Repression und Überwachung

 

Amtsgericht Tiergarten

   

Beschluß

   

   

Geschäftsnummer: 238 Cs 877/99                                                 Datum: 19.01.2000

   

In der Strafsache gegen

Xxxxxx Xxxxxxxxxxx

   

wegen Beleidigung

   

wird der Erlass des Strafbefehls nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft vom 27. Oktober 1999 abgelehnt.

   

Gründe:

Der Antrag war nach § 408 Abs. 2 stopp abzulehnen, da der Angeschuldigte einer Beleidigung (§ 185 StGB) nicht hinreichend verdächtig ist.

Der Tatbestand der Beleidigung ist begrifflich der rechtswidrige Angriff auf die Ehre eines anderen durch vorsätzliche Kundgabe der Miß- oder Nichtachtung (Trondle/Fischer, § 185, Rn.1). Im vorliegenden Fall kann es sich angesichts der tatsächlichen Umstände (Tragen eines T-Shirts mit dem Aufdruck „A.C.A.B.“) nur um die Beleidigung eines Kollektivs handeln, da dies die Abkürzung für den englischen Satz „All Cops are Bastards“ sein soll.

Nach der Rechtsprechung des BGH und des BverfG (vgl. BverfG NJW 1995, 3303, 3306, sog. zweite „Soldaten sind Mörder“-Entscheidung) ist es verfassungsrechtlich zwar grundsätzlich unbedenklich, die Ehre eines Kollektivs zu schützen. Jedoch muß das Kollektiv, um beleidigungsfähig zu sein, klar abgrenzbar sein. „Herabsetzende Äußerungen über unüberschaubar große Gruppen (wie alle Katholiken oder Protestanten, alle Gewerkschaftsmitglieder, alle Frauen)“ (a.a.O. 3306) schlagen dabei „nicht auf die persönliche Ehre des einzelnen Angehörigen der Gruppe durch“.

Um einen entsprechenden Fall handelt es sich hier. Sollte es sich bei der – dem Gericht bislang unbekannten – Abkürzung „A.C.A.B.“ um den englischen Satz „All Cops are Bastards“ handeln, ist damit eine unüberschaubare große Gruppe, nämlich „alle Polizisten“ („all cops“) getroffen. „Alle Polizisten“ ist jedenfalls nach der Rechtsprechung des BverfG (a.a.O., 3306f zum Problem der Formulierung „alle Soldaten“) kein ausreichend definiertes Kollektiv. Es ist auch durch Auslegung nicht auf ein ausreichend definiertes Kollektiv (etwa: „alle Polizisten in Berlin“, maximal – wenn auch bereits fraglich – „alle deutschen Polizisten“) zurückzuführen. Denn um eine solche Einschränkung der Gruppe vorzunehmen, müßte darlegbar sein, daß gerade diese eingeschränkte Gruppe gemeint ist. Dafür existieren hier keine ausreichenden Anhaltspunkte. Die Aufschrift ist in verkürztem englischen Code, so daß schon fraglich ist, ob damit eine Einschränkung auf die deutsche Polizei möglich ist. Die Tatsache allein, daß der Angeschuldigte das T-Shirt in Berlin trug, genügt als Ansatzpunkt dafür jedenfalls nicht. Auch die – im Strafbefehl nicht erwähnte – Rückenzeichnung des T-Shirts genügt hierfür nicht, da die Tatsache alleine, daß dort die üblicherweise bei deutschen Polizeifahrzeugen und Uniformen verwendeten Farben (weiß und grün) zu sehen sind, einen Bezug der englischen Aufschrift auf (allein) deutsche (oder enger: Berliner) Polizisten nicht zwingend gestattet. Es kann daher nicht mit der für eine Verurteilung wegen Beleidigung notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, daß der Angeschuldigte seiner Mißachtung grundsätzlich allen Polizisten gegenüber als den Vertretern der Staatsgewalt, völlig unabhängig von ihrer Nationalität, ausdrücken wollte. Dies ist als (nicht strafbare) Beleidigung einer unüberschaubar großen Personengruppe zu werten.

Dieses Ergebnis entspricht auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen, daß einer Aussage, die mehrere mögliche Deutungen zuläßt, von denen nur eine strafbar ist, nur dann der strafbare Inhalt im Wege der Auslegung zugrundegelegt werden darf, wenn alle anderen Deutungsmöglichkeiten mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können (vgl. BverfG NJW 1994, 2943 –Leitsatz- und 2944, sog. erste „Soldaten sind Mörder“-Entscheidung).

Der Erlaß des Strafbefehls war daher aus rechtlichen Gründen abzulehnen.

Gegen diesen Bescheid ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zulässig.

   

Dr. Simmler

Richterin

 

 

 

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