Befreiungsnationalismus
und Antiimperialismus
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Jürgen Schwab
Die Ursachen des
internationalen Terrorismus -
ein Tabu für deutsche Burschenschafter?
Sehr geehrte Herren Burschenschafter,
zunächst einmal möchte ich mich bei Ihnen bedanken, daß Sie mich als Referent zum 2. Stiftungsfest Ihrer Pennalen Burschenschaft Theodor Körner zu Chemnitz eingeladen haben. Ich bin gerne Ihrer Einladung gefolgt, da mich mit Ihrem Bund die burschenschaftliche Idee verbindet.
Bevor ich zum eigentlichen Vortragsthema „Die Ursachen des internationalen Terrorismus“ komme, möchte ich Ihnen anhand einer burschenschaftlichen Anekdote zeigen, daß das weltpolitische Thema, über das ich sprechen werde, durchaus einen regionalen Bezug hat. Schließlich findet der Kampf gegen den „internationalen Terrorismus“ nicht nur im Irak und Palästina statt - auch bei Ihnen im schönen Sachsen lassen sich Spuren dieser Auseinandersetzung finden. Und die Anekdote zeigt auch, daß sich die Burschenschaften mitten in einem Kulturkampf befinden, der in den globalen Kampf der Kulturen eingebettet ist.
Vor rund zwei Jahren wurde ich in Bayreuth von der Burschenschaft Thessalia zu Prag mit der Begründung ausgeschlossen, daß ich Mitglied der NPD, „Verfassungsfeind“, „Rechtsextremist“, ein Feind von den USA und Israel sei. Diese Vorwürfe erhob Alter Herr Kurt-Ulrich Mayer, der aus eben diesen Gründen den - letztendlich erfolgreichen - Ausschlußantrag gegen mich stellte. Auf besonderen Unmut stieß bei Kurt-Ulrich Mayer meine Meinungsäußerung im Internet-Diskussionsforum der Deutschen Burschenschaft, am 11. September 2001 sei der „Völkermörder“ zu Hause angegriffen worden. Damit meinte ich die Anschläge unter anderem auf das World Trade Center in New York, was islamischen Terroristen zugeschrieben wird.
Diese meine Behauptung, die USA, die sich in ihrer Geschichte mehrmals durch Völkermord und Kriegsverbrechen hervorgetan haben, seien selbst aufgrund ihrer imperialistischen Politik für Terroranschläge auf ihrem eigenen Territorium schuldig, gilt offenbar in Mitgliedsbünden der Deutschen Burschenschaft als Ausschlußgrund.
Es fragt sich nur warum? Hierbei scheinen persönliche, das heißt private Interessen den Ausschlag zu geben, die mit der weltpolitischen Lage in Zusammenhang stehen, die ich hier als pax americana bezeichne.
Burschenschafter als US-Vasallen
Kurt-Ulrich Mayer, der gegen mich diesen Ausschlußantrag stellte, ist immerhin ein kleines Rädchen im Gefüge dieser amerikanischen Politik zur Beherrschung der Erde - zumindest in Deutschland. Schließlich gibt es auch in der BRD „US-Vasallen“, wie ich in einer Replik Kurt-Ulrich Mayer - aufgrund seiner Beschuldigungen und Beleidigungen in seinem Ausschlußantrag - bezeichnet hatte. Aufgrund des Vorwurfs des US-Vasallentums an Kurt-Ulrich Mayer wurde ich dann später vom Kartellbund in Graz, Burschenschaft Germania zu Graz, aus dem Bund geworfen. Ein deutscher Burschenschafter soll ein „US-Vasall“ sein können? Undenkbar!
Zum amerikanischen
Interesse, das Alter Herr Mayer in Deutschland vertritt, sollen folgende Angaben
genügen: Kurt-Ulrich Mayer, der aus Rheinland-Pfalz stammt, ist CDU-Mitglied
in Sachsen, also der Partei, die wie keine andere für die US-Vasallenrolle
der BRD steht. Mayer
war eine Zeit lang Kreisvorsitzender der CDU in Leipzig gewesen und bekleidet
zur Zeit das öffentliche Amt des Präsidenten der Sächsischen
Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM), von der er in
seinem „Ehrenamt“ auch großzügig alimentiert wird.
In seiner Eigenschaft als Präsident dieser Sächsischen Landesmedienanstalt
engagiert sich Mayer im Kampf gegen „rechtsextremes Gedankengut auf Jugendliche“
(Yahoo! Schlagzeilen, 26. 10.2004, 17:10 Uhr). Sie hier im Saal - als
Jugendliche und junge Erwachsene - müßte Herr Mayer nach seinen
eigenen Vorsätzen vor meinen Gedanken, die ich hier äußere,
beschützen. Die Sächsische Landesmedienanstalt, so war unlängst
einem Weltnetz-Informationsdienst zu entnehmen (vgl. ebda), möchte vor
allem „Aufklärung über rechtsextreme Propaganda im Internet“
leisten. Zu diesem Zweck veranstaltet die Einrichtung in mehreren sächsischen
Städten im November dieses Jahres einen „Jugendmedienschutztag“.
Veranstaltungsorte sind Görlitz, Bautzen, Dresden, Leipzig, Hoyerswerda,
Zwickau, Chemnitz und Plauen. Im Mittelpunkt sollen dabei Maßnahmen stehen,
welche die „Verbreitung von rechtsextremer Ideologie insbesondere im Internet
verhindern sollen“. Das Angebot ist kostenlos und für alle Interessierten
offen: www.slm-online.de.
Kurt-Ulrich Mayer ist zweifellos ein Verfechter der 'westlichen Wertegemeinschaft’, die von den USA angeführt wird. Er möchte diese schöne globale Welt vor ihren Feinden, den deutschen „Rechtsextremisten“ und vor den 'Extremisten’ und 'Terroristen’ in Palästina, im Irak und in Afghanistan geschützt sehen. Wie aus meinen bisherigen Ausführungen deutlich geworden sein dürfte, möchte Kurt-Ulrich Mayer als Medienkontrolleur dafür Sorge tragen, daß Ursache und Wirkung des internationalen Terrorismus nicht aufgeklärt werden - vor allem nicht in Deutschland, und gerade nicht unter deutschen Burschenschaftern. Womit wir beim eigentlichen Vortragsthema des heutigen Abends angekommen sind.
Terrorismus als Zuchtgewächs des Imperialismus
Ein Gespenst geht um in der 'westlichen Wertegemeinschaft’ - das Gespenst des islamischen Terrorismus. Alle Mächte der neuen Welt und des neuen Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, Regierungsmitglieder und Oppositionspolitiker, Geldfürsten und Medienmagnaten. Sie allen sind daran interessiert, in ihrer 'Öffentlichkeitsarbeit’ die universalistische Ursache und die terroristische Wirkung zu vertauschen. Grund genug, um einmal den geistigen Hintergrund des international islamischen Terrorismus zu beleuchten.
Der Terrorismus ist zugleich Widerpart und Zwillingsbruder des Krieges. Beide gehören zusammen, die Gewichte können sich jedoch zum einen oder zum anderen Pol verschieben. Dies hängt von der weltpolitischen Lage ab. In einem globalen Pluriversum an souveränen Staaten dominiert der klassische Krieg, im derzeit entstehenden amerikanischen Universum, das geprägt ist von der Kriegsunfähigkeit der meisten Völker, erlebt der Terrorismus Hochkonjunktur. Nach Carl Schmitt zu urteilen, ist der Terrorist - er nennt ihn „Partisan“ - ein Zuchtgewächs des Imperialismus:
„Der Partisan wird mindestens noch so lange einen spezifisch terranen Typus des aktiven Kämpfers darstellen, wie antikolonialistische Kriege auf unserem Planeten möglich sind.“
Nach dem bekannten deutschen Staats- und Völkerrechtler zu urteilen, verteidigt der Partisan seine Heimaterde, kämpft aus dem Hinterhalt und zeichnet sich durch eine große Mobilität, Einsatzstärke und Opferbereitschaft aus. Begünstigt wird er durch den technischen Fortschritt, wie Schmitt bereits 1963 feststellte: „Der moderne Partisan kämpft mit Maschinenpistolen, Handgranaten, Plastikbomben und vielleicht bald auch mit taktischen Atomwaffen. Er ist motorisiert und an ein Nachrichtennetz angeschlossen [...].“
Der Universalismus verdrängt den Staatenkrieg
Der zunehmende Terror im Nahen Osten, der mittlerweile auch europäische Metropolen wie Madrid erreicht hat, deutet darauf hin, daß sich die Gestalt des Krieges grundlegend gewandelt hat; im klassischen Sinne gibt es ihn streng genommen kaum mehr - den auf dem Schlachtfeld: Staat gegen Staat in militärischen Aufgeboten. Das militärische Ungleichgewicht läßt eine herkömmliche Kriegsführung gegen die USA, vor allem für Staaten der islamischen Welt, immer weniger lohnend erscheinen. Da ist es schon besser, man liefert rechtzeitig per Schiffsladung sein gesamtes Atomwaffenentwicklungsprogramm bei den USA ab, wie unlängst vom libyschen Staatspräsidenten Muammar al-Gadafi vollzogen, um endlich von Bushs Liste der 'Schurkenstaaten’ gestrichen zu werden.
Weil sich jedoch für die unterdrückten Völker der herkömmliche militärische Widerstand nicht mehr lohnt, ist für die zunächst Hilflosen die Alternative zum Krieg 'Staat gegen Staat’ der Kampf „eines jeden gegen jeden“ (Thomas Hobbes), der nun allerdings nicht mehr auf nationaler sondern auf globaler Ebene stattfindet.
Im terroristischen Kleinkrieg, wo nicht mehr zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten unterschieden wird, suchen die sogenannten Rückständigen ihre Chance. Vor dem primitiven muselmanischen Dolch und dem palästinensischen Bombengürtel schützt selbst die Satellitenüberwachung und ein israelischer High-Tech-Zaun nicht. Die Hochtechnologie stößt dort an ihre Grenzen, wo das moderne westliche Individuum persönlich angreifbar bleibt.
Individualistische Feigheit als Achillesverse des Westens
Es ist die Feigheit des einzelnen, die von den islamischen Fundamentalisten und arabischen Nationalisten, die sich ihrer 'asymmetrisch’ technologischen Unterlegenheit voll bewußt sind, als die Achillesverse der 'westlichen Wertegemeinschaft’ ausgemacht wird. Der Schriftsteller Botho Strauß meint zutreffend: „Früher fürchteten die Menschen sich vor dem Jenseits, heute vor dem Tod.“ Diese Sorgen kennen die Widerstandskämpfer in Afghanistan, im Irak und in Palästina nicht.
Der palästinensische Scheich und Hamas-Führer Ahmed Jassin (wie auch sein mittlerweile ebenso getöteter Nachfolger) war sich wohl jeden Tag bewußt, daß sein politisch gewalttätiger Widerstand gegen die israelische Besatzungsmacht ihm den Tod einbringen kann. Daß er an den Rollstuhl gefesselt war, verdankte er einem israelischen Übergriff auf ein palästinensisches Flüchtlingslager. Wenige Monate vor dem tödlichen Anschlag war ein Raketenangriff gegen ihn fehlgeschlagen.
Nur Jassins religiöse Rückbindung und sein Bewußtsein, als Teil einem großen Ganzen (Allah) untergeordnet zu sein, ließ ihm die Todesangst zum Fremdwort geraten. Die französischen und estnischen Freiwilligen der Waffen-SS, die 1945 in den letzten Kriegstagen als die letzten Verteidiger der Berliner Reichskanzlei die 'Götterdämmerung’ erlebten, hätten Jassins Beweggründe wohl besser nachempfinden können als die degenerierten Europäer heute, denen bereits als 35-Jährige die Altersvorsorge zum Sorgenkind gerät. Denen können solche Protagonisten, die sich als Geschäftsführer des Hegelschen Weltgeistes aufspielen, nur als 'Verrückte’ und 'Fanatiker’ vorkommen.
Wirklichkeitsfremdes Verhältnis zu Tod und Gewalt
Vor allem die gegenwärtigen, im Geiste der Menschenrechte umerzogenen Deutschen haben ein wirklichkeitsfremdes Verhältnis zum Tod und zur Gewalt. Schnell sind Politiker und Publizisten bei der Hand, Gewaltanwendung grundsätzlich abzulehnen und zu verurteilen. Das mag mit Moral oder mit Scheinmoral zusammenhängen. Bundesaußenminister Joseph Fischer zum Beispiel meinte zu Beginn des Einmarschs der angloamerikanischen Streitkräfte in den Irak im März 2003, daß in diesem Augenblick feststehe, daß die Politik versagt habe - weil die kriegerischen Handlungen zu diesem Zeitpunkt begonnen hatten. Hätte sich Joschka Fischer seinen Rat bei Carl von Clausewitz geholt, so hätte er wissen müssen, daß der Krieg nichts anderes als eine „Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel“ ist: „Wir sagen, mit Einmischung anderer Mittel, um damit zugleich zu behaupten, daß dieser politische Verkehr durch den Krieg selbst nicht aufhört [...].“
Die herrschende politische Klasse der BRD könnte sich auch beim Mitbegründer der deutschen Soziologie Max Weber erkundigen, der in einer soziologischen Ausarbeitung für politische Verbände die „Gewaltsamkeit“ als ihr „spezifisches Mittel“, als ultima ratio bezeichnet, die dann zum Zuge komme, „wenn andre Mittel versagen.“ Jedoch für Gutmenschen wie Joschka Fischer wirkt Gewalt abscheulich, sie klingt moralisch anrüchig und verwerflich. Die moralische Verurteilung von Gewalt wird im modernen Medienzeitalter zumeist mittels abstoßender Bilder begründet. Wo diese Bilder in der Medienberichterstattung fehlen, bleibt die gutmenschliche Betroffenheit aus - wie 1999 im BRD-Fernsehen keine Bilder von den verstümmelten Leichen gezeigt wurden, die nach der Bombardierung serbischer Städte unter Beteiligung der Bundesluftwaffe zu beklagen waren. Welcher SPD-Wähler, der sein Weltbild vor allem aus dem BRD-Fernsehen gewinnt, würde Gerhard Schröder und Rudolf Scharping, welche die politische Verantwortung für die Bombardierung serbischer Städte getragen hatten, als 'Verbrecher’ bezeichnen?
Der französische Rechtsanwalt Jacques Vergès, der Saddam Hussein im bevorstehenden amerikanischen Tribunal verteidigen möchte, hat das Thema 'Gewalt’ auf den Punkt gebracht:
„Was ist abscheulicher: Eine Bombe in einem Café zu zünden oder vom Flugzeug aus ganze Städte auszuradieren?“
Gut und böse: staatliche und terroristische Gewalt
Das soll heißen, moralisch gut erscheint die staatlich legale, hingegen verbrecherisch böse die nicht-staatliche terroristische Gewaltanwendung. Staatliche Legitimation ermöglicht die Rechtfertigung von Gewaltanwendung. Das weiß auch Bild-Kolumnist Frank A. Meyer, der die israelische Liquidierung von Scheich Jassin rechtfertigte. Das tote palästinensische Opfer kriminalisiert Meyer als „Goebbels von Hamas“.
Bezüglich der Frage, ob Terrorismus moralisch berechtigt ist, können im Zeitalter der globalen Amerikanisierung auch die ideologischen Grenzen verschwimmen. Nationalisten und Kommunisten könnten dem Austro-Marxisten Werner Pirker nicht widersprechen, daß die terroristische Gewalt gegen die amerikanischen Besatzer im Irak in „jeder Hinsicht“ gerechtfertigt sei. Pirker bewertet dies als „legitime Attacke“. Für ihn steht fest: „Bewaffneter Widerstand gegen ein Okkupationsregime, so bestimmt es wenigstens das Völkerrecht, ist legal.“
Die Legalität von bewaffneter Gewalt gegen ein Besatzungsregime leitet Pirker von Artikel 51 der UN-Charta ab, der das „naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ postuliert. Das gilt für den Fall, daß sich ein Staat über das in Artikel 2 Absatz 4 festgelegte Gewaltverbot hinwegsetzt.
Die Gewaltanwendung ist grundsätzlich im Falle einer Besatzungsherrschaft sowohl nach dem alten europäischen Völkerrecht als auch nach dem modernen internationalen Recht gerechtfertigt. Was jedoch im Südtirol der sechziger Jahre oder im heutigen Irak und Palästina aus befreiungsnationalistischer Sicht als sinnvoll erscheinen könnte, mag sich im Falle eines Mangels an geistigem Bewußtsein des unterdrückten Volkes, wie im Falle der BRD, als verhängnisvoll und kontraproduktiv erweisen.
Ungleiche Verhältnisse im Irak und in der BRD
Umerziehung, mediale Verblödung und Wohlstand scheinen befreiungsnationalistische Gewaltanwendung zu delegitimieren, weshalb ja auch die angloamerikanische Besatzung im Irak bemüht ist, dort für 'ordentliche Verhältnisse’ zu sorgen. Materielle Not und Versorgungsengpässe scheinen hingegen befreiungsnationalistische Gewalt zu legitimieren. Dabei muß sich der militante Befreiungsnationalist im Volke wie der Fisch im Wasser bewegen können (Mao Tse-Tung).
In Gesellschaften, in denen das geistige Bewußtsein für die Legitimität von militantem Widerstand gegen Fremdbesatzung nicht gegeben ist, gelten Bin Ladens Kämpfer als „verbrecherische Konsorten“. Mit dieser Bewertung drückt Andreas Mölzer seine nachvollziehbare ethische Abscheu vor den Grausamkeiten von Al Qaida aus.
Der politische Denker fragt sich freilich, von welchem Begriff des „Verbrechens“ Andreas Mölzer hier ausgeht? Das Begriffsverständnis von Georg Wilhelm Friedrich Hegel kann hierbei freilich nicht zugrunde liegen, der in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts feststellt, daß der Begriff des „Rechts“ (und somit der des 'Verbrechens’) eine rein innerstaatliche Angelegenheit ist.
Da es keinen Weltstaat gibt, auch heute nicht in Gestalt der Vereinten Nationen, die mit einer wirklich unabhängig durchsetzbaren Polizeigewalt ausgestattet sein müßten, sind sowohl das alte europäische Völkerrecht als auch das moderne internationale Recht kein 'Recht’ an sich. George W. Bush bräuchte einer Vorladung vor das VN-Tribunal in Den Haag nicht Folge zu leisten, weil man ihn polizeilich zur Anwesenheit vor Gericht nicht zwingen könnte.
Verwirrung durch den „Rechts“-Begriff
Hegel wies darauf hin, daß das sogenannte alte europäische „Völkerrecht“ ein „Sollen“ (und eben kein 'Müssen’) darstelle, also eine Art ritterlicher Ehrenkodex des souveränen europäischen Hochadels im Kriege gewesen sei. In anderen Weltregionen, im Wilden Westen wie im despotischen Osten, aber auch in Teilen Europas, wie auf dem Balkan, hat diese europäische Kriegskultur nie richtig Platz gegriffen. Davon abgesehen ist der übermächtige Sieger nicht gezwungen, Zivilbevölkerung und Kriegsgefangene zu schonen, wie es die Haager Landkriegsordnung von 1907 vorsieht, denn es liegt in seinem subjektiven Ermessen, ob er solche ethisch-kulturellen Maßstäbe einhalten möchte oder nicht. Es hängt von dem Menschenbild und nicht zuletzt vom Gottesbegriff der kriegsführenden Partei ab, ob sie fähig und willens ist, feindliche Zivilpersonen und Kriegsgefangene überhaupt als 'Personen’ anzuerkennen - und sie nicht zu diskriminieren.
Die Begriffe 'Verbrechen’ und 'Schuld’ in Anwendung auf überzogene Grausamkeiten im Kriege haben freilich mit europäischer Kultur überhaupt nichts zu tun, sie dienen lediglich seit 1919 (Pariser Vorortverträge) der Kriminalisierung des Feindes. Wer aber den Krieg ächtet, wie in der Völkerbundsatzung von 1919, und vielmehr noch den Angriffskrieg kriminalisiert, wie im Briand-Kellog-Pakt von 1928, muß sich schon die Frage gefallen lassen, ob er nicht selbst eine unheilvolle Entwicklung in Gang gesetzt hat, deren terroristische Auswirkungen heutige Protagonisten der 'westlichen Wertegemeinschaft’ beklagen. Für Geschichtskundige dürfte allemal der Zusammenhang deutlich sein: von der Beseitigung des pluralistischen Kriegsrechts eines jeden souveränen Staates (altes Völkerrecht), das durch das Kriegsverbot für alle (dann nicht mehr souveränen) 'Staaten’ ersetzt wurde (internationales Recht), bis hin zur neuen Bush-Doktrin vom Präventivschlag, die ein Kriegsmonopol für die USA und Israel vorsieht. Die anderen Staaten sind zumeist nicht souverän oder in ihrer Souveränität, das heißt in ihrer Fähigkeit zur Kriegsführung, erheblich eingeschränkt. Bereits Thomas Hobbes hatte erkannt: „Mit der Souveränität ist das Recht der Kriegserklärung und des Friedensschlusses gegenüber anderen Nationen und Staaten verbunden [...].“
Kriegsmonopol schafft Terrorismus der Schwachen
Der Terrorismus der Schwachen ist nun aber die logische weltpolitische Konsequenz aus dem Kriegsmonopol zweier 'auserwählter’ Staaten und der Ohnmacht der unterdrückten Völker. Auf der Tagesordnung stehen nun der hinterhältige, privat-organisierte Partisanenkampf, die Guerilla-Taktik, Selbstmordanschläge, Geiselnahme - also die Unruhestiftung im Hinterland des Aggressors. In der neuen 'Weltinnenpolitik’ gilt nun aber der nicht-staatlich agierende Terrorist als 'Verbrecher’, der durch eine internationale, von den USA angeführte Polizeitruppe gejagt wird. Bereits Carl Schmitt hat auf den Zusammenhang von der Kriminalisierung des Feindes und der Brutalisierung der Kampfhandlungen, also der Aufhebung der Hegung des Krieges, hingewiesen:
„Wo der Krieg auf beiden Seiten als ein nicht-diskriminierender Krieg von Staat zu Staat geführt wird, ist der Partisan eine Randfigur, die den Rahmen des Krieges nicht sprengt [...]. Wird aber mit Kriminalisierung des Kriegsgegners im ganzen gekämpft [...], ist sein Hauptziel die Beseitigung des feindlichen Staates, dann wirkt sich revolutionäre Sprengwirkung der Kriminalisierung des Feindes in der Weise aus, daß der Partisan zum wahren Helden des Krieges wird. Er vollstreckt das Todesurteil gegen den Verbrecher und riskiert seinerseits als Verbrecher oder Schädling behandelt zu werden.“
Der deutsche Völkerrechtler hat diese Zeilen seiner Theorie des Partisanen 1963 veröffentlicht, also zu einer Zeit als der Partisanenkrieg des Zweiten Weltkrieges (Sowjetunion, Jugoslawien etc.) unmittelbar in Erinnerung war und man erkannte, daß der Weltanschauungskampf erst die 'absolute’ Feindschaft provozierte. Auch heute geht es um eine weltanschauliche Auseinandersetzung im 'Kampf der Kulturen’ - hier der 'Kreuzzug’ des Westens, dort der 'Heilige Krieg’ im Osten. Der Feind ist nun wieder zum absoluten Feind und der Krieg zum absoluten Krieg geworden.
Wenn der Feind absolut ist, ist er als Rechtsperson nicht mehr wahrnehmbar. So foltern die USA Kriegsgefangene und Zivilisten im Irak, halten Kriegsgefangene in Raubtierkäfigen auf Guantanamo fest, foltern und demütigen Häftlinge im Irak, lassen im Jahr 2001 von ihren afghanischen Hilfstruppen ('Nordallianz’) Massenexekutionen an Taliban-Kriegsgefangenen vornehmen. Die Gegenseite antwortet mit Sprengstoffanschlägen und Geiselermordung. Anfang April dieses Jahres waren im irakischen Falludscha vier Amerikaner der US-Söldnerfirma 'Blackwater Security’ von Widerstandskämpfern erschossen worden. Zwei der Leichen waren von einem wütenden Mob stundenlang brutal und medienwirksam geschändet worden. Wie Trophäen präsentierte auch George W. Bush Monate zuvor die sterblichen Überreste der getöteten Söhne von Saddam Hussein vor den Kameras und später den gefangenen irakischen Präsidenten höchstpersönlich.
Der islamische Terrorismus - so grausam er sein mag - ist eine Folgewirkung des amerikanischen Universalismus. Was uns die pax americana - entgegen aller Propaganda - gebracht hat, ist ein Zivilisationsverlust im Umgang der Völker untereinander. Wie aus einem fernen Zeitalter wirken Hegels (1770-1831) Worte: „Die neueren Kriege werden daher als menschlich geführt, und die Person ist nicht in Haß der Person gegenüber.“
Europäisches Völkerrecht unterschied zwischen Krieg und Frieden
Die USA waren maßgeblich an der Liquidierung des alten europäischen Völkerrechts beteiligt, welches das Recht eines jeden Staates bedeutete, Krieg zu führen (ius ad bellum) und so viele Waffen zu besitzen, wie er für seine Verteidigung glaubte zu benötigen. Im Rahmen dieser Kriegsordnung hatten sich die souveränen Staaten gegenseitig als völkerrechtliche Personen - mit allen ihren Rechten - anerkannt. Hegel erklärt hierzu:
„Darin, daß die Staaten sich als solche gegenseitig anerkennen, bleibt auch im Kriege, dem Zustand der Rechtlosigkeit, der Gewalt und Zufälligkeit, ein Band, in welchem sie an und für sich seiend füreinander gelten, so daß im Kriege selbst der Krieg als ein Vorübergehensollendes bestimmt ist. Er enthält damit die völkerrechtliche Bestimmung, daß in ihm die Möglichkeit des Friedens erhalten“ ist.
Damit befand sich der preußische Staatsphilosoph voll auf der Höhe seiner Zeit. Auf die deutliche Unterscheidung von Krieg und Frieden einerseits und von Kombattanten und Nicht-Kombattanten andererseits verweist Jean-Jacques Rousseau (1712-1778):
„Der Krieg ist also keine Beziehung von Mensch zu Mensch, sondern eine Beziehung von Staat zu Staat, in der die Einzelnen nur durch Zufall Feinde sind, nicht als Menschen und nicht einmal als Bürger, sondern als Soldaten.“
Nationalstaat statt Universalismus
Die Ursache für die Zunahme des internationalen Terrorismus liegt heute im US-amerikanischen Universalismus. Wer dem Terrorismus wirklich entgegentreten möchte, sollte nicht in der Innenpolitik auf Orwellsche Rundumüberwachung und auf pauschale Hetze gegen den Islam setzen, sondern dem US-Universalismus durch eine souveräne Nationalstaatspolitik entgegentreten. Dies bedeutet neben Wehrfähigkeit und Bündnispolitik nach geopolitischen Interessen ('Achse Paris-Berlin-Moskau’) ebenso die Befolgung von Hegels Lehre: „Ein Staat soll sich nicht in die inneren Angelegenheiten des anderen mischen.“ Denn dies gebietet der Respekt vor der göttlichen Ordnung, die darin ihren Ausdruck findet, daß nach Johann Gottlieb Fichte zu urteilen ein jedes Volk „seiner besonderen Eigenheit gemäß, sich entwickelt, und gestaltet“ und so „die Erscheinung der Gottheit in ihrem eigentlichen Spiegel“ heraustritt.
Gerade national
und freiheitlich denkende Deutsche sollten hier und heute für ein Pluriversum
in der Staatenwelt eintreten, was im Widerspruch zu einer jeglichen Form von
Universalismus steht, denn nach Hegel ist „der bestimmte Volksgeist
selbst [...] nur ein Individuum [...] im Gange der Weltgeschichte.“
Diese tiefen Gedankengänge des deutschen Idealismus scheinen in der 'Neuen
Welt’ verloren gegangen zu sein. Den Deutschen wird die Befreiung nur
in Anknüpfung an ihre eigene idealistische Philosophie gelingen können.
Denn politische Veränderungen beginnen zuallererst in den Köpfen.
Hegel faßt dies in die Worte: „Die theoretische Arbeit -
überzeuge ich mich mehr - bewegt mehr Zustände in der Welt als
die praktische; ist erst das Reich der Vorstellungen revolutioniert, so hält
die Wirklichkeit nicht aus.“