Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 20. bis 26. Oktober 2001

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

Partisanen sprengen Colafabrik in Indien

Weiter kritische Lage in Pakistan

 

Zitat der Woche:
"Die Agitation in der Aktion, die sinnliche Erfahrung der organisierten Einzelkämpfer in der Auseinandersetzung mit der staatlichen Exekutivgewalt bilden die mobilisierenden Faktoren in der Verbreiterung der radikalen Opposition und ermöglichen tendenziell einen Bewußtseinsprozeß für agierende Minderheiten innerhalb der passiven und leidenden Massen, denen durch sichtbar irreguläre Aktionen die abstrakte Gewalt des Systems zur sinnlichen Gewißheit werden kann."
- Rudi Dutschke

Im indischen Bundesstaat Andra Pradesh attackierten maoistische Guerrilleros von der PWG eine Coca Cola-Fabrik bei Guntur und zündeten in dem Komplex vier Landminen, die einigen Sachschaden anrichteten. Die PWG (People´s War Group) kämpft in Andra Pradesh für eine Landreform zugunsten der Kleinbauern und Landarbeiter. In einer Erklärung kündigten die Partisanen weitere Angriffe gegen westliche Unternehmen an, mit denen sie gegen den US-Imperialismus und die Operationen in Afghanistan protestieren wollen.

 

Nach Andeutungen im irischen Radiosender RTE aus dem Munde von Gerry Adams persönlich leitete der IRA Army Council Maßnahmen zur Entwaffnung der katholischen Untergrundarmee ein. Sehr wahrscheinlich wurde ein den internationalen Kontrolleuren bekanntes Waffenarsenal aufgelöst und der Inhalt unbrauchbar gemacht. Mit einer vielbeachteten Rede in West Belfast erklärte Adams, mit der Waffenabgabe durch die IRA könne der seit Monaten anhaltende Stillstand im nordirischen Friedensprozeß überwunden und das Karfreitagsabkommen gerettet werden. Beschwörend rief der Sinn Féin-Vorsitzende die IRA-Aktivisten und die republikanische Basis zur Einheit auf und ermahnte (wie auch das irische Außenministerium) die britische Regierung, endlich ihrer Verpflichtung zur Entmilitarisierung nachzukommen. Das taten die Briten auf ihre Weise, indem sie ganze 4 ihrer 63 Militärstützpunkte in Nordirland räumten. Noch immer stehen 13-15.000 Mann britischer Truppen in der Provinz, hinzu kommen die 5000 Aktiven und 3000 Reservisten des Royal Irish Regiment RIR. Immerhin ist nun mit der Bildung einer funktionsfähigen nordirischen Regierung unter Beteiligung Sinn Féins, einer Amnestie für exilierte Republikaner und einer unabhängigen richterlichen Untersuchung der Zusammenarbeit britischer Geheimdienste mit loyalistischen Todesschwadronen zu rechnen. Sinn Féin transformiert den nordirischen Konflikt damit auf eine rein politische Ebene und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die katholische Bevölkerungsgruppe namentlich in Belfast sich massivstem loyalistischen Terror ausgesetzt sieht. Erstmals nicht nur in der Geschichte der republikanischen Bewegung, sondern auch des Guerrillakrieges lieferte eine unbesiegte Truppe ihre Waffen dem Feind aus. Bei Zusammenstößen in North Belfast wurde ein loyalistischer Randalierer von einem IRA-Volunteer niedergeschossen und verletzt. Ferner erlitt ein 8jähriges katholisches Mädchen bei einem loyalistischen Rohrbombenanschlag Rückenverletzungen. Selbst der relativ zurückhaltende Nordirlandminister Reid titulierte die der Ulster Defence Association nahestehenden Täter öffentlich als "Abschaum".

 

Die UDA ließ bereits verlauten, keinesfalls dem Beispiel der IRA folgen zu wollen und etwa ihre Waffen abzugeben. Auch die Ulster Volunteer Force UVF und die Red Hand Defenders verweigerten entsprechende Schritte. Nach Äußerungen aus UDA-Kreisen werden die Loyalisten ihre Waffen erst dann abgeben, wenn die britische und nordirische Regierung Maßnahmen zur Unterstützung der notleidenden protestantischen Unterschicht ergreifen. In der vertikal gespaltenen nordirischen Gesellschaft gibt es neben einem großen katholisch-republikanischen eben auch ein starkes protestantisch-loyalistisches Proletariat, das bei Arbeitslosenquoten von 30 % und mehr in seiner Verzweiflung auf die Paramilitärs und nicht mehr auf die etablierten Unionistenparteien UUP und DUP setzt. Alleine in North Belfast soll die Stärke der UDA auf rund 2000 Mann angewachsen sein, und die loyalistische Militanz richtet sich nicht nur gegen die als Konkurrenz empfundenen Katholiken, sondern immer schärfer gegen die britischen Truppen und die Polizei.

 

Ruairí O´Brádaigh, Vorsitzender von Republican Sinn Féin, kritisierte die Waffenabgabe der IRA zum Tiefpunkt der irischen Geschichte. Zwar hätten auch die Parteien der Republik Irland republikanischen Prinzipien verraten und die britische Herrschaft in Nordirland akzeptiert, aber sie hätten niemals Waffen zerstört, die ihnen zum Kampf für die Unabhängigkeit Irlands gegeben wurden. Zudem würde Sinn Féin früher oder später zur Mitarbeit in der nordirischen Polizei aufrufen, womit die konterrevolutionären Provisionals gegen ihre ehemaligen republikanischen Kameraden von RIRA oder CIRA vorgehen. Der Army Council der RSF-nahen Continuity IRA verurteilte die Entwaffnungsschritte der IRA als Verrat und betonte, man werde den Kampf gegen die britische Herrschaft fortsetzen.
Die Real IRA wandte sich mit einem Angebot an die irische Regierung, ihre militärischen Operationen in der Republik einzustellen, wenn Dublin die rund 30 Kriegsgefangenen der RIRA freiläßt. Das irische Innenministerium lehnte jedes Abkommen mit den republikanischen Hardlinern ab. Im Gegensatz zur RIRA lehnt die Continuity IRA weiterhin Verhandlungen mit der irischen Regierung ab.

 

Der in Frankreich inhaftierte venezolanische Topterrorist Carlos gewährte der Tageszeitung "El Universal" ein Interview zu den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon. Ein Großteil der Opfer des 11. September seien feindliche Soldaten in Uniformen und Krawatten. Carlos verlieh seiner Sympathie für den revolutionären und antiimperialistischen Krieg Osama bin Ladens gegen die USA Ausdruck. Die Angriffe hätten die Kommandozentralen der gegen die Völker der Welt gerichteten imperialistischen US-Aggression getroffen - die militärische Zentrale im Pentagon und die Zentrale der Finanzspekulation in New York. "Alle die gegen die imperialistische Arroganz aufstehen, sind eindeutige Verteidiger der Weltrevolution."

 

Vor der britischen Atomwaffenbasis im schottischen Faslane kam es zu einer von linken und nationalistischen Gruppen organisierten Protestkundgebung. Die britischen Sicherheitsorgane griffen hart durch und inhaftierten eine Reihe von Demonstranten. Unter den Verhafteten befanden sich Tommy Sheridan, Vorsitzender der Scottish Socialist Party, der schottische Parlamentsabgeordnete Lloyd Quinan und zwei presbyterianische Geistliche. Sehr zum Unglück für die britische Regierung wurde auch die im Schutze besonderer Immunität stehende grüne EU-Abgeordnete Patricia McKenna festgenommen und landete gar in Untersuchungshaft. Nicole Fontaine als Präsidentin des Europaparlaments nahm sich der Affäre bereits an.

 

Die Bundesregierung verabschiedete die berüchtigte Telekommunikations-Überwachungsverordnung TKÜV. Die TKÜV regelt die technischen und organisatorischen Vorkehrungen, die von den Anbietern öffentlicher Telekommunikationsdienste zu treffen sind, um eine Überwachung durch Polizei und Geheimdienste zu ermöglichen. Betroffen sind beispielsweise Festnetz- und Mobilfunktelefone, Faxgeräte, E-Mail-Verkehr uns SMS-Nachrichten. Auf richterliche Anordnung (bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft) haben die Anbieter den Repressionsorganen die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation verdächtiger Kunden zu gestatten. Als Regierungsverordnung bedarf der Entwurf nicht der parlamentarischen Zustimmung. Bereits vor der TKÜV wurden täglich in der BRD 4000 Telekommunikationsverbindungen überwacht. Passenderweise erhielt Bundesinnenminister Otto Schily den Big Brother Award 2001 für den "Abbau von Bürgerrechten, Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung", wie der Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs mitteilte. Der Preis ging auch an Bundeswirtschaftsminister Müller, dessen Ministerium die TKÜV erarbeitete.

 

Sibghatullah al-Mojaddedi, ehemaliger Präsident Afghanistans und Führer der Afghanischen Nationalen Befreiungsfront, forderte ein Ende der anglo-amerikanischen Luftangriffe. Angesichts der bereits mehr als 1000 Todesopfer unter der Zivilbevölkerung drohe die Stimmung im Land allmählich zugunsten der Taliban zu kippen. Beispielsweise hat sich Gulbuddin Hekmatjar, bekannter Guerrillaführer im Kampf gegen Moskau, den Taliban mit seinen Männern angeschlossen. Die Zahl von 1000 Toten scheint uns beinahe zu niedrig gegriffen, denn nach Meldungen aus Afghanistan starben alleine am Wochenende bei Luftangriffen 110 Zivilisten. Am Montag legten die Sendboten der westlichen Wertegemeinschaft ein Krankenhaus in Herat in Trümmer und ermordeten rund 100 Wehrlose. Zudem wurden hier die Lagerhallen des Welternährungsprogrammes UNEP und eine Moschee zerstört. UNEP-Lagerhallen mit Nahrungsmitteln und raren Medikamenten fielen auch in Kabul der Vernichtung anheim. Das Hospital von Kandahar wurde angegriffen und zerstört, zudem starben 52 Menschen durch Bombentreffer in einer nahen Nomadensiedlung. Weitere ca. 50 Zivilopfer gab es hier, als alliierte Terrorflieger einen vollbesetzten Reisebus angriffen. Internationale Beobachter bestätigten Taliban-Meldungen, nach denen die Amerikaner in Kadam bei Jalalabad rund 200 Dorfbewohner töteten. Der amerikanische Generalstab bereitet sich darauf vor, daß die Operationen in Afghanistan bis ins Jahr 2002 hinein andauern werden. Immer deutlicher werden die Anzeichen, daß es zu einem Einsatz westlicher Bodentruppen kommen wird. Bush erteilte unterdessen der CIA die offizielle Vollmacht, gegebenenfalls Aktivisten der al-Qaida zu töten. An oberster Stelle der CIA-Mordliste steht naturgemäß Osama bin Laden. Erstmals wieder seit 1973 dürfen Amerikas Geheimdienste auch offiziell in aller Welt Personen liquidieren. An einer Verständigung ist Washington offensichtlich nicht gelegen - ungehört verhallte der Appell einer Konferenz von einigen Hundert Exilpolitikern und afghanischen Stammesfürsten, die Luftangriffe so schnell wie möglich zu beenden und im Ramadan Verhandlungen einzuleiten.

 

Bei den größten Demonstrationen gegen die USA seit dem Beginn der Militärangriffe auf Afghanistan haben sich Zehntausende Islamisten in Pakistan auf die Seite der Taliban gestellt. In Sprechchören nannten die Demonstranten den pakistanischen Präsidenten Musharraf einen Verräter. 50 000 Demonstranten zählte die Polizei alleine in Karachi. Bei einem Gefecht zwischen indischen Sicherheitskräften und pakistanischen Separatisten in der Himalaya-Region Kaschmir sind nach offiziellen Angaben sechs Menschen ums Leben gekommen. Vier Separatisten hätten versucht, einen Militärflughafen im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir zu stürmen, teilten die indischen Behörden mit. Indiens Ministerpräsident Atal Behari Vajpayee warf Pakistan erneut vor, die Rebellen in Kaschmir zu unterstützen. Die indische Regierung hat unter Berufung auf neue Anti-Terror-Gesetze 25 Organisationen verboten. Zu ihnen gehören separatistische Moslemgruppen in Kaschmir und Milizen, die für die Abspaltung von Regionen im Nordosten Indiens kämpfen.

 

Das Dorf Beit Rima, Heimatort der Mörder des israelischen Tourismusminister Zeevi, wurde Ziel einer massiven Militäraktion, bei der 10 Einwohner erschossen und Dutzende verletzt wurden. Teilweise machten die Angreifer aus Hubschraubern heraus Jagd auf zivile Flüchtlinge. Dutzende wurden von den Israelis verhaftet und verschleppt. Herbeieilende Helfer des Roten Halbmondes und internationaler Organisationen wurden erst nach 5 Stunden zu den Schwerverletzten vorgelassen. Die Sanitäter, Ärzte und Fahrzeuge des Roten Halbmonds sind seit Beginn der Unruhen vor einem Jahr Freiwild für die zionistische Soldateska - bislang wurden 156 israelische Angriffe auf die Hilfsorganisation gezählt. Die Bilanz sind 116 verletzte Sanitäter und der Ausfall von 70 % des Fuhrparks. Die Vereinten Nationen und Frankreich kritisierten das israelische Vorgehen scharf, Ägyptens Präsident Mubarak sprach gar von einer "Politik des Massenmords".

 

In den Gefängnissen der palästinensischen Autonomiebehörde haben mindestens 37 Aktivisten der PFLP einen Hungerstreik begonnen. Die auf Druck Israels Inhaftierten protestieren gegen ihre Gefangenschaft und fordern die palästinensische Einheitsfront gegen die israelische Besatzungsherrschaft. Auch die Fatah, die stärkste Fraktion der PLO, forderte von Arafat die Aufhebung aller Maßnahmen gegen die PFLP. Der Palästinenserpräsident verweigert immerhin beharrlich die Auslieferung von Attentätern an Israel, da diese gemäß dem Oslo-Abkommen von palästinensischen Gerichten abgeurteilt werden sollen. Derweil wüten israelische Truppen in den Autonomiestädten - unter den Toten sollen sich auch 3 Frauen und mehrere Kinder befinden - und verwüsten die mit internationaler Hilfe gebauten Infrastruktureinrichtungen. Angesichts der israelischen Gewaltexzesse im Westjordanland setzten die palästinensischen Behörden die angekündigte Beschlagnahme von Waffen militanter Gruppierungen aus. Das Vorgehen der israelischen Truppen nahm derartige Ausmaße an, daß sich die US-Regierung um die Stabilität ihrer Antiterrorkoalition besorgt zeigt und Tel Aviv massiv zum Rückzug aufforderte. Prompt machte die sattsam bekannte Anti-Defamation League unter ihrem Generalsekretär Abraham Foxman gegen die drohende Wendung in der amerikanischen Nahostpolitik mobil. Nachdem die Zionisten binnen nur einer Woche 40 Palästinenser ermordeten, stieg die Zahl der Toten der al-Aksa-Intifada auf 758 auf palästinensischer und 182 auf israelischer Seite.

Nach 18 Jahren Kriegsgefangenschaft wurde der RAF-Aktivist Rolf Heißler auf Entscheidung des OLG Düsseldorf entlassen. Heißler wurde 1982 wegen gemeinschaftlichen Mordes an zwei Zollbeamten, gemeinschaftlichen schweren Raubes und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Bewährungszeit des Entlassenen beläuft sich auf 5 Jahre. Der ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilte Johannes Weinrich, enger Mitarbeiter des legendären Carlos, soll erneut angeklagt werden. Gegen den 54-Jährigen liege eine zweite Anklage der Berliner Staatsanwaltschaft wegen 6fachen Mordes und Mordversuchs in 153 Fällen vor. Das Belastungsmaterial kommt unter anderem aus Archiven der Stasi.

 

Freyja Scholing, Mitbegründerin der Grünen, ist aus der Partei ausgetreten. Anlaß war die Zustimmung der Grünen zum Militäreinsatz in Afghanistan. "Ich habe mein Parteibuch zurückgegeben. Das hat nichts mehr mit Gewaltfreiheit zu tun, was da läuft." Zuvor hatte sich Angelika Beer, die Wehrexpertin der Kriegspartei unter ökologisch-humanistischem Deckmantel, erneut für weitere Militäroperationen gegen die Taliban ausgesprochen. Auch die SPD-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Scheer und Hermann Veit sprachen sich offen gegen die US-Aggression aus. Mecklenburg-Vorpommerns Landtagspräsident Hinrich Kuessner soll dem Vernehmen nach gar mit einem Parteiaustritt geliebäugelt haben.

 

Die Landtagswahlen in der Bundeshauptstadt Berlin endeten mit einem historischen Debakel für die CDU. Stärkste Partei ist nun die SPD, die sich auf 29,7 % und 44 Abgeordnete steigerte. Mit ihrem unpopulären und offensichtlich überforderten Kandidaten Frank Steffel brach die CDU auf 23,7 % und 35 Sitze ein und ist erstmals seit der Annexion der DDR nicht mehr stärkste Partei in Berlin. Mit 17,1 Prozentpunkten fuhr die Union die dritthöchsten Stimmenverluste in der gesamten bundesdeutschen Parteiengeschichte ein - nur die CSU 1950 in Bayern und die SPD 1950 in Westberlin erlitten schwerere Niederlagen. Drittstärkste Partei in Berlin ist die PDS mit 22,6 % und 33 Mandaten. Im Osten der Stadt erhielten die Sozialisten beinahe 50 % und alle Direktmandate, im Westen übersprangen sie mit 6,9 % erstmals die Fünfprozenthürde. Mit 9,9 % erhielt die FDP das beste Berliner Ergebnis seit 1954 und zieht wieder mit 15 Abgeordneten in die Bürgerschaft ein. Unter den künftigen FDP-Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus befinden sich mit Axel Hahn, Holger Krestel und Wolfgang Mleczkowski drei Vertreter des sogenannten nationalliberalen Flügels. Die Grünen mußten sich mit 9,1 % und 14 Sitzen bescheiden und haben damit zum 18. Mal in Folge bei einer Wahl auf Bundes- oder Länderebene Verluste erlitten. Die Wahlbeteiligung lag bei 70,5 %. Auf kommunaler Ebene zog die PDS erstmals in alle Bezirksverordnetenversammlungen ein, ebenso die FDP. Die Republikaner übersprangen in Neukölln die 3-Prozent-Hürde, ebenso die STATT-Partei in Treptow-Köpenick. Der Wahlausgang ermöglicht sowohl eine rosa-rote-Koalition wie auch eine Ampelkoalition, wobei letztere von der Bundesregierung und dem SPD-Bundesvorstand knallhart gesagt aus militärischen Gründen deutlich bevorzugt wird. Die Wählerverluste der CDU stiegen mit zunehmendem Alter an, und die SPD konnte interessanterweise nur bei den Jahrgängen über 30 zulegen, damit ihre zunehmende Vergreisung bestätigend. Eigentlicher Nutznießer der CDU-Schlappe ist die FDP, die vor allem in den Unionshochburgen zulegen konnte. Die Jugend der Bundeshauptstadt wählte überdurchschnittlich oft die PDS. Der erstmals bei der Hamburg-Wahl zu beobachtende Trend einer zunehmenden Fragmentierung der Parteienlandschaft setzte sich auch in Berlin fort - die zwei "Volksparteien" geraten unter Druck.

 

Mit einer Sprachberatungsstelle will die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung auf den Einfluss der englischen auf die deutsche Sprache reagieren. Dort sollen geeignete englische Begriffe übersetzt werden. Außerdem sollen allen Interessierten Fragen zu Sprachproblemen beantwortet werden. "Eine solche Stelle gibt es in Deutschland nicht, und wenn die anderen es nicht machen, müssen wir es tun", sagte Akademiepräsident Christian Meier auf der Herbsttagung in Darmstadt. In der Akademie sind 160 Schriftsteller, Übersetzer und Wissenschaftler organisiert.

 

In der verdienten "Berliner Zeitung" verfaßte Stephan Speicher den bemerkenswerten Aufsatz "Krieg ohne Staat" über die Vorgänge in Afghanistan: "Wieder ist der Westen dabei, mit Einsatz militärischer Großtechnologie ein Problem anzugehen. Es liegt darin das Versprechen kühler Effizienz wie in aller Technik und die leidliche Aussicht, das eigene Leben zu schützen. Der Terror aber, den man doch bekämpfen will, hat bereits das Maß vorgegeben. Will man ihn bekämpfen, so muß dieser Kampf wohl eine Form der Polizeiarbeit annehmen, und die setzt die Beherrrschung des Bodens voraus.
Der Luft- und Bombenkrieg ist ein Krieg gegen Staaten. So wird die Infrastruktur vernichtet, so werden Truppenkonzentrationen angegriffen. Aber den neuen Gegnern des Westens, ob es nun El Quaida ist oder die Taliban, fehlt dieser staatliche Charakter. Es fehlen jene Formen von Staat, Wirtschaft, Militär, die mit der Großtechnologie anzugreifen wären. (...)
Nun hat der Westen einen Gegner gefunden, von dem man kaum weiß, welches seine Regierung ist. Und auch das Verhältnis von Volk und Armee ist denkbar unklar. Ja, kaum kann man von einer Armee sprechen. Es sind Kombattanten an den verschiedenen Fronten. Teils sind es prinzipienfeste, religiös durchdrungene Krieger, die auch Bin Laden schützen mögen, teils Warlords, die ihre Kräfte wechselnden Seiten zur Verfügung stellen. Ein staatliches Monopol militärischer Macht gibt es nicht mehr, hat es in Afghanistan wohl auch allenfalls zeitweilig gegeben. (...)
Die neuen Konflikte aber, die in Indochina begannen, zeigten dem Westen einen neuen Typus des Gegners. Dessen schwächere staatliche Verfassung erschwert die Einhegung der Konflikte, die Kriege bekommen etwas Irreguläres, Partisanenhaftes mit der ganzen Kraft und Rücksichtslosigkeit, die darin liegt. Die Kalkulation der Interessen, nach der das Maß der Kriegsführung zu regulieren wäre und zum Schluß die Bedingungen eines Friedens, läßt sich kaum vorhersehen; der Westen tappt in ein Ungefähr.
Das stellt dem Krieg in Afghanistan keine gute Prognose. Die Vereinigten Staaten sind wohl bereit, auch mit Bodentruppen zu operieren, aber sie treffen auf einen Typus des Kämpfers, der ihnen fremd sein muß. Der Krieg gegen Partisanen ist schwer zu gewinnen, und es wird kaum ein Zufall sein, daß die alten Kolonialmächte nach 1945 in keinem einzigen Fall ihren alten Besitz gegen Aufständische halten konnten. Die Möglichkeiten, die die Guerilla bietet, wozu auch besondere Grausamkeiten gehören, schüchtern nach allen Erfahrungen die regulären Truppen ein, und wo diese erst einmal die Methoden der irregulären Kriegsführung übernehmen, um deren Gewalt für die eigenen Zwecke zu nutzen, leidet nach kürzester Zeit die Disziplin.
So sehen wir verschiedene Formen des Soldaten: Den des traditionellen Staatenkrieges, der für sein Vaterland in gutem Glauben oder auch desillusioniert fällt...Den westlichen Berufssoldaten, der für den hoch technisierten Krieg angeworben und ausgebildet wurde, und nun, wo er nicht aus höchster technischer Überlegenheit auf seinen Gegner hinabschießt, auf einem ihm unvertrauten Gelände herumirrt. Und zuletzt den Soldaten des neuen kleinen Krieges, mal Glaubenskämpfer, mal Söldner, mal Bandit. Gegen ihn, schlecht gerüstet, aber bereit, sich dem Krieg ganz hinzugeben, hat die westliche Moderne bislang kein Mittel gefunden. Er repräsentiert die Rückkehr des Kriegers in die Welt der Technik und des rationalen Interessenausgleichs. "

 

 

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