Befreiungsnationalismus und Antiimperialismus

 

Perspektiven des Widerstandes

- drei Wochen nach dem arabischen 9/11

 

Drei Wochen sind seit dem Schahadat von Scheich Yasin vergangen. Drei Wochen in denen sich zu zeigen beginnt, daß das Martyrium einer reinen Seele auf dem Wege Gottes das Unterpfand des Sieges ist.

Viel wurde in den letzten Tagen fruchtlos darüber gerätselt, warum sich gerade jetzt im besetzten Irak die Ereignisse entfalten, die sich zu einem wahren Volksaufstand gegen die Okkupanten ausweiten. Sicher, es trifft vieles zusammen: vom Jahrestag des amerikanischen Pyrrhussieges über ihren eigenen Golem Saddam, bis zur Trauerzeit von Aschura bis Arbain. Das Blutbad, das von unbekannter, aber zu erahnender Seite, gegen die Schiiten in Bagdad und auf dem heiligen Boden Kerbalas angerichtet wurde, war ebenfalls ein entscheidender Faktor in der Entwicklung der Ereignisse, nicht zuletzt aber in der Hinsicht, daß es den interessierten Kreisen nicht gelungen zu sein scheint, einen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten zu provozieren - es war ja auch zu offensichtlich wer alleine davon profitieren würde.

Bereits kurz nach dem feigen Mord an Scheich Yasin war jedoch unter dem neuen starken Mann der Hamas, Rantisi, eine stärkere Kooperation zwischen der palästinensischen sunnitisch-islamischen Widerstandsbewegung Hamas und der libanesischen schiitisch-islamischen Widerstandsbewegung Hizbullah anvisiert worden, verbunden mit einem Strategiewechsel der Hamas, größere effektive Ziele zu treffen, anstatt die wahllosen Märtyreroperationen im zionistisch besetzten Palästina weiter zu forcieren. Man erinnert sich auch, daß eine Bemerkung Rantisis zunächst so ausgelegt wurde, Hamas würde in Zukunft auch amerikanische Ziele angreifen. Das wurde - in dieser Form - rasch dementiert. Aber die Internationalisierung der Hamas hat auf anderer Ebene stattgefunden, ohne daß Rantisi hierfür eine Verantwortung zugeschrieben werden kann. Diejenigen iderstandskämpfer, die die alte amerikanische Tradition der Lynchjustiz an vier US-Söldnern, denen offenbar terroristische Verbrechen angelastet wurden, im Irak aufleben ließen, trugen den Namen "Brigaden des Märtyrers Sheikh Ahmad Yasin". Das Vorgehen der Bevölkerung von Falludscha gegen die ungebetenen amerikanischen "Gäste" war sicherlich nicht mit den Regeln des Islam vereinbar, harmonisiert aber mit den Reden des obersten US-Cowboys George W. Bush (der allerdings nicht mal reiten kann), man befindet sich hier also durchaus im gleichen Film, sozusagen.

Die Brigaden des Märtyrers Scheich Yasins haben inzwischen verschiedene Geiseln genommen, ein Vorgehen, das nicht nur an den libanesischen "Bürgerkrieg" erinnert (der zum großen Teil kein Bürgerkrieg, sondern ein libanesischer Befreiungskrieg gegen die israelischen, amerikanischen und britischen Besatzer und deren einheimische Kollaborateure war), sondern auch wie Widerhall des jüngst für die Hizbullah so erfolgreich verlaufenen Gefangenenaustausch mit der zionistischen Entität erscheint.

Die Jaysch Mahdi, die Armee des Rechtgeleiteten, geführt vom neuen arabischen Volkshelden Muqtada al-Sadr trägt überhaupt die schwarzen Uniformen der Hisbullah - ob auch der ausgestreckte rechte Oberarm als Symbol übernommen wird, bleibt abzuwarten - , und dürfte auch direkte Unterstützung von ihr erhalten. Sie ist jedenfalls keine isolierte Randerscheinung, wie es die US-Regierung gerne hätte, sondern ein wesentlicher Teil eines Zusammenschlusses der Widerstandskräfte in der Region. Es war auch gerade die Solidarisierung mit der neuen Achse Hamas - Hizbullah, die den Ausschlag gegeben hatte für das Vorgehen des Elephanten im Porzellanladen, US-Statthalter Paul Bremer, gegen die publizistischen und personellen Sprachrohre des "Falken" (al-Sadr). Eine Stärkung hat dieser Flügel der schiitischen Bevölkerungsmehrheit bei den letzten Parlamentswahlen in der Islamischen Republik Iran erhalten, die zwar keine dramatische Kursänderung, aber sehr wohl eine Veränderung der Prioritäten bewirkte. An einer taktischen Unterstützung maßgeblicher iranischer Kreise für den jungen, an Scheich Nasrallah erinnernden "Hitzkopf", kann kein Zweifel bestehen.

Gegen ein Agieren als Teheraner Brückenkopf spricht jedoch - zumindest - zweierlei: zum einen die Positionierung der al-Sadrs als arabische Alternative zum iranisch bestimmten schiitischen Establishment - al-Sistani ist Iraner und die Politik des SCIRI wird tatsächlich vom Iran aus bestimmt. Zum anderen ist es nicht so sehr die religiöse oder die außenpolitische Positionierung der Sadr-Milizen, die Teheran wenig behagt, als die soziale Zusammensetzung, die auch die etablierte und sozial privilegierte Geistlichkeit und ihr traditionelles Bündnis mit der Händlerschicht zu bedrohen scheint. Tatsächlich wäre ein Großteil der Anhänger Muqtada al-Sadrs das natürliche Potential einer kommunistischen Partei, wenn diese sich nicht früher zum Schoßhündchen der Baath-Partei und heute der US-Besatzer degradiert hätte. Vielleicht bildet sich eine nationale, soziale und religiöse Synthese heraus, die man mit westlichen Begriffen als "islamischen Nationalbolschewismus" fassen kann, bemerkenswerterweise genau das, was als "Eurasismus" von Vordenkern der nationalbolschewistischen "Rechten" (Dugin, Terracciano, Mutti,...) seit Jahren herbeigeschrieben wird, ohne daß es sich bisher tatsächlich in ennenswertem Ausmaß zu materialisieren schien. Aber in der "sozialen Frage" hat sich die Hizbullah bekanntlich als der bessere Schüler des Imam Khomeinis und seiner Zuneigung für die Mustafazin (Unterdrückten) erwiesen, und hat anders als die iranische Geistlichkeit nur wenige Pfründe zu verteidigen (die sozial besser gestellten Schiiten des Libanon fühlen sich im Allgemeinen von der Amal vertreten). Die erstmalige Zusammenarbeitserklärung von Hizbullah und ägyptischen Ikhwan al-Muslimun (Muslimbrüderschaft) von Anfang dieses Jahres, zeigt, daß die Achsen des Widerstandes ausbaufähig sind. Tatsächlich hat sich die Muslimbrüderschaft in Kairo wieder verstärkt in Erinnerung gerufen, ob sie in der Lage ist, eine politische Front gegen den bislang wichtigsten Stützpfeiler der US-israelischen Dominanz der Region, das Klientenregime des Mubarak, zu eröffnen, ist momentan noch zu bezweifeln, aber eine junge Generation, die im Schatten von Al-Jazeera heranwächst, ist überall für Überraschungen gut, warum nicht auch im Land des Pharao.

Das Massaker von Falludscha nach israelischem Muster der Belagerung arabischer Städte und Angriffe auf Zivilisten aus Kampfhubschraubern heraus, das sich in die lange Geschichte der westlichen Massaker an den Völkern des arabischen Raums einreiht, hat jedenfalls das von den Besatzern eingesetzte Marionettenregime des Irak praktisch hinfällig gemacht. Nicht nur der Innenminister wurde entlassen, wie man hört haben sich einige der tapferen Mitglieder bereits ins Ausland abgesetzt oder versuchen sich unsichtbar zu machen. Der Rest protestiert erstmals ein bißchen gegen die "inakzeptable Vorgangsweise". Den USA bleibt im Grunde, außer dem geordneten Rückzug, nichts anderes übrig als einen Saddamismus ohne Saddam anzusteuern. Die Multikulti-Regierung, in der es beabsichtigt war, die einzelnen Volksgruppen und Religionsgemeinschaften nach Belieben gegeneinander auszuspielen und dabei selbst die Fäden in der Hand zu behalten, ist bereits heute Geschichte. Die einzige bisherige Alternative, noch dazu eigentlich eine "demokratische", nämlich eine schiitisch dominierte Regierung, schreckte alle anderen - verständlicherweise - ab, eine neue sunnitisch-schiitische Allianz nach dem Vorbild Hamas- Hisbullah kann dies und die ganze Region ändern. (Den Kurden kann es allerdings noch teuer zu stehen kommen, daß sie selbst unter den Umständen der Massaker von Falludscha und dem Vorgehen gegen die schiitischen Widerstandskräfte, nicht unterlassen konnten, Freudenfeiern für ihre amerikanischen "Befreier" abzuhalten.) Beide, Hamas und Hizbullah, haben in der Vergangenheit im übrigen betont, daß sie nicht auf libanesische und palästinensische Ziele beschränkt sind. Beide betrachten sich in ihrem universalistischen Aspekt als Avantgarde in der Herausbildung einer gemeinsamen Revolution der islamischen Ummah gegen den zionistischen und amerikanischen Unterdrücker, gegen die "Weltarroganz".

Die letzten drei Wochen waren ein entscheidender Fortschritt für diese globale Intifada.

P.Baden

 

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