Befreiungsnationalismus und Antiimperialismus

 

Terroranschlag auf Amerika

Am 11. September 2001 erfolgte gegen drei Uhr nachmittags (Deutscher Zeit), ein terroristischer Anschlag auf das World Trade Center in New York, das Pentagon in Washington und andere amerikanische Einrichtungen. Von (bislang) Unbekannten waren Passagierflugzeuge entführt worden und diese stürzten sich in einer selbstmörderischen Aktion in zeitlich kurz aufeinanderfolgenden Abständen auf die Ziele. Die zwei, rund vierhundert Meter hohen Türme des World Trade Center kollabierten eine Stunde nach dem Angriff. Tausende Todesopfer resultierten aus diesem regelrechten Inferno in New York. Es muß gleich zu Beginn ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß dieses Ereignis unbestritten, rein menschlich betrachtet, ein kapitales Unglück darstellt und damit verdammenswert ist.

Katastrophen und politisch motivierte (Massen-)Morde haben die Menschheitsgeschichte dennoch seit jeher begleitet. Das einzig ungewöhnliche an diesem Anschlag ist ausschließlich der Leidtragende: Amerika, als Weltmacht Nummer I, seinem Selbstverständnis gemäß einzig berechtigter "Weltpolizist", hatte bisher einen derartigen Schicksalsschlag nicht erleiden müssen. In den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts stand die USA auf der Siegerseite. Der folgende Kalte Krieg etablierte allmählich die Rolle Amerikas, als eine Art von Weltaufsicht, mit deren Wohlwollen ein fremdes staatliches System stand und fiel, sowie der allein vorbehalten bleiben sollte, in die Selbständigkeit der Völker "regulierend" zu intervenieren.

Die Amerikaner mußten nun aber September 2001 sozusagen historisch erstmalig in ihrer Geschichte aus der entgegengesetzten Perspektive erfahren, durch welchen Charakter sich das Instrument des Bombenterrors auszeichnet : Dresden, Hiroshima, Nagasaki, Vietnam, Irak, Jugoslawien - es sind all dies Namen, welche die Bedenkenlosigkeit der Amerikaner in der Wahl ihrer Mittel im zurückliegenden Jahrhundert, in politische und weltgeschichtliche Entwicklungen und Vorgänge einzugreifen, dokumentieren und Zeugnis eines umfassenden moralischen Versagens ablegen. Auch noch gegenwärtig erfährt selbst Deutschland, als europäischer Lieblingszögling der USA und willfähriger Teilnehmer und Förderer von amerikanischen Militäreinsätzen, keinerlei politische Sonderbehandlung.
Insbesondere zwei wesentliche Begebenheiten des Jahres 1999, welche ich in diesem Zusammenhang noch einmal in Erinnerung rufen möchte, sollten dies verdeutlichen:
Vor dem Hintergrund der Kosovo-Krise gelang es in zahlreichen Eingebungen aus sämtlichen Seiten des öffentlichen Lebens in Deutschland nicht, bei den zuständigen amerikanischen Behörden eine Begnadigung der zwei deutschen Todeskandidaten, den Brüdern La Grand, auch nur ernstlich in Erwägung zu ziehen. Beide wurden hingerichtet. Kurze Zeit später trug sich bekanntlich der folgende Zwischenfall zu: Der Pilot der US - Airforce, Richard Ashby, verursachte durch unverantwortlichen Übermut während eines Testfluges den Unfall einer Gondelbahn in Cavalese (Italien). Alle zwanzig Insassen, einschließlich acht Deutscher starben. Die amerikanische Regierung verweigerte natürlich strikt eine Auslieferung Ashbys an europäische Behörden und die Weltöffentlichkeit verfolgte darauf ein amerikanisches Militärgerichtsverfahren, dem der Mann unterzogen wurde.
Wie nicht anders zu erwarten, sprach das Gericht - mit einem verständnisvollen Schulterklopfen - Ashby von allen Anschuldigungen frei: Er habe sich in keiner Weise unkorrekt verhalten. Richard Ashby durfte, mit zwanzig Menschenleben auf dem Gewissen, den Gerichtssaal als freier Mann verlassen. Für die Gebrüder La Grand hingegen, denen ein Raubmord angelastet wurde, gab es kein Pardon - nicht einmal als Judaslohn für den Beistand Deutschlands im Kosovo - Einsatz entgegen den Beschlüssen des Weltsicherheitsrates.

Nur ein völlig rückgratloser Staat wie Deutschland konnte angesichts einer derartigen provokativen Überheblichkeit und Arroganz kommentarlos zur Tagesordnung übergehen.

Doch trotz aller zurückliegenden Ereignisse, und jede anständige Gesinnung wird sich dem anschließen: Jedes der mehreren tausend von Opfern der Katastrophe vom 11. September 2001 ist eines zuviel !

Die Verantwortlichen dieses Terroranschlages - sind sie tatsächlich bei den erklärten Feinden der USA, so bei extremistischen arabischen Organisationen zu finden - dann haben sie ungerechtfertigt das gesamte amerikanische Volk für die Politik des Staates kollektiv verantwortlich gemacht.
Ganze Völker kollektiv für Maßnahmen ihrer politischen Führung verantwortlich zu machen, stellte eine überaus verhängnisvolle Tendenz dar, aus deren geschichtlichen Auswirkungen die Welt inzwischen entsprechende Erkenntnisse hätte ziehen müssen :
Hitler erklärte das "Internationale Judentum" für verbrecherisch, die Amerikaner erachten das Deutsche Volk kollektiv für die beiden Weltkriege und die Judentötungen für schuldig : Unvergessen sind die Worte des amerkanischen Journalisten Edwin Rosenthal in der Zeitschrift "Illustrated" vom 29. September 1945 :

"We felt that there was one kind of good German, I said, what kind ? A dead one."

Oskar Lafontaine setzte treffend der apologetischen "Auschwitz" - Phrase zur Rechtfertigung des Kosovo - Einsatzes von Außenminister Fischer entgegen :

"Heißt aber "Nie wieder Auschwitz" nicht auch, daß nie wieder ein ganzes Volk als die alleinige Ursache des Bösen dargestellt werden darf ?"
(Lafontaine : Das Herz schlägt links; München 1999; S. 249)

Es bleibt nur zu hoffen, daß der absehbare Vergeltungsschlag Amerikas - sind die Verantwortlichen der Anschläge doch als muslimische Extremisten erwiesen - nicht von den radikalsten Wortführern bestimmt sein mögen, denn dies würde zweifelsfrei nach sich ziehen, daß auch kollektiv gerächt werden würde. Die gegenwärtigen düsteren Ansprachen des Präsidenten Bush geben Anlaß zu schlimmsten Befürchtungen in dieser Hinsicht.

Das Unglück vom 11. September 2001 - es hatte daher bereits seine Wurzeln in der Vollziehung einer bedenken- und skrupellosen Weltpoltik Amerikas (namentlich im Nahostkonflikt), welche zwangsläufig auch die betroffenen Gegner zunehmend enthemmen mußten, auch ihrerseits Mittel radikalsten Charakters anzuwenden.

Rainer Jank

 

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