landgericht Dortmund - KLs 31 Js 251/86 - unter Einbeziehung der unter Ziff. 1) genannten Entscheidung wegen Volksverhetzung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 25,00 DM.

3.     Am 10.01.1991 verhängte das Amtsgericht Münster - 11 Ls 46 Js 83/90 - wegen Beleidigung eine Freiheitsstrafe von drei Monaten, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt und am 27.07.1995 schließlich erlassen wurde.

4.     Am 17.07.1992 verurteilte ihn das Amtsgericht Münster - 32 Ds 46 Js 182/91 - wegen Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten.

5.     Am 31.03.1993 verurteilte ihn das Amtsgericht Münster - 14 Ls 46 Js 130/92 - wegen Beleidigung unter Einbeziehung der Strafe aus dem zuvor unter Ziff. 4) aufgeführten Urteil zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die in der Zeit bis zum 13.01.1995 vollstreckt wurde.

6.     Am 10.09.1997 verhängte das Amtsgericht Burgdorf - 4 Cs 19 Js 21786/97 - wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40,00 DM. Diese Geldstrafe ist noch offen.

7.     Am 05.02.1998 wurde er vom Amtsgericht Münster - 11 Ls 46 Js 399/97 - wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und mit Beleidigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Dem lag folgendes zugrunde:

Im November-Heft 1996 der monatlich erscheinenden "Nachrichten der HNG" war ein Schreiben des Angeklagten veröffentlicht worden, das auszugsweise lautet:

"Seit über 10 Jahren bin ich als freier Berichterstatter tätig und habe für 51 verschiedene Blätter im In- und Ausland geschrieben. Über 250 Artikel von mir wurden veröffentlicht. Leider hat mich die sogenannte BRD-"Justiz" mehrfach wegen behaupteter (...aber unbewiesener) "Beleidigung" - ich bestreite die unserem Volk vorgeworfene angebliche "Vergasung" von Menschen in den KL des Dritten Reiches - aus politischen Gründen verfolgt! Diese angebliche "Vergasung" von Menschen ist wissenschaftlich widerlegt!"

Außerdem verbreitete der Angeklagte im April 1997 ein Schreiben, das sich ebenfalls mit der Judenvergasung beschäftigt, und auszugsweise lautet:

"Lieber 100 Jahre im Gefängnis als 1000 Jahre an eine Lüge glauben müssen!"

Ferner ging es um ein weiteres auf den 27.06.1997 datiertes Schreiben mit ähnlicher Thematik, das auszugsweise lautet:

"Es geht nicht nur um die Zurückweisung der Legende von der "Vergasung" von Menschen, es geht um unser aller Freiheit! Lieber 100 Jahre im Gefängnis als 1000 Jahre an eine Lüge glauben müssen."

Das Gericht verhängte für die erste Tat eine Einzelstrafe von acht und für die beiden übrigen Taten Einzelstrafen von jeweils sechs Monaten und führte diese dann auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr zurück. Der Angeklagte hat erst einen kleinen Teil der Gesamtstrafe in Unterbrechung der U-Haft seit dem 10.05.1999 verbüßt.

 

III.

1.

Im Jahr 1995 verfaßte der Angeklagte den Entwurf eines Schreibens an den Generalstaatsanwalt in Hamm, mit dem er Strafanzeige wegen Rechtsbeugung, Verfolgung Unschuldiger, politischer Verdächtigung, Beleidigung, Prozeßbetrug, Völkermord, Nötigung, Erpressung und Freiheitsberaubung gegen die Angehörigen der Polizei und Staatsanwaltschaft in Münster und der Amts- und Landgerichte in Münster und Bielefeld, des Oberlandesgerichts Hamm und des Bundesverfassungsgerichts erstattete. Das Schreiben lautet auszugsweise:

"Sollte noch immer unklar sein, warum ich mich zu einem derartigen Schritt, Anzeige gegen meine Peiniger zu erstatten, gezwungen sehe, sei hier ein weiterer Hinweis gegeben:

Die "BRD"-Gerichtsbarkeit verteidigt wider besseres Wissen weiterhin die Lüge von der angeblich industriell betriebenen "Vergasung" - gemeint ist wohl Begasung - von Menschen in den (auch international üblichen) Arbeits- und Internierungslagern, genannt: Konzentrationslagern (KZ) des Dritten Reiches.

Die "BRD"-Gerichtsbarkeit weiß sehr wohl (s. Aussage von Richter Freter, der mich bereits als "Märtyrer" sehen will), daß sie sich seit nunmehr 50 Jahren politischem Druck des Auslands beugt und damit am eigenen Volk versündigt und ihm die Zukunft verbraucht!

Ich schrieb bereits einmal an das Landgericht Münster: Wann beginnen die Gerichte in Münster und die Justiz in der "BRD", diese Lügen vom Tisch zu fegen und Justizgeschichte zu schreiben."

Diesen Entwurf sandte er am 22.06.1995 per Brief an den seinerzeit in Berlin-Moabit wegen Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen in Untersuchungshaft einsitzenden Marcus Bischoff. Der Brief ist bei der Briefkontrolle durch die Staatsanwaltschaft Berlin angehalten und vom Landgericht Berlin mit Beschluß vom 05.07.1997 beanstandet, von der Beförderung ausgeschlossen und einstweilen beschlagnahmt worden.

Darüber hinaus sandte der Angeklagte das Schreiben auch einer weiteren, unbekannt gebliebenen Person zu. Daß er es darüber hinaus an weitere Personen versandte oder damit rechnete, daß die beiden Empfänger es weiter verbreiten würden, läßt sich nicht feststellen.

Der Angeklagte wußte, daß der Inhalt dieses Schreibens als beleidigend gewertet und üblicherweise strafrechtlich verfolgt wird.

2.

Nachdem ein Strafverfahren eingeleitet worden war, verfügte die Staatsanwaltschaft Münster am 31.10.1995, daß dem Vorstand der Jüdischen Kultusgemeinde in Münster Gelegenheit zur Strafantragsstellung wegen Beleidigung gegeben werden sollte. Anfang November 1995 erhielt die Jüdische Kultusgemeinde in Münster daraufhin eine Kopie des Schreibens, das dort zuvor nicht bekannt gewesen war. Sie stellte daraufhin noch im November 1995 einen schriftlichen Strafantrag (Bl. 20 GA). Diesen unterzeichnete unter Beifügung eines Stempels "Jüdische Kultusgemeinde K.d.ö.R." der Zeuge Fehr, der geschäftsführende Vorsteher der Jüdischen Kultusgemeinde in Münster war und ist. Satzungsgemäß wird die Jüdische Kultusgemeinde, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, von ihrem geschäftsführenden Vorsteher vertreten; die Satzung enthält jedoch die Einschränkung, daß "rechtsbindende Erklärungen" von einem weiteren Vertreter des Vorstands mit unterzeichnet werden müssen.

3.

Die Jüdische Kultusgemeinde in Münster existierte bereits im 1900 Jahrhundert als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie errichtete 1890 im Stadtgebiet Münster eine Synagoge, wobei es sich - wie die Inaugenscheinnahme eines Lichtbiles in der Hauptverhandlung zeigte - um ein großes und sehr respektables Bauwerk handelte.

Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft im Jahre 1933 begann auch in Münster eine Verschlechterung der Lage der Juden und ihrer Kultusgemeinde auf allen Gebieten. Bereits 1933 setzte der Boykott jüdischer Geschäfte und jüdischer Arzt- und Rechtsanwaltpraxen auch in Münster ein, auch hier wurden Juden aus dem Beamtentum ausgeschlossen und die Auswanderung wurde gefördert bei gleichzeitiger Erhebung einer "Reichsfluchtsteuer".

1935 wurden die Juden beispielsweise in Münster aus Vereinen ausgeschlossen, z.B. war es den Juden im damaligen Landkreis Münster verboten, auf der Werse und der Ems zu paddeln. Bürgerrechte wurden entzogen einschließlich des Verbots der Ehe mit Staatsangehörigen "deutschen Blutes". 1938 eskalierte die Judenverfolgung weiter mit der Einziehung aller deutschen Reisepässe, deren Inhaber Juden waren, dem Kennkartenzwang, der Schließung und "Arisierung" jüdischer Geschäfte, dem Berufsverbot für Juden im Bereich von Theater, Kunst und Musik und dem Ausschluß jüdischer Schüler vom allgemeinen Schulbesuch.

Wie alle Kultusgemeinden verlor auch die Jüdische Kultusgemeinde in Münster durch das "Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Jüdischen Kultusgemeinden" vom 28.03.1938 (RGBl I S. 338) ihre Stellung als Körperschaft öffentlichen Rechts, die sie erst viele Jahre später nach Erlaß des Gesetzes über die Jüdischen Kultusgemeinden im Land Nordrhein-Westfalen (HR Nr. 89) wiedererlangte. Wie in vielen Städten wurde auch in Münster in der berüchtigten Reichskristallnacht im November 1938 die Synagoge von den Nationalsozialisten in Brand gesteckt. Sie brannte vollständig aus. Die Stadtverwaltung Münster forderte die Jüdische Kultusgemeinde danach auf, zur Wiederherstellung eines ordentlichen Staatsbildes die Trümmer der Synagoge auf eigene Kosten zu beseitigen. Die Stadtverwaltung erzwang dann im März1939 den Verkauf des Grundstücks, dessen steuerlicher Einheitswert bereits 52.000 Reichsmark ausmachte, für nur 28.000 Reichsmark. Die Abbruchkosten von 20.000 Reichsmark wurden vom Kaufpreis noch abgezogen, so daß nur 8.000 Reichsmark verblieben. Der Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde in Münster, Dr. Steinthal, wanderte nach der Zerstörung der Synagoge Anfang 1939 nach Argentinien aus. Sein Nachfolger, Dr. Julius Voss wurde 1943 mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

1941 wurde das Tragen des Judensterns zur Pflicht und auch in Münster begannen nun systematische Deportationen der jüdischen Bürger in Konzentrationslager. Bei vier größeren Deportationen wurden im Dezember 1941 und Januar, März und Juli 1942 insgesamt 207 Menschen in Konzentrationslager in Osteuropa verschleppt. Der letzte Transport bedeutete zugleich den vollständigen Niedergang der Jüdischen Gemeinde in Münster, sie war personell ebenso wie materiell und rechtlich praktisch nicht mehr existent. Die Jüdische Gemeinde  in Münster zählte 1930 etwa 650 Mitglieder, am Ende des Dritten Reiches lebten in Münster und Umgebung nur 3 Juden, die "illegal" in Verstecken überlebt hatten.

Das Schicksal der 710 Mitglieder der Jüdischen Kultusgemeinde in Münster, die hier zwischen 1933 und 1945 gelebt haben, sieht in Zahlen wie folgt aus:

Ausgewandert: 280 Personen
Im KZ ermordet: 280 Personen
Im KZ überlebt: 24 Personen
verstorben: 84 Personen
illegal überlebt: 3 Personen
Das Schicksal der restlichen 39 Personen ist unbekannt.

 

IV.

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf seinen glaubhaften Angaben; die Vorstrafen wurden durch Verlesung des Registerauszuges und der Feststellungen aus dem Urteil vom 05.02.1998 festgestellt, wobei der Angeklagte glaubhaft angab, daß sämtliche Vorverurteilungen wegen Beleidigung und Volksverhetzung im Hinblick auf Publikationen und Äußerungen zur Judenvergasung erfolgten.

Der bei der Postkontrolle angehaltene Brief des Angeklagten an Bischoff wurde verlesen und der Angeklagte hat ebenfalls glaubhaft bestätigt, daß er diesen Brief verfaßt und an Bischoff abgesandt habe. Weiter hat er hierzu erklärt, er habe den Brief noch an eine weitere Person - einen V-Mann der Polizei - versandt, den Namen wollte er nicht nennen. Daß der Brief verbreitet, das heißt einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht worden sein könnte, läßt sich indes nicht feststellen. Am Ende des Schreibens heißt es zwar, daß einige Verteidiger und ein gleichfalls verfolgter Freundes- und Personenkreis eine Ablichtung des Schreibens zur Kenntnisnahme erhalten sollte; der Angeklagte hat sich hierzu aber unwiderlegt eingelassen, das sei letztlich nicht geschehen, und er verweist in dem Zusammenhang darauf, daß das Schreiben die Überschrift "Entwurf, vorläufige Fassung" trägt. Da es sich entsprechend der Überschrift erst um einen Entwurf handelt, ist es durchaus möglich, daß eine Verbreitung einer endgültigen Fassung zwar geplant, daß es hierzu aber entsprechend der Einlassung des Angeklagten gar nicht mehr gekommen ist. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Angeklagte mit der Versendung an Bischoff eine Kettenverbreitung beabsichtigt haben könnte. Das ist deshalb unwahrscheinlich, weil Bischoff sich in Untersuchungshaft befand und seine Möglichkeit, das Schriftstück weiterzugeben, entsprechend eingeschränkt war.

Die Feststellungen zum Strafantrag, der verlesen wurde, zu den satzungsgemäßen Befugnissen des geschäftsführenden Vorstehers und der Historie der Jüdischen Kultusgemeinde Münster im Dritten Reich beruhen auf den glaubhaften Angaben des Zeugen Fehr, der sich mit der Historie seiner Gemeinde beschäftigt hat und im übrigen bezogen auf seine Gemeinde eine Entwicklung schildert, die dem allgemein bekannten Verlauf der Judenverfolgung im Dritten Reich entspricht.

 

V.

Der Angeklagte hat sich somit wegen Beleidigung der Jüdischen Kultusgemeinde Münster nach § 185 StGB strafbar gemacht.

Ob das vom Angeklagten versandte Schriftstück auch andere Organisationen oder Personen beleidigt, muß dahinstehen, da die Beleidigung ein Antragsdelikt ist und nur allein die Jüdische Kultusgemeinde Münster einen Strafantrag gestellt hat.

Indes kann eine Beleidigung der Jüdischen Kultusgemeinde Münster nicht zweifelhaft sein. In dem Schreiben wird die Vergasung der Juden geleugnet und als "Lüge" dargestellt, die Konzentrationslager werden als "auch international üblich" verharmlost. Tatsächlich ist allgemein bekannt und offenkundig, daß im Dritten Reich systematischer Massenmord an den Juden betrieben wurde mit dem Ziel, sie restlos auszurotten, daß viele der jüdischen Mitbürger dabei vor allem durch Gas getötet wurden und dieser Massenmord in den Konzentrationslagern vollzogen wurde. Dies zu leugnen und die Konzentrationslager zugleich zu verharmlosen, beleidigt auch die Jüdische Kultusgemeinde Münster, da sie selbst durch diese Vorgänge unmittelbar betroffen war. Ziel des Antisemitismus im Dritten Reich war es, die jüdischen Mitbürger und zugleich auch ihre Kultusgemeinden und sonstigen Organisationen vollständig zu vernichten, wobei die "Endlösung" durch Ermordung in den Gaskammern aus der Sicht der damaligen Machthaber den Abschluß bilden sollte. Nachdem die Jüdische Kultusgemeinde Münster durch das diskriminierende Gesetz vom 28.03.1938 bereits ihre Rechtsform als Körperschaft und durch die weitere Verfolgung danach auch ihre Synagoge und das dazugehörige Grundstück verloren hatte und viele ihrer Mitglieder ausgewandert waren, existierte sie zuletzt nur noch als Gemeinschaft der in Münster verbliebenen restlichen Gemeindemitglieder. Nachdem auch diese einschließlich des letzten Rabbiners ab 1941 in Konzentrationslager verschleppt und dort überwiegend ermordet wurden, war auch die Kultusgemeinde praktisch nicht mehr existent.

Der Strafantrag wurde auch wirksam vom Zeugen Fehr als geschäftsführender Vorstand der Kultusgemeinde gestellt. Als Vorsteher vertritt er die Gemeinde im Außenverhältnis. Eine rechtsbindende Erklärung, bei der er der Mitwirkung weiterer Personen bedarf, liegt im Fall eines Strafantrags nicht vor. Der Zeuge Fehr hat hierzu erklärt, die Gemeinde lege ihre eigene Satzung so aus, daß nur der Abschluß von Verträgen der Mitwirkung mehrerer Personen bedürfe. Dies erscheint zutreffend. Solche Einschränkungen der Vertretungsmacht, die sich in ähnlicher Form in vielen Satzungen finden, dienen nur dem Zweck, den Geschäftsführer bei für den Vertretenen wichtigen Geschäften zu kontrollieren und übereilte Geschäftsabschlüsse zu verhindern. Rechtsbindenden Charakter haben in der Regel nur Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte. Ein Strafantrag ist hingegen nur für das Strafverfahren als Verfahrensvoraussetzung bedeutsam. Für die Kultusgemeinde hingegen ergibt sich in solchen Fällen keinerlei rechtliche Konsequenz daraus, ob sie Strafanträge stellt oder nicht. Der Antragsteller erwirbt mit seinem Antrag keine Rechter und übernimmt auch keine Pflichten, der Strafantrag ist vielmehr nur eine tatsächliche Erklärung, in der der Geschädigte zum Ausdruck bringt, daß er eine Strafverfolgung wünscht.

Daß der Angeklagte den beleidigenden Charakter solcher Äußerungen kannte und demnach vorsätzlich handelte, ergibt sich schon aus den einschlägigen Vorverurteilungen.

VI.

Bei der Strafzumessung hat die Kammer zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, daß er geständig war und die Tat immerhin schon vier Jahre zurückliegt. Weiter spielte zugunsten des Angeklagten auch eine Rolle, daß das Verfahren sich - wie unter I. dargestellt - außerordentlich lange verzögert hat. Dabei beruht die Verzögerung bis zum 27.05.1998 auf Umständen, die der Angeklagte nicht zu vertreten hat. Die weitere Verzögerung ab dem 27.05.1998 beruht allerdings allein darauf, daß der Angeklagte zu den Terminen nicht erschienen ist und erst im Rahmen der Fahndung gestellt werden konnte. Weiter spricht für ihn, daß er im Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren auch bereits Untersuchungshaft erlitten hat.

Andererseits sprach aber gegen ihn, daß er im Tatzeitpunkt bereits mehrfach einschlägig vorbestraft war und erneut in ähnlicher Form in Erscheinung trat, nachdem er erst wenige Monate zuvor am 13.01.1995 ein Jahr Haft aufgrund einer einschlägigen Vorverurteilung verbüßt hatte.

Mit Rücksicht auf die massiven Vorbelastungen hält die Kammer daher trotz des lange zurückliegenden Tatzeitpunktes und der Verfahrensverzögerung und des Geständnisses eine Freiheitsstrafe von

sechs Monaten

zur Einwirkung auf den Angeklagten für unerläßlich und hat deshalb hierauf erkannt.

Da der Angeklagte die Tat bereits vor der rechtskräftigen Verurteilung vom 05.02.1998 verübt hat, hat die Kammer eine neue Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Münster vom 05.02.1998 (acht Monate, sechs Monate, sechs Monate) gebildet.

Unter nochmaliger Würdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte erschien eine Gesamtstrafe von

einem Jahr und drei Monaten

als angemessen.

Von einer Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Burgdorf vom 10.09.1997 hat die Kammer abgesehen. Zum einen bleibt auf diese Weise dem Angeklagten die Möglichkeit erhalten, die Geldstrafe durch Bezahlung zu erledigen, um so eine längere Freiheitsstrafe zu vermeiden und zum anderen erscheint es auch sinnvoll, daß er neben der Freiheit auch am Vermögen bestraft wird.

Die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe konnte nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Kammer hat nicht die Erwartung, daß der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Die Tat liegt zwar bereits längere Zeit zurück, der Angeklagte ist aber, wie die Feststellungen des Urteils vom 05.02.1998 zeigen, auch anschließend in ähnlicher Weise tätig geworden. Er verfolgt geradezu hartnäckig die These von der "Gaskammerlüge" und die Kammer hatte auch in der Hauptverhandlung nie den Eindruck, daß sich an seinem Verhalten irgend etwas geändert haben könnte. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist deshalb erforderlich, um den Angeklagten von weiteren Straftaten dieser Art abzuhalten. Im übrigen fehlt es auch an besonderen Umständen im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB, die eine Strafaussetzung rechtfertigen könnten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 StPO.

                        Rocznik

 

 

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